Schornstein des Anstosses

29. August 2023, Mattias Greuter
Willis Brotladen an der Kamorstrasse 15: für viele im Quartier eine Institution, das Holzofenbrot ein Stück Lebens­qualität. Fotos: Robin Kohler
Willis Brotladen an der Kamorstrasse 15: für viele im Quartier eine Institution, das Holzofenbrot ein Stück Lebens­qualität. Fotos: Robin Kohler

Auf dem Emmersberg ist ein Streit um den Rauch einer Bäckerei entbrannt. Es geht um viel mehr als Brot.

An der Kamorstrasse auf dem Emmersberg ist die Welt noch in Ordnung. Hier wohnen Altlinke, die es nach rebellischer Jungend doch noch zu etwas gebracht haben. Sie schätzen es, dass der Verkehr spärlich und mit Tempo 30 unterwegs ist, und dass zum Eigenheim dennoch ein Parkplatz gehört. Die Generation danach, die den Emmersberg eben noch als Hügel der im Establishment angekommenen 68er verlacht hat, hat sich inzwischen auch hier in Einfamilienhäusern niedergelassen. Vielleicht sind es ihre Kinder, die gerade vom Team des «Spielhuus» in mehrplätzigen Kinderwagen ausgeführt werden. Quartieridylle pur.

Doch jetzt schlagen die Bewohnerinnen Alarm: «Wohlstandsverwahrlosung!»

Es geht um das heimliche Herz des Quartiers: «Willis Brotladen» und den Rauch, der aus dessen Holzofen kommt – oder genauer um Nachbarn, die gegen diesen Rauch vorgehen.

In «Willis Brotladen» steht seit mehreren Jahren nicht mehr Willi Winzeler am Ofen, sondern seine Nichte Madleina Bührer. Ihr Brot gilt als das beste der Stadt, im Quartier ist es eine Institution, für die man Schlage steht. Mehrere Kundinnen haben sich bei der AZ gemeldet und erzählt: Einzelne Anwohner stören sich am Rauch des Holzofens – so sehr, dass sie eine Unterschriftensammlung gestartet haben. Eine Frau sei sogar am Samstag in den Laden gestürmt und habe vor versammelter Kundschaft eine Szene veranstaltet, geschrien, der Rauch sei gefährlich.

In den Schilderungen der Leserinnen geht es um viel mehr als Brot. Um Gewerbe, das aus dem Quartier gemobbt werde, um Zugezogene, welche Althergebrachtes torpedierten, um ein Stück Identität und Heimat. Weil den Willibeck, den gebe es ja seit Jahrzehnten.

Ohne Feuer kein Holzofenbrot

«Es stimmt», sagt Bäckerin Madleina Bührer, sie reduziere den Betrieb. Im Schaufenster und an der Theke hängt eine Information an die Kundschaft: Ab 1. September ist die Bäckerei nur noch am Donnerstag (6.30 bis 12.15 Uhr) und am Freitag (6.30 bis 14 Uhr) geöffnet. Bisher buk sie von Dienstag bis Samstag.

Dass der Ofen am Samstag kalt bleibt, hat zwar auch Kapazitätsgründe, aber ausgelöst wurde die Einschränkung auf zwei Tage durch die Beschwerden einiger Nachbarn über den Rauch. «Ich habe diesen Entscheid getroffen, weil ich keinen Streit will», sagt die Bäckerin.

Sie wählt ihre Worte vorsichtig, will nichts anstacheln und niemandem etwas unterstellen. Kohle aus dem Feuer nehmen, gewissermassen. Der Ärger dringt in ihrer Stimme aber unverkennbar durch.

Ungefähr morgens um vier heize sie ein, am Freitag (und, wenn auch nicht mehr lange, am Samstag) früher und mehrmals. Ihr Holzofen entspricht allen Normen und Vorschriften, spätestens seit Onkel und Vorgänger Willi Winzeler einst einen längeren Kamin bauen liess. Als sie zum ersten Mal eine Beschwerde wegen des Rauchs erhielt, bestellte Bührer auf eigene Initiative die Feuerpolizei, die Messungen anstellte – alles in Ordnung. Doch einzelne Nachbarn sehen beziehungsweise riechen das anders.

Das Ehepaar, das nun eine Beschwerde an die Feuerpolizei initiiert und dafür mit einem Unterschriftenbogen von Tür zu Tür ging, möchte sich gegenüber der AZ nicht äussern. In den SN von gestern Mittwoch beklagte sich der Mann aber, er müsse bei geschlossenem Fenster schlafen: «Warum kann Frau Bührer nicht in einem normalen Backofen Brot backen?»

Solidaritätswelle

Zahlreiche Nachbarn, sie wohnen teilweise näher am Ofen, stellen sich hinter die Bäckerin, auch wenn sie den Rauch je nach Wetterlage manchmal auch riechen. «Das ