Der Quartierverein Herblingen wehrt sich gegen Pläne des McDonalds. Und stellt sich damit in die 30-jährige Tradition des Schaffhauser Fast-Food-Widerstandes.
Wo die Autos heute stehen, sollen sie künftig rollen: McDonalds will aus dem Parkplatz vor dem Herblingermarkt ein Drive-Through machen, die Baustangen schwanken bereits in der Winterbise.
McDonalds hat die Rechnung allerdings ohne Eugen Schibli gemacht. Schibli kann der kalte Wind nichts anhaben, er ist warm eingepackt in eine schwarze Windjacke und rahmengenähte Halbschuhe. Schibli – seit 20 Jahren Vereinsvorstand im Quartierverein Herblingen, Ressort Vereine und Freizeitanlagen – studiert jeden Freitagmorgen das Amtsblatt. Dort entdeckte er in der Ausgabe vom 22. Dezember «mit grosser Überraschung» die Baueingabe für die Burgerbude. Anfang Januar, davor war die Verwaltung über Weihnachten geschlossen, stand Schibli im Schaffhauser Baureferat, um die Unterlagen dazu zu studieren. Die Fotos davon hat er auf seinem Tablet mit dabei.
Der Telefonalarm im Quartierverein Herblingen lief heiss, bald danach auch die Druckpressen: Jeder Herblinger Haushalt wurde per Flyer zu einer Infoveranstaltung am 22. Januar geladen. «McDonalds hat gestaunt, wie gut der Quartierverein organisiert ist», sagt Schibli. Die Schaffhauser Nachrichten schrieben in der Folge von erhitzten Gemütern, fanden in einer Strassenumfrage Jugendliche, die gerne bei McDonalds essen und stellten in einem Kommentar fest, dass es in Schaffhausen nur noch gastronomisches Mittelmass gebe, aber «die Stadt bekommt, was sie verdient».
Schibli allerdings sieht das alles sehr rational. Der Bau wäre wohl zonenkonform, sagt er, also auch in Ordnung, und «seien wir ehrlich, es gäbe schlimmere Optionen». Welche das wären, will er nicht sagen. Schibli geht es vor allem um Eines: dass alles korrekt vonstatten geht. Der Widerstand des Quartiervereins ist auch eine Machtdemonstration. «Man muss in Herblingen bei grösseren Vorhaben mit dem Quartierverein sprechen, sonst geht nichts. Das ist ein Signal an alle anderen.» Was man mit dieser Macht erreichen will, ist aber moderat. «Wir sind natürlich vernünfti.g»
Der Verein will flankierende Massnahmen zum McDonalds, die Forderungen sind folgende. Punkt 1: kürzere Öffnungszeiten als bisher, «damit das hier nicht ein Hotspot und Treffpunkt von ganz Schaffhausen wird». Punkt 2: eine Barriere zur Stüdelistrasse hin, «damit niemand einen U-Turn reisst und diesen Ausgang nutzt». Punkt 3: Das Leuchtschild muss sich an dieselben Leuchtzeiten halten wie das Stadion, «sonst kommt am Ende der Fussballverein und beansprucht auch längere Beleuchtungszeiten». Punkt 4: Massnahmen gegen «Poseraktivitäten», weil «Poser einfach Ärger anziehen». Und gründliches Abfallauflesen.
Der Quartierverein stellt sich mit seinem Widerstand in eine Tradition. Neue McDonalds-Filialen hatten es noch nie leicht in Schaffhausen.
«Ohne Stressläden»
«Blumenkinder hauen Hamburger in die Pfanne», titelte die Sonntagszeitung im Oktober 1990. Der Journalist liess sich vom «Anti-Burger-King» Christoph Schüle, einem 18-Jährigen mit klimperndem Haschischohrring, die «propere und freundliche» Altstadt von Schaffhausen zeigen. Die Gründung ihrer Widerstandsgruppe beschrieb Schüle so: «Wir waren wirklich gut drauf, hörten Musik, alte Stücke und beschlossen, uns Flower Power zu taufen, so hiess nämlich die CD, die wir uns anhörten. Erst später merkten wir, dass dieser Name so mit Altachtundsechziger-Quark vorbelastet war – was uns aber nicht stört». Als Beispiel für ein Gastrobetrieb nach ihrem Gusto zeigten sie dem Journalisten dann noch das «Fass».
Die Sorgen, welche die Schaffhauser gegen den Fastfood ins Feld führten, waren ähnliche wie heute: Lärm. Und Abfall. Mitinitiantin Kathrin Sigerist fand, die Schaffhauser Innenstadt solle ein gemütlicher Flecken «ohne Stressläden bleiben». Als Alternativstandort schlug sie in der Sonntagszeitung vor: den Herblinger Markt.
Farbanschläge und Gericht
Die Flower-Power-Gruppe stampfte an jenem Tag, an dem sie gut drauf war, eine Initiative «für ein abfallarmes Gastgewerbe» aus dem Boden, sammelte in den kommenden Wochen Unterschriften und reichte sie dem Kanton ein. Die Initiative wollte Einweggeschirr aus Schaffhausen verbannen.
