«Go Team!»

14. März 2024, Luca Miozzari
© Robin Kohler

Das Frauenteam des EHCS steht kurz vor dem zweiten Aufstieg innert zwei Jahren. Das verdanken sie weniger ihrem Verein als sich selbst.

Betreuerin Isabelle Keller öffnet mit einer Hand die kleine Luke an der Bande, in der anderen hält sie ein Tupperware mit Traubenzuckern. Fünf Spielerinnen flitzen rein, vier flitzen raus, einer geht das alles zu langsam und sie klettert ein paar Meter weiter über die Bande aufs frisch geputzte Eis, sprintet los. Es sind kaum fünf Minuten vergangen und schon führt Schaffhausen mit 1:0. «I tried to play shorter on the … the Bande», erklärt eine der Spielerinnen, die gerade auf die Bank zurückgekehrt ist, schwer atmend einer Mitspielerin. «Wir müssen höher stehen beim Vorchecken!», ruft eine andere über die Gitterhelme hinweg und stupst mit dem Stock ihre Mitspielerinnen an. Auf der Tribüne in ihrem Rücken hat sich derweil eine kleine Ultra-Fankurve von etwa zwanzig Leuten und einer Trommel gebildet. «Hopp-Scha-ffhu-se, Hopp-Scha-ffhu-se».

Es ist das letzte Spiel der regulären Saison, die erstplatzierte Frauenmannschaft des Eishockeyclubs Schaffhausen (EHCS) spielt gegen die HC Eisbären Queens aus St. Gallen, die auf dem dritten Platz der Tabelle liegen. Die St. Gallerinnen seien eine Wundertüte, hörte man im Vorfeld. Man wisse nie, wie gut sie spielen.

Kräfte sammeln zwischen zwei Dritteln in der Garderobe. © Robin Kohler

Während die erste Männermannschaft des EHCS in der vergangenen Saison in die dritte Liga abgestiegen ist (sechsthöchste Spielklasse), sind die Frauen kurz davor, den grossen Coup zu landen: Wenn es in den kommenden drei Spielen gut läuft, könnten die Schaffhauserinnen die nächste Saison in der SWHL B, der dritthöchsten Frauenliga, starten. Es wäre der zweite Aufstieg innert zwei Jahren.

Um auf dieses Niveau zu kommen, mussten sich die EHCS-Frauen nicht nur gegen ihre Gegnerinnen auf dem Eis durchsetzen. Sondern vor allem auch gegen Widerstand aus dem eigenen Club.

Wer spielen will, bezahlt selbst
Nicole Paglione war dabei, als sich vor acht Jahren die erste Frauenmannschaft in der 92-jährigen Geschichte des EHCS bildete. «Wir waren eine Gruppe von Mamis, die auch Hockey spielen wollten», erzählt sie. Angefangen habe es mit Plausch-Spielen gegen die U9- und U11-Juniorenmannschaften, in denen ihre Kinder spielten. Dann organisierten sie Freundschaftspiele gegen andere Frauenmannschaften, fingen an, gemeinsam zu trainieren. Auf dem Eis, und auch ohne Eis im Sommer. Nach einer Saison habe die Mannschaft der Ehrgeiz gepackt. «Wir wollten uns beim Verband anmelden und Meisterschaft spielen», sagt Paglione.

Doch die Vereinsleitung, die damals noch im Wesentlichen aus älteren Herren bestand, hielt nicht viel von der Idee. «Der Vorstand traute uns nicht zu, dass wir an den Spieltagen genug Spielerinnen zusammenbringen könnten und fürchtete, dass der Verein dann hohe Strafen an den Verband bezahlen müsse», erzählt Paglione. Schliesslich musste jede Spielerin ein Papier unterschreiben und sich verpflichten, allfällige Strafen aus der eigenen Kasse zu bezahlen. Das wurde von Männerteams noch nie verlangt. Als im Herbst die Saison begann, stiegen die EHCS-Frauen in der untersten Frauenliga SWHL D ein. Der Forfait-Fall, den der Vorstand befürchtete, ist bis heute kein einziges Mal eingetroffen.

«Wir haben schnell grosse Sprünge gemacht als Mannschaft», erzählt Paglione. Parallel sei die Mannschaft gewachsen. Immer mehr ehemalige EHCS-Nachwuchsspielerinnen seien dazugestossen, und auch Spielerinnen von ausserhalb. «Wir hatten auf einmal eine grosse Spanne an Niveaus im Team. Solche, die anfangs nicht einmal richtig schlittschüehle konnten, und solche, die es schon als kleine Mädchen gelernt hatten.» Nicht alle seien gleich ehrgeizig gewesen, das habe zu mannschaftsinternen Spannungen geführt.

Als die EHCS-Frauen vor zwei Jahren von der D-Liga ins C aufstiegen, kam es zur Spaltung. Ein Teil des Teams blieb zurück, der andere Teil stieg auf.

Professionalisierte Mamis
Ein Dienstagabend in der Eishalle auf der Breite, ein paar Wochen vor dem Spiel gegen die Eisbärenqueens. «Um d’ Töggeli ume, Doppelpass, Abschluss», ruft Headcoach Patrick Bertsch seiner Mannschaft zu.

