Der Bund verbietet beliebte Pflanzen, die Stadt Schaffhausen will mit Bäumen klimaresilienter werden. Geht das zusammen? Ein Klärungsversuch mit dem Ökologen Vincent Fehr.
Letzte Woche hat der Bundesrat entschieden: Der Kirschlorbeer muss weg. Beziehungsweise er darf nicht mehr gepflanzt werden. Zusammen mit weiteren «Neophyten» – Pflanzen, die nicht ursprünglich in der Schweiz heimisch waren – landet er auf einer Pflanz-Verbotsliste. Die Stadt Schaffhausen hingegen kommunizierte Anfang dieser Woche, dass sie ihr Projekt «Klimabäume» weiterführt, um Grünflächen «klimaresilienter» zu gestalten. Klimaresilient bedeutet häufig: Die Pflanzen kommen aus anderen Breitengraden. Sind die Neophyten Verbündete oder Feind im Kampf gegen Klima- und Biodiversitätskrise? Zu dieser Frage forscht Vincent Fehr an der WSL, der eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in Birmensdorf. Die AZ besucht den Ökologen in Hofen, wo er mit Sunne Seithel eine «Zukunftsgärtnerei» betreibt.
AZ Vincent Fehr, manche Ökologen jubilieren, dass endlich einige weit verbreitete Neophyten verboten werden. Die Stadt hingegen will die Anpassung der Pflanzenwelt an den Klimawandel fördern will. Und ihr verkauft unter dem Schlagwort «Klimaanpassung» frisch fröhlich eine ganze Reihe Neophyten. Wie geht das zusammen?
Vincent Fehr Fast jede Gärtnerei verkauft Neophyten. Der Umgang damit ist eine Debatte, die in der Wissenschaft mit harten Bandagen geführt wird. Aktuell wird sie für eine breitere Öffentlichkeit sichtbar. In der Invasionsbiologie gibt es beide Extreme: Manche finden, nicht-einheimische Pflanzen seien des Teufels, andere finden, sie seien die ultimative Lösung, um unsere Ökosysteme widerstandsfähig zu halten.
Sie gehören zu jenen, die in den neuen Pflanzen die Lösung sehen?
Jein. Ich gehöre zu jenen, die sagen: Es ist nicht Schwarz-Weiss. Fremdem, Unbekanntem gegenüber ist man tendenziell skeptisch eingestellt, die einheimische Natur wird hingegen häufig romantisiert. Man sagt: «Es war schon immer da, also muss es ja gut sein.» Das hat bis zu einem gewissen Grad auch seine Berechtigung. Manche einheimische Tiere sind von spezifischen Pflanzen abhängig. Es hat aber auch Platz für neue Arten. Manche davon werden wir brauchen, weil sich die Bedingungen mit dem Klimawandel verändern. Aber es kommt immer auf den Kontext an.
In manchen Kontexten sind die neuen Pflanzen auch schlecht?
Australien ist zum Beispiel auf Grund seiner Isolation viel anfälliger für Schäden durch nicht-einheimische Arten. Aber die Schweiz liegt auf einem Gebiet, wo das «ursprüngliche» Ökosystem schon lange nicht mehr existiert. Erstens hatten wir die Eiszeit, die alles durcheinandergewirbelt hat. Und die Menschen hier haben schon lange einen grossen Einfluss: Es gibt durch uns seit Jahrtausenden einen Austausch von Flora und Fauna mit dem Mittelmeerraum und dem westlichen Asien. Aber eben, es gibt auch jene, die das anders sehen. Ein einflussreicher Invasionsbiologe publizierte einmal ein Paper, in dem er alle, die die Meinung vertreten, dass Neophyten nicht nur des Teufels sind, mit Klimawandelleugnern gleichstellte. Ein anderer beginnt seine Vorträge mit einer Slide, auf der seine Hasspersonen abgebildet sind.
Sind Sie da auch schon drauf?
Nein, so wichtig bin ich nicht.
Es gibt also keinen wissenschaftlichen Konsens?
