Der erste Saunamarathon versetzte Schaffhausen in Wallungen.
Es floss mehr Alkohol als Schweiss. Besuch am Wellness-Karneval.
Die Finnen, säuselt der Mann den beiden Finnen mit langgezogenen Silben ins Ohr, seien schon immer die Speerspitze gegen den Kommunismus gewesen. Wenn wir alle anpacken würden und jeder von uns Kommunisten erledigen würde wie die Finnen damals, dann wäre die Welt eine bessere.
Sein Kollege, ein stadtbekannter Politiker, nackt, greift während dieser martialen Geschichtslektion mit einer Grillzange nach einem Würstchen auf dem Boden, das auf dem Saunaofen gegrillt worden und ihm anschliessend vom Teller gefallen war. Die Tür der Sauna öffnet sich kurz, neue Würstchen werden geliefert – «gezahlt von der Regierung», witzelt der dick eingepackte Wurstlieferant. «Goverment is shit» ruft der Kommunistentöter in spe, «Maaachs Loch zue» brüllt der Dritte im Bunde, und zusammen mit dem stadtbekannten Politiker, der inzwischen das Würstchen aus einer Ecke der Sauna gefischt hat, stürzen sie genüsslich ihr Dosenbier.
Etwas benebelt ob der Mischung aus heisser Luft und Testosteron, die sich uns in die Nasennebenhöhlen drängt, nehmen wir einen grossen Schluck vom finnischen Kräuterschnaps, den die beiden sichtlich erheiterten Finnen in der Runde herumreichen. Willkommen am Schaffhauser Saunamarathon.
Ein paar Stunden zuvor laufen wir über den Fronwagplatz, um uns ein erstes Bild von der Lage zu machen. Zeitgleich zu den Saunaöfen laufen an diesem Samstagmorgen auch die Rhy-Gusler heiss – die Stadt gehört den Narren und Nackten.
Wir hingegen sind noch zu verknittert, um uns gehen zu lassen: Einer von uns hat eine rastlose Nacht wegen einer Erkältung hinter sich, dem anderen dröhnt im Kopf noch der Kater vom Vorabend. Wir lassen unsere Bademäntel vorerst noch zu Hause und betrachten die Saunen, Hottubs und beheizten Stadtbrunnen aus sicherer Distanz.
Das Ziel des Saunamarathons ist es, möglichst viele der 19 Schwitzkästen zu benutzen. Für jeden besuchten Ort gibt es Punkte, wer am Ende am meisten hat, gewinnt. Und mancherorts erhält man gleich nach dem Saungang ein Getränk, um den Durst zu stillen: Glühwein auf dem Fronwagplatz, Bier vor dem Restaurant Falken. Wellness-Extremsport für Herz-Kreislauf und Leber. Unsere noch etwas flauen Mägen drehen sich.

Sauna-Diplomatie
Die Idee dafür stammt ursprünglich aus Estland. In der estnischen Stadt Otepää findet seit über zehn Jahren ein Saunamarathon statt. Im Februar 2023 nahm auch eine Schaffhauser Delegation rund um Saunareferent Daniel Preisig (SVP) teil. Zusammen mit seinen Parteikollegen Thomas Stamm und Michael Mundt wurde er von den Organisatoren und der Stadtregierung von Otepää empfangen.
Die Sauna-Aussenpolitik der Volkspartei fruchtete: Zurück zu Hause gründeten die drei SVP-Exponenten zusammen mit anderen Saunabegeisterten den Verein Saunamarathon Schaffhausen. Die Organisatoren aus Otepää, so sehen wir später, sind auch beim Schaffhauser Saunamarathon dabei.
Und nicht nur sie pilgern in die aufstrebende Saunametropole am Rhein: Am Informationsstand stehen wir hinter einer Gruppe deutscher Frauen, während ihnen Michael Mundt und Mariano Fioretti (auch SVP) in Bademäntel eingepackt die Regeln erklären; später treffen wir am Lindli eine Delegation der «British Sauna Society», die es sich zum Ziel gesetzt hat, eine «Saunakultur für die körperliche, geistige und soziale Gesundheit und das Wohlbefinden zu fördern und zu entwickeln». Sie seien am Morgen von London eingeflogen, erklärt eine kleine Frau mit orangem Hut, die sich vorhin noch wie ein Seestern im Rhein treiben liess.
Dass der Saunamarathon ein erfolgreicher Tourismusmagnet ist, hören wir, inzwischen auch mit Bademantel und Schlappen ausgestattet, immer wieder zwischen dem Zischen der Aufgüsse: Wir sprechen mit einer Tschechin aus Zürich, schwitzen mit einem australischen Franzosen aus St. Gallen und trinken mit den Finnen aus Baden, während der Kommunistentöter brüllt.
Aber das Event weckt auch lokalpatriotische Gefühle. Das erleben wir hautnah, als wir eng zusammengepfercht in der improvisierten Sauna im ehemaligen Tickethäuschen der URh sitzen (die Frau vom Organisationsteam ruft, man soll sich «Füdli a Füdli» in den kleinen Raum quetschen). Ein älterer Mann, Stammkunde in der KSS-Sauna und standardgemäss mit Bierdose ausgestattet, erklärt seinen Teamkollegen, dass sie eigentlich auch eine Sauna ennet dem Rhein besuchen könnten. Er schnaubt: «Die lassen wir aus, das ist ein Schaffhauser Anlass.»

Abgekühlte Gemüter
Am Schluss seien es über 500 Teilnehmer gewesen, wird das Organisationsteam am Tag danach bilanzieren. Zu viele, finden wir zitternd, während wir uns bei zwei Saunen nacheinander in eine Warteschlange stellen müssen. Und wie warm sind die bekleideten Schaffhauser mit ihrem neuen Volksfest? Im Vorfeld sorgte vor allem die Beheizung der Saunen und Brünnen für Kritik: Energieverschwendung in der Energiekrise! Die Organisatoren beschwichtigten, die meisten Saunen würden mit Schaffhauser Holz geheizt und jene, die Strom brauchen, mit Ökostrom.
Während dem Event hören wir dann aber kaum Kritik. Die Blicke, die man sich im Bademantel bei kühlen Temperaturen einfängt, sind mehr mitleidig-amüsiert als klimapolitisch besorgt.
Zwei Frauen, die neben uns in der Vordergasse stehen und zwei Männer beobachten, die aus der Sauna in das inzwischen trübe Wasser des Tellbrunnens steigen, fragen sich lediglich, ob das wirklich gut für die Gesundheit sei. Aber da ist es mit dem Saunamarathon wie mit der Fasnacht: Da geht auch niemand hin, um gute Musik zu hören.