Der Personaldienst der Stadt Schaffhausen hat eine riesige Fluktuation. Mehrere Ex-Angestellte berichten von Missständen mit fatalen Folgen. Im Zuge der Recherche der AZ kündigte die Chefin.
Vergangenen Freitag überschlugen sich im Schaffhauser Stadthaus die Ereignisse. Die AZ konfrontierte die langjährige Leiterin des städtischen Personaldienstes nach monatelangen Recherchen mit Vorwürfen zu ihrer Amtsführung. Noch am gleichen Tag kündigte sie und wurde auf eigenen Wunsch per sofort freigestellt. Aber der Reihe nach.
Der Personaldienst ist eine Schlüsselstelle der Verwaltung der Stadt Schaffhausen. Er ist für über 1000 städtische Mitarbeitende zuständig, von den Lehrpersonen bis zu den Pflegefachkräften. Er entscheidet über ihre Rekrutierung, ihre Anstellung, ihre Löhne. Auf diese Stelle muss Verlass sein.
Doch ausgerechnet in dieser Amtsstube brodelt es seit einiger Zeit gewaltig. Das hat zu einer enormen Personalfluktuation geführt. In den vergangenen fünf Jahren gab es im Team, das 15 bis 17 Stellen umfasst, 24 Abgänge (inklusive Abgänge nach befristeten Anstellungen). Mit anderen Worten: Der gesamte Personalbestand wechselte in dieser Zeit eineinhalb Mal. Alleine im vergangenen Jahr haben gemäss Recherchen der AZ mindestens fünf Personen ihre Kündigung eingereicht, das ist ein Drittel der Belegschaft.
Traditionell wechseln Menschen, die im Personalwesen oder Human Resources (HR) arbeiten, ihre Stelle nicht besonders oft. Im Job geht es darum, Vertrauen aufzubauen. Und die öffentliche Verwaltung ist in der Schweiz der Bereich mit der niedrigsten Fluktuationsrate überhaupt.
In den vergangenen Monaten hat die AZ mit über einem Dutzend Personen geredet, die mit dem Personaldienst zu tun haben oder hatten, darunter sieben ehemalige Angestellte. Sie schildern eine chronisch überlastete Dienststelle mit unprofessionellen Führungsstrukturen. Die Kritik beginnt bei der Leiterin der Stelle, Frau W., und endet bei ihrem direkten Vorgesetzten, Stadtpräsident Peter Neukomm.
Verklumptes Wissen und Macht
Es braucht viel, damit Personaler – Menschen, die im HR arbeiten – über ihre eigenen Arbeitsverhältnisse auspacken. Der diskrete Umgang mit persönlichen Infos und Problemen ist ihr Job. Aus Angst vor Konsequenzen wollen die meisten Gesprächspartner der AZ nicht mit ihrem echten Namen in der Zeitung auftreten. Unabhängig voneinander schildern sie ein hochgradig dysfunktionales System – und das an einer Stelle, von der die ganze Stadtverwaltung abhängt.
Das Problem ist schnell identifiziert: Frau W., welche die Stelle seit 2005 leitete. Sie baute das HR der Stadt in den vergangenen 18 Jahren auf. Sie startete mit einem kleinen Team und überschaubarem Aufgabenbereich. Beides wuchs beständig. Doch anstatt dass professionelle Strukturen mit austauschbarem Führungspersonal entstanden, baute Leiterin W. die Strukturen offenbar um sich herum auf. Die AZ hat sich entschieden, ihren Namen nicht auszuschreiben. Dies, weil die Vorwürfe mit ihrer teilweise nicht selbstverschuldeten Überlastung zusammenhängen.
Die Chefin habe enorm viel gearbeitet, auch zu ungewöhnlichen Tageszeiten und an Wochenenden, schildern mehrere Personen. Ihre Selbstaufopferung habe sie den Angestellten auch gerne vorgehalten. Die Mitarbeitenden hätten oft ein schlechtes Gewissen gehabt, einige von ihnen hätten selbst hunderte Überstunden angehäuft. Die Chefin habe wie eine Alleinherrscherin gewaltet, sie sei unvorhersehbar und intransparent gewesen. «Sie traf oft Ad-Hoc-Entscheide, kippte kurzfristig Beschlüsse und änderte plötzlich Vorgaben, ohne dass das Team rechtzeitig darüber Bescheid wusste. Sie sagte immer, sie sei eine Macherin». Nichts sei planbar gewesen. Man habe immer Angst gehabt, etwas falsch zu machen.
