Vier Männer wollen verdichten, die Stadt besteht auf einem Park, der Kanton will auch ein Stück vom Kuchen, und dann mischt sich erst noch der Bund ein. Es tut sich etwas im Mühlental.
Das Mühlental hat im vergangenen Jahrzehnt einen grossen Schritt von der Industriebrache in Richtung urbanes Wohn- und Geschäftsquartier gemacht. Alleine in der Stahlgiesserei wohnen und arbeiten heute über 1000 Menschen. Und bald dürfte die Bevölkerung im Mühlental noch um ein Vielfaches wachsen. Bereits in fünf Jahren könnten Bagger auffahren und eine zweite Stahlgiesserei bauen, vielleicht sogar mit Hochhäusern, ergänzt durch ein neues Duraduct und einen Stadtpark.
Dokumente, die der AZ vorliegen, zeigen: Das sind keine wilden Träume, sondern die Zukunft, die sich Stadt, Kanton und private Grundeigentümer für das Mühlental vorstellen. Im Dezember haben sie einen Planungsprozess gestartet. Angestrebt wird eine Bebauungsdichte wie in der heutigen Stahlgiesserei.
Wer sind die Player, die sich zur «Gebietsentwicklung Mühlental» zusammengeschlossen haben? Und was sind ihre Interessen?
Umzonungen gibts nicht umsonst
Anfang November 2023 luden Baureferentin Katrin Bernath, Stadtplaner Marcel Angele und ein Vertreter eines Architekturbüros in die Räume der Stadtplanung am Kirchhofplatz. Eingeladen waren an einem Abend sämtliche Grundeigentümer des Mühlentals. Und an einem anderen Abend die Umweltverbände, der Heimatschutz, das Architekturforum, der Hauseigentümerverband, der Quartierverein sowie ProVelo, TCS und VCS. Sie wurden an den zwei Abenden über die «Gebietsentwicklung Mühlental, Testplanung» informiert. Die Medien waren nicht eingeladen, der AZ liegt aber ein Protokoll von einer dieser Versammlungen vor.
Ausserdem anwesend an diesen Abenden: Die vier Männer, die dafür verantwortlich sind, dass diese «Testplanung» überhaupt stattfindet. Und die sie auch zu einem grossen Teil finanzieren.
Der erste ist Carlo Klaiber, Immobilienunternehmer. Ihm gehören allein im Mühlental zehn Grundstücke, rund 60 000 Quadratmeter Land, das er in den Nullerjahren der Georg Fischer AG abgekauft hat. So gehört ihm neben dem GF-Werk I, der heutigen Stahlgiesserei-Siedlung, etwa auch das ehemalige Werk III, 500 Meter nördlich.
Der zweite Mann ist Reto Artusi, Medizinalverpackungsunternehmer in zweiter Generation und mit 240 Angestellten einer der grössten Arbeitgeber der Region. Auch seiner Firma gehören beträchtliche Flächen im Mühlental. Seit 2003 besitzt Medipack die ehemalige GF-Fittingfabrik, heute Gewerbezentrum Mühlental genannt, das sie unter anderem stockwerkweise an den Kanton vermietet. Später hat Medipack auch die gegenüberliegende GF-Verzinkerei und das alte Betriebsfeuerwehrgebäude aufgekauft, insgesamt gehören ihr über 20 000 Quadtratmeter Land im Mühlental.
Mitinitianten sind ausserdem Patrick Bührer von der Immobilienfirma Bührer und Partner sowie der pensionierte Schreiner Roger Häller. Zusammen gehört ihnen ein Filetstück im vorderen Mühlental auf Höhe der Tankstelle, 11 000 Quadratmeter gross, das an der westlichen Talflanke bis an die Nordstrasse hinauf reicht.
Alle vier Männer würden gerne abbrechen, neu bauen, umbauen oder aufstocken. Schreiner Häller sagt gegenüber der AZ, er beabsichtige bereits seit fünf Jahren, sein Grundstück neu zu bebauen. Was genau sie planen, will gegenüber der AZ keiner der vier Männer sagen.
