Anfang Jahr starb Mariam Magdi in Schaffhausen durch einen mutmasslichen Femizid. Ihr Bruder und ihre Mutter sind in die Schweiz gekommen, um für das Sorgerecht für Magdis Kinder zu kämpfen. Nun leben sie in einem Asylzentrum. Der Lauf einer Tragödie.
Eine Gruppe von Menschen steht vor einer trostlosen Bushaltestelle. An der Wand hängen die Reste abgerissener Plakate, die Glasscheiben, die vor Wind und Wetter schützen sollten, sind verschwunden. Im Hintergrund durchsuchen zwei Securitas-Mitarbeiter Büsche am Strassenrand. Die Gruppe wartet auf das Postauto, das hier stündlich vom Bundesasylzentrum Boudry, dem grössten Bundesasylzentrum der Schweiz, zum Bahnhof des malerischen Städtchens am Neuenburgersee fährt. Unter ihnen: Hanaa Magdi und ihr Sohn Hussam, vor sich ihre grossen Rollkoffer und Plastiksäcke mit Hygieneartikeln. Die Ägypter werden nach St. Gallen verlegt. «Wir sind froh», sagt Hussam und drückt seine Zigarette aus. «So sind wir näher bei den Kindern.»
Dass Hanaa und Hussam Magdi an dieser Bushaltestelle stehen und von einem Asylzentrum zum nächsten verlegt werden, ist der Höhepunkt einer Tragödie, die ihren Anfang im Winter nahm.
Am 9. Februar 2024 wird Mariam Magdi, Hussams Schwester, tot am Rheinufer aufgefunden. Sie wurde mutmasslich von ihrem in Schaffhausen wohnhaften Ehemann getötet. Der befindet sich seit Februar ununterbrochen in Untersuchungshaft. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung (siehe AZ vom 29. Februar).
Mitte Februar reiste Hussam von Dubai, wo er lebte, nach Schaffhausen, um bei den Untersuchungsbehörden zum Tod seiner Schwester Mariam auszusagen. Und um sicherzustellen, dass die beiden Kinder von Mariam in die Obhut seiner Familie kommen – und nicht in die Obhut des Vaters, der Mariam mutmasslich getötet hat. Hussams Mutter Hanaa folgte ihrem Sohn zwei Wochen später. Als die AZ Hussam Magdi Ende Februar zum ersten Mal interviewte, sagte er: «Meine Schwester kommt nicht zurück. Aber wir können dafür sorgen, dass ihr Gerechtigkeit widerfährt.» Und: «Bis dahin bleibe ich hier.»
Seither ist viel passiert. So etwas wie Gerechtigkeit ist der Familie Magdi nicht widerfahren. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) entschied Mitte Juni in einem 34-seitigen Beschluss, dass die beiden Kinder, sechs und sieben Jahre alt, bei der Mutter ihres mutmasslich gewalttätigen Vaters im Raum Schaffhausen untergebracht werden. Und aus Hussam und Hanaa Magdi, die durch den Tod ihrer Schwester bzw. Tochter aus dem Alltag in die Schweiz gerissen wurden, sind inzwischen Schutzsuchende geworden.
Die AZ hat über das vergangene halbe Jahr diverse Gespräche mit Hussam und seiner Mutter Hanaa geführt und Einsicht in den Entscheid der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde des Kantons Schaffhausen sowie zahlreiche Rechtsschriften der beteiligten Parteien erhalten. Die AZ hat auch über ihre Anwältinnen versucht, mit dem tatverdächtigen Vater und seiner Mutter in Kontakt zu treten, was nicht gelang.
Die Unterlagen geben Einblick in die letzten Wochen und Monate von Mariam Magdi in Schaffhausen vor ihrem Tod – und sie zeigen, wie weit Gerechtigskeitsempfinden und Kindeswohl auseinander liegen können. KESB-Experte Claudio Domenig nennt den Fall aussergewöhnlich «tragisch und komplex.»
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Im März 2023 reiste der Mann von Mariam Magdi mit den beiden gemeinsamen Kindern ohne ihr Einverständnis aus Ägypten in die Schweiz ein. Weil er Mariam verunmöglichte, mit ihren Kindern in Kontakt zu treten, erteilte ihm die KESB zunächst eine Weisung unter Androhung einer Strafe und verhängte später eine Ausreisebeschränkung für die Kinder. Am 5. Oktober erhielten die Kinder zudem einen Beistand. Die KESB ging von einer Gefährdung des Kindeswohls aus.
