Dorfpunks im Legoland

2. November 2023, Kevin Brühlmann
Plötzlich coole Buben: Lenz, Fisch, Rämi (von links), 1988 © Yvon Baumann

Sie waren Dorfpunks. Mit Der Böse Bub Eugen wären sie beinahe Rockstars geworden. Dann zerfiel die Band, und die einstigen Freunde schwiegen sich an. Bis jetzt.

«Die Zeit tropft von den Wänden / Und füllt sein Glas / Hier riechts nach verfaulten Geschichten / Und nach Namen, die keiner mehr nennt / Man spricht nicht gern von früher.»
– Der Böse Bub Eugen: «Verfaulte Geschichten», 1988

Prolog: Verfaulte Geschichten

Dies ist eine Geschichte von der Punkwelle, die irgendwann in der Provinz brandete. Und eine Geschichte von Dorfpunks, die Musik machten, die die Leute in den Städten begeisterte. Ihre Band hiess Der Böse Bub Eugen. Fast wären die Dorfpunks Rockstars geworden.

1989, auf dem Höhepunkt, fuhren sie für eine Deutschlandtournee nach Bonn. Als sie dort ankamen, stieg der Bassist in den nächsten Zug und fuhr zurück in die Provinz, und die Band zerfiel, und nie mehr sprachen die Bandmitglieder über das, was passiert war.

Über dreissig Jahre später meldete sich ein Fan bei der Band. Er sagte, er wolle eine Best-Of-Platte vom Bösen Buben Eugen herausgeben, er würde die Produktion auch bezahlen. Erst waren die Bandmitglieder skeptisch. Sie hatten keine Lust, sich als die letzten echten Helden zu inszenieren. Aber der Fan war sehr überzeugend, und letztlich überwog die Neugier, ein vergangenes Ich kennenzulernen. Die Best-Of-Platte heisst «Vielleicht auch ganz anders» und beinhaltet 25 Songs.

Lenz und Rämi setzen sich an einen Tisch im Garten einer Bar in Zürich und rauchen. Rämi war Sänger, Gitarrist, Texter und Songschreiber. Lenz Bassist, Songschreiber und Sänger.

Beide packen viel Hirn in ihre Sätze. Die Geschichten tropfen langsam auf den Tisch. Nach der Trennung der Band sprachen sich Lenz und Rämi nicht mehr wirklich. Erst mit der Zusammenstellung des Best-Of kamen sie sich wieder etwas näher. Und das Hirn scheint dazu da, diese Nähe nicht gleich wieder kaputtzumachen.

«Rämi und ich waren symbiotisch», sagt Lenz. «Wir waren die besten Jugendfreunde. Mit unseren Songs war ich emotional so verknüpft, dass ich mir ein Leben ausserhalb nicht vorstellen konnte. Aber du entwickelst dich. Mit 25 Jahren bist du nicht mehr dein 18-jähriges Ich.»

«Wir machten Musik beim Erwachsenwerden», sagt Rämi. «Die Musik beim Erwachsensein ist eine andere.»

Wie es im Song «Verfaulte Geschichten» heisst: Was war gewesen? Und was gibt es noch zu tun?

Kapitel 1: Ölabelass! Kaffhausen ist senil

Am Anfang war der Lärm. Eine Punkband namens Der Pein probte im Keller eines Schulhauses in Thayngen. Ein altes Kaninchengehege diente als Kommode. Gemeindearbeiter Wipf sammelte Unterschriften in der Nachbarschaft, weil er sich an der Musik störte. Der Kopf der Band nannte sich Rämi Hämorrid. Ein grosser Junge mit wilden Haaren, Brille und einer Überzeugung, mit der er seinen Freunden ständig in den Ohren lag: «Wir müssen was machen.»

In den Zeitungen war fast täglich von Atomwaffentests zu lesen, von nuklearer Aufrüstung im Westen und im Osten, von saurem Regen, und viele Weltverbesserungshippies von 1968 hatten sich für transzendentale Trips in ihren eigenen Echoraum zurückgezogen oder waren bereits zu irgendwelchen guten Jobs gekommen. Eine ganze Reihe seltsamer Dinge war also passiert, als die Sex Pistols sangen: «There’s no future – no future for you».