Die jungen Wilden – ihre eigene Initiative konnten die Teenager nicht unterschreiben, die Volljährigkeit erreichte man damals noch mit 20 – bekamen Unterstützung von unerwarteter Seite: Der Regierungsrat gab eine Studie in Auftrag, die zum Schluss kam, dass der McDonalds umweltschädlich sei. Daraufhin gab der Konzern allerdings eine eigene Studie in Auftrag, die wiederum zum Schluss kam, dass Einweggeschirr sogar ausnehmend umweltfreundlich sei. Der Fast-Food-Riese warb fortan mit dem Slogan «McDonalds ist umweltbewusst! Das beweist die Öko-Analyse» gegen die Initiative an.
Auch in der Schaffhauser Bevölkerung formierte sich Widerstand gegen den Widerstand: Eine Gruppe um die Jungfreisinnigen nahm unter dem Namen «Perspektive für Schaffhausen» den Burger-Kampf auf.
Der Kampf wurde hart geführt. In einem Leserbrief in der AZ beklagten die Eltern von Initiant Schüle dass «unser Sohn Christoph» Ziel massiver Drohungen werde, es habe gar einen Farbanschlag aufs traute Heim der Familie gegeben. Später bekannte sich gemäss den Eltern die «nationale Einheit gegen Linke» zur Tat. Die besorgten Eltern verlangten, dass sich McDonalds ausdrücklich davon distanziere. Die Distanzierung lieferte McDonalds in der AZ zwei Tage darauf. Auch die «Perspektive für Schaffhausen» bedauerte die «Eskalation der Kampagne» und gab zu, dass es das Ziel gewesen sei, die Initianten zur Absage von Veranstaltungen zu zwingen.
Flower Power machte trotz Drohungen und unter der schützenden Hand der Eltern weiter. Zum Abstimmungskampf gehörte unter anderem, dass im Jugendkeller der Film «Dschungelburger – Hackfleischordnung international» gezeigt wurde, der demonstrieren sollte, «wie die in den Industrieländern des Nordens um sich greifende Umstellung der Ernährungsgewohnheiten auf Fast-Food Folgen in der Dritten Welt hat».
McDonalds beschwerte sich dafür auf dem Gerichtsweg (erfolglos) über den Biologen Bernhard Egli, der auf umweltschädliche Stoffe in den Verpackungen aufmerksam gemacht hatte. Und auch die AZ mischte munter mit, der spätere SP-Präsident und damalige AZ-Chefredaktor Hans-Jürg Fehr moderierte ein Podium zum Thema und empfahl ein Ja zum «kleinen Schritt in die richtige Richtung». Die SN zeigten zwar ebenfalls Sympathien für die Initiative, forderte aber Eigenverantwortung zur «Burgerenthaltsamkeit».
Während der Regierungsrat die Initiative zur Annahme empfahl, schlug sich der Kantonsrat schliesslich auf die Gegenseite. Die Bürgerlichen sorgten sich um die Gewerbefreiheit und darum, dass der Kanton Schaffhausen sich «wieder einmal» lächerlich mache. Die Initianten seien «Miesmacher, die eine ideologische Zielsetzung haben». Das Volk folgte schliesslich seiner Legislative, am 2. Juni 1991 sagten fast zwei Drittel Nein zur Initiative und Ja zum Einweggeschirr. Schon einen guten Monat später eröffnete der erste McDonalds im Kanton mitten in der Schaffhauser Altstadt. «Familienrestaurant mit Lokalkolorit» titelte die AZ offenbar umgestimmt. Vielleicht wegen des Spielplatzes mit dem «Munotturm im Kleinformat», über den Kinder auf die Rutsche gelangen konnten.
Keine formalen Fehler machen
Schibli vom Quartierverein Herblingen kann sich zwar an die Initiative von 1991 erinnern. «Ich war ein Mal an einem Info-Event, ich gehe gerne an Info-Events, ich finde sie unterhaltsam.» Was er abgestimmt hat, weiss er nicht mehr. Anders als damals, ist Schibli überzeugt, ist das, was der Quartierverein macht, kein politischer Grabenkampf. «Der Quartierverein bildet alle politischen Meinungen ab, wir sind in etwa so aufgestellt wie der Grosse Stadtrat.» Schibli ist auch nicht grundsätzlich gegen den McDonalds, er ist ein liberaler Mensch und hat die NZZ abonniert. Aber auch das Gastrogewerbe habe sich an Regeln zu halten. Und bei den Regeln will der Quartierverein mitbestimmen.
Seine Waffen sind die Waffen des Korrekten. Der Quartierverein hat am Info-Event Protokoll geführt und dieses dem McDonalds zukommen lassen, sodass dieser eine Protokollberichtigung hätte verlangen können (tat er bisher nicht). So, sagt Schibli, könnte man McDonalds künftig auch auf die gemachten Aussagen behaften. «Jetzt geht es darum, keine formalen Fehler zu machen, die später die ganzen Bemühungen für eine erträgliche Lösung zunichte machen könnten.»
Wenn der McDonalds eröffnet wird, – dass das passiert, davon geht Schibli aus –, wird er sich dann auch mal einen Burger holen.