Zur gleichen Zeit reiste auch Mariam Magdi nach Schaffhausen. Sie wollte ihre beiden Kleinkinder nach über einem halben Jahr wiedersehen. Und sie wollte gerichtlich gegen ihren Ehemann vorgehen und reicht ein Trennungsbegehren beim Eheschutzrichter ein. Zudem zeigte sie ihren Mann kurz nach ihrer Ankunft bei der Schaffhauser Polizei wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung und Verletzung der Privatsphäre durch Aufnahmegeräte ein. Während der gemeinsamen Ehe habe er sie mehrmals gegen ihren Willen zu sexuellen Handlungen gezwungen. Sie habe ihm blind gehorchen, eine Burka tragen und ihm mehrmals täglich für Geschlechtsverkehr zur Verfügung stehen müssen. Der AZ erzählte Hussam im Februar, dass Mariam von ihrem Ehemann, bevor dieser mit den gemeinsamen Kindern in die Schweiz reiste, in Ägypten mehrfach in eine Wohnung gesperrt worden sei, was der endgültige Auslöser für die Trennung gewesen sei. Für den Ehemann gilt die Unschuldsvermutung.
Trotz der schweren Vorwürfe konnte Mariam Magdi den Kontakt zu ihrem Mann nicht gänzlich abbrechen. Ihre beiden gemeinsamen Kinder wohnten bei ihm in einer Schaffhauser Landgemeinde. Wie die SN berichteten, besuchten die Kinder Mariam zwar regelmässig in ihrem Hotelzimmer in der Nähe des Schaffhauser Bahnhofs. Laut ihrer Familie besuchte sie die Kinder aber auch beim Vater zu Hause. Gemäss ihrem Bruder Hussam auch am 31. Januar 2024. Der Ehemann soll Mariam an diesem Mittwoch im Hotel abgeholt haben. Der AZ liegen Aufnahmen der Überwachungskamera des Hotels vor, die mit einem Smartphone abgefilmt wurden. Darin sieht man einen Mann, der dem Ehemann ähnlich sieht, wie er Mariam und die Kinder besucht. Sieben Minuten später verlässt der Mann das Zimmer wieder. Rund drei Stunden später verlassen auch Mariam und ihre Kinder das Hotel. Was danach geschah, ist Teil laufender Ermittlungen.
Am Abend, so der Bruder, sei der Familie in Ägypten aufgefallen, dass Mariam Magdi – sonst sehr aktiv auf Social Media – seit längerer Zeit nichts mehr gepostet hatte. Sie rief die Schaffhauser Polizei an. Am 9. Februar wurde sie tot aus dem Rhein geborgen.
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Ein steinernes Wartehäuschen am Bahnhof Bevaix, nur wenige Kilometer von Boudry entfernt. Draussen zieht einer der ersten richtigen Sommertag vorüber, drinnen ist es kühl und schattig. Von Bevaix aus wollen Hussam und seine Mutter Hanaa zuerst den Regionalzug nach Neuenburg nehmen. Dort sollen sie sich im Bundesasylzentrum Altstätten in St. Gallen anmelden. Das Ganze sei völlig verkehrt, sagt Hussam Magdi, aufgewühlter als in früheren Gesprächen. Sonst spricht er leise, manchmal hält er sich die Hand aufs Herz, wenn er einen wichtigen Punkt unterstreichen möchte. Jetzt, auf dem Weg von einem Asylzentrum zum nächsten, gestikuliert er mit den Händen. Dann beginnt Hanaa auf arabisch zu sprechen, schnell, mit festem Blick. Hussam übersetzt, seine Mutter spricht weiter, bis er ihre Hand nimmt und versucht, sie zu beruhigen.
Die Familie Magdi kommt aus der Stadt Sherbin im Norden von Ägypten. Sie seien einfache Leute, erzählt Hussam: Sein Vater ist Tischler, sein Bruder Ahmed arbeitet in einem Restaurant. Mariam studierte Geschichte. Als der mutmassliche Mord an Mariam in den ägyptischen Medien hohe Wellen schlug, war es Ahmed, der vor die Kamera trat.
