Moskau retour

19. September 2023, AZ-Redaktion
John McGough war Geschäftsführer in Diensten einer russischen Firma, die Zielfernrohre und Visiere für Panzer herstellt. Montage: Robin Kohler
John McGough war Geschäftsführer in Diensten einer russischen Firma, die Zielfernrohre und Visiere für Panzer herstellt. Montage: Robin Kohler

John McGough – SVP-Kandidat für den Nationalrat – arbeitete für den mächtigsten Rüstungskonzern Russlands. Um Medizingeräte zu verkaufen. Sagt er.

Von Kevin Brühlmann und Mattias Greuter

Wenn ein russischer Soldat den Abzug seines Maschinengewehrs drückt, wenn ein russischer Panzer eine Salve abfeuert, wenn ein russisches Flugzeug Bomben abwirft, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein Konzern namens Shvabe beteiligt ist.

Shvabe sorgt dafür, dass der Schuss ins Ziel geht. In Dutzenden Laboren und Fabriken werden – unter anderem – Waffenlenksysteme entwickelt und produziert, oder Laser für Kampfflugzeuge, um Ziel und Distanzen zu messen, oder Nachtsichtgeräte, um den Feind auch bei schlechter Sicht zu treffen, oder Zielfernrohre für Maschinengewehre.

Die Leben des McGough

Im August 2023, als bereits über 60 000 Menschen im Ukrainekrieg getötet worden sind und 17 Millionen Menschen vor der Gewalt geflüchtet waren oder immer noch flüchteten, tauchte John McGough in Schaffhausen auf.

Beziehungsweise: McGoughs Name tauchte auf der Webseite der SVP auf. Als Kandidat für den Nationalrat auf der Liste «SVP International».

Die Informationen, die es über John McGough gibt, sind äusserst bruchstückhaft. Das Internet erstellt folgendes Bild: 76 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, Neigung zu weit geschnittenen Anzügen und bunten Krawatten. Sohn eines britischen Unternehmers, 1980 in die Schweiz eingebürgert, lange Zeit in Basel lebend, später nach Ungarn ausgewandert. Beruflich bald ins Familienunternehmen eingestiegen (Branche unklar), dann laut eigenen Aussagen bei Firmen für Medizinaltechnik involviert, Geschäfte in Ländern Mittel- und Osteuropas sowie in Russland und Asien. Besitzer eines Bauernhofs mit 2000 Schafen ganz im Osten Ungarns, Hobbypilot, Jäger, Sammler von Militärfahrzeugen, Spender eines Löschfahrzeugs für die Feuerwehr eines kleinen ungarischen Orts.

Das Einzige, was sich an diesen Informationen überprüfen lässt: Tatsächlich war John McGough von 2009 bis im Mai 2022 Geschäftsführer und Teilhaber der Firma Shvabe Zürich.

Die Schaffhauser SVP hat offenbar keine Ahnung, warum McGough hier gelandet ist. Parteipräsidentin Andrea Müller verweist an Parteisekretär Mariano Fioretti, und Fioretti verweist an die Organisation SVP International, ein Zusammenschluss von SVP-Mitgliedern im Ausland, und die SVP International lässt unsere Anfrage unbeantwortet.

Wir bitten John McGough um ein Interview. Er antwortet, er erhole sich gerade von einer Operation, werde aber ab dem 11. September in Schaffhausen sein. Dann treffe er uns gern.

Das Büro in Zürich

Das Büro von Shvabe lag im Kreis 1 in Zürich. Die Strasse runter, vorbei an polierten Sportwagen, gelangt man zum Paradeplatz. Die Firma entstand 2007, als kleiner Ableger eines grossen Konzerns.

Shvabe wurde 1917 von der Sowjetunion verstaatlicht. Bis heute ist Shvabe im Besitz des russischen Staats, mittlerweile als grosse Holding-Gesellschaft mit ungefähr 20 000 Angestellten. Neben unzähligen Geräten, die beim Militär eingesetzt werden, stellt Shvabe auch Produkte für den zivilen Markt her, etwa Beatmungsgeräte, Mikroskope oder Kameras.

