Hammer

27. Mai 2024, Nora Leutert
Foto: Robin Kohler
Foto: Robin Kohler

Wie kommt die neue Stadthausfassade an? Eine Betrachtung.

Zu meinem ersten Aufeinandertreffen mit der Fassade des neuen Stadthauses kommt es an einem verregneten Montagnachmittag. Wie ich die Gasse hinabspaziere, erschrecke ich: Da zieht sich eine fensterlose Wand aus Betonplatten in den grauen Himmel. Grossflächig eingemeisselte Reliefs sind darauf zu sehen. Regenwasser rinnt daran hinab, den gebeugten Nacken einer Figur und Schmetterlingsflügel entlang. Der grobe Charme dieses Plattenbaus erinnert mich eher an unsere deutsche Nachbarstadt Singen. Ich fühle mich etwas erschlagen. Auf der Redaktion wird später der Begriff «Fleischkäse» für das neue rötliche Gebäude fallen.

Hochwertiges Handwerk

Ein paar Tage später: Medienkonferenz vor dem neuen Stadthaus. Die Stadt begleitet die Enthüllung der Fassade mit einer Kommunikationsoffensive. Das Gebäude, das die historischen Häuser Stadthaus und Eckstein verbindet, ist schliesslich wichtig: Es ist die Empfangshalle, in welche alle Bürgerinnen und Bürger in Zukunft treten, wenn sie mit der Stadtverwaltung zu tun haben.

Kunst am Bau soll die Halle zieren und ihr einen repräsentativen Charakter verleihen. Das wurde im Zuge des Umbaus des Stadthausgevierts entschieden. Eine Jury aus Verwaltungsmitgliedern und Kunstkundigen wählte 2021 aus 150 eingereichten Projekten einen Sieger aus. Durchgesetzt hat sich der Entwurf «Rauben Tauben Trauben» des international renommierten Schaffhauser Künstlers Yves Netzhammer.

Nun, drei Jahre später ist das Resultat umgesetzt und präsentiert sich der Öffentlichkeit – und, an dieser Medienkonferenz, einer Traube von herumstehenden Journis. Sie werden mit inspirierenden Stichworten versorgt, die von der Hochwertigkeit der Fassade überzeugen sollen. «Eine visuelle Schule» nennt die moderierende Museumsdirektorin und Jurymitglied Katharina Epprecht Netzhammers Bildersystem, das sich schwungvoll über die Wand zieht. Der Architekt berichtet von dem nervenkitzelnden Experiment mit Beton und vom abenteuerlichen Drahtseilakt des Steinmetzes, der die Zeichnungen herausmeisselte und der – zurückhaltend im Hintergrund – ebenfalls vor Ort ist. Die Felder mit Motiven seien eine Referenz an die historische Fassadenmalerei wie beim ebenfalls in Rottönen gehaltenen Haus zum Ritter.

Auch der Künstler selbst ist zugegen. Auf Katharina Epprechts Frage, wie er hoffe, dass die Bevölkerung auf sein Werk reagiere, sagt Yves Netzhammer: «Ich wünsche mir neugierige Betrachtungen. Dass man nicht vorschnell sogenannt Neues abwehrt – aber das führt nun gleich in einen moralischen Kanon, in den ich gar nicht einsteigen möchte. Doch es ist schon so: Künstlerisches kann einem etwas zu denken und zu fühlen geben. Und da hoffe ich, dass wir uns gegenseitig etwas Raum lassen.»

Freikirche? Altersheim?

Auch ich bin weiterhin neugierig auf das neue Kunst-am-Bau-Werk. Am darauffolgenden Samstagvormittag spaziere ich ein weiteres Mal zum neuen Stadthaus. Das Wetter ist strahlend schön. Bei blauem Himmel ist das Ganze nochmals eine andere Sache, denke ich, wie ich in der Gasse stehe.
Die grau-grün-rötlichen Farben der Betonplatten kommen viel besser zur Geltung als unter drückend grauen Wolken. Die verspielten und ausgeklügelten Zeichnungen laden zum Verweilen ein. Von einem «visuellen Lustgarten» hatte Laudatorin Katharina Epprecht gesprochen. Nur ist es halt ein Betongarten. Eine moderne begrünte Fassade, ein Hängegarten vielleicht, wäre auch schön gewesen. Aber darum geht es nun nicht, sondern um das neue Kunstwerk. Und dieses will reflektiert und diskutiert werden. Schliesslich ist es für die Leute, es gehört den Leuten, sie haben es bezahlt. Was also sagen die Passantinnen und Passanten zu ihrem neuen Stadthaus?

