Anders Holch Povlsen ist der reichste Däne. Ein gutes Stück seines Reichtums fliesst durch einen Schaffhauser Briefkasten.
Die Serie «Succession» ist ein Welthit. Ein skrupelloser, aber gesundheitlich angeschlagener Medienmogul spielt seine Kinder mit Intrigen und Winkelzügen gegeneinander aus, um herauszufinden, wer seinen milliardenschweren Medienkonzern irgendwann übernehmen soll.
Wie so häufig bei amerikanischen Hits gibt es ein Vorbild aus einem anderen Teil der Welt. In diesem Fall kommt das Vorbild aus Dänemark: Dort heisst die Serie «Arvingerne», «Die Erbschaft.» Etwas weniger pompös behandelt auch die dänische Serie die Frage, wie ein millionenschweres Erbe auf die Kinder verteilt werden sollen. Vielleicht war es der Erfolg von «Die Erbschaft», die den dänischen Journalisten Søren Jakobsen dazu inspirierte, seinem Buch über die steinreiche Povlsen-Familie den gleichen Titel zu geben. Ihren Reichtum verdankt die Povlsen-Familie einem Modeimperium namens Bestseller, zu dem unter anderem Vero Moda, Vila und Jack and Jones gehören. Doch ihren Reichtum geniesst die Familie lieber im Verborgenen. Sie hat dafür gesorgt, dass auch offizielle Dokumente möglichst wenig über sie preisgeben. Die Struktur des Firmennetzwerks der Familie ist riesig und weit verzweigt. Autor Jakobsen beschreibt es so: «Kaum ein Medium wird aus der Struktur der Bestseller-Group schlau.»
Und genau hier kommt der Schaffhauser Briefkasten ins Spiel. Wie Recherchen der AZ zeigen, ist dieser einer der Dreh- und Angelpunkte in diesem komplizierten Firmenkonstrukt. Anhand von Unternehmensunterlagen, Einblick in das britische Katasteramt, Gesprächen mit dänischen Wirtschaftsjournalisten und Schweizer Steuerexperten kann die AZ zeigen, wie der Patron der Familie den Schaffhauser Briefkasten dafür verwendet hat, die eigentliche Cashcow des Imperiums – das Chinageschäft – steuergünstig an seinen designierten Nachfolger zu übergeben.
Es ist die Geschichte einer Familie, die ihre Geschäfte lieber im Schatten abwickelt – und ihn in Schaffhausen gefunden hat.
Der Aufstieg
Auch wenn sie nicht gerne darüber reden: Die Geschichte eines jeden Milliardärs beginnt mit Glück. Im Fall von Troels Holch Povlsen kommt das Glück 1975 in Kisten: Randvoll mit überschüssigen Sommerkleidern aus der darbenden Kleiderfabrik seines Onkels. Für Troels, damals 26, ist der Zeitpunkt ideal: Er hat kurz davor sein Examen als Bekleidungstechniker an der Textilschule in Ringkøbing an der Westküste Dänemarks in den Sand gesetzt. Die Interessen des jungen Troels liegen sowieso woanders: Eigentlich liebt er vor allem Antiquitäten und historische Häuser – vier Jahrzehnte später wird er dieser Leidenschaft mit Hilfe eines Schaffhauser Briefkasten frönen.
Aber vorerst sitzt Troels Holch Povlsen auf Kisten mit Sommerkleidern. Er beweist damit ein erstes Mal, was für seine Karriere entscheidend sein würde. Sein Gespür dafür, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein: Er karrt die Kisten von der Fabrik im Landesinnern an die Westküste und verkauft sie an Sommergäste.
Innert kürzester Zeit eröffnet er weitere Läden und gründet bald die Bestseller A/S. Schnell übersteigt die Nachfrage aber die Kapazität der Textilfabrik seines Onkels. 1978 fliegt er deshalb nach Kalkutta, Indien.
Das Geschäftsmodell, das Troels Holch Povlsen dort entwickelt, ist relativ simpel und nimmt den Aufstieg von Fast Fashion in den nächsten Jahrzehnten vorweg: Anstatt Kleider in eigenen Fabriken zu produzieren, lässt er sie von Subunternehmern im fernen Osten herstellen. Die gegen Tiefstlöhne produzierte Billigmode wird dann an den besten Adressen in europäischen Städten verkauft, beworben durch europäische Models. In Schaffhausen etwa im Vero Moda am Fronwagplatz oder im Jack and Jones an der Vordergasse.