Um einen Shvabe-Ableger in Zürich zu gründen, brauchten die Russen einen Schweizer. Sie fanden einen Basler, späterer Betreiber eines Rotlichtlokals, und schickten einen Mitarbeiter nach Zürich, der kein Wort deutsch sprach. Der Basler nannte den Russen spöttisch «seinen Spion». Aber weil nicht wie vereinbart Geld geflossen sei, stieg der Basler bald aus (wie die Aargauer Zeitung berichtete). John McGough stieg in die Firma ein.

Dem Handelsregisteramt Zürich gab Shvabe an, man handle mit «medizinischen und geodätischen Geräten» (also für Vermessungen), «Verkehrsampeln und Beleuchtungskörpern» sowie «Waren aller Art».

John McGough hielt sein Gesicht hin. Auf der Webseite von Shvabe Zürich findet man Bilder von ihm, wie er lächelnd, mit schwerem Goldring am Ringfinger, «echte schweizerische Qualität» bewirbt. Die schweizerische Qualität: in Russland hergestellte medizinische Geräte wie Inkubatoren für Neugeborene, Defibrillatoren oder Wärmelampen.

Als wir uns bei Schweizer Spitälern erkundigen – grossen wie den Unispitälern und Kinderspitälern Zürich und Basel, aber auch kleineren wie den Kantonsspitälern St. Gallen, Graubünden, Luzern oder Aargau –, heisst es überall: Noch nie von dieser Firma gehört, noch nie ein Shvabe-Gerät gekauft oder eingesetzt.

Nur das Inselspital Bern bestätigt, zwischen 2013 und 2016 einige Lampen von Shvabe Zürich gekauft zu haben. Insgesamt gab das Spital weniger als 10 000 Franken aus. Auf den Angebotskatalog auf der Webseite von Shvabe Zürich angesprochen, hält Mediensprecher Daniel Saameli Rücksprache mit Ärztinnen und Ärzten. Schliesslich schreibt er: «Die Geräte wirken veraltet. Wir denken nicht, dass die in der Schweiz jemand kauft.»

Wir sind verblüfft. Eine teuflisch gute Geschäftsidee: In der Schweiz eine Firma gründen, um Medizingeräte zu verkaufen, die hier niemand gebrauchen kann.

Shvabe im Krieg gegen die Ukraine

Der Mutterkonzern Shvabe-Holding geriet bald in den Fokus der USA. Erst recht, als Russland die Halbinsel Krim annektierte, und im Donbas, im Osten der Ukraine, von Russland gesteuerte Aufstände begannen, um das Gebiet zu erobern. Die USA setzten Shvabe – neben vielen anderen Firmen und Personen – auf ihre Sanktionsliste. So kamen Oligarchen nicht mehr an Vermögen auf amerikanischen Banken heran, und russische Konzerne durften keinen Handel in den USA betreiben.

Zu dieser Zeit, nach der Besetzung der Krim Anfang 2014, reiste John McGough nach Moskau. Dort verlieh ihm der Präsident der Duma eine Ehrenmedaille. Beim Handschlag mit dem Duma-Präsidenten distanzierte sich McGough im Namen der SVP International von den Sanktionen der Schweiz gegen Russland (auch die Schweiz und die EU hatten bereits Sanktionen verhängt, allerdings nicht gegen Shvabe).

Als Russland die Ukraine im Februar 2022 attackierte, als russische Soldaten wehrlose Zivilisten erschossen und die Leichen wochenlang auf Strassen verwesen liessen, hatte auch dies keine weiteren Konsequenzen für Shvabe.

Erst nach zehn Monaten, im Dezember 2022, sanktionierte auch die Europäische Union den Shvabe-Konzern. In der Begründung hiess es: «Shvabe beliefert die russischen Streitkräfte mit optischen Systemen und Lasersystemen, die im Angriffskrieg gegen die Ukraine eingesetzt werden. Shvabe ist daher verantwortlich für die materielle Unterstützung von Handlungen und politischen Massnahmen, die die territoriale Unversehrtheit, die Souveränität und die Unabhängigkeit der Ukraine untergraben und bedrohen.»

