Sparen nach Zahlen

16. Januar 2024, Simon Muster
Rund 1000 Menschen gingen im Oktober 2014 gegen das Sparpaket auf die Strasse. Foto: Peter Pfister
Rund 1000 Menschen gingen im Oktober 2014 gegen das Sparpaket auf die Strasse. Foto: Peter Pfister

Vor zehn Jahren schnürte die Regierung ein grosses Sparpaket. Es ­folgten Kundgebungen, erbitterte Debatten und Abstimmungen. Was ist geblieben?

Unter einem grossen rosaroten Sparschwein hatten sie sich auf dem Fronwagplatz versammelt: Pflegende in Arbeitskleidung, Menschen mit Rollstühlen, an deren Sitzlehnen Plakate festgezurrt waren, alt und jung. Rund 1000 Personen zogen am 17. Oktober 2014 durch die Schaffhauser Gassen, hinter einem Banner mit dem eingängigen Slogan «ESH4 – nicht mit mir» her. Die Stimmung war aufgekratzt, die Bandagen hart. Man sei «gegen Abbruch», gegen die «Sparschweinerei» auf dem Rücken der Angestellten, die Regierung wolle «den Kanton an die Wand fahren».

Nur wenige Wochen zuvor hatte der Schaffhauser Regierungsrat, angeführt von der damaligen Finanzdirektorin Rosmarie Widmer-Gysel (SVP) ein einschneidendes Sparprogramm präsentiert. Es hiess offiziell EP14 (Entlastungsprogramm 2014), aber der Widerstand taufte es auf ESH4 (Entlastung Staatshaushalt 4), um die Kontinuität zu drei früheren Sparpaketen aufzuzeigen. ESH4 war das grösste: Um ganze 40 Millionen sollte der Staatshaushalt dieses Mal schrumpfen. Jährlich. Um das zu erreichen, listete die Regierung insgesamt 122 Massnahmen auf, rund 140 Stellen sollten dem Rotstift zum Opfer fallen.

Alles notwendige Massnahmen, um ein «strukturelles Defizit» zu bekämpfen, argumentierte die Regierung; ein Kahlschlag im Service Public, entgegneten die Gegner auf dem Fronwagplatz. Eine erste SMS-Umfrage der Schaffhauser Nachrichten, durchgeführt eine Woche vor der Kundgebung auf dem Fronwagplatz, gab früh die Richtung vor, in welche der politische Wind in den kommenden Jahren wehen sollte: Nicht einmal ein Drittel gab an, dass sie das Sparprogramm der Regierung für den richtigen Weg hielten.

Heute, zehn Jahre später, hüten Kanton und Stadt volle Kassen, ein Rekordergebnis jagt das nächste. Das strukturelle Defizit von damals ist längst millionenschweren finanzpolitischen Reserven gewichen. Die Rechnung 2022 weist, nachdem bereits 55 Millionen auf die Seite gelegt wurden, immer noch einen Überschuss von 7,4 Millionen Franken aus. Wenn die bürgerlichen Kassenwarte heute die hiesigen Staatsfinanzen beschreiben, dann abwechselnd als «blendend» und «erfreulich».

Zum zehnjährigen Jubiläum des Sparpakets hat sich die AZ deshalb gefragt: Was ist daraus geworden? Was wurde umgesetzt, was verworfen? Und welche Sparmassnahmen sind bis heute in Kraft?

Der Teufel an der Wand

Das Bild der finanziellen Lage des Kantons, das die Regierung 2014 zeichnete und mit dem sie ihr Sparpaket begründete, war düster: Die Rechnung des vorherigen Jahres hatte mit einem Defizit abgeschlossen, ein früheres Sparpaket war vom Kantonsrat und von der Stimmbevölkerung deutlich zurückgestutzt worden und hatte den erwünschten Effekt verfehlt.

Die Folge: Für die kommenden Jahre prognostizierte die Finanzverwaltung ein vermeintlich strukturelles Defizit in der Höhe von rund 40 Millionen Franken. Zwar sollte sich diese Prognose später als Rohrkrepierer herausstellen, die Rechnung 2015 schloss mit einem Überschuss von über zehn Millionen Franken ab.