Alexander Sauer arbeitete zweieinhalb Jahre in einer leitenden Position beim Personaldienst. Auf vergangenen Juli kündigte er. Mehrere Personen sagen gegenüber der AZ, sein Abgang sei ein grosser Verlust für die Stadt gewesen. Sauer sagt, er sei wegen der HR-Leiterin gegangen. Es sei ihm nicht möglich gewesen, unter ihr konstruktiv zu arbeiten, zudem hätten viele Angestellte gelitten. Die Chefin habe enormen emotionalen Druck an das Team weitergegeben. «Es herrschte eine Angstkultur.» Im letzten Monat seiner Anstellung war Sauer krankgeschrieben, weil die psychische Belastung zu gross war.
Alle der befragten Personen sagen, die Crew sei super gewesen, doch das Vertrauen zur Chefin zerrüttet. Habe man W. mit Kritik konfrontiert, sei sie jedesmal wie aus allen Wolken gefallen. Ein ehemaliges Teammitglied sagt gegenüber der AZ: «Sie war mit Herzblut dabei. Aber sie ist gefangen in diesem Konstrukt und machte es noch schlimmer.»
Alles auf eine Person abgestützt
Der Personaldienst hatte in letzter Zeit auffallend viele junge Angestellte – teilweise direkt nach der Lehre übernommen –, die nichts anderes kannten. Für erfahrenere HR-Mitarbeitende indessen gab es offenbar wenig Grund, sich dem schlechten Klima im Personaldienst auszusetzen.
Wenn der Personaldienst nicht gut funktioniert und die guten Leute gehen, hat das fatale Folgen für die ganze Stadt. Die Ansprechpersonen für die Abteilungen wechselten alle paar Monate. Bei einem Wechsel gehen jedes Mal Informationen und Know-How verloren. Viele Projekte bleiben liegen. Das sagen sowohl die ehemaligen HR-Mitarbeiter als auch andere höhere Stadtangestellte.
Es sei in der Stadt Schaffhausen ein offenes Geheimnis gewesen, dass es beim Personaldienst konstant Unruhe gebe. Entscheidungen, die man gegen aussen habe vertreten müssen, seien nicht einheitlich und stimmig gewesen, sagt eine der ehemaligen HR-Angestellten. «Der Personaldienst wurde von aussen belächelt und man selbst hatte oft das Gefühl, schon wieder einen Bock geschossen zu haben.»
Es gibt zahlreiche Beispiele von Entscheiden des HR – die etwa auch Lohnbandeinstufungen betreffen – welche führende Stadtangestellte nicht nachvollziehen können und als willkürlich empfinden. Man habe oft das Gefühl gehabt, die Entscheide wären einzig durch eine Person abgestützt. Nur die HR-Chefin persönlich habe den Schlüssel zu allen Entscheiden in den Händen gehalten.
«Hartnäckig weggeschaut»
Der ehemalige HR-Angestellte Alexander Sauer wie auch andere ehemalige Mitarbeitende vor ihm haben ihre Kritik an den Missständen intern teilweise schon vor Jahren bei Chefin W. sowie bei ihrem Vorgesetzten Peter Neukomm deponiert.
«Das Bemerkenswerte ist, wie hartnäckig weggeschaut wurde», sagt eine der Personen, mit der die AZ sprach. «Das Problem ist klar einzugrenzen, die Leute haben es transparent kommuniziert. Doch statt den Laden zu durchleuchten, leitete man höchstens wieder eine Massnahme zur Beruhigung ein.»
In den vergangenen Jahren gab es mehrere Mediationen im Team, Interventionen mit dem städtischen Mitarbeiterberatungsdienst «Movis» und Gruppengespräche mit Peter Neukomm. Ehemalige Angestellte sagen, es habe stets einen Kern aus zwei, drei Leuten aus dem Führungsumfeld der Chefin im Team gegeben, die zu hundert Prozent loyal hinter ihr standen. Anfangs 2023 führte zudem eine externe Firma Mitarbeiterbefragungen durch – die Resultate möchte Peter Neukomm der AZ nicht zeigen, räumt aber ein, ein Grossteil des Teams habe sich unzufrieden geäussert.
Nachdem es Mitte 2023 zu noch mehr Unruhe im Team kam, schaltete sich im Spätsommer die Gewerkschaft ein. Der VPOD konfrontierte Peter Neukomm mit der Forderung, dass es im Personaldienst bis Ende 2023 Anpassungen in der Führung und mehr Ressourcen brauche. Das hatte auch Peter Neukomm erkannt. Er hatte bereits erste Massnahmen getroffen, um wieder einmal einige Dinge umzumodellieren – um Frau W. herum. Die Chefin blieb auf ihrem Posten. Sie scheint für den Personalreferenten unersetzbar geworden zu sein.