Kurz darauf, Anfang 2023, übernahm auch die Schweiz die EU-Sanktionen, die Shvabe betrafen. Da war das Büro in Zürich schon geschlossen. Shvabe Zürich ging im Mai 2022 Konkurs, drei Monate nach dem Grossangriff Russlands auf die Ukraine. Das bedeutet: Während insgesamt acht Jahren, in denen in der Ukraine Krieg herrschte, konnte Shvabe in der Schweiz Geschäfte machen.

Welche Geschäfte auch immer das waren, sie schienen einträglich zu sein: 2019 flossen laut Eintrag im Handelsregister 8,8 Millionen Franken in die Firma, im Rahmen einer Kapitalerhöhung.

Was ging hier vor? Als wir den früheren Mitarbeiter Igor Nechaev anrufen, der zu einem anderen Shvabe-Ableger in Deutschland gewechselt ist, sagt er bloss: «Ich gebe keinen Kommentar ab. Auf Wiederhören.»

Der Rüstungskonzern

Vielleicht muss man etwas aus John McGoughs Visitenkarte herauszoomen, um zu verstehen, wie Shvabe funktioniert. Die Shvabe-Holding ist nicht nur selbst ein grosser Konzern – sondern Teil von Rostec, einem 700 Firmen umfassenden Koloss im Besitz des russischen Staats. Der zentrale Akteur im militärisch-politischen Komplex Russlands. Fast 500 000 Angestellte. Geleitet von Sergei Tschemesow, eine Art Schattenminister der russischen Rüstungsindustrie und guter Freund von Wladimir Putin seit der Zeit, als sie zusammen für den sowjetischen Geheimdienst in Dresden arbeiteten.

Aber warum sollte Rostec über die Tochterfirma Shvabe ein Büro in Zürich eröffnen? Das fragen wir Pawel Luzin, einen russischen Militärexperten, der Rostec seit vielen Jahren beobachtet.

«Die Schweiz ist traditionellerweise ein wichtiger Ort im sowjetischen und russischen Spionagenetzwerk, Industriespionage inklusive», sagt Pawel Luzin. Lange Zeit lebte er in der Stadt Perm in der Nähe des Uralgebirges, aber letztes Jahr flüchtete er in die USA. Wegen seiner kritischen Analysen der russischen Militärpolitik musste er Repressionen befürchten. Früher schon hatte er den Oppositionellen Alexei Nawalny während dessen Präsidentschaftskampagne zu Armee und Rüstungsindustrie beraten.

Pawel Luzin vermutet, dass der Shvabe-Ableger in Zürich dazu diente, sich Zugang zu modernen Technologien zu verschaffen, zu neusten Materialien und Fachleuten. Shvabe sei zwar der führende Player in der optischen Industrie Russlands, sei aber von Importen abhängig.

Aber, sagen wir, laut Webseite verkaufte Shvabe Zürich nur medizinische Geräte.

«Klar», entgegnet Luzin. «Aber warum verkauft man diese Produkte nicht von Russland aus? Wozu braucht man einen Zwischenhändler? Und wie viel medizinisches Equipment verkaufte Shvabe in der Schweiz?»

Wir erzählen ihm von unserer Umfrage unter Schweizer Spitälern: dass uns nur Verkäufe im Wert von kaum 10 000 Franken bekannt seien.

Luzin verweist auf die russische Webseite des Shvabe-Mutterkonzerns, auf der genau eine Neuigkeit aus der Schweiz zu finden ist: Anscheinend stellte Shvabe einem Berner Spital einige Geräte zu Verfügung. Der Name des Spitals wird nicht erwähnt. Möglicherweise handelt es sich um das Inselspital. Die Meldung stammt vom 8. Mai 2014.

