Das Haus Fontana

11. März 2024, Kevin Brühlmann
Das Denkmal der Fontanas: das Stadion des FC Schaffhausen in Herblingen.

Die Witwe des früheren FCS-Besitzers Aniello Fontana muss Konkurs anmelden. Aufstieg und Fall eines Familienimperiums.

Auf dem Höhepunkt seiner Blüte glich das Haus Fontana einem kleinen Imperium. Dazu gehörten ein Profifussballclub, der FC Schaffhausen, weiter eine der grössten Immobilienfirmen der Region, ein Vier-Sterne-Hotel, eine Grafik- und eine Hauswartungsfirma, eine diamantförmige Villa. Jeden Monat erhielten 240 Angestellte und eine Fussballmannschaft samt Betreuer pünktlich ihren Lohn. Wir schreiben von einem kleinen Imperium, weil sich sein Einfluss über fast vierzig Jahre rasant vergrösserte, und weil an der Spitze all jener Äste stets Aniello und Agnes Fontana standen, die Oberhäupter des Hauses.

Jetzt, im Februar 2024, steht ein kurzer Text im Amtsblatt: «Vorläufige Konkursanzeige Agnes Fontana.» Das Kantonsgericht hat den Konkurs über ihr privates Vermögen eröffnet. Als wir sie anrufen, erwidert sie freundlich, sie gebe keinen Kommentar dazu ab.

Die Kunsteisbahn
Die Geschichte des Hauses Fontana beginnt in einem Tram. Agnes Hubli, siebzehn Jahre alt, fuhr jeden Tag von Schaffhausen nach Neuhausen. Sie arbeitete in der SIG, im Büro. Mit ihr im Tram sass Aniello Fontana, ein Jahr älter. Auch er arbeitete in der SIG, als Maschinenschlosser. Sie beobachteten sich heimlich. So erzählten sie es einmal einer Reporterin des Schaffhauser Magazins, die das Paar besuchte.

Auf den ersten Blick waren sie recht unterschiedlich. Agnes Hubli stammt aus einer Mittelstandsfamilie. Ihr Vater arbeitete sich vom Hilfsarbeiter zum Inhaber eines Handwerkerbetriebs hoch. «Ich bin geborgen aufgewachsen», sagte sie rückblickend, «aber im Wissen, dass man im Leben kämpfen muss.» Aniello Luca Giulio Orazio Fontana kam mit neun Jahren aus Süditalien in die Schweiz, in Begleitung seiner alleinerziehenden Mutter. Ihr ganzer Besitz war in einem Koffer verstaut. Als junger Mann schwor sich Aniello, so viel Geld zu verdienen, dass er nie mehr von jemandem abhängig sein würde.

An einem Nachmittag im Januar 1965 trafen sich Aniello Fontana und Agnes Hubli auf der neu eröffneten Kunsteisbahn in Schaffhausen. Das Spiel «Paarfangen» war gerade angesagt. Danach begleitete er sie nach Hause, und die beiden wurden ein Paar. Drei Jahre darauf, im Sommer 1968, heirateten sie. Erst dann zogen sie zusammen. Sie hatten das Konkubinatsverbot geachtet, das es unverheirateten Paaren untersagte, unter einem Dach zu wohnen.

Eine Zeitlang lebten die Fontanas ein kleinbürgerliches Leben. Sie seien sich charakterlich eigentlich gar nicht so unähnlich, beide ein bisschen pingelig, ein bisschen Stubenhocker, erzählten sie.

Sie kümmerte sich um den Haushalt und die drei Kinder. Er kümmerte sich ums Geschäft, denn er war ein sehr talentierter Händler. «Wenn Aniello einen Fünfliber auf dem Trottoir fand», erzählt ein ehemaliger Geschäftskollege, «machte er daraus eine Tausendernote.» Mit dem Verkauf von Küchen und alten Autos hatte Aniello Fontana Ende der Siebzigerjahre genug Geld beisammen, um erste Häuser zu kaufen.