Hussam flog in die Schweiz. Zuerst lebte er im Hotel Zak in Schaffhausen, oft sah man ihn in den kalten Wintermonaten in einem Coiffeursalon in der Altstadt, stets sein Smartphone griffbereit. Seine Mutter reiste ihm nach, aber bald wurde das Geld knapp. Sie erhielten Unterstützung aus der arabische Moschee im Cardinal in Schaffhausen. Mal schliefen sie hier, mal dort.
Der nächste Stop auf ihrer Reise heisst nun St. Gallen. Draussen fährt langsam der Regionalzug ein.
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Nach der Verhaftung von Mariams Ehemann entzog ihm die KESB mit einer superprovisorischen Verfügung das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Dieses erlaubt es den Eltern, über den Wohnort ihrer Kinder zu bestimmen. Nach Mariam Magdis Tod und der Verhaftung ihres Mannes wurden die Kinder in behördliche Obhut genommen und in einem Heim untergebracht. Die Polizei nahm ihnen ihre Smartwatches ab, damit ihr Aufenthaltsort geheim bleibt. Die Massnahme hatte offenbar durchaus ihre Berechtigung. Als wenige Tage später zwei Behördenmitglieder der KESB die beiden Kinder in ein neues Heim bringen wollten, fiel ihnen ein Mann auf, der sich offenbar das Kennzeichen ihres Autos notierte und telefonierte. Später soll ihnen ein Auto gefolgt sein. Vorsichtshalber fuhren sie zur Schaffhauser Polizei, die die Kinder in die neue Institution brachte.
In der Folge entwickelte sich ein kompliziertes KESB-Verfahren, in das sich mehrere Parteien einklinkten, auf der Seite beider Familien stellten mehrere Personen Anträge, die beiden Kinder wurden von einer eigenen Kindesvertreterin vertreten. Bei Hanaa Magdi und ihrem Sohn Hussam drängte die Zeit. Beide hielten sich mit Touristenvisa in der Schweiz auf, die 90 Tage gültig waren, Hanaas Visum lief Ende Juni 2024 aus. Ihr Sohn erhielt im April zwar eine Verlängerung, aber auch seines sollte Ende Juli auslaufen.
Die Situation, die sich den Behörden präsentierte, war komplex: Zwei Kinder, aufgewachsen auf zwei Kontinenten und in zwei Familien, eine verstorbene Mutter und ein Vater in Untersuchungshaft, der im Verdacht steht, in den Tod der Mutter verwickelt zu sein. Vor diesem tragischen Hintergrund musste die KESB entscheiden: Was soll mit den Kindern geschehen?
Auf der einen Seite die Familie Magdi. Sie argumentierte, dass die Kinder in Ägypten aufgewachsen waren und immer wieder auch von ihrer Grossmutter betreut worden seien. Es bestehe ein «sehr enger Kontakt und ein gutes Verhältnis», deswegen sollten die Kinder nach Ägypten zurückkehren. Vom Vater hingegen gehe eine erhebliche Gefahr für die Kinder aus.
Die Seite des Vaters hingegen stritt dies ab. Es gebe keinen Hinweis, dass der Vater etwas mit dem Tod der Mutter zu tun habe. Ganz im Gegenteil: Die Gefahr gehe von der Familie Magdi aus, die nach dem Tod von Mariam Drohungen gegenüber dem Vater und den Kindern geäussert hätte. Diese Drohungen müssten ernst genommen werden, schliesslich verfügten nicht alle Familien über «dasselbe Bildungsniveau». Darum solle der tatverdächtige Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht zurückerhalten und die Kinder sollen zwischenzeitlich bei ihrer Grossmutter im Raum Schaffhausen platziert werden, welche seit der Ankunft der Kinder die Mutterrolle übernommen habe und «sehr gut gebildet», über die notwendigen finanziellen Mittel, eine grosszügige Wohnung und ein stabiles Umfeld verfüge.