«2014?», wiederholt Luzin. «Wir alle erinnern uns, was Russland damals getan hat. Und Shvabe muss versucht haben, seine Präsenz in der Schweiz um jeden Preis zu behalten. Es geht hier nicht um Business. Es geht darum, eine Tarnung aufzubauen. Eine Tarnung, um Spionage zu verschleiern, um Geldflüsse von Russland zu europäischen Banken zu verschleiern.»

Neutralität (keine Sanktionen)

Am 5. November 2022 traf sich der Rat der Auslandschweizerinnen und -schweizer zu seiner halbjährlichen Sitzung. Das Gremium sieht sich als «Parlament der fünften Schweiz», das die Interessen von Ausgewanderten vertritt.

John McGough ist seit vielen Jahren der Vertreter aus Ungarn im Rat. Immer wieder meldete er sich dort zu Wort, um Themen seiner Partei einzubringen.

Er bewarb die Masseneinwanderungsinitiative, indem er sagte, es gäbe viele Einwanderungsprobleme, Leute, die Gewalt und Prostitution bringen würden. Er bekämpfte den automatischen Informationsaustausch zwischen Schweizer und ausländischen Behörden, der die Aufdeckung von Steuerhinterziehung erleichtern soll. Für die Sitzung im November 2022 reichte McGough einen Antrag ein, in dem er «von Parlament und Bundesrat eine glaubwürdige Neutralitätspolitik» verlangte. Zu diesem Zeitpunkt war Shvabe noch nicht von der EU sanktioniert worden (und darum auch nicht von der Schweiz).

Ein paar Tage vor der Sitzung rief McGough seinen Freund Erich Bloch an. Bloch war ebenfalls im Auslandschweizerrat aktiv. Er ist in Schaffhausen aufgewachsen, engagierte sich in Gewerkschaft und SP. Vor zwanzig Jahren wanderte er nach Israel aus. McGough und Bloch telefonierten öfter miteinander. Trotz unterschiedlicher politischer Haltung mochten sie sich irgendwie.

Nun wollte McGough den Freund für seinen Neutralitätsantrag gewinnen. «John sagte», erzählt Erich Bloch, «die Schweiz müsse absolut neutral bleiben. Aber die Schweiz sei nur neutral, wenn sie die Sanktionen gegen Russland aufhebe. Wir dürften weder direkte noch indirekte Sanktionen mittragen. Ich sagte, dass ich das auf keinen Fall unterstützen werde. Seit diesem Gespräch sind wir verkracht. Er schrieb mir in einer E-Mail, ich sei für ihn kein Freund mehr.»

Als McGough seinen Vorschlag an der Sitzung des Auslandschweizerrats vorstellte, drückte er sich kryptischer aus. «Das wichtigste ist, dass wir ein neutrales Land bleiben», sagte er. Und dann redete er von Kriegszeiten und Internierungslagern, in die Leute aus nicht-neutralen Staaten gesteckt würden, und man könne als Auslandschweizer nicht mehr in die Schweiz reisen. Die Worte Russland und Sanktionen vermied er. Sein Antrag wurde abgelehnt.

McGough schweigt

Wie der Termin fürs angekündigte Gespräch mit John McGough näherkommt, wird unsere Liste an Fragen immer länger. Welche Rolle nahm McGough in diesem riesigen russischen Rüstungskomplex ein? Was passierte im Shvabe-Büro in Zürich? Was erwartete die russische Zentrale von McGough? Was verdiente McGough am russischen Rüstungsgeschäft? Wie viel wusste er überhaupt?

Plötzlich gibt sich John McGough sehr wortkarg. Er wolle kein Interview mehr geben, sagt er am Telefon. Als wir ihm die Fragen per E-Mail schicken, kommt keine Antwort zurück.

Kürzlich rief ihn ein Journalist der Schaffhauser Nachrichten an und erkundigte sich nach seinen Geschäften. Der Krieg in der Ukraine habe ihn viel gekostet, sagte er, da er viele medizinische Geräte in Russland gekauft und herstellen lassen habe; er mache keine Geschäfte mehr mit Russland. John McGough schloss: «Dieses Geschäft ist total zum Erliegen gekommen.» Auch dieses Mal vermied er das Wort Sanktionen.