Hans Bührer war nicht nur ein populärer Maler. Er war auch ein eigensinniger Individualist. Eine Neubetrachtung 50 Jahre nach seinem Tod.
Ab den Vierzigerjahren zog sich eine Linie durch die bürgerlichen Wände der kleinen Stadt Schaffhausen. Den Pinsel führte der Kunstmaler Hans Bührer. Er malte ruhige Landschaften und Porträts mit vertrauten Zügen, die sich der gehobene Mittelstand in die Stuben und in die Büros hängte. Familien liessen ihre Kinder von Hans Bührer porträtieren, die Kritik lobte sein Können und seinen «Blick für das Wesentliche».
Auch 50 Jahre nach seinem Tod ist Bührers Werk noch in bester Erinnerung, wie sich an einer Rückschau im Neuhauser Trottentheater Ende Oktober zeigte. Und was auch klar wurde: Hans Bührer ist ein Phänomen. Schon in jungen Jahren hatte er es mit seinen bescheidenen, beseelten Werken, die auch manche Amtsstube zierten, zu grosser Popularität gebracht. Mit einem «Bührer» konnte man offenbar nichts falsch machen. Doch was steckt hinter der Traulichkeit?
Gräbt man etwas tiefer, zeigt sich in der genehm erscheinenden Malerei das Schaffen eines Individualisten – der sich in seiner Überzeugung zeitweise gar vom öffentlichen Schaffhauser Kunstleben abwandte.
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Hans Bührer war von Anfang an ziemlich erfolgsverwöhnt. Dabei war sein Weg alles andere als einfach. Er wurde 1907 in ärmlichen Verhältnissen in Zürich geboren. Als der Vater, ein Eisendrechsler, in frühen Jahren verstarb, zog die Familie wieder zurück in ihre alte Heimat Neuhausen am Rheinfall. Die Mutter musste ihre drei Kinder alleine durchbringen und sass oft bis spät in die Nacht über ihren Näharbeiten. Hans machte nach der Schule eine Lehre als Flachmaler. Früh schon wurde sein künstlerisches Talent erkannt und gefördert. Nach Lehrabschluss besuchte er die Kunstgewerbeschule in Zürich und wurde von Mentoren unterstützt. Der einflussreiche Schaffhauser Künstler Hans Sturzenegger öffnete dem Jungspund die Tür in die Bürgerhäuser und in den Schaffhauser Kunstbetrieb. Bald schon konnte Bührer von seiner Arbeit als Kunstmaler leben und fand interessanterweise gar Beachtung in der nationalen Kunstszene.
Frisch verheiratet, unternahm Bührer 1939 mit seiner Frau Paula Moser eine einjährige Studienreise durch Italien, welche ihm von einem lokalen Mäzen, dem damaligen Direktor der Aluminium Industrie AG, gesponsert wurde. Als er zurückkam, wurde er wieder mit offenen Armen empfangen: «Unser junger Schaffhauser Künstler ist von seiner Italienfahrt heimgekehrt», jubelte die Schaffhauser Presse. Sie feierte, dass Bührer sein Können weiterentwickelt hatte, ohne eine unerwartete Richtung einzuschlagen. Er sei «ein Sohn unserer Heimat», der seine eigenen Augen in den Süden mitgenommen habe und weiterhin das festhielt, was er sah. Denn dafür war der stille Schaffer Bührer bekannt und beliebt: Dass er die Menschen und die Dinge in ihrem Kern erfasste, schlicht und ohne Effekthascherei – so, wie es seinem bescheidenen und tiefgründigen Wesen entsprach.
Doch erstaunlicherweise zog sich der Publikumsliebling der Schaffhauser Malerei nach 1941 aus der öffentlichen Kunstszene zurück. Jahrzehntelang präsentierte er seine Werke nicht mehr umfassend im Museum zu Allerheiligen. Was war geschehen?
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Besuch an der Zentralstrasse in Neuhausen, wo Hans Bührer einst wohnte und arbeitete. Heute lebt seine jüngste Tochter Barbara Bührer mit ihrer Familie in dem Haus. Sie verwaltet zusammen mit Partner Matthias Wohlgemuth den Nachlass des Vaters. Bührer ist Gemälderestauratorin, Wohlgemuth Kunsthistoriker. Die beiden sagen, alles deute daraufhin, dass Hans Bührer seine Abstinenz vom Museumsbetrieb selbst gewählt hatte.
Es war die Zeit, als die Moderne Einzug hielt. Max Gubler feierte mit seinem kühnen expressiven Stil Erfolge und fand Nachahmer. «Ganz Schaffhausen gublert», habe ihr Vater damals gesagt, erinnert sich Barbara Bührer. Auch der politische Luzerner Plakatkünstler Hans Erni eroberte das hiesige Publikum. Stadtpräsident Walter Bringolf liess sich in heroischer Pose von Erni porträtieren und holte ihn für eine viel beachtete Ausstellung nach Schaffhausen. Die Schaffhauser Nachrichten schrieben, die an der Vernissage anwesenden Damen hätten «ihre Rücken entblösst, damit der umschwärmte Hans Erni sein Autogramm auf die nackte Haut schreiben konnte».