Dann, im April 2024, schien sich der Knäuel plötzlich zu entwirren. Bei einer gemeinsamen Aussprache sicherten beide Familien der KESB zu, dass von ihnen keine Gefahr ausgehe. Und sie einigen sich, dass die Kinder während der Untersuchungshaft des Vaters bei dessen Mutter unterkommen sollen. Gemäss der Kindervertreterin entsprach das auch dem Wunsch der Kinder, die Kinder gerne in der Nähe des Vaters bleiben wollten. Warum stimmte die Familie Magdi diesen Bedingungen zu, die eine Niederlage für sie auf ganzer Linie bedeuten? Hussam sagt, dass ihnen während des KESB-Verfahrens von ihrem Anwalt und Behördenseite klargemacht worden sei, dass die Kinder nicht mit ihnen nach Ägypten zurückkehren werden.
Anfang Juni fällte die Kesb Schaffhausen dann ihren Entscheid: Der Vater soll das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das ihm nach seiner Verhaftung entzogen worden war, wieder zurückerhalten. Die Familie Magdi darf einmal pro Monat mit den Kindern über Videotelefonie sprechen. Zudem darf Hanaa Magdi auf eigene Kosten pro Jahr zwei Wochen Ferien mit den Kindern in der Schweiz verbringen.
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Ein Tag nach dem Entscheid:
Hey Hussam, wie fühlst du dich?
Hussam Magdi Wenn ich ehrlich bin: nicht gut. Wir haben zugestimmt, dass die Kinder hier bleiben sollen, auch weil sie hier eine bessere Zukunft haben. Aber sie werden uns vergessen, wenn sie uns nur noch durch ein Smartphone sehen. Wir müssen sie persönlich sehen können.
Ihr müsst das Land aber bald verlassen.
Hussam Magdi Ja. Heute treffen wir die Kinder noch einmal, dann werden wir Asyl in Zürich beantragen.
Während des gesamten KESB-Verfahrens finden sich Hussam und seine Mutter Hanaa immer wieder vor verschlossenen Türen wieder. Ihnen läuft die Zeit davon, eigentlich dürfen sie nur für 90 Tage in der Schweiz bleiben.
Also schrieben sie verzweifelte E-Mails an Anwaltskanzleien, Behörden und Fachstellen. Eine Sozialarbeiterin schrieb einen Brief an das Schaffhauser Migrationsamt mit der Bitte, dass die Magdis eine Aufenthaltsbewilligung erhalten sollen, um den engen Kontakt mit den Kindern der verstorbenen Mariam fortführen zu können. Der Brief endet mit einer Zusicherung, Hussam sei bereit, «einer Arbeitstätigkeit nachzugehen und selbst für den Lebensunterhalt aufzukommen.» Genützt hat alles nicht. «Leider ist unser ägyptischer Pass sehr schwach», erklärt Hussam.
Was er damit meint: Die Schweiz kennt ein Zwei-Klassen-Migrationssystem. Käme die Familie Magdi aus einem EU-EFTA-Staat, also aus einem Land wie Deutschland, Frankreich oder Ungarn, dürfte sie in die Schweiz einreisen, eine Wohnung mieten und hier arbeiten. Weil die Familie Magdi aus Ägypten stammt, einem sogenannten Drittstaat, gibt es für Familienmitglieder jedoch faktisch keinen legalen Weg, in der Schweiz zu arbeiten oder wohnhaft zu werden, sofern sie nicht als «qualifiziert» gelten. Hanaa Magdi führt in Ägypten den Haushalt ihrer Familie, Hussam arbeitete bis zu seiner Ankunft in der Schweiz in Dubai in einem Hotel. Diesen Job hat er in der Zwischenzeit verloren. Als «qualifiziert» gelten beide nicht.
Auch der KESB sind die Hände gebunden: Die Schweiz gewichtet das Kinderwohl zwar hoch, aber ihr Migrationsgesetz höher. Im Fall der Magdis eng verknüpft. Während des KESB-Verfahrens war der Aufenthaltsstatus ein wiederkehrendes Thema. Und zwar zu Ungunsten der Magdis: Der Vater der Kinder äusserte den Verdacht, dass seine verstorbene Frau Mariam sich über die Kinder einen Schweizer Pass erschleichen wollte. Und die Anwältin seiner Mutter doppelte nach: «Das Verhalten des Onkels und der Grossmutter mütterlicherseits [Hussam und Hanaa Magdi, Anm. d. Red] erwecke den Eindruck, als ob sie einen Aufenthaltsstatus begründen möchten, indem sie an der Kinderbetreuung [der Kinder] mitwirken.»
