Das Stars in Town gehört neu zum umstrittensten Veranstaltungskonzern der Welt. Gründer Klaus-Peter Schulenberg ist in diverse Skandale verwickelt, von Steuertricks bis Schwarzmarktdeals. Subventionen gibt es trotzdem.
Am 12. März 2024 dürfte sich Klaus-Peter Schulenberg gefreut haben. Erstens über einen erfolgreichen Deal, zweitens über einen erfolgreichen Spin.
Spin, um einen Begriff aus der PR-Branche zu verwenden, bedeutet: einer Geschichte den richtigen Dreh verpassen. An diesem 12. März gab Adrian Brugger, der Gründer des Stars in Town, bekannt, dass er das Festival in der Schaffhauser Altstadt verkauft hat. Und zwar an die Schweizer Musikagentur Gadget. Gadget übernimmt 60 Prozent des Stars in Town. Brugger bleibt Direktor des Festivals, will sich aber nach einem Nachfolger umschauen.
In den Schaffhauser Medien erzählten die Beteiligten von der Chance des Verkaufs: das geschäftliche Risiko werde minimiert, die Zukunft des Festivals gesichert.
Im Gespräch mit den Schaffhauser Nachrichten betonte der Vertreter von Gadget, dass man wisse, wie wichtig die lokale Verankerung des Festivals sei. Es sei nie zur Debatte gestanden, etwas am lokalen Charakter des Stars in Town zu verändern.
Der Spin dieses Verkaufs besagte also: Schweizer Musikagentur übernimmt Schaffhauser Festival. Alles bleibt beim Alten.
Wer bei den Interviews jedoch genauer hinhörte, konnte in einem Nebensatz den Namen eines Konzerns entdecken, der überhaupt nicht zu diesem Lokal-Spin passte. Der Name lautet: CTS Eventim. Zweitgrösster Veranstaltungskonzern der Welt mit einem Umsatz von 1,93 Milliarden Euro. Und Mehrheitsaktionär der Agentur Gadget. Das Stars in Town ist nun also Teil des Eventim-Imperiums. Und diesem Imperium steht Klaus-Peter Schulenberg vor, ein Mann, der Milliarden verdiente mit Popmusik, die er selbst gar nicht hört (er bevorzugt Klassik).
Berthold Seliger, selber seit Jahrzehnten Konzertagent, unter anderem für die «Godmother of Punk» Patti Smith, verfolgt den Expansionskurs von Eventim schon lange. In einem Interview mit dem Tages-Anzeiger sagte er über dessen Festival-Einkaufstour: «Diese Festivals müssen nicht glauben, dass sie unter Eventim langfristig autonom arbeiten dürfen. Da wird gnadenlos das Programm des Grosskonzerns durchgezogen.»
Gefressen werden mit Gadget
Beginnen wir von vorne. Im Jahr 1994. Noch bevor Klaus-Peter Schulenberg anfing, ein Musikimperium aufzubauen, das bis in die Schaffhauser Altstadt reichen würde. 1994 wurde Gadget in Zürich gegründet. Schnell expandierte die Konzert- und Managementagentur. In einem Interview von 2001 räumte einer der Gründer «mit dem vorherrschenden Idealistentum unter der Schweizer Musikantenschaft ziemlich unverblümt auf», wie es der Tages-Anzeiger formulierte. Denn der Gründer sagte: «Wir stehen dazu, dass wir mit Musik in erster Linie Geld verdienen wollen.»
Mit 77 Bombay Street, den Lovebugs, Krokus, Hecht, Dabu Fantastic, Pegasus oder Stress waren sie kommerziell recht erfolgreich. Bald war Gadget der grösste Schweizer Konzertveranstalter. Erst recht, als man 2015 mit drei weiteren Agenturen aus der Branche verschmolz. Um «die Unabhängigkeit als Schweizer Veranstalter gegen die ausländische Konkurrenz» langfristig zu sichern, wie sie in einer Pressemitteilung schrieben.
Fünf Jahre später, im Januar 2020, war dieser Réduitgedanke schon überholt. Mit CTS Eventim trat die ausländische Konkurrenz auf den Plan und kaufte Gadget. Es handelte sich um die grösste Fusion in der Geschichte der Schweizer Veranstaltungsbranche.
Das Radio SRF widmete der Übernahme eine Sendung. Ob dieser Schritt als Kapitulation verstanden werden könne, fragte der Moderator einen Vertreter von Gadget. «Wir passen uns nun einfach dem Markt an», erwiderte der Gadget-Mann. «Es wird kein Copy-Paste-Programm aus dem Ausland geben, und es wird uns nichts diktiert.»
Heute, als Tochterfirma von Eventim, hat Gadget laut Website über 50 Mitarbeitende und veranstaltet über 500 Konzerte pro Jahr. Darunter das Openair St. Gallen, das Festival Summerdays in Arbon oder das Spex in Bern. Die Firma förderte aber auch immer wieder unbekanntere Künstler und Künstlerinnen wie aktuell die Schweizer Rapperin Gigi.