1985 gelang den Fontanas – beide waren inzwischen Ende dreissig – ein grosser Schritt vorwärts: Sie kauften die Ritter Immobilien, eine gut aufgestellte Firma aus dem Städtchen Neunkirch. In der Branche rätselt man bis heute über den Kauf. Manche heben Agnes Fontanas Rolle hervor, sagen, ohne ihr Kapital sei die Übernahme nicht möglich gewesen. Die Fontanas waren nun zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten im Immobiliengeschäft geworden.

Sie kauften ein 2500 Quadratmeter grosses Grundstück am südlichen Rand Neunkirchs. Darauf liessen sie eine diamantförmige Landhausvilla bauen. Die Eingangshalle allein ist 30 Quadratmeter gross. Der Boden besteht aus Marmor. In der Küche gibt es einen Pizzaofen. Das Wohnzimmer ist mit breiten Fensterfronten versehen, aus denen man auf einen grossen Garten blickt. Über eine Wendeltreppe gelangt man hinunter zum Hallenbad, das eine Gegenstromanlage besitzt. Ein Raum weiter befindet sich ein mit dicken Mauern und Türen gesicherter Schutzraum.

Der Fussballclub
Juni 2013. In den Schaffhauser Nachrichten erschien ein Artikel mit dem Titel «Aniello Fontana regelt die Nachfolge». Das Haus Fontana stand im Zenit seiner Macht.

Vom Neunkircher Diamanten aus hatten Agnes und Aniello Fontana ihr Reich vergrössert. Mehr Häuser waren hinzugekommen, mehr Angestellte, mehr Einladungen zu gesellschaftlichen Anlässen, und sogar ein Fussballclub.

Die Übernahme des FC Schaffhausen war fast so erstaunlich wie der Kauf der Immobilienfirma Ritter. Aniello Fontana hatte nie Fussball gespielt. Er war Captain eines Curlingteams. Als ihn ein Curlingkollege fragte, ob er den FCS übernehmen wolle, habe er geantwortet: «Danke, aber ich verstehe nichts von Fussball.»

Zwei Wochen später hatten die Fontanas ihre Meinung geändert. Sie erkannten wohl die guten geschäftlichen Aussichten, die ein Engagement bei einem Fussballclub bot; das Netzwerk, die öffentliche Präsenz, das Informelle bei einer Zigarre. Aniello Fontana kümmerte sich weiterhin ums Geschäft, und Agnes richtete eine VIP-Lounge im ersten Stock des Containerkiosks im Stadion Breite ein. Die Werbeeinnahmen stiegen auf 800 000 Franken pro Saison. Neu gab es Klopapier mit aufgedrucktem Klublogo und süsse «FCS-Rasenplätz» in Confiserien.

Tatsächlich wuchs das Haus Fontana immer weiter, und die eine Million Franken, die man fast jedes Jahr für das verlustreiche Fussballgeschäft einschiessen musste, war verschmerzbar. Wir schreiben verschmerzbar, rein buchhalterisch gesehen, aber auch emotional. Denn der Fussball und dieser Club wuchsen ihnen ans Herz (und das Geschäft lief ja auch nicht schlecht).

Neben dem Zeitungsartikel war ein Foto der Familie Fontana abgedruckt. Als elegant gekleidete Patrons schauen Agnes und Aniello in die Kamera. Neben ihnen stehen ihre drei Kinder. Agnes hatte die Aufnahme orchestriert. Die Kinder und ihre Ehepartner mussten sich dem Alter nach aufstellen. Links im Bild ist Andrea zu sehen, die Älteste, Jahrgang 1974. Sie lebte für den FCS. Schon mit Anfang zwanzig stieg sie beim Marketing des Klubs ein. Zu Andreas Rechten steht Diana Bianca, Jahrgang 1977. Früher einmal Miss Schaffhausen und bald auch im Marketing des FCS angestellt. Hinter Diana steht Fabio Aniello, der Jüngste, Jahrgang 1979. Wie sein Vater hat Fabio eine Lehre als Maschinenschlosser abgeschlossen. Mit dem FCS hatte er laut Bekannten wenig am Hut, er stieg schon früh in den familieneigenen Immobilienbetrieb ein. Für Mitglieder des Hauses Fontana gab es keine Türschwellen.