Aber 2014 wurde noch der Teufel an die Wand gemalt, auch weil auf Bundesebene eine Unternehmenssteuerreform anstand, die Schaffhausen – damals bereits äusserst abhängig von internationalen Unternehmen – stark betroffen hätte (sie scheiterte 2017 an der Urne). Um für die Konzerne weiter attraktiv zu bleiben, müssten in der Zukunft Massnahmen getroffen werden, und diese, so die Regierung im letzten Abschnitt des Sparpakets, «wollen finanziert sein».

Um das zu bewerkstelligen, heuerte die Regierung ein Beratungsbüro an, welches die Verwaltung durchleuchtete, mit besonders sparsamen Kantonen verglich und aufzeigte, wo Schaffhausen mehr Geld ausgab als andere. Daraus entstand ein Katalog von 122 Massnahmen. Kein Posten war dabei zu klein, um auf der Schlachtbank zu landen: Der Gemeindebeitrag an die Hundeabgabe sollte von 20 auf 30 Franken erhöht werden, das Schulgeld für den Besuch von Informatikmittelschulen sollte nicht mehr bezahlt werden. Am stärksten sollte die Schliessung des Pflegezentrums auf dem Geissberg ins Gewicht fallen, aber auch in der Bildung, bei den Prämienverbilligungen und bei der Kantonsarcharchälogie waren tiefe Einschnitte vorgesehen.

Das Sparpaket sah auch einzelne Steuermassnahmen vor, aber über zwei Drittel des drohenden Defizits sollten mit Sparmassnahmen aufgefangen werden. Die Botschaft war klar: Schaffhausen hatte in der Vergangenheit über seine Verhältnisse gelebt, jetzt mussten die Leute den Gürtel enger schnallen.
Das Problem der Regierung: Zwar lag der Grossteil der Massnahmen in eigener Kompetenz, aber für rund die Hälfte der 40 Millionen Franken, die der Regierungsrat sparen wollte, war er auf die Zustimmung des Kantonsrats und der Bevölkerung angewiesen. Und da war man wenig angetan vom drohenden Rotstift.

Überall unbeliebt

Bereits im bürgerlich dominierten Kantonsrat hatte das Sparpaket einen schweren Stand. Er strich ein Jahr nach der Demo auf dem Fronwagplatz eine geplante Alkoholsteuer, lehnte die Abwälzung der Polizeikosten auf die Gemeinden ab und wollte den Pendlerabzug weniger stark kürzen als die Regierung. AL-Kantonsrat Florian Keller, die harten Bandagen noch immer eng um die verbalen Fäuste gewickelt, zog ein martialisches Fazit: «Der aktuelle Zustand von ESH4 erinnert mich an Sarajewo nach einem Jahr Belagerung.» (AZ vom 24. September 2015).

Dann kam der Sonntag, 3. Juli 2016, den die AZ nicht minder episch als «Tag der Abrechnung» bezeichnete. Das erste Mal seit der SMS-Umfrage der SN konnte sich die Bevölkerung zum Sparpaket äussern, insgesamt fünf Massnahmen standen auf dem Zettel: Eine Kapitalsteuer, eine Erhöhung beim Ehegattensplitting, die Einführung von kostenpflichtigen Freifächern, die Senkung von Beiträgen an die Pflege sowie die Kürzung der Prämienverbilligungen.

Die Stimmbevölkerung sagte an diesem Sonntag fünfmal Nein. Ein Jahr später dann ein sechstes Mal: Mit seither ungeschlagenen 78,1 Prozent stimmte sie für die Volksschulinitiative und versenkte so eine weitere gewichtige Massnahme aus dem Sparpaket der Regierung.

Diese stand vor einem Scherbenhaufen. Von den 40 Millionen Franken, die sie einst einsparen wollte, war gerade noch die Hälfte übrig. Was aber auch bedeutete: Noch rund 20 Millionen konnte der Regierungsrat fortan in Eigenregie kürzen. Wie oft hat er das getan – und wie viele Kürzungen sind heute, wo die Staatskassen schier überquellen, noch in Kraft? Das hat die AZ das Finanzdepartement gefragt.