Geschäftszahlen veröffentlicht die Agentur nicht. Bekannt ist: Im letzten Jahr holte sie die Band Rammstein für zwei Konzerte in die Schweiz. Wegen laufender Ermittlungen gegen Sänger Till Lindemann wurde damals die Absage der Auftritte gefordert. Gadget teilte mit, dass es dafür juristisch keine Basis gebe (die Untersuchung wurde später eingestellt). In einer Recherche ging der Tages-Anzeiger davon aus, dass Gadget mit den beiden Konzerten 1,2 bis 1,8 Millionen Franken verdiente.
Die allgemeine Lage
Um das Geschäft mit Konzerten und Festivals zu verstehen, die Hintergründe des Stars-in-Town-Verkaufs, müssen wir uns einen Überblick über die allgemeine Lage im Musikgeschäft verschaffen. Mit dem Aufkommen von Streamingdiensten wie Spotify oder auch Youtube brachen die Verkaufszahlen von Alben und Singles ein. Der Fokus der Musikkonzerne richtete sich darum auf Konzerte.
In seinem 2019 erschienen Buch «Vom Imperiengeschäft» beschreibt der Konzertagent Berthold Seliger ein grundsätzliches, aber von grossen Musikagenturen bewusst herbeigeführtes Problem: Ein Prozent aller Musiker und Bands erzielen 60 Prozent aller weltweiten Konzerteinnahmen. Die oberen fünf Prozent generieren sogar 85 Prozent aller Konzerteinnahmen.
Das bedeute, schreibt Seliger, dass man nur noch auf die grossen Namen fokussiere, womit die Vielfalt verloren gehe. «Mit Bands, die vor wenigen Fans in den Clubs spielen, ist kein Geld zu machen. Aber genau dort, in den Clubs, entsteht die Popkultur.» Auch die Rolling Stones hätten schliesslich auf kleinen Bühnen angefangen. Etwas zugespitzt formuliert: Immer weniger Bands spielen für immer teurere Billetts. Also im Zweifelsfall lieber zehnmal Status Quo als ein buntes Programm.
Schulenbergs Imperium
Eine zentrale Rolle in diesem «Imperiengeschäft» nimmt Klaus-Peter Schulenberg ein, der Gründer und Geschäftsführer von CTS Eventim.
Schulenberg, Sohn eines Kaufmanns aus Bremen, 72 Jahre alt, trägt noch immer gern breit geschnittene Anzüge im Stile der Neunzigerjahre, der Zeit, in der er richtig gross wurde im Musikgeschäft. Damals kaufte er die Firma Computer Ticket Service, kurz CTS. Seinerzeit wurden Eintrittskarten vor Ort über Vorverkaufsstellen vertrieben. Mit CTS sollte alles online abgewickelt werden. Zuerst kassierte Schulenberg bloss ein paar Pfennige Gebühren pro Ticket. Aber er setzte auf die richtige Technologie. Sein Imperium wuchs schnell.
Schulenberg bekam den Zuschlag, die Karten der Fussball-WM 2006 in Deutschland zu vertreiben. Drei Millionen Tickets, und für jedes einzelne kassierte er eine Gebühr. Später schaltete sich die Staatsanwaltschaft ein. Sie fand heraus, dass Schulenberg über 50 000 Tickets auf dem Schwarzmarkt verkauft hatte. Der Profit betrug 12 Millionen Euro. Nach jahrelanger Untersuchung stellte die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gegen die Zahlung einer Geldstrafe über 600 000 Euro ein.
Mit der Zeit stiegen die Gebühren von Eventim (auch in der Schweiz, wo Eventim die Hälfte der Plattform Ticketcorner besitzt). Selbst bei Konzertabsagen behält der Konzern die Gebühren.
Immer wieder wehrten sich Konsumentenschützer. Als Eventim die Band AC/DC nach Deutschland holte, konnte man Billette für 101 Euro kaufen. Und darauf kamen nochmals fast 9 Euro Gebühren. Dabei ist eine kostenlose Zahlungsmöglichkeit in Deutschland Pflicht. Eventim musste die Kunden entschädigen. Ähnliches passierte, als Eventim eine Gebühr fürs Ticket verlangte, selbst wenn man es selber ausdruckte. Trotzdem wuchs der Konzern unaufhaltsam. Im Jahr 2022 verkaufte er 250 Millionen Tickets.
Die Margen beim Ticketverkauf sind enorm hoch. Insider erzählen von einer Gewinnquote von 60 Prozent – ohne ein grosses Risiko einzugehen und ohne viel Arbeit dafür aufwenden zu müssen.
Mit dem Geld aus dem Kartengeschäft baute sich Klaus-Peter Schulenberg ein Unterhaltungsimperium. Er kauft Firmen auf, die Konzerte und Festivals veranstalten, darunter «Rock am Ring», «Hurricane» oder «Southside». Er kauft zahlreiche Konzertlokale. Er versucht, möglichst viele Künstlerinnen und Künstler an seine Agenturen zu binden. Und die Tickets für die Konzerte gibt es natürlich bei Eventim. Schulenberg verdient also gleich mehrfach an Auftritten. «Mehr geht nicht, es sei denn, Schulenberg würde auch noch selbst singen und tanzen», war dazu in der Welt am Sonntag zu lesen.