Das Problem: Hällers Grundstück, sowie der Grossteil des Mühlentals, liegt in der Industrie- und Dienstleistungszone: In dieser darf man keinen Wohnraum und erst recht keine Hochhäuser bauen. Dazu bräuchte es eine Auf- oder Umzonung. Doch die gibt es nicht einfach so. Die Stadt will mitreden.
Deal zwischen Stadt und Klaiber?
Das Mühlental ist im städtischen Richtplan als sogenanntes «Transformationsgebiet» verzeichnet. Heisst: Hier soll die Stadt in Zukunft wachsen. Andere Transformationsgebiete sind etwa die vordere Breite, das Herblingertal, das Rheinufer oder die Gruben. Auch dort laufen zurzeit sogenannte Testplanungen. Mehrere Planerteams machen unabhängig voneinander Gestaltungsvorschläge für das Gebiet, die am Schluss zu einem einzigen Vorschlag vereint werden. Und diese sogenannte Synthese bildet anschliessend die Grundlage für Veränderungen im Zonenplan. Manchmal lanciert die Stadt eigenhändig solche Testplanungen, so geschehen etwa auf der Breite, wo die Stadt selbst grössere Grundstücke besitzt.
Im Mühlental hält die Stadt ebenfalls kleinere Grundstücke. Doch hier geht es weniger um die eigene Immobilienstrategie. «Wir hätten diese Testplanung zurzeit nicht lanciert. Die Initiative kam von den vier privaten Grundeigentümerschaften im Mühlental», sagt Stadtplaner Marcel Angele auf Anfrage der AZ. Die Stadt unterstützt den Prozess mit einem «tiefen dreistelligen Betrag».
Dafür bringt sie auch ihre eigenen Interessen ein. Da ist einerseits die Realisierung des Durachparks im vorderen Mühlental, der trotz 20 Jahren Planung bis heute ein Parkplatz geblieben ist, weil sich Grundeigentümer Carlo Klaiber weigert, das Gelände umzugestalten (siehe etwa AZ vom 2. März 2023). An der Informationsveranstaltung im November betonte Marcel Angele, in Anwesenheit von Klaiber: «Die Absicht zur Erstellung des Durachparks als Parkanlage ist klar.» Später gab er auch einen Hinweis darauf, dass sich ein Deal anbahnen könnte. Und zwar so: Normalerweise schöpft der Staat bei Um- oder Aufzonungen 20 Prozent des Mehrwerts ab. Die Stadt beabsichtige aber, so Angele, den städtischen Mehrwertausgleich «in Form von Aufwertungen vor Ort» einzufordern. Das könnte etwa heissen: Carlo Klaiber erhält eine vergünstigte Aufzonung im hinteren Mühlental, dafür baut er endlich den Durachpark.
Das andere Anliegen der Stadt ist ein neuer Duraduct-Anlauf. Nachdem die Stimmbevölkerung die Fussgänger- und Velobrücke über das Mühlental 2021 an der Urne abgelehnt hat, liegt mittlerweile ein parlamentarischer Auftrag vor, ein Duraduct an einem neuen Standort im hinteren Mühlental zu prüfen. Eine der Aufgaben der Planungsteams ist gemäss Dokumenten, die der AZ vorliegen, genau das.
Die Architektinnen müssen also die Interessen der Grundeigentümer, die möglich hoch und dicht bauen wollen, mit politischen Anliegen wie einem Park oder einer Velobrücke unter einen Hut bringen. Doch es gibt noch weitere wichtige Player.
Was Kanton und Bund wollen
Zum einen ist, nachträglich, auch der Kanton als Grundbesitzer in die Testplanung eingestiegen. Er besitzt das ehemalige GF-Verwaltungsgebäude gegenüber der Stahlgiesserei, in dem das Departement des Innern und das Volkswirtschaftsdepartement untergebracht sind, den Parkplatz auf der südlichen Seite und eine Wiesenfläche nördlich des Gebäudes.