Die Familie Fontana im Jahr 2013. (Archiv Schaffhauser Nachrichten)

In fünfzig Jahren hatten Agnes und Aniello Fontana ein kleines Imperium erschaffen, das nun in eine Dynastie übergehen sollte. Andrea, Diana und Fabio übernahmen die Immobiliengeschäfte. «Das Werk muss weiter bestehen», sagte Tochter Andrea. Nur der Fussballclub blieb im Besitz der Eltern.

«Wenn ich Eltern und Kinder bei den Spielen getroffen habe», sagt Heinz Rähmi, jahrelang Fussballfunktionär und Gönner des FCS, «war ich immer beeindruckt: Diese Familie hält zusammen, egal, was kommt.»

Das Denkmal
In diesen goldenen Jahren hatte Aniello Fontana eine Vision. Er wollte ein neues Stadion bauen. Zunächst dachte er in gewaltigen Dimensionen. Der erste Projektentwurf sah Kosten von 150 Millionen Franken vor. Mit der Zeit wurde das Projekt auf 60 Millionen Franken reduziert. Ohne neues Stadion würde es keinen Profifussball mehr in Schaffhausen geben, wiederholten die Fontanas immer wieder. In ihrer Rhetorik gab es keine Alternative. Anfang 2017 wurde das neue Stadion im Herblingertal eröffnet.

Kritiker warfen ihnen vor, es gehe nur darum, sich ein Denkmal zu setzen. Und auch wenn die Fontanas tatsächlich an die Alternativlosigkeit des Stadions glaubten, ist es doch ein Denkmal geworden. Und die Sache mit Denkmälern ist, dass es immer Kosten gibt. Auf die Baukosten folgten die Hypothekarkosten und die Betriebskosten und die Unterhaltskosten. 630 000 Franken fielen dafür jedes Jahr laut einem internen Geschäftsplan an.

2012, als das neue Stadion in Herblingen noch ganz am Anfang stand. © Peter Pfister

Agnes und Aniello Fontana begannen, Häuser und Wohnungen zu verkaufen, um jene Kosten zu finanzieren. Innert sechs Jahren, zwischen 2014 und 2020, verkauften sie 19 Wohnungen, vier Wohngebäude, zwölf Stockwerkeinheiten und das Hotel Chlosterhof in Stein am Rhein (gemäss Schaffhauser Amtsblatt). Ausserdem wurde das Aktienkapital des Hotels in der Höhe von 2,4 Millionen Franken vernichtet.

Gleichzeitig wurde Aniello Fontana krank. Während seiner Lehre war er in Kontakt mit Asbest gekommen, was nun, fünfzig Jahre später, zu einem unheilbaren Tumor im Brustfell führte. Schwer krank, im Spitalbett, gab er ein Interview über die Eröffnung des Stadions. Neben ihm wachte Agnes Fontana über das Gesagte. «Immer hat mich meine Frau ermutigt, weiterzumachen», sagte er. Er starb am 20. Januar 2019 im Alter von 71 Jahren.

Die Fontanas verkauften den Klub an Roland Klein – 28 Jahre nach der Übernahme, zu einem Zeitpunkt, da die Fontana-Enkel und selbst die Kinder gar nichts anderes kannten, als am Wochenende zu den Spielen zu gehen und sich irgendwie für den Klub verantwortlich zu fühlen. Aber recht plötzlich mussten sie ihren Klub, ihre Arbeitsstelle verlassen. Auch die Diamantvilla in Neunkirch traten sie ab. Laut Anzeige betrug der Preis 2,55 Millionen Franken.

Eine Firma aber behielt Agnes Fontana, eine Einzelfirma namens Fontana Invest II. Damit gehörte ihr weiterhin ein Teil des Stadions. Nämlich alles, was mit Fussball zu tun hat: Spielfeld, Tribünen, Imbissstände. Ihr gehörte also ein halbes Stadion ohne Fussballclub. Aber irgendwie fühlte sie sich immer noch für alles verantwortlich.