Eventim ist heute die zweitgrösste Veranstaltungsfirma der Welt, nach der US-amerikanischen Live Nation (die zum Beispiel das Openair Frauenfeld gekauft hat). In Europa – und in der Schweiz – besitzt Eventim eine Quasi-Monopolstellung im Konzertmarkt. Praktisch die gesamte Musikbranche ist von Schulenbergs Imperium abhängig.
In Deutschland schritt das Kartellamt schon mehrfach ein, weil es den freien Wettbewerb gefährdet sah. «Eventim ist als Anbieter des mit Abstand größten Ticketsystems in Deutschland marktbeherrschend», sagte der Präsident des deutschen Kartellamts 2017.
Klaus-Peter Schulenberg selbst hat einen eigenen Begriff für seinen Perpetuum-Mobile-ähnlichen Mechanismus geschaffen. Er nennt es: die «Content-Pipeline weiterentwickeln». Sein Vermögen beträgt heute laut dem Magazin Forbes 3,2 Milliarden Euro, womit er zu den 1000 reichsten Menschen der Welt gehört.
Sein Vermögen hat er steuersparend auf Firmensitze und Stiftungen verteilt, an Orten, die von den britischen Jungferninseln bis Liechtenstein reichen. Und er vertraute Dutzende Millionen Euro einem Anwalt namens Hanno Berger an. Berger ist der Erfinder sogenannter Cum-Ex-Deals, woraus sich der grösste Steuerbetrug aller Zeiten entwickelte.
Im Verbund mit Banken, Anwälten und Superreichen nutzte Berger Gesetzeslücken aus, um sich auf Kosten des Staates – und der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler – zu bereichern. Beim Handel mit Aktien liessen sie sich Steuern rückerstatten, die sie nie bezahlt hatten. So betrogen sie mehrere Länder um insgesamt über 60 Milliarden Euro.
Mit Cum-Ex-Tricks verdiente Schulenberg laut dem Handelsblatt mehrere Millionen. Später sagte er, nichts von Bergers Methoden gewusst zu haben. «Ich hätte sonst niemals investiert.» Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.
Die Subventionen
Anfang März 2024, nur ein paar Tage bevor der Verkauf von Stars in Town ins Imperium von Klaus-Peter Schulenberg bekannt wurde, verschickten die Regierungen von Stadt und Kanton Schaffhausen eine Mitteilung über eine Leistungsvereinbarung: Wie bisher zahlt der Kanton 100 000 Franken pro Jahr ans Festival. Damit werden die «nicht-kommerziellen Elemente» wie die Nachwuchsbühne auf dem Fronwagplatz unterstützt. Ausserdem erhält das Festival eine Defizitgarantie in der Höhe von 50 000 Franken (sollte das Stars in Town ein Minus schreiben, was bislang noch nie der Fall war, kann darauf zurückgegriffen werden).
Solange die in der Leistungsvereinbarung festgehaltenen Inhalte erfüllt werden, schreibt Staatsschreiber Stefan Bilger im Namen des Regierungsrats, «gibt es keinen Grund, auf die bestehende Leistungsvereinbarung zurückzukommen».
Auch die Stadt hilft. Zum einen mit einem Geldbetrag von 20 000 Franken. Zum anderen mit einem «geldwerten Beitrag» über 170 000 Franken. Gemeint sind damit Kosten, die die Festivalorganisatoren nicht bezahlen müssen: Gebühren für die Nutzung des öffentlichen Grunds, die Miete fürs Stadttheater, die Unterstützung von Angestellten der städtischen Werke, des Tiefbauamts, der Stadtgärtnerei und so weiter.
«Die Förderung des Stars in Town beruht darauf, dass der Anlass in der Stadt eine erhebliche Wertschöpfung generiert und weit über die Stadtgrenzen hinaus grosse Strahlkraft besitzt», schreibt Stadtpräsident Peter Neukomm. Mit dem Einstieg von Gadget beziehungsweise CTS Eventim werde das wirtschaftliche Risiko auf breitere Schultern abgestützt. «An der der Form und Ausrichtung des Festival ändert sich aber nichts», schreibt Neukomm weiter. «Ein wesentlicher Teil der Festivalleitung und die vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer stammen aus der Region. Der regionale Bezug bleibt erhalten.»
Ganz anders sieht Konzertagent Berthold Seliger die Sache. «Der Vorteil des Grosskonzerns CTS Eventim ist, dass man den Schweizer Markt quasi auf dem Silbertablett serviert bekommt, indem man sich ins gemachte Nest lokal etablierter Veranstalter setzt», sagt er. «Meine Prognose ist, dass in Grossstädten die Festivals bald nur noch von CTS Eventim und Live Nation [dem zweiten grossen Akteur] durchgeführt werden. Für die Vielfalt ist das eine Katastrophe.»