Transparenz in der Politik: Bundesgericht schafft Klarheit

28. März 2024, Simon Muster
Das Bundesgericht urteilt im Sinne der Transparenz bei der Finanzierung von Parteien. Montage: Robin Kohler

Das höchste Schweizer Gericht hat in der Frage zur Umsetzung der Transparenzinitiative ein Urteil gefällt: Es pfeift den Kantonsrat zurück, der das Volksbegehren stark abschwächte.

Es kommt einer krachenden Niederlage für den Schaffhauser Kantonsrat gleich: Das Bundesgericht in Lausanne hat am 22. Februar beschlossen, dass ein Kantonsratsbeschluss vom 7. November 2022 über die Zukunft der vor rund vier Jahren angenommenen Transparenzinitative aufzuheben ist. Mit dem Beschluss habe der Kantonsrat «den Anspruch der Stimmberechtigten auf freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe verletzt.»

Der Entscheid ist der vorläufige Höhepunkt eines demokratiepolitischen Streits, der mit einem überraschenden Abstimmungserfolg begann, in die Gerichtssäle verlagert wurde und nun bald erneut an der Urne entschieden wird.

Rückblick: die Sensation – dann taucht Heydecker auf
Es war eine Sensation, als die Schaffhauser Stimmbevölkerung im Februar 2020 die Transparenz-Initiative der Juso mit 54 Prozent annahm – und so die schweizweit strengsten Transparenzvorschriften für die Parteien- und Kampagnenfinanzierung in die Verfassung schrieb.

Zwar liess der Initiativtext viele Fragen offen, der Paradigmenwechsel war aber beschlossene Sache. Dachten alle.

Doch im März 2021 bremste die bürgerliche Mehrheit im Kantonsrat den Jubel der Transparenzfreunde jäh aus. Sie überwies eine Motion von FDP-Kantonsrat Christian Heydecker, der den ausführlichen, 2020 verabschiedeten Transparenzartikel streichen und durch einige wenige, vage Bestimmungen ersetzen wollte. Um dies zu verhindern, lancierten der Demokratieaktivist Claudio Kuster sowie linke und grüne Parteien im Februar 2022 die Umsetzungsinitiative.

In der Folge verlagerte sich die Diskussion vom Parlamentssaal in die Gerichtssäle. Die Argumente: staatsrechtliche Gutachten (AZ vom 29. September 2022). Sowohl die Regierung als auch die Initianten beauftragten Staatsrechtler mit der Klärung der Frage, ob die Motion Heydecker der Umsetzungsinitiative in einer Doppelabstimmung gegenübergestellt werden solle, oder ob das Schaffhauser Volk gestaffelt über die beiden Verfassungsänderungen abstimmen soll. Letzteres könnte zur Folge haben, dass die Umsetzungsinitiative für ungültig erklärt wird, wenn die Motion Heydecker an der Urne angenommen würde.

Um Licht ins Dickicht der Paragraphen und Gutachten zu bringen, fragte die AZ damals bei Dr. Corina Fuhrer nach, einer ausgewiesenen Expertin für die Umsetzung von Initiativen auf kantonaler Ebene. Sie bezeichnete das Vorgehen des Kantonsrat als «staatspolitisches Trauerspiel» und kam nach Analyse des Gutachtens der Regierung zum Schluss: «Demokratiepolitisch ist mindestens eine Doppelabstimmung angezeigt.» Auch der Regierungsrat kam zu einem ähnlichen Schluss. Trotzdem entschied sich der Kantonsrat am 7. März 2023 für eine serielle Abstimmung: Zuerst die Motion Heydecker und dann allenfalls, bei einem Nein, die Umsetzungsinitiative als Gegenvorschlag. Gegen diese Entscheide legte das Initiativkomitee im Dezember 2022 Beschwerde ein.