Ohne Agnes Fontana, darin sind sich viele Bekannte der Fontanas einig, hätte es das Haus Fontana nie zu derart grosser Blüte gebracht. In all den Jahren befolgte sie eine Regel: Bleibe im Hintergrund. Nun, im Mai 2020, inmitten der Coronapandemie, brach sie diese Regel. Sie gab dem Blick ein grosses Interview.

Roland Klein, dem neuen Besitzer des FC Schaffhausen, warf sie vor, die Miete nicht zu bezahlen (wegen der Pandemie war sie bereits gezwungen gewesen, den Mietzins zu senken – angesichts der hohen Kosten eine ruinöse Angelegenheit). Sie drohte, den Klub aus dem Stadion zu werfen. Der Verkauf des FCS sei ein Fehler gewesen, sagte sie. «Es ist kein Herzblut mehr im Verein. Hätten wir die Möglichkeit, würden wir als Familie den Klub zurücknehmen.»

Kurz darauf meldete sich die Baufirma, die das Stadion im Auftrag der Fontanas erstellt hatte. Die Einzelfirma Fontana Invest II schulde ihr noch 3,2 Millionen Franken für den Bau. Wie bei Einzelfirmen üblich, haftete die Inhaberin Agnes Fontana mit ihrem privaten Vermögen für die Schulden. Trotzdem blieb sie hartnäckig. Sie behielt das Stadion, das Denkmal der Fontanas, und das Denkmal frass weiterhin Geld. Hypothekarkosten, Betriebskosten, Unterhaltskosten.

In der Familie war man besorgt. Man stritt sich. Im Grunde ging es darum, wie sehr sich die Familie noch mit dem Klub identifizierte. Einem Klub, den der Patron und die Patronin erst gar nicht übernehmen wollten, der dann zur Säule beim Aufbau ihres kleinen Imperiums wurde, und der es am Schluss beinahe zum Einstürzen brachte. Schliesslich, im September 2021, gab Agnes Fontana nach und trat ihren Teil des Stadions ab.

«Der Verkauf von Klub und Stadion war das Richtige für die Familie», sagt ein Mitglied der Familie Fontana. «Nicht für den Familienfrieden, aber für die Familie.»

Die Türschwelle
Das Haus Fontana ist mit dem ruinösen Bau des Stadions nicht nur geschrumpft. Seit dem Verkauf des Denkmals in Herblingen gibt es auch Türschwellen.

Agnes Fontana musste Mitte Februar 2024, kurz vor ihrem 76. Geburtstag, Konkurs anmelden. Wie vom Gesetz vorgeschrieben, fällt auch ihr privates Vermögen – Schmuck, Bargeld, Kunstwerke et cetera – in die Konkursmasse.

Fabio, das jüngste Kind, führt das Immobiliengeschäft mit der Firma Ritter und einem Hauswartungsbetrieb. Laut Website arbeiten dort insgesamt 39 Leute. Vor Kurzem gab Fabio Fontana bekannt, dass man ein Fitnessstudio für die Mitarbeitenden eingerichtet habe («die Work-Life-Balance beginnt bei uns!»). Ausserdem führte er die Vier-Tage-Woche ein: 34 Stunden Arbeitszeit statt 42 Stunden bei gleich bleibendem Lohn. Auf den Konkurs seiner Mutter am Telefon angesprochen, sagt er: «Dazu kann ich keine Stellung nehmen. Danke.»

Diana, das mittlere Kind, arbeitete nach dem Verkauf des FC Schaffhausen noch eine Weile unter dem neuen Klubbesitzer.

Andrea, die Älteste, hat ihren Anteil am Familienbetrieb verkauft. Zusammen mit ihrem Ehemann sowie ihren drei Kindern hat sie eine eigene Immobilienfirma im Kanton Thurgau gegründet. Sie wollen sich nicht zum Konkurs äussern.