Als Rämi Hämorrid von den Sex Pistols erfuhr, hiess er noch Stephan Ramming. Er lebte bei seinen Eltern in einem Haus am Dorfrand. Er spielte im Fussballclub und war Pfadfinder. Zur Konfirmation erschien er mit einem Pin von Nina Hagen und zum Training mit bunt bemalten Jeans.

An einem Morgen im Mai 1980, als sich Rämi ein Butterbrot schmierte, um dann zur Kantonsschule aufzubrechen, hörte er im Radio von den Opernhauskrawallen in Zürich. Strassenschlachten zwischen Polizei und Jugendlichen, Tränengas, kaputte Schaufenster. Es gab kein Zürich in Thayngen. Aber es gab Mopeds.

Mit drei Freunden gründete Rämi Der Pein, die erste Punkband der Region. Seitdem hiess er Rämi Hämorrid. Er brüllte in einen Kassettenrekorder hinein, den er zu einer Gesangsanlage umfunktionierte. Ausser dem Gitarristen konnte niemand ein Instrument spielen. Und das zelebrierten sie. Je rasender sie ihr Instrument prügelten, desto besser. Die Punks, die ihnen zuhörten, schrien: «Schneller, härter!»

Die Thaynger Punks nannten die Stadt Kaffhausen. Überhaupt schufen sie eigene Begriffe, die nur sie verstanden: Öl (Bier), Ölabelass (zum Wohl), senil (schlecht, doof), gülden (geil).

Rämi reiste nun öfter nach Zürich, wo es weiter zu Demos und Strassenschlachten kam. In der Schule geriet er unter den Gefrierpunkt. Einer seiner Punkerkollegen verschwand für ein paar Wochen im Autonomen Jugendzentrum in Zürich, und andere auffällig gewordene Freunde aus Thayngen wurden in die Psychiatrie gesteckt.

Der Pein spielte ein paar Konzerte. Die Jungs – mit Ausnahme von Rämi, der sich nichts aus Alkohol machte und abstinent lebte – soffen sich den Lack ab. Als das Konzert losgehen sollte, spielte jeder einen anderen Song, sofern er das Glück hatte, sich überhaupt noch an irgendwas zu erinnern. Das reichte Rämi. Er borgte sich einen Leiterwagen aus und holte seine Gesangsanlage aus dem Bandraum. Dann kaufte er sich eine Gitarre, brachte sich einen Barrégriff bei, der schön lärmte, lernte «Mongoloid» von Devo und war bereit für ein neues Abenteuer.

Kapitel 2: Ein Leichenwagen fährt vorbei

Rämi sass zuhause und hörte die erste Single einer neuen deutschen Band namens Die Ärzte. Er war begeistert. Auf der Plattenhülle war eine Telefonnummer abgedruckt. Rämi rief an. Farin Urlaub, der Sänger der Ärzte, meldete sich am anderen Ende der Leitung. Sie vereinbarten eine kleine Tour durch die Schweiz. Denn Rämi hatte eine neue Band gefunden.

Laurenz Müller war in derselben Klasse wie Rämi an der Kantonsschule gelandet. Alle nannten ihn Lenz, ein auf den ersten Blick verträumter Junge voller lustiger Ideen. Lenz kam auch vom Dorf, aus Dörflingen, und spielte Bass. Von seinen Eltern sog er die unterschiedlichste Musik auf, Orgeln, Klassik, Blues; aber jetzt interessierte er sich für Punk. Rämi und Lenz wurden Freunde und fingen an zu proben. Sie kamen auch zu einen Schlagzeuger. 1983 sollten sie einen Sommer lang die Musik für das erste Schaffhauser Sommertheater spielen. Ein Kantilehrer empfahl ihnen einen rothaarigen vierzehnjährigen Jungen, Martin Fischer alias Fisch, ein angehender Malerlehrling. Fisch kam und blieb.

In einer langweiligen Lateinstunde zeichnete Lenz ein Strichmännchen und schrieb «Eugen» dazu. Rämi ergänzte: «Der Böse Bub». Das gefiel ihnen. Einem Buben konnte man nicht lange böse sein.

Der Böse Bub Eugen probte in einem Luftschutzkeller im Breite-Quartier. Als Jürg Odermatt, damals um die 20 Jahre alt, die Treppe hinunterstieg, hörte er von Weitem dumpfen Lärm. Dann öffnete er die Tür, und die Musik haute ihn beinahe um. Es war laut, roh. «Eine Art Erweckungserlebnis», sagt Odermatt noch heute.