Es gab ihn vielleicht bis zur letzten Jahrtausendwende. Dann kam das Konzept der «novel ecosystems» auf, das Thema, mit dem ich in meiner Doktorarbeit befasst habe. Ein solches «neuartiges Ökosystem» muss vier Kriterien erfüllen: Es umfasst nicht-einhemische Arten. Faktoren wie Temperatur oder Niederschlag sind verändert. Es ist menschgemacht. Und es ist unumkehrbar. Von diesen Ökosystemen gibt es immer mehr, zum Beispiel wegen des Klimawandels. Die Frage ist: Wie gehen wir damit um? Sagen wir, das ist ein kaputtes Ökosystem, oder hat es auch seinen Wert?

Ihr verkauft in eurer Gärtnerei unzählige Neophyten, damit beschleunigt man diese Veränderungsprozesse doch noch?
Das will man ja gerade, weil viele Pflanzen zu langsam sind: Mit dem Klimawandel verändern sich die Bedingungen rasant und die Tiere, zum Beispiel die Insekten, sind auch schnell darin, zu wandern. Manche Pflanzen hingegen würden von «assisted migration» profitieren. Wir wollen aber nicht einheimische Pflanzen schlechtreden. Es braucht unbedingt beides. Eine Vielfalt an standortangepassten Pflanzen ist wichtiger als deren Herkunft.
«Beim Kirschlorbeer bin ich mir nicht so sicher, wie viel Sinn das Verbot macht.»
Bräuchte es eine Art Pflanz-Quote: Nur eine gewisse Zahl einer Pflanze, die man im Jahr pflanzen darf?
Nein, das wäre praktisch und logistisch kaum umsetzbar. Zudem könnte eine Überregulierung den Leuten die Freude nehmen. Ich glaube daran, dass vielleicht gerade exotische Pflanzen bei Leuten ein Interesse für die Natur auslösen können. Bei mir war es vor langer Zeit auch eine Palme, die mein Interesse geweckt hat. Und wenn man erst einmal interessiert ist, ist man vielleicht auch eher bereit, die Natur zu schützen.
So, wie manche für Zoos argumentieren: Man hofft, dass sich Leute für Naturschutz begeistern, wenn man ihnen exotische Arten unter die Nase streckt?
Der grosse Unterschied bei den Pflanzen ist natürlich, dass es keine fühlenden Wesen sind, die leiden können.

Hat die Politik mit der strengeren Neophyten-Bekämpfung also Unrecht?
Ich finde gut, dass es diese «Freisetzungsliste» – die Verbotsliste des Bundes – gibt. Die Frage ist: Welche Arten gehören drauf? Es gibt Pflanzen, über die müssen wir gar nicht diskutieren. Der Japanische Knöterich zum Beispiel kann riesige Schäden in Auengebieten anrichten. Hingegen beim Kirschlorbeer, der jetzt verboten wird, bin ich mir nicht so sicher, wie viel Sinn das Verbot macht.
Der Kirschlorbeer ist eine gebietsfremde Art, die in enormen Massen vorkommt, weil er lange als die beste Pflanze für Hecken galt. Das macht doch intuitiv Sinn, dass das unseren hiesigen Ökosystemen Probleme bereitete?
Ich bin kein Kirschlorbeer-Fan. Ich finde ihn hässlich und schrecklich, dass man ihn in Hecken-Monokulturen anpflanzt, weil das einfach schon mal sehr schlecht für die Biodiversität ist. Deshalb nervt es mich, wenn jetzt als Alternative der portugiesische Kirschlorbeer angepriesen wird. Der ist – wenn es bei den Monokulturen bleibt – vermutlich auch nicht besser. Aber in der Freisetzungverordnung steht eine Definition für gebietsfremd: Dafür darf die Pflanze weder in der Schweiz noch in einem EU- oder EFTA-Staat einheimisch sein. Das ist der Kirschlorbeer aber, nämlich in Bulgarien und Rumänien.
Es gibt also eigentlich keine Gesetzesgrundlage, um den Kirschlorbeer zu verbieten.
Das kann ich nicht beurteilen, man müsste das genauer prüfen.
Das heisst allerdings noch nicht, dass der Kirschlorbeer keine ökologischen Probleme bereitet.