Ein Geschäftsmodell, mit dem sich Garn zu Gold spinnen lässt: Mitte 90er-Jahre schätzt ein dänisches Wirtschaftsmagazin Troels Holch Povlsens Vermögen auf umgerechnet rund 650 Millionen Schweizer Franken. Damit kauft er sich zum Beispiel das 900 Hektaren grosse Landgut Gyllingnæs an der Ostküste, ein malerisches Anwesen auf einer Landzunge mit bestem Blick auf den Horsens Fjord.
Troels Holch Povlsen stellt die Weichen auf Dynastie. Mit seiner Frau, Merete Holch Povlsen, zeugt er die zwei Söhne Niels und Anders und beginnt früh damit, letzteren als Nachfolger aufzubauen. Alles läuft nach Plan. Doch dann lernt er auf dramatische Weise eine Lektion, die den Familienkonzern für die nächsten Jahrzehnte prägen wird: Reichtum versteckt man am besten.
Die Attacken
Das Jahr 1998 beginnt für die Familie Holch Povlsen mit Drohungen, die in den Lack ihrer Autos gekratzt wurden. Später folgen zahlreiche Erpresserbriefe, einen davon findet die Familie wenige Meter vor dem Schlafzimmer der Eltern auf dem Landgut Gyllingnæs. Der Erpresser droht der Familie mit dem Tod, es sei denn, sie würden ihm Millionen von Dänischen Kronen überweisen. Er unterzeichnet seine Briefe mit dem Kürzel R.H. – Robin Hood.
In den folgenden zehn Monaten eskalieren die Drohungen, bevor am 28. Oktober 1998 ein ehemaliger Soldat von der Polizei gefasst wird. Im Gepäck hatte er einen Elektroschocker, eine Gaspistole, Klebeband sowie einen Kanister Benzin. Sein Ziel: das Landgut Gyllingnæs.
Nur fünf Jahre später wollen indische Kriminelle die beiden Söhne entführen. Stattdessen kidnappen sie aus Versehen den Sohn eines führenden Angestellten der Bestseller Group. Der junge Mann kann befreit werden, wahrscheinlich nur dank Troels Holch Povlsens Kontakten zum indischen Establishment, die er seit seinem ersten Besuch in Kalkutta Ende der 70er-Jahre hegt und pflegt.
Diese beiden dramatischen Episoden – da sind sich die wenigen Journalisten, die sich eingehend mit der Povlsen-Familie auseinandergesetzt haben, einig – haben dazu geführt, dass sich die Holch Povlsens noch mehr aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Heute geben sie kaum noch Interviews. Ein Porträt über Anders Holch Povlsen, das im Mai 2021 in der dänischen Tageszeitung Politiken erschien, trug den Titel «Der scheue Milliardär».
Diese Verschlossenheit überträgt die Familie auch auf ihre Unternehmensstruktur. Aus dem einfachen Geschäft mit Sommerkleidern an der Westküste Dänemarks ist ein opakes Netz aus Briefkastenfirmen und Holdings gewuchert, das es der Öffentlichkeit erschwert, die dahinter versteckten Geldströme zu verstehen.
Die Briefkästen
Der dänische Journalist Søren Jakobsen spricht von einer systematischen Geheimhaltung, durch die «niemand in der Öffentlichkeit die Inhalte, Einnahmen und Steuerzahlungen durchschauen kann».
Einerseits bedient sich die Famile dazu ausgeklügelter Tricks. Aber auch sehr simplen: Es gehört zu den Eigenheiten des Firmenimperiums, dass die Povlsens viele der Aktien- und Holdinggesellschaften, auf die sie ihr Familienvermögen verteilen, nach wichtigen Daten benannt sind. Zahlenreihen, die man sich nur schwer merken und schlecht auseinanderhalten kann.
Obwohl die Kleidermarken der Bestseller Group Anfang der 2000er-Jahre die Einkaufsstrassen der grossen europäischen Metropolen säumen, weiss kaum jemand, dass dahinter eine dänische Firma mit dem kryptischen Namen «Aktiengesellschaft vom 25.3.1983» steht.
Der Methode bedient man sich auch, als der Generationenwechsel eingeleitet wird. Als Anders Holch Povlsen, der älteste Sohn und auserwählte Kronprinz des Modeimperiums, im Januar 1994 im Alter von 22 Jahren zum CEO der Kleidermarke Vila wird, benennt sein Vater die Firma kurzerhand in «Aktiengesellschaft vom 4.1.1994» um.