Odermatt drehte ein Musikvideo für das Eugen-Lied «Leichenwagen». Fisch, die Haare bis auf einen Büschel kurz geschoren, füttert eine Puppe mit Erbsen aus der Dose, dann schneidet er ihr die Finger ab. Lenz rast auf einem Dreirad durch die Altstadt, die Puppe im Anhänger. Rämi, in einen langen schwarzen Mantel gehüllt, wirft die Puppe in ein Grab. Und dann singt Rämi: «Der Totengräber spuckt ins Grab, das war der letzte an diesem Tag.»

«Leichenwagen» wurde nicht im Radio gespielt. Dafür «Der lange Mann», eine Detektivnummer, dem der Böse Bub einen jazzigen Touch verpasste.

Die ersten Lieder nahmen sie im Übungsraum auf Kassette auf. Auch «Butterbrot». Dann standen Lenz, Fisch und Rämi auf der Bühne, Bierwolken überall, unten grölten die Punks mit ihren Nietengürteln, bereit für Krawall, und Rämi sang: «Streich die Butter auf das Brot und beiss rein / Schnaps und Bier, ja, da pfeif’ ich drauf / Lieber trinke ich meine Milch.» Die Punks waren irritiert.

«No future – dieser Refrain war geschrieben», sagt Rämi und zündet eine Zigarette an. «Wir wollten etwas Neues machen.»

«Durchs Beschreiben der Umgebung legten wir Ungutes offen», sagt Lenz und dreht eine Zigarette. «Aber wir verstanden es nie als Anklage. Uns interessierte Absurdes, Unausgesprochenes.»

«Natürlich vertraten wir eine Haltung», sagt Rämi. «In Baden wollten Naziskins einmal unser Konzert kapern. Da stiegen wir von der Bühne und warfen sie raus.»

Die Ärzte reisten im Mai 1984 in die Schweiz. Sie kamen bei Rämis Eltern in Thayngen unter. Das erste Konzert spielten Die Ärzte und Der Böse Bub Eugen in Basel. Aber kaum jemand tauchte auf. Dann fuhren sie in die Rote Fabrik nach Zürich. Nach drei, vier Liedern stürmten Naziskins die Bühne und prügelten Die Ärzte aus dem Saal. Am freien Tag gingen sie auf eine Weidlingstour auf den Rhein. Farin Urlaub fiel ins Wasser. Am letzten Abend stand ein Gig im Fass-Keller in Schaffhausen an. Die Ärzte waren gereizt, und als ein Punk auf die Bühne spuckte, knallte ihm der Ärzte-Bassist Sahnie den Bass an den Kopf. Der Abend endete in einer Keilerei.

Auf der zweiten Auflage der ersten Ärzte-Single war keine Telefonnummer mehr abgedruckt. Aus den Ärzten wurden Popstars. Im Herbst 1984 unterschrieben sie einen Plattenvertrag bei einem grossen Label, irgendein Regisseur wollte einen Jugendfilm mit ihnen drehen, und sie kamen auf die Titelseite der Bravo. Da stand über Farin Urlaub, er schwöre, radikaler Anti-Alkoholiker zu sein und täglich zwei bis drei Liter Milch zu trinken.

Kapitel 3: Heimwehkompressor (Pirmin)

Anfang der 1980er Jahre war Punk totgelaufen – Punk als ästhetische und politische Explosion, als Ausdruck einer Frustration, als radikale Verweigerung. Punk als Produkt war grösser denn je. Die Konsummaschinerie hatte sich um eine Dimension von Lederjacken und Gesichtern voller Sicherheitsnadeln erweitert.

Diesen Raub unterlief Der Böse Bub Eugen mit dem ersten Album «Regen im Park», das 1986 erschien. Auf dem Plattencover war Lenz abgebildet, wie er auf einer Bank sitzt und Handorgel spielt.

Ein Heimwehkompressor in einer Punkband? Kann man dorftrottelige Anti-Coolness offensiver anpreisen?

Lenz bekam die Handorgel in die Finger. Und Fisch hatte Geld für ein Marimbaphon gespart. Die neuen Instrumente trugen den schönen Song «Gaudenz meint»: Gaudenz schaut zum Fenster hinaus. Die Berge sind noch am selben Ort. Er isst Brot. Alles wie immer. Aber dann fragt er sich: Warum schmeckt heute die Suppe nicht? Ging hier also doch irgendetwas nicht auf?