Er kann im Wald dichte Bestände bilden und die Waldverjüngung behindern, da er immergrün ist, was für die Forstwirtschaft mühsam sein kann. Die Stechpalme – die bei uns heimisch ist – hat einen sehr ähnlichen Effekt. Viele immergrüne Pflanzen wurden während der Eiszeit über die Alpen verdrängt und konnten oft nicht mehr zurückwandern, deshalb gibt es für sie bei uns eine grosse freie ökologische Nische. Und der Kirschlorbeer würde mit dem Klimawandel langsam zu uns wandern, jetzt ist er einfach schon hier. Ein weiterer Grund, der für sein Verbot ins Feld geführt wird: Der Kirschlorbeer wird als giftig bezeichnet. Wirklich giftig ist aber nur der Kern. Dass der Kern hochgiftig ist, gilt aber beispielsweise auch für die Verwandten des Kirschlorbeers, die wir ständig konsumieren: Aprikosen und Kirschen.
Steht der Kirschlorbeer also zu Unrecht auf der Verbotsliste?
Damit macht man sich natürlich Feinde. Aber ja, ich finde, das müsste man zumindest breiter diskutieren. Wir sollten diese Dichotomie «einheimisch gegen nicht-einheimisch» meiden und uns anstatt dessen anschauen, wie eine Pflanze im Ökosystem funktioniert. Pflanzen sind politische Grenzen egal.
Sie sagen: Der Japanische Knöterich ist ein Problem. Der Kirschlorbeer nicht. Wir müssen also bei jeder Pflanze einzeln schauen, ob sie ein Problem ist.
Genau. Als Faustregel gilt: Von 1000 eingeführten Pflanzen können 100 spontan auftreten, zehn etablieren sich und eine wird zum Problem.
Eine wird aber ein Problem. Deshalb könnte man auch sagen: Lieber nicht mit dem Feuer spielen; die fremden Arten rigoros meiden und bekämpfen.
Dagegen gibt es zwei Argumente: Es ist krass, was für Kosten das verursacht, all die Zivildienstler in die Wälder zu schicken und dort gegen Windmühlen kämpfen zu lassen. Ausserdem verunmöglicht das ständige Rausrupfen, dass sich ein funktionierendes System bildet. Das sollte man auf die wirklich schlimmen Neophyten begrenzen. Das zweite Argument ist: Der Klimawandel kommt. Einige unserer Pflanzen haben bereits Mühe. Einfach nichts Neues zu probieren, ist das viel gefährlichere Spiel mit dem Feuer.
Kann man denn wissen, ob eine Pflanze ein Problem wird, bevor man sie im Ökosystem ausgesetzt hat und eventuell nie mehr loswird? Den Japanischen Knöterich hat man ja auch mal mit voller Absicht als Zierpflanze importiert.
Das vorher herauszufinden wäre eigentlich das grosse Ziel der Invasionsbiologie. Man forscht bereits seit den 1960er-Jahren, aber ein ausgereiftes Tool dafür gibt es noch nicht. Es wird aber aktuell sehr viel Forschung betrieben, um zu eruieren, welche nicht-einheimischen Baumarten zukunftsträchtig sind. Es gibt grossangelegte Versuche, zum Beispiel an der WSL. Das Problem ist: Wenn wir in 30 Jahren wissen, was funktioniert, dann dauert es nochmals 30 Jahre, bis die gesetzten Bäume gross sind und das ist zu spät. An den trockenen sonnigen Hängen im Wallis sterben jetzt schon die Föhren, und sogar die sehr trockenheitsverträglichen Flaumeichen leiden.
Werden besser angepasste Arten nicht von alleine die Lücken füllen, die sterbende Bäume hinterlassen?
Das ist abhängig von der Art. Die Birke kann über 1000 Meter im Jahr wandern. Die Steineiche – die bei uns in Zukunft an gewissen Standorten Sinn machen wird – nur 30. Die wird auch im Jahr 2100 noch nicht selbstständig eingewandert sein.

Angenommen, die Föhren und Flaumeichen sterben und wir importieren keine neuen Bäume. Dann wird das Wallis doch keine Wüste. Irgendwelche Pflänzlein würden wieder oder weiter wachsen?
Natürlich. Es gäbe Sträucher, die wachsen würden. Aber wir wollen im Wallis zum Beispiel auch deswegen Wälder, weil sie die Funktion haben, vor Steinschlag zu schützen.