Erni hatte einen dramatischen, stereotypen Stil – das, was manche manieriert nennen würden. Ganz anders als Hans Bührer. «Ein Künstler wie Hans Bührer, der seine Beobachtungen immer wieder auf den Prüfstand stellt, lehnt eine solche Haltung grundsätzlich ab», sagt Kunsthistoriker Matthias Wohlgemuth. «Man hat das Gefühl, die Moderne habe Hans Bührer nicht gepasst. Es scheint, als habe er ihr seine Kunst nicht öffentlich gegenüberstellen, seine Werke nicht in diesem Diskurs verteidigen wollen.»
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Hat sich Hans Bührer von der Moderne verunsicheren lassen in seinem Schaffen? Hat er sich angepasst?
Matthias Wohlgemuth entgegnet: «Normalerweise spürt man im Werk, wenn ein Künstler eine fundamentale Verunsicherung erlebt. Bei Hans Bührer ist die Entwicklung hingegen völlig kontinuierlich in sich selbst. Sein Stil wird immer etwas freier, lockerer und farbiger.» Das sei eine Entwicklung, die eigentlich der eines Malers im 19. Jahrhundert entspreche. «Claude Monet zum Beispiel: Sein Frühwerk ist ziemlich dunkel, realistisch – und löst sich dann immer mehr in den optischen Phänomenen und Lichtreflexen auf, bis hin zu seinen impressionistischen Seerosen-Bildern.» Hans Bührer habe sich nicht ablenken oder zu Experimenten ermutigen lassen. Seine Position sei ganz klar anti-avantgardistisch gewesen.
1967, zu seinem 60. Geburtstag, sagte Hans Bührer nach all den Jahren der selbstauferlegten Absenz schliesslich für eine Einzelausstellung im Museum zu Allerheiligen zu. Dass er sich durchaus mit der Moderne auseinandergesetzt hatte, ergibt sich aus der Vernissagenrede, die sein Freund und Arzt, Karl Lämmli, hielt. Bührer habe sich schonungslos der Frage gestellt, ob und inwiefern sein Malen heute noch aktuell sei. Und der damalige Museumsdirektor Max Freivogel schrieb in seinem Vorwort zum Ausstellungskatalog: «Der Vorstand des Kunstvereins war froh, als Hans Bührer bereit war, wieder ins Kunstleben unserer Stadt zurückzukehren. Nicht als verlorener Sohn, sondern als einer, der in fester Treue zu sich selber sich abseits gehalten hatte, um seinen Weg gehen zu können.» Die Ausstellung erinnere daran, dass die wesentliche Frage gegenüber Bildern nicht die sei, «ob Bilder modern oder nicht modern, sondern ob sie gut oder nicht gut seien.»
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Schliesslich aber hatte Hans Bührer auch gar keinen Anlass, sich den Zeichen der Zeit zu beugen. Er konnte seine Bilder immer verkaufen. Bührer hatte auch in späteren Jahren so volle Auftragsbücher, dass andere wohl nur staunen konnten. Ein Bührer-Bild war offenbar ein sicherer Wert und das Selbstbewusstsein des Kunstmalers schien nicht gelitten zu haben. Als er etwa eine neue Bernina-Nähmaschine für die Familie kaufte, soll er dem Krämer angeboten haben, mit einem Bild anstatt mit Geld zu bezahlen – was letzterer angenommen habe.
Barbara Bührer vermutet, dass Hans Bührer auch aus einem anderen Grund leisegetreten war: Ihr Vater hatte in den letzten 17 Jahren seines Lebens ein Herzleiden und wurde von Arzt Karl Lämmli angewiesen, sich zu schonen. «Er hörte zum Beispiel auf, Schach zu spielen, um sich nicht zu sehr zu enervieren», sagt Barbara Bührer. Und wenn die Familie ins Unterengadin reiste, wo sie jeweils die Sommerferien verbrachte, sei sie auf ärztliche Empfehlung jeweils über das Toggenburg gefahren, weil man das Auf und Ab des Höhenklimas als heilsam erachtete.
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An der Werkrückschau zu Hans Bührers 50. Todestag im Trottentheater am vergangenen Sonntag zeigte Barbara Bührer eine Seite aus ihrem Poesiealbum aus der Schulzeit. Ihr Vater hat darauf ein Bild mit Farbstiften gemalt: einen Alpabzug im Unterengadin mit einer farbigen Schar von Geissen. Hans Bührer habe immer gepredigt, sich die Farben genau anzuschauen und nicht einfach jene zu wählen, die man als Klischeefarbe – ein Baum ist braun, ein Stein ist grau – im Kopf habe, erzählt Barbara Bührer vor dem Publikum. So sind denn die Schatten der Ziegen, die Hans Bührer ins Poesiealbum der Tochter malte, violett, der Zaun ist blau. Das habe zu Streit geführt mit ihren Gspändli: Der Vater könne ja gar nicht gut zeichnen.
Zum Bild schrieb Hans Bührer einen Vers aus einem Gedicht von Gottfried Keller. Es ist ein Spruch, der gut zur Beschränkung passt, die er sich selbst auferlegte.
Tue frei und offen, was du nicht willst lassen,
Doch wandle stets auf selbstbeschränkten Wegen
Und lerne früh nur deine Fehler hassen!
Der Rebbauverein hat zum 50. Todestag von Hans Bührer zusammen mit Barbara Bührer und Matthias Wohlgemuth eine Broschüre mit Bildern von Hans Bührer herausgegeben. Diese kann hier bezogen werden: nhrebbau@gmail.com