Als Anders 28 Jahre alt ist, folgt der nächste grosse Schritt: Durch eine Aufspaltung der «Aktiengesellschaft vom 25.3.1983» geht die Bestseller Group von Troels Holch Povlsen an seinen Sohn Anders über. Das Geschenk hat aber einen Haken: Seine Eltern übergeben ihm zwar die Firma, behalten aber vorerst genug Aktien, um ihn weiter überstimmen zu können. Anders Holch Povlsen wird also zum Multimillionär in Ausbildung.
Noch wichtiger: Die Eltern behalten das lukrative Chinageschäft der Bestseller Group ganz in ihren Händen. Diese Firma – Bestseller Fashion Group China Limited – hat sich seit 1996, als Troels Holch Povlsen sie mit zwei weiteren Dänischen Geschäftspartnern eröffnete, rasant entwickelt (Troels Holch Povlsen hält 50 Prozent der Aktien, seine Geschäfttspartner je 25 Prozent). So rasant, dass die beiden Geschäftspartner 2012 auf einer chinesischen Liste der reichsten Ausländer mit einem Vermögen von umgerechnet 800 Millionen Franken aufgeführt werden.
Die innerfamiliäre Stabsübergabe ist also erst wirklich erfolgt, wenn Anders den Schlüssel zu dieser Goldmine in den Händen hält.
Genau das geschieht im Jahr 2010, und es geschieht in Schaffhausen. Auch hier tun die Povlsens das, was sie so gerne tun: Komplizierte Firmenkonstrukte bauen. Am 19. Mai 2010 wird die Holch Povlsen Schweiz AG vorerst in Zürich gegründet, nur um sie einen Monat später nach Schaffhausen zu verlegen. Wiederum einen Monat später wird die noch junge Firma bereits wieder gespalten: einmal in die 1.8.1996 AG – benannt nach dem Datum, als die beiden Geschäftspartner von Troels Holch Povlsen in China ankamen –, einmal in die Holch Povlsen Schweiz AG. Im Spaltungsplan, welcher der AZ vorliegt, wird ersichtlich, dass die Holding in einen Briefkasten, der alle Immobilienbeteiligungen hält, und in einen, der alle Beteiligungen am Modegschäft besitzt, gespalten wird. Wir nennen die beiden Firmen deswegen einfachheitshalber «Mode-Briefkasten» und «Immobilien-Briefkasten».
Zwar bleibt Troels Holch Povlsen bei beiden Schaffhauser Briefkästen Alleinaktionär. Aber lediglich auf dem Papier und nur für kurze Zeit. Einen Tag nach der Spaltung in Schaffhausen wird in Dänemark eine Holding eingetragen, die prompt alle Aktien des Mode-Briefkastens übernimmt. Ihr neuer Besitzer: Anders Holch Povlsen. Sein Vater behält währenddessen das Immobiliengeschäft für sich. Die beiden Briefkästen von Vater und Sohn befinden sich bis heute an der selben Adresse.
Gemeinsam haben die beiden Schaffhauser Firmen auch, dass sie sehr reich sind: Während der Immobilien-Briefkasten Beteiligungen im Wert von 176 Millionen übernimmt, erhält der Mode-Briefkasten Beteiligungen im Wert von über 294 Millionen Franken. Die wertvollsten davon: 50 Prozent Anteil an der Bestseller Fashion Group China Limited – dem hochprofitablen Chinageschäft. Ausserdem besitzt hält der Mode-Briefkasten auch Anteile an weiteren Unternehmen in den Niederlanden, der Schweiz und in Singapur – Platz 4, 5 und 9 auf der Rangliste der Steueroasen der NGO Tax Justice Network.
Fazit dieses treuhänderischen Hütchenspiels: Mit nur einer Spaltung schenken Troels und Merete Holch Povlsen ihrem Sohn 294 Millionen Franken, und wichtiger, die Schlüssel zum Chinageschäft.
Wahrscheinlich ganz ohne Steuern: Das Verschieben von Vermögen durch eine Holdingspaltung an die nächste Generation ist in der Schweiz grundsätzlich steuerfrei. Die AZ hat dem Anwalt, der die Spaltung für eine grosse Rechtskanzlei begleitet hat und bei beiden Firmen bis heute im Verwaltungsrat sitzt, Anfang Woche eine Gesprächsanfrage geschickt. Doch er lehnte ab, er könne «so kurzfristig nicht telefonieren». Die schriftliche Frage blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Der Schaffhauser Briefkasten macht Sohn Anders Holch Povlsen auf einen Schlag sehr reich und dann noch viel reicher: 2016 berichtet die dänische Wirtschaftszeitung Finans, dass der Schaffhauser Briefkasten im Jahr zuvor umgerechnet rund 190 Millionen Franken Gewinn erzielte. Das ist doppelt so viel wie der gesamte Rest des Firmennetzwerks. Mit Blick auf die komplizierte Firmenstruktur in Schaffhausen bilanzierten die dänischen Journalisten damals: «Dies könnte darauf hindeuten, dass Anders Holch Povlsen die chinesischen Anteile seines Vaters übernommen hat, was jedoch nicht überprüft werden kann.» Die Recherche der AZ kann diese Vermutung nun bestätigen.