Alltägliches so lange beobachten, bis es zu einer Antithese des Alltäglichen wird: Darin war der Böse Bub uneinholbar. Er brauchte nicht einmal Metaphern. Viele Texte wirken zeitlos gegenwärtig.

Immer wieder trat Der Böse Bub mit den Goldenen Zitronen auf. Damals waren die Goldies eine flippige Funpunkband, die Angebote von grossen Labels und für Bravo-Homestories erhielt. Die höchsten aller Kapitale im damaligen Musikmarkt. Die Goldenen Zitronen wollten dieses Spiel nicht mitspielen und blieben «für immer Punk», wie sie 1987 sangen.

«Der Böse Bub Eugen und wir waren unheimlich verwandt», sagt Schorsch Kamerun, der Kopf der Zitronen, am Telefon. Er klingt, als habe er jahrelang auf diesen Anruf gewartet, in der Hoffnung, seine vor langer Zeit vorbereitete Würdigung des Bösen Buben vorzunehmen. «Verwandt vor allem in der Hinsicht, wie wir mit Sprache umgingen. Wir wollten uns in der Muttersprache ausdrücken, sehr explizit und scharf. Man brauchte diese Deutlichkeit, um eine Entfremdung zu zeigen. Und um sich darüber lustig zu machen.»

Kann er dieses Gefühl der Entfremdung beschreiben?

«Du bist im Begriff, erwachsen zu werden», erklärt Kamerun. «Dann schaust du die Welt der Erwachsenen an und denkst: Das ist es jetzt? Das ist euer Angebot? Wirtschaftswunder, Ellenbogen, Wachstumsprinzip –» Kamerun referiert einige Minuten über die Abgründe einer Gesellschaft, deren Wirtschaft immer weiter wachsen muss und dabei die Umwelt und die Gesundheit der Menschen zugrunde richtet, um dann zurück zur Musik zu kommen und zum Bösen Buben Eugen. «Wir dachten: Das ist ja lächerlich. Ich verstehe schon, dass man nach den harten Kriegsjahren mal wieder Butter aufm Brot haben wollte. Aber das sollte alles sein? Dieses Unbehagen spürte Der Böse Bub Eugen intuitiv. Indem sie die Banalitäten dieser Gesellschaft besangen, schufen sie eine Irritation. Das fand ich interessant. Und sie hatten etwas Dandyeskes. Eine feine Art. Bisschen melancholisch. Total uneitel auch.» Kamerun hält inne und wiederholt: «So uneitel! Vom Bösen Buben haben wir gelernt: Man muss nicht immer laut und spöttisch sein. Schade, dass sie so früh aufgehört haben.»

Der Böse Bub lehnte die Provinz ab und er mochte sie. Als 1988 die olympischen Winterspiele anstanden, schrieb er ein Lied über Pirmin Zurbriggen. Der Skiheld mit dem «Knie der Nation» hatte den Papst besucht und gesagt, Kondome seien des Teufels. Im Song «Pirmin» wurde Zurbriggen derart übertrieben naiv gelobt, dass man den Kult um den Skihelden aushöhlte und gleichzeitig nährte.

Kapitel 4: Fast-Rockstars im Legoland

Frühjahr 1989. Der Böse Bub Eugen nahm das letzte Album auf, «Himmel, Hölle und der Fisch». Rämi studierte seit einigen Jahren Germanistik in Zürich. Daneben arbeitete er im Plattenladen Jamarico oder schrieb Artikel für Zeitungen. Lenz verdiente Geld bei archäologischen Ausgrabungen und übte Klarinette, um es ans Konservatorium zu schaffen. Fisch hatte ein Schlagzeugstudium begonnen.

Plötzlich wirkten die einstigen Dorfpunks irgendwie cool. In dunklen Jacken posierten sie auf einem Friedhof. Wallende Haare. Blicke, die sagen: Wir sind nicht von dieser Welt. Fast wie eine Metalband. Und so hart spielten sie auch.

