Bernath wird geblitzt

30. Januar 2024, Luca Miozzari

Die Stadt hielt die Tempo-30-Initiative der FDP für ungefährlich. Nun stellt sich heraus: Die Baureferentin hat den Schulterblick vergessen.

Tempo-30-Zonen auf Hauptstrassen sind der Zankapfel der Stunde in der Schweizer Verkehrspolitik. Temporeduktionen von 50 auf 30 Kilometer pro Stunde sollen Lärm und Luftverschmutzung reduzieren und die Sicherheit erhöhen. Dadurch, so die Befürchtung der bürgerlichen Gegenseite, würden die Autos aus den Städten verdrängt. In Basel rekurrierte etwa der Automobilclub kürzlich bis vor Bundesgericht (vergeblich) gegen eine 30er-Strecke.

In Schaffhausen wurde im vergangenen Jahr etwa an der Fischerhäuserstrasse eine Tempo-30-Zone eingerichtet. Eine grössere plant die Stadt mittelfristig an der Bachstrasse. Diese will die Schaffhauser FDP mit einer Volksinitiative verhindern, die sie im Juli 2022 eingereicht hat: «Von klar definierten Ausnahmen abgesehen» soll auf den städtischen Strassen überall Tempo 50 gelten, so der vorgeschlagene Verfassungstext.

Seither sind eine Vorlage des Stadtrats, fünf Kommissionssitzungen und drei rechtliche Gutachten ins Land gezogen. Die Bedeutung dieses einen Satzes in der Initiative hat sich als weit komplexer erwiesen, als anfangs angenommen. Nun sieht es so aus, als müsste der Stadtrat zurücksetzen und noch einmal eine Runde drehen im politischen Kreisverkehr.

Wirklich wirkungslos?

Dabei ging es anfangs ganz zügig voran. Innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen sechs Monate legte der Stadtrat seine Antwort auf die Initiative vor, und sah sich bereits links an der Initiative vorbeiziehen. Diese sei zwar gültig, so das Urteil des Stadtrates, aber wirkungslos. Denn was der Initiativtext fordere, stehe bereits im übergeordneten Bundesrecht: Grundsätzlich gilt innerorts Tempo 50, in Ausnahmefällen kann auf 30 reduziert werden. Etwa, wenn die Lärmbelastung «übermässig» ist. Was «übermässig» genau bedeutet, liege in seinem Ermessensspielraum, so der Stadtrat. Daran werde auch die Initiative nichts ändern können.

Die Spezialkommission des Grossen Stadtrats hingegen, die diese Antwort von der zuständigen Stadträtin Katrin Bernath vorgelegt bekam, trat auf die Bremse. Obwohl Bernath beteuerte, der städtische Rechtsdienst sei sehr kompetent in diesem Bereich, beschloss das Gremium einstimmig, ein externes Rechtsgutachten einzuholen. Würde sich bei Annahme der Initiative wirklich nichts ändern?

Der beauftragte Prof. Dr. iur. von der Uni Zürich legte kurz darauf ein Gutachten vor, das im Wesentlichen aus einem Satz bestand: Der Stadtrat hat recht. Freie Fahrt. Die Kommission, enttäuscht von diesem juristischen Zweizeiler, gab ein zweites Gutachten bei einem anderen Prof. Dr. iur. der Uni Zürich in Auftrag.

Dieser schrieb immerhin sechs Seiten, und kam zu einem ganz anderen Urteil. Mit dem neuen Verfassungsartikel würde sich durchaus etwas ändern. Der Stadtrat dürfte nämlich nur noch dort eine 30er-Zone einrichten, wo es das Bundesrecht explizit vorschreibt. In allen anderen Fällen, wo Tempo 30 möglich, aber nicht obligatorisch ist, dürfte er es nicht. Das «Ermessen» des Stadtrates würde also, so der Professor, ausgeschaltet.

Stadtrat muss wenden

Wie benebelt von diesem unerwarteten Blitzer rissen Stadträtin Bernath und ihr Rechtsteam das Steuer rum. Da nun klar war, dass die Initiative womöglich wirkungsvoller wäre als gedacht, stellte die Stadt stattdessen deren Gültigkeit infrage. Denn nach kantonalem Recht dürfe eine Initiative nichts regeln, das ausschliesslich in der Kompetenz der Exekutive liege. Eine bemerkenswerte Wendung: Nur ein halbes Jahr zuvor hatte der Stadtrat genau diese Bedenken in seiner Vorlage und in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage explizit verneint.

Doch auch diese Hoffnung machte der zweite Rechtsprofessor zunichte. Er liess sich per Zoom zuschalten und reichte später eine zweite Stellungnahme nach. Und kommt zum Schluss: Solange dem Stadtrat nur Vorgaben gemacht und ihm nicht formal die komplette Entscheidungskompetenz abgesprochen werde, sei die Initiative zulässig.

In ihrer vergangene Woche veröffentlichten Vorlage beantragt die Spezialkommission: Der Stadtrat soll, anderthalb Jahre nach Einreichung der Initiative, nochmal von vorne beginnen. Das Parlament dürfte dieser einstimmigen Empfehlung folgen.

Und der Stadtrat wird nach diesem Blitzgewitter zweimal über die Schulter schauen, bevor er in den nächsten Kreisel einbiegt.