Er trainiert jetzt zwei Mannschaften gleichzeitig. In einer Spielfeldhälfte trainieren fünf Spielerinnen in blauen Trikots, in der anderen Hälfte sechs Spielerinnen in Schwarz. Die einen sind die weniger Ehrgeizigen. Sie spielen weiterhin in der D-Liga. Die andere Hälfte spielt in der oberen Liga und wird von Trainer Bertsch des öfteren auch auf Englisch angesprochen. Zwei von ihnen kommen aus Finnland, eine aus Frankreich und eine ehemalige Taiwanesische Nationalspielerin ist auch dabei. Nicht alle wohnen in der Nähe. Eine Spielerin reist zu jedem Training aus Kriens, Luzern an, Headcoach Bertsch aus Flawil, St. Gallen. Im Eishockey ist man sich weite Wege gewohnt. Doch das Einzugsgebiet zeigt eine gewisse Professionalisierung der EHCS-Frauenmannschaft, die einst als Plausch-Gruppe begonnen hat.

Die EHCS-Frauen beim Training. © Robin Kohler

Zum Ende des Trainings spielen die beiden Mannschaften gegeneinander. Die Unterklassierten halten erstaunlich gut mit. «Bewegen, bewegen, ihr seid viel zu statisch», ruft der Coach.

«I wött nid ufs Dach übercho»
Fehlende Bewegung wird den EHCS-Frauen am Spiel gegen die Eisbären Queens fast zum Verhängnis. Nachdem sie im ersten Drittel mit 3:0 vorgelegt haben, kassieren sie im zweiten Drittel drei Gegentreffer und müssen zittern. Coach Bertsch nimmt ein Time-Out. «Ihr müsst die Beine bewegen, öppis tue. I wött jetzt nid no eis ufs Dach übercho», schärft er seinen Spielerinnen ein. «Go Team», rufen alle gleichzeitig, dann sprinten fünf von ihnen zurück aufs Eis. Am Ende gewinnen sie mit 5:3.

«Unsere Abwehr stand zu hoch. Dadurch waren wir langsam in der Rückwärtsbewegung und wurden von den Gegnerinnen überlaufen», analysiert die linke Flügelspielerin Anne-Marie Fritschi nach dem Spiel. «Im nächsten Spiel müssen wir besser sein.»

Doch sie macht sich auch Sorgen darum, was neben dem Eis auf die Mannschaft zukommen könnte.

Es könnte schwierig werden
Marie-Anne Fritschi hat einen grossen Teil ihrer Jugend mit Eishockey verbracht, hat beim EHCS die gesamte Juniorenabteilung durchlaufen. Vor vier Jahren hat sie mit 34 Jahren bei der EHCS-Frauenmannschaft wieder angefangen. Den frauenfeindlichen Vorstand, mit dem die Mannschaft anfangs zu kämpfen hatte, kennt sie nur aus den Erzählungen einiger Mitspielerinnen.

Heute wird der Verein von aufgeschlosseneren Menschen geleitet (immer noch zu 80 Prozent Männer), deren Partnerinnen teilweise selbst in der Mannschaft spielen. Es verlangt niemand mehr, dass die Spielerinnen für Forfaits bürgen. Und sie erhalten genau so viel Eiszeit wie die erste Männermannschaft. Das ist nicht überall so. In der selben Liga gibt es Mannschaften, die nur einmal die Woche auf dem Eis trainieren dürfen. Die vergleichsweise guten Bedingungen sind wohl mit ein Grund, wieso Spielerinnen lange Anfahrten auf sich nehmen, um beim EHCS zu trainieren.

Auch der aktuelle Sportchef, also der Mann, der ihnen etwa die Hallenzeiten zuteilt, sei sehr unterstützend, sagt Fritschi. Doch auf dieser wichtigen Position gibt es auf die kommende Saison einen Wechsel. Und der neue Sportchef hat die Mannschaft bereits spüren lassen, dass Fraueneishockey unter ihm keine Priorität haben dürfte.

«Er kam bei einem Training vorbei und hat uns versucht auszureden, uns überhaupt beim Verband für einen möglichen Aufstieg anzumelden. Und er hat angekündigt, dass wir in der nächsten Saison schlechtere Trainingszeiten erhalten würden», erzählt Fritschi. Sie befürchte, dass es ab nächstem Herbst vereinsintern schwierig werden könnte für sie und ihre Mitspielerinnen.

Der aktuelle Vorstand hingegen beschloss im Januar: Die Frauenmannschaft darf aufsteigen.
Bis dahin ist es allerdings noch ein harter Weg. Zuerst müssen sie sich als Erstklassierte der Ostschweizer Gruppe in zwei Spielen gegen die Siegerinnen aus der Westschweiz durchsetzen, um den Meistertitel zu erlangen. Schaffen sie das, folgen die Aufstiegsspiele.

Das ärgste Hindernis auf dem Weg zum Meistertitel dürften die Leaderinnen der Westschweizergruppe aus Worb sein. Sie haben dieses Jahr jedes Spiel gewonnen, bis auf eines. Wenn die Schaffhauserinnen ihre Abwehr in den Griff bekommen, könnten es bald zwei sein.

«I tried to play shorter on the Bande», sagt eine Spielerin zu anderen. © Robin Kohler