Ihre Musik klang nun wie eine Mischung aus den Toten Hosen und den Ärzten – bevor diese Bands klangen, wie sie später klangen. «Himmel, Hölle und der Fisch» schoss mitten in eine argwöhnische Stimmung kurz vor dem Mauerfall. Auf «Legoland» sang Lenz: «In jeder Wohnung ein Agent versteckt / Und hinter jedem Baum / Steht der Weihnachtsmann ganz lieb / Auch du wirst ihm vertrauen / Alles ruhig im Legoland.» Schwere Gitarren, und das Schlagzeug: eine tonnenschwere Nähmaschine mit Extrahall.

War «Himmel, Hölle und der Fisch» – weite, grosse Rockmusik – der Versuch, die Provinz hinter sich zu lassen?

Mit dem neuen Album stand eine Tour mit den Goldenen Zitronen an. Das erste Konzert sollte in Bonn stattfinden. Lenz, Fisch und Rämi fuhren mit dem Bus los. Es muss eine merkwürdige Fahrt gewesen sein. Irgendwie hatten sie den Durchbruch vor sich. Und irgendwie sträubten sie sich unbewusst dagegen. Sie hatten nicht mal einen Manager. Auf dem Promomaterial für die Platte waren noch immer Rämis Telefonnummer und Adresse abgedruckt.

«Jeder ist extrem unersetzlich, denn Eugen lebt von der extremen Unterschiedlichkeit der drei Musiker», erklärte Rämi 1988 in einem Interview. «Eigentlich haben wir immer ein ziemlich angespanntes Verhältnis untereinander, und es ist oft schwierig, dass das Ganze im Gleichgewicht bleibt. Aber andererseits gibt diese Reibung auch unheimlich Energie ab.»

Als die Band in Bonn ankam, schlich Lenz ab, ohne jemandem etwas zu sagen, hockte in den nächsten Zug und fuhr zurück nach Schaffhausen. Später trafen sich die Bandmitglieder noch einmal. Aber sie wussten nicht, wie es weitergehen sollte. Die Band zerfiel. Rämi und Lenz sprachen sich über dreissig Jahre lang kaum mehr. (Fisch und Rämi machten als Eugen weiter Musik, ohne den Bösen Buben.)

Kapitel 5: 30 Jahre (verdammt lange her)

Die Gläser in der Gartenbeiz in Zürich sind schon lange leer. Inzwischen hat sich Yvon Baumann zu Rämi und Lenz gesetzt. Sie kam zufällig vorbei. 1989 hatte sie die Band fürs Cover des letzten Albums auf dem Friedhof fotografiert.

Auf diesem Cover gaben sie sich wie Popstars. Aber wollten sie überhaupt Popstars werden?

Nein, sagt Lenz, und auch Rämi schüttelt den Kopf.

«Ach was», sagt Yvon Baumann. «Rämi schon.»

«Der Business-Aspekt war mit ein Grund, warum ich aufhörte», sagt Lenz. «Ich hatte ambivalente Gefühle zur letzten Platte. Auf der letzten Tour waren wir krass geladen. Musikalisch, zwischenmenschlich. Beim Spielen jagte es die ganze angestaute Energie in einem Affentempo raus.»

«Wir konnten nicht begreifen, dass unsere Basis nicht mehr unsere Jugendfreundschaft war», sagt Rämi. «Ich meine, die Toten Hosen tun immer noch so, als seien sie die besten Freunde. Zusammen ins Grab. Dabei ist die Band eine Firma, in der jeder seinen Job erfüllt.»

Seit gut zwanzig Jahren arbeitet Rämi als Sportredaktor bei der NZZ am Sonntag. Heute beherrscht er vielleicht noch einen Griff auf der Gitarre. Lenz unterrichtet Mathematik an einem Gymnasium. Das Musikmachen hat er nie aufgegeben. Die meiste Zeit spielt er für sich. Gerade übt er Lieder vom Bösen Buben Eugen. Allein am Klavier, singend. Bald möchte er damit auftreten.

Die beiden Freunde, die nach dreissig Jahren Schweigen wieder etwas Nähe gefunden haben, mustern sich mit etwas Abstand. Sie lächeln, wie es Eingeweihte tun. Dann schwingen sie sich auf ihre Fahrräder.

Der Böse Bub Eugen: «Vielleicht auch ganz anders», Vinyl, 45 Franken. Kaufen in ausgesuchten Plattenläden (Halt de Lade, Vinylpunkt u. a.). Oder bestellen: www.klangundkleid.ch. Plattentaufe: Freitag, 3. November 2023, Helsinki, Zürich.