Aufopferung
Am vergangenen Freitag nun, Mitte Februar 2024, ging die AZ mit der Kritik auf HR-Chefin W. und auf ihren direkten Vorgesetzten Peter Neukomm zu. Daraufhin kündigte W. per sofort ihre Stelle.
Am Montag konnte die AZ mit ihr telefonieren. Ihr Entscheid zur Kündigung sei schon länger gereift, sagt sie. Dass die AZ sie mit Vorwürfen konfrontierte, sei nur der finale Anstoss gewesen. «Ich habe mir immer gesagt, dass ich mir vor meinem 50. Lebensjahr eine lange Auszeit nehmen möchte. Ich war stets eine äusserst loyale Mitarbeiterin und habe enorm viel und mit Herzblut gearbeitet. Doch jetzt muss ich zu mir schauen.» Zur Kritik an ihrer Amtsführung sagt sie: «Es sind sicher Fehler passiert. Dadurch, dass so viel Druck auf mir lag, habe ich die Leute vielleicht auch einmal überfordert. Ich habe nie einen emotionalen Druck erzeugen wollen und bin der Meinung, dass wir eine positive Fehlerkultur hatten. Die Vorwürfe sind nur eine Sicht, die Wahrheit liegt in der Mitte.»
Sie sei eine geradlinige Führungsperson, die vor allem auch fördere, sagt sie. Ihre Entscheidungsgrundlagen, etwa bezüglich der Lohneinstufungen, seien alle in einem Prozesstool abgebildet und digitalisiert. Sie habe ihre Stellvertreterin in vieles einbezogen, aber da so viel Arbeit anstand, habe man sich aufteilen müssen.
«Das HR war immer meine Herzensangelegenheit – andere haben Kinder, ich habe das HR der Stadt Schaffhausen aufgebaut. Meine Mentalität ist ‘Chopf abe und dure’. Ich sagte mir immer, noch ein paar kleine Schritte, dann schaffen wir es. Im Nachhinein ist man immer schlauer. Die Entlastung des Teams, auf die ich hinarbeitete, ist nicht eingetreten.»
Der Stadtpräsident spricht
Als verantwortlicher Personalreferent hätte Stadtpräsident Peter Neukomm erkennen müssen, dass bei der Dienststelle problematische Strukturen entstanden sind, in der die Leiterin nur mehr schwer ersetzbar ist. Die AZ konfrontierte ihn, noch bevor die Bereichsleiterin gleichentags kündigte. Er nahm sie in Schutz. Bis 2018 habe sie in Befragungen eine extrem hohe Mitarbeiterzufriedenheit erzielt.
Neukomm räumt ein, dass in den vergangenen Jahren Fehler passiert seien. Man habe die Kritik der Angestellten gehört, auch wenn diese nur eine Seite darstellen würden. «Die Probleme sind adressiert. Wir haben letztes Jahr festgestellt, dass die Führung ihre Aufgaben nicht mehr genügend wahrnehmen konnte.»
Die Aufgaben und die Belastung des Personaldienstes habe in den vergangenen Jahren extrem zugenommen, nur schon wegen des viel grösseren Rekrutierungsaufwands durch den allgemeinen Personalmangel. Man arbeite schon lange an Lösungen. In den vergangenen Jahren seien immer wieder mehr Ressourcen eingeplant und neue Stellen zur Entlastung und Umstrukturierung der Leitung geschaffen worden. Ein wichtiger Schritt sei letztes Jahr gewesen, dass man die Leitung auf mehr Schultern verteilt und diese extern begleiten lassen habe.
Man befinde sich aber noch mitten im Prozess. «Man kann mir vorwerfen, dass wir zu lange gewartet haben, aber wir waren nicht untätig. Seit dem neuen Jahr sind wir mit dem neuen Leitungsteam auf sehr gutem Weg.» Wie es nun genau weitergehe, könne er aber noch nicht sagen, so sagt er zu einem späteren Zeitpunkt gegenüber der AZ.
Zum neuen Leitungsteam, das letzten Sommer installiert wurde, gehörten neben W. zwei neue Mitarbeiterinnen sowie vor allem Frau W.s Stellvertreterin. Zwei Tage nach der Chefin hat auch die Stellvertreterin gekündigt.