Gegen die Vorwürfe wehrt sich Hussam im Gespräch mit der AZ: «Ich habe nie geplant, in die Schweiz zu kommen. Ich hatte in Dubai mein eigenes Leben, ich war glücklich.» Am 30. Januar, nur einen Tag, bevor seine Schwester Mariam spurlos in Schaffhausen verschwand, heiratete Hussam in Dubai. Die frisch Vermählten haben sich seit fünf Monaten nicht mehr gesehen.
Die KESB hielt in ihrem Entscheid in Bezug auf den Aufenthaltsstatus der Familie nüchtern fest, dass das Visum von Hanaa Magdi am 19. Juni, also rund zwei Wochen nach dem Entscheid, ablaufe. «Es ist […] davon auszugehen, dass die Grossmutter mütterlicherseits in absehbarer Zeit nach Ägypten zurückkehren wird.»
Soweit ist es aber vorerst nicht gekommen. Bevor die 90 Tage ihres Touristenvisums abgelaufen sind, haben Hanaa und Hussam Magdi aus Verzweiflung in der Schweiz Asyl beantragt. Hussam sagt: «Ich habe meiner Mutter gesagt, dass das unsere letzte Chance ist. Meine Mutter hat ihre Tochter verloren. Jetzt will sie wenigstens noch ihre Enkelkinder ab und zu in die Arme nehmen können.»
Man darf davon ausgehen: Ihre Chancen auf Schutz in der Schweiz sind schlecht.
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KESB-Verfahren sind nicht selten hoch emotional, oft stehen sich zwei Seiten unversöhnlich gegenüber. In den langwierigen Verfahren werden intimste Details preisgegeben, Unterstellungen angestellt, Forderungen erhoben. Die Behörde selbst sollte sich in der Theorie jedoch nur von einer Maxime leiten lassen: dem Kindeswohl. Im vorliegenden Fall hat die KESB Schaffhausen das Kindeswohl so ausgelegt, dass der tatverdächtige Vater, der die Kinder einst gegen den Willen der Mutter in die Schweiz gebracht hatte, das Aufenthaltsbestimmungsrecht zurückerhält und die Kinder bis auf weiteres bei seiner Mutter untergebracht werden.
Ist das gerecht? Claudio Domenig ist Professor und Dozent für Kindes- und Erwachsenenschutz an der Berner Fachhochschule und bildet diejenigen aus, die KESB-Entscheide fällen müssen. Die AZ hat ihm eine Zusammenfassung des Entscheids geschickt. Aus seiner Sicht hat die KESB Schaffhausen gute Arbeit geleistet: «In diesem komplexen Fall wurde professionell vorgegangen.» Die Behörde habe abklären müssen, wo die Kinder eine «verfügbare, vertraute und verlässliche Bezugsperson» hätten und sei bei der Mutter des Vaters fündig geworden. Claudio Domenig ist der Meinung, es sei der Familie Magdi hoch anzurechnen, dass sie trotz der tragischen Vorgeschichte dieser Platzierung zugestimmt hat. «So kann ein Loyalitätskonflikt, das heisst, dass die Kinder sich zwischen den Familien hin- und hergerissen fühlen, verhindert werden.»
Auch das Besuchsrecht, das die Familie Magdi als viel zu eingeschränkt empfindet, beurteilt er als angemessen: «Grundsätzlich ist das Kontaktrecht auf die Eltern beschränkt. In Ausnahmefällen wie diesem kann es aber auch auf andere Familienmitglieder ausgedehnt werden, sofern es dem Kindeswohl dient.» Vor diesem Hintergrund beurteilt er das Besuchsrecht für Hanaa Magdi als angemessen. «Dennoch ist die Frustration verständlich, gerade weil der Vater die Kinder offenbar schon in der Vergangenheit von der Mutter isoliert hat.» Solche Herausforderungen stellten sich im Kinderschutzrecht oft. In derartigen Situationen gelte es, die Prioritäten richtig zu ordnen, für eine KESB bedeute dies: «Das Gerechtigkeitsempfinden muss manchmal hinter dem Kindeswohl zurückstehen.»
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Ein paar Tage später:
Seid ihr gut angekommen?
Hussam Magdi Es ist okay, aber ein wenig wie ein Gefängnis. Für mich geht es, aber für meine Mutter ist es hart. Aber wir haben noch Hoffnung.»