Ein Bekannter von mir, ein junger Mann, kommt mir entgegen. Ich frage ihn nach seiner Meinung. «Im ersten Augenblick hat mich die Fassade an eine evangelische Freikirche auf dem Land erinnert», sagt er. «An etwas, das modern sein möchte. Ich finde es nicht schlimm, aber auch nicht besonders toll.» Die folgenden Spaziergängerinnen sind anderer Meinung: «Fantastisch», summiert eine ältere Frau. Eine Mutter mit Tochter sagt: «Ich finds dä Hammer! Ich hätte nie gedacht, dass Schaffhausen sich so etwas Mutiges getraut. Eine total gelungene Kombination des Alten mit etwas Neuem.» Auch zwei junge Frauen bleiben stehen und schwärmen, sie spüren offenbar Grossstadtluft. Und ein Ehepaar in der zweiten Lebenshälfte urteilt: «Erfrischend. Man gewöhnt sich sicher gut daran.»

Steinmetz Linus Wettstein, Künstler Yves Netzhammer und Baureferentin Katrin Bernath beim Medienanlass. Foto: Robin Kohler
Steinmetz Linus Wettstein, Künstler Yves Netzhammer und Baureferentin Katrin Bernath beim Medienanlass. Foto: Robin Kohler

Was sich vor allem zeigt: Viele Leute bleiben stehen, um die neue Fassade zu studieren. Das Interesse ist gross. Mehrere Spazierende sagen, sie seien jetzt gerade extra in der Stadthausgasse vorbeigekommen, um sich den neuen Netzhammer anzuschauen – oder täten dies sogar zum wiederholten Mal, um die Kunst aktiv zu geniessen. Von den fünfzehn befragten Personen kommen über die Hälfte positive oder offene Rückmeldungen. Es gibt aber auch skeptische Worte: «Viel zu grob. Es passt nicht neben das filigrane historische Stadthaus», sagt eine Dame. Oder, ein anderer Passant: «Ich sehe es neutral. Mit den Symbolen kann ich nur bedingt etwas anfangen, es fragt sich, wie schnell sich die Idee abnutzt. Es erinnert eher an ein aufwändig gestaltetes Parkhaus». Eine Frau fragt: «Ist das ein Altersheim? Sieht aus wie aus den 80ern. Ich hätte nicht gedacht, dass es neu ist. Kunst am Bau ist eine grossartige Sache, aber ich finde es eher etwas bieder.»

Sprache und Medium

Interessant: Die Meinungen der Spazierenden teilen sich in zwei Lager auf, in denen sich auch meine widersprüchlichen Empfindungen widerspiegeln. Ich bin mir nicht sicher, wie modern, wie mutig die neue Fassade tatsächlich wirkt.

Es könnte am Spagat zwischen dem (durch den Wettbewerb vorgegeben) Medium der Betonplatten und der Netzhammer’schen Bildsprache liegen. Letztere kennt man im Ausdruck subversiver, mokanter, raffinierter Gedankensysteme – oft sehr feingliedrig, fliessend und computeranimiert. Mit der Stadthausfassade aber ist seine Handschrift starr und grossflächig in Stein gemeisselt. Das Werk ist für die Ewigkeit und es ist für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt. Durch beides ist die Verantwortung eine andere als bei einem privaten Kunstprojekt. Leute treten in ganz unterschiedlichen Lebenslagen in das Stadthaus: Belastet, bedrängt, ängstlich oder glücklich. Er habe nicht gegen die Leute arbeiten wollen, hatte Yves Netzhammer beim Apéro nach der Medienkonferenz gesagt. «Die Geste soll nicht verletzend sein.» Oder in anderen Worten: Diese Kunst soll nicht weh tun.

Das merkt man dem Werk an. Es ist handzahmer, als man es von Netzhammer gewohnt ist. Sein Zeichensystem bildet hier Bereiche und Symbole des Lebens ab, die eine gewisse Allgemeingültigkeit haben (Schmetterling, Taube, Apfel, Weinrebe und andere), und die auch schwerfällig wirken können (kommen daher die Assoziationen mit Freikirche, Parkhaus, Altersheim?). Vielleicht wirkt die Fassade auch deshalb etwas grob, weil sie sich in einer engen Gasse und nicht auf einem weiten Platz erhebt. Vielleicht steht sie einfach an der falschen Stelle.

Aber letztlich, komme ich zum Schluss, weckt sie in mir an verschiedenen Tagen und je nach Betrachtung unterschiedliche Empfindungen. Es ist eine launische Fassade, abhängig vom Wetter – so wie es auch die Stimmung der Menschen ist. Von daher gibt sie vielleicht ganz gut die Volksseele wieder: als ein Kaleidoskop der Gemüter beim Besuch der Stadtverwaltung.