Nora Leutert zum überdenkenswerten Wahlkampf der Schaffhauser Wirtschaftskammer.
Haben Sie’s auch gesehen? Die Schaffhauser Industrie- und Wirtschafts-Vereinigung (IVS) empfiehlt Thomas Minder zur Wahl in den Ständerat. Ihr Logo prangt auf der Wahlwerbung der FDP und SVP.
Dass die IVS Thomas Minder unterstützt, ist verwunderlich. Denn dieser steht ganz und gar nicht für die Werte und die wirtschaftlichen Interessen der grossen Firmen, welche die Wirtschaftskammer unter anderen vertritt. So wettert Minder etwa wie kein Zweiter über die Zuwanderung, während die Schweiz mit Fachkräftemangel kämpft.
Nina Schärrer, IVS-Kommunikationsverantwortliche, sagt auf Anfrage, der Vereinsvorstand habe im Sommer den Grundsatzentscheid gefasst, die bürgerlichen Parteien zu unterstützen. Im zweiten Wahlgang habe er sich nicht erneut mit den Kandidaturen befasst.
Doch das Zeichen, das der einflussreiche Verein aussendet, ist gewichtig. Sein Logo, das die Minder-Wahlinserate schmückt, ist ein Gütesiegel.
Noch interessanter als die Wahlempfehlung der Wirtschaftskammer ist dabei die Tatsache, dass sie überhaupt in einem politischen Wahlkampf mitmischt.
Die IVS ist nicht einfach ein exquisiter Club von Privatunternehmen. Zu den Mitgliedern gehören viele Staatsbetriebe. So etwa die Spitäler Schaffhausen, die Schaffhauser Kantonalbank oder die VBSH. Auch die Elektrizitätswerke, die Sasag und die Etawatt, welche zu einem grossen Teil dem Kanton oder der Stadt gehören, sind bei der IVS dabei.
Als Mitglieder zahlen sie alle Jahresbeiträge, und zwar nicht zu knapp: 16 Franken pro Mitarbeiterin. Die Kantonalbank zahlt somit im Jahr 2023 für ihre Mitgliedschaft laut eigener Angabe 5216 Franken, bei den Spitälern beläuft sich der Beitrag auf rund 22 400 Franken. Mit 247 582 Franken unterstützten die 240 Mitglieder die IVS vergangenes Jahr.
Wird ein Teil dieses Gelds dafür gebraucht, politisch Einfluss zu nehmen?
Nina Schärrer von der IVS beschwichtigt und sagt gegenüber der AZ, die Mitgliederbeiträge würden nicht ungefiltert in die Wahlkampf- und Abstimmungsfinanzierung fliessen. Die finanzielle Unterstützung der Parteien komme aus einem Topf, in welchen ausschliesslich rein privatwirtschaftliche Unternehmen einzahlen würden. Das habe man vor einigen Jahren so aufgedröselt, als die IVS beschlossen habe, ihr politisches Engagement zu intensivieren. Ergo würden die staatsnahen Betriebe die politischen Aktivitäten des IVS heute nicht mitfinanzieren.
Doch das ist ein Scheinargument. Welcher interne Topf genau wofür verwendet wird, spielt im Grunde keine Rolle.
Die Staatsbetriebe – und damit die Schaffhauser Bevölkerung – stützen und finanzieren die IVS durch ihre Mitgliedschaft mit, sie machen die Wirtschaftskammer gross und mächtig. Die IVS hat sich gewandelt, sie hat sich in den vergangenen fünf Jahren aktiv bei Wahlen und Abstimmungen eingeschaltet. Und die Staatsbetriebe? Die sitzen aus Tradition weiterhin im Verein.
Ausserdem ist Andreas Gattiker in seiner Funktion als Direktor der Spitäler Schaffhausen traditionellerweise im Vorstand des IVS, ebenso EKS-Direktor Thomas Fischer. Die beiden machen dort im Namen der Öffentlichkeit Politik.
Wir finden das gelinde gesagt überdenkenswert.