«Nun rasch eine Volksabstimmung»
Nun haben Kuster und seine Verbündeten vor dem höchsten Schweizer Gericht weitgehend Recht bekommen. Die AZ hat von den Beschwerdeführern Einsicht in das Urteil erhalten. Das Gericht in Lausanne kommt zum Schluss, dass das vom Kantonsrat gewählte gestaffelte Vorgehen die Stimmberechtigten vor ein Dilemma stellt. Insbesondere jene, die sowohl die Motion Heydecker als auch die Umsetzungsinitiative dem Status quo – der noch nicht umgesetzten Transparenz-Initiative der Juso – vorziehen würden. Sie müssten entweder Ja sagen zur Motion Heydecker und damit die Ungültigerklärung der Umsetzungsinitiative in Kauf nehmen. Oder, um das zu verhindern, Nein zur Motion Heydecker sagen, obwohl sie diese dem Status quo vorziehen würden. Da unter diesen Umständen keine differenzierte Abstimmung möglich sei, wäre der Kantonsrat «verpflichtet gewesen», die Motion Heydecker der Umsetzungsinitiative in einer Doppelabstimmung als Gegenvorschlag gegenüberzustellen, urteilten die Bundesrichter.

Ganz gegensätzliche Auffassung von Transparenz: Christian Heydecker und Claudio Kuster (rechts) bei einem Interview mit der AZ, März 2022. © AZ

Er sei über den Entscheid erfreut, aber nicht überrascht, sagt Demokratie-Aktivist Claudio Kuster: «Das Bundesgericht hat klar entschieden, dass die Umsetzung der Transparenzregeln nicht länger hinausgezögert werden kann.» Am erfreulichsten findet Kuster, dass das Bundesgericht nebenbei auch die Frage der Gültigkeit der Initiative entschieden hat. So schreibt das Bundesgericht, dass «prima vista» alles dafür spreche, «die Umsetzungsinitiative für gültig zu erklären». «Damit ist allfälligen Plänen im Kantonsrat, die Umsetzungsinitiative doch noch teilweise für ungültig zu erklären, ein Riegel geschoben», so Kuster.

Das Bundesgericht schreibt in seinem Urteil, dass über die Motion Heydecker und die Umsetzungsinitiative möglichst bald abgestimmt werden soll. Claudio Kuster schwebt eine Abstimmung im November vor. «Die Diskussion ist weitgehend geführt, jetzt muss es rasch zu einer Volksabstimmung kommen.»

Regierungsrat: keine Stellungnahme
Der stellvertretende Staatsschreiber Christian Ritzmann sagt auf Anfrage, die Regierung habe das Urteil zur Kenntnis genommen, werde dazu aber keine Stellung nehmen. Der Regierungsrat habe zwar im Prozess Stellung genommen, das Urteil betreffe aber das Parlament. «Entsprechend ist jetzt der Kantonsrat am Zug», so Ritzmann. Und er skizziert einen etwas komplexeren Weg zur Volksabstimmung als Demokratieaktivist Kuster.

Gemäss Ritzmann muss nun als erstes die Spezialkommission wieder aktiviert werden, welche bereits 2022 den Umgang mit der Durchsetzungsinitiative vorberaten hatte. Die Spezialkommission, so Ritzmann, müsse in zwei Punkten eine Empfehlung formulieren. Erstens sei neu zu beurteilen, ob die Umsetzungsinitiative gültig sei. Das schreibt auch das Bundesgericht: Für den formellen Entscheid über die Gültigkeit sei letztendlich der Kantonsrat zuständig. Und zweitens muss die Kommission und danach der Kantonsrat entscheiden, ob die Initiative anzunehmen oder abzulehnen sei.

Die Regierung, sagt Ritzmann, werde in der Spezialkommission inhaltlich dieselbe Haltung vertreten, die sie bereits in ihrer ursprünglichen Vorlage vertreten hatte: Die Initiative sei zur Ablehnung, die Motion Heydecker als Gegenvorschlag zur Annahme zu empfehlen.

Mitarbeit: Luca Miozzari