Was bleibt

Von den 100 Massnahmen, welche die Regierung in Eigenregie umsetzen konnte, hat sie ganze 94 umgesetzt. Das zeigt ein umfassendes Controlling aus dem Jahr 2018, welches das Finanzdepartement der Geschäftsprüfungskomission des Kantonsrats vorgelegt hat und das der AZ vorliegt. Darunter fallen viele kleine Massnahmen: So hat der Regierungsrat 2017 etwa bei der Umsetzung des Umweltrechts Abstriche in der Höhe von 60 000 Franken getätigt. Die Auswirkungen dieser Spassmassnahme hatte er in seinem Sparpaket etwas kleinlaut mit «weniger Daten zur Qualität der Luft» aufgelistet. Man verzichtete auf die Wiederaufnahme einer Imagekampagne, baute Stellen im Amt für Geoinformationen ab oder erhöhte die Gebühren für Arbeitsbewilligungen. Aber es finden sich auch einige schwere Brocken darunter, an oberster Stelle die Schliessung des Pflegezentrums Geisssberg, mit der der Kanton jedes Jahr rund 3 Millionen Franken einspart. Die Bewohnerinnen und Bewohner mussten auf die Heime der Gemeinden verteilt werden, obwohl diese festhielten, man habe für Menschen mit sehr hohem Pflegebedarf weder das richtige noch genug Personal. Einige Bewohner wurden letztlich im Hemmentaler Privatheim «Hand in Hand» untergebracht, das nach Recherchen der AZ und im Strudel eines Pflegeskandals im Sommer 2021 Hals über Kopf geschlossen werden musste.

Insgesamt konnte der Regierungsrat mit den 94 Massnahmen für das Jahr 2018 16,5 Millionen Franken einsparen. Dazu kommen die 13 Sparmassnahmen, die der Kantonsrat zusätzlich umgesetzt hat – etwa der Verzicht auf einen Beitrag an die Entschädigung der Gemeindepräsidenten. Ab 2019 hat die Verwaltung das Controlling eingestellt, seither wird nicht mehr verfolgt, welche Sparmassnahmen noch in Kraft sind – und welche wieder rückgängig gemacht wurden.

Eine Stichprobe zeigt aber: Das Sparpaket wirft seine Schatten bis heute, also bis weit in die Jahre der Rekordüberschüsse. So kürzte der Regierungsrat etwa den Grundbedarf bei der Sozialhilfe. Als er das 2014 vorschlug, stellte er noch selbst fest, dass durch diese Kürzung «die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft» getroffen würden. Rückgängig hat er die Kürzung nie gemacht, auch als die Millionen wieder sprudelten. Ähnliches geschah bei den Leistungen für Menschen, die von Altersarmut betroffen sind und in Spitälern oder Heimen leben. Vor dem Sparpaket wurden ihnen im Kanton Schaffhausen bei der Berechnung des Anspruchs maximal zehn Prozent ihres Vermögens abgezogen. Der Kantonsrat verdoppelte das auf die vom Bundesgesetz erlaubte Obergrenze und hat diesen Leistungsabbau bis heute nicht wieder rückgängig gemacht. Aber auch Staatsangestellte sind nicht unversehrt geblieben: Der Kanton zahlt Angestellten, die frühzeitig in Pension treten, eine Übergangsrente. Den Anspruch darauf hat er im Zuge des Sparpakets um einen Viertel reduziert und nicht wieder angehoben. Etwas weniger einschneidend: Der Regierungsrat erhöhte auch die Gebühren für Jagdpässe, um jährlich Mehreinnahmen von 20 000 Franken zu erzielen.

Wie viele weitere Sparpositionen noch heute in Kraft sind, ist von aussen schwer nachzuvollziehen – dafür müsste die Verwaltung das Monitoring wieder aufnehmen. Klar ist aber: Der Widerstand gegen das Sparpaket konnte zwar sechs Abstimmungssiege verbuchen, das Sparen aber letztendlich nur teilweise verhindern.

Mitarbeit: Mattias Greuter