Christian Werner, der Leiter des Hochbauamts, sagt auf Anfrage der AZ, der Kanton beabsichtige bereits seit einigen Jahren, diesen Verwaltungsstandort zu erweitern. «Es gibt einen Platzmangel im Mühlental. Ausserdem würden wir gerne weitere Abteilungen, die heute anderswo eingemietet sind, an diesem Standort konzentrieren.» Vor drei Jahren habe der Kanton Pläne samt Baubewilligung für eine Aufstockung des Verwaltungsbaus um ein Stockwerk gehabt. Doch man habe gemerkt, dass diese Aufstockung «teuer, aber kein wirklicher Befreiungsschlag» gewesen wäre, weshalb die Pläne nie umgesetzt wurden. «Ich denke, ein Erweiterungsbau auf dem heutigen Parkplatz würde mehr Sinn machen», so Werner. Doch dafür bräuchte auch der Kanton eine Änderung im Richtplan.
Ein weiterer Player macht das föderalistische Trio im Mühlental schliesslich komplett: Auch der Bund mischelt mit. Beziehungsweise das Bundesamt für Strassen (Astra). Es plant, den designierten Durachpark im vorderen Mühlental als Abstell- und Abladefläche für den Bau der zweiten Fäsenstaubröhre zu nutzen (siehe AZ vom 2. März 2023). Das würde den Bau des Durachparks bis etwa 2040 verzögern, die ganze Umgebung würde massiv an Wohnqualität einbüssen. Und das Vorhaben würde allenfalls den angedachten Tauschhandel zwischen der Stadt und Carlo Klaiber blockieren. Die Stadt will diesen «Installationsplatz» deshalb unbedingt verhindern, wodurch sich gemäss Astra aber die Bauzeit des Tunnels verlängern würde. Der Kanton hingegen möchte lieber den Flächenverschleiss und die Lärm- und Staubbelastung in Kauf nehmen, dafür möglichst schnell einen fertigen Tunnel haben.
Der AZ liegt ein provisorischer Katalog mit Fragestellungen an die Planerteams vor. Daraus lassen sich weitere Zielkonflikte erahnen. So will die Stadt eine möglichst autoarme Erschliessung der neuen Siedlungen, die Industrie (insbesondere Medipack oder Schäfli Transporte) wird aber wohl weiterhin auf Lastwagenfahrten angewiesen sein. Bei Hochhäusern könnte besonders im spärlich besonnten Mühlental der Schattenwurf zu Konflikten führen. Und nicht zuletzt bieten die steilen Felswände seltenen Lebensraum für Wildtiere, etwa für Glühwürmchen oder Vögel, der durch dichte Bebauung gestört werden könnte.
Keine Abstimmung, nur Konsens
Das alles muss Ende dieses Jahres ausdiskutiert werden. Dann trifft sich ein Beurteilungsgremium, bestehend aus den vier privaten Grundeigentümern, je einem Vertreter aus dem Kantonalen Hochbauamt, Tiefbau Schaffhausen, Grün Schaffhausen und Stadtplanung, ergänzt durch eine Landschafts-, Städtebau- und einen Verkehrsexperten. Theoretisch hätten die Grundeigentümerschaften, die Stadt und die unabhängigen Experten je einen Drittel des Stimmrechts, sagt Stadtplaner Marcel Angele. «Wir werden aber keine Abstimmung durchführen, sondern so lange diskutieren, bis wir einen Konsens finden.»
Wird dieser Konsens eine zweite Stahlgiesserei enthalten? Hochhäuser? Einen Park? Eine Velobrücke? «Grundsätzlich möchte man offen in die Testplanung hineingehen», sagte Angele an der Versammlung im November. Die Grundeigentümer würden «im Idealfall mit einem Start der ersten Bauarbeiten in fünf bis sieben Jahren» rechnen.