Also geht es am Ende um den Schutz von Menschen.
Ja, immer, wenn wir die Biodiversität schützen, geht es im Endeffekt um den Schutz des Menschen.
Wie geht es den Schaffhauser Wäldern?
Auch hier haben die Fichten und Buchen lokal grosse Mühe. An gewissen Standorten leiden sogar die hiesigen Eichen. Da wäre die Steineiche bereits jetzt eine mögliche Kandidatin. Die Situation ist allerdings noch nicht so akut wie im Wallis. Oder im Tessin. Wir im Norden haben den Vorteil: Wir können das Wallis und das Tessin jetzt beobachten und als eine Art Freilichtlabor nutzen. Was dort funktioniert, wird in einigen Jahrzehnten teilweise auch bei uns funktionieren.
Was also tun?
Jetzt damit beginnen, neue Arten auszuprobieren, sich informieren, schauen, was an anderen Orten funktioniert und sich bewusst machen, dass wir etwas tun müssen. Und davon wegkommen, nicht-einheimische Arten per se als unerwünscht zu betrachten.
Würden Sie auch Förster beraten?
Ja, natürlich, wenn Interesse an bisher selten kultivierten Baumarten besteht.
Merken Sie, dass das Interesse an Ihrer Gärtnerei anzieht?
Ja, mega, auch unter den Gärtnereien. Wir sind vermehrt im Kontakt mit anderen, die sich für unser Sortiment interessieren. Wir tauschen uns aus, auch in Form von Pflanzen, und helfen uns. Es entsteht gerade eine kleine Community.
«Wenn wir in 30 Jahren wissen, was funktioniert, dann dauert es nochmals 30 Jahre, bis die gesetzten Bäume gross sind und das ist zu spät.»
Hat die Lobby dieser Community die Stadt dazu bewegt, die Aktion Klimabaum weiterzuführen?
Nein, der Zuständige von Grün Schaffhausen sagt zwar immer mal wieder, er sollte bald vorbeikommen, aber bisher haben wir nicht geschafft, uns zu treffen..
Ihr Geschäftsmodell basiert auf dem Klimawandel, sind Sie seine Profiteure?
Klar, wenn eine Firma versucht, etwas gegen den Klimawandel zu machen oder die Klimaanpassung vorantreiben möchte, dann «profitiert» sie indirekt vom Klimawandel.
Sollte man Klimawandel-Gewinne extra besteuern?
Ich finde, man sollte eher die besonders klimaschädlichen Gewinne extra besteuern.
Haben Sie jetzt ständig Leute hier, die sich von Ihnen Bäume pflanzen lassen wollen?
Nein. Wir pflanzen bisher selbst keine Bäume bei Kunden. Aber wir merken, dass das Interesse an trockenheitsverträglichen Stauden und Obstbäumen extrem steigt. Viele der ganz klassischen Klimabäume haben wir auch nicht im Sortiment. Wir bedienen wirklich eine Nische. Das ist auch unser Ziel: Wir wollen Arten anbieten, die an zukünftige Bedingungen angepasst sind, und das jetzige relativ einheitliche Angebot an Pflanzen ergänzen.

Haben Sie nicht Angst davor von tatsächlichen Klimaleugnern benutzt zu werden?
Das ist einer der Kritikpunkte an meinem Forschungszweig. Man sagt uns: Wenn man mit dieser Argumentation der «novel ecosystems» nur schon anfängt, kann jeder Industriekapitän kommen und sagen: «Wir machen hier eine Mine, dann füllen wir sie mit Wasser auf und dann ist es ein neuartiges Ökosystem und gut ist.»
Aber dann ist nicht gut?
Nein, natürlich nicht! Das ist die mutwillige Zerstörung eines Ökosystems, und das ist schlimm.
Und was kann man gegen diesen Missbrauch Ihres Forschungszweiges tun?
Einerseits ist es an der Wissenschaft, klar zu sagen, dass das eine absurde Verdrehung ihrer Resultate ist. Und ich vertraue auch auf die Naturschützer, die sich dafür einsetzen, dass man dieses Argument nicht anerkennt.