Das System dahinter funktioniert vereinfacht so: Im Chinageschäft fallen Gewinne an, die als Dividenden zuerst an die Holding in Hong Kong und anschliessend in den Mode-Briefkasten in Schaffhausen fliessen. In der Schweiz unterliegen diese Dividenden zwar den – im internationalen Vergleich sehr tiefen – Unternehmenssteuern, können aber bis auf fünf Prozent weiter reduziert werden. Danach schüttet die Firma Geld nach Dänemark aus.
Troels und Merete Holch Povlsen schenken ihrem Sohn 294 Millionen und das Chinageschäft – wahrscheinlich steuerfrei.
Anhand der Unterlagen des dänischen Handelsregisters lässt sich ausrechnen, wie viel Geld dort seit 2015 durch den Schweizer Durchlauferhitzer in die Taschen von Anders Holch Povlsen geflossen ist: über 610 Millionen Schweizer Franken. Würde man das in 100-Franken-Noten sauber bündeln, man bräuchte rund 277 Briefkästen, um das ganze Geld darin zu stapeln.
Heute ist Anders Holch Povlsen der reichste Däne. Sein Vermögen wird von Forbes auf 6.9 Milliarden Dollar geschätzt. Er ist neben seinem eigenen Modekonzern auch als Grossaktionär an den Onlinehändlern Zalando und Asos beteiligt. Und er ist auch der grösste Grundbesitzer in Schottland: Er besitzt mehr Land als der König und die Church of England zusammen.
Während sein Sohn Anders Multimilliardär wurde, hat sich der Vater Troels seinem eigentlichen Interesse widmen können: historische Gebäude aufkaufen und restaurieren. Es ist so etwas wie ein Pensionsprojekt.
Die Verschwiegenheit
Zwar läuft der grösste Teil von Troels Holch Povlsens neuem Firmenimperium über eine dänische Muttergesellschaft, doch einige Bereiche – Immobilien an bester Lage sowie eine Investmentfirma – gehören dem zweiten Briefkasten, der aus der Spaltung 2010 hervorgegangen ist – dem Immobilien-Briefkasten. In London etwa besitzt der Briefkasten ein Gebäude an bester Lage im Stadtteil Mayfair. In der Stadt Bath – ein beschaulicher Kurort im Südwesten von England – besitzt die Firma zwei schöne klassizistische Bauten. In den vergangenen fünf Jahren erzielte die Immobilienfirma gemäss Finanzberichten aus dem britischen Handelsregister einen Gewinn von umgerechnet 21,5 Millionen Franken.
Wie viel davon nach Schaffhausen fliesst, ist unklar: Die Schweizer Muttergesellschaft ist in der Schweiz im Gegensatz zu Dänemark und Grossbritannien nicht verpflichtet, ihren Finanzbericht zu veröffentlichen.
Überhaupt gibt man sich in der Schweiz lieber bedeckt. Viele Treuhänder und Steuerexperten, die die AZ für diese Recherche kontaktiert hat, wollten lieber keine Auskunft geben. Die, die trotzdem sprachen, taten dies nur anonym. In der Schweiz gibt es zudem kein Register für wirtschaftlich Berechtigte von Unternehmen – Angaben darüber, wem die Firma effektiv gehört –, was international eigentlich zum Standard gehört. Diese Reportingpflichten sind für die Unternehmen aufwendig und kostspielig, für die Öffentlichkeit aber zentral. Dass hinter den beiden Schaffhauser Briefkästen ein dänischer Modekonzern steckt, erfährt man nur im dänischen Handelsregister.
Für Konzerne und Familien wie die Povlsens sind das alles Standortvorteile: Neben tiefen Steuern finden sie hier genau das, was sie am zweithöchsten gewichten: Verschwiegenheit.
*
Dieser Text entstand mit finanzieller Unterstützung des AZ-Recherchefonds «Verein zur Demontage im Kaff». Der Fonds fördert kritischen, unabhängigen Lokaljournalismus in der Region Schaffhausen, insbesondere investigative Recherchen der Schaffhauser AZ. Spenden an den Recherchefonds: IBAN CH14 0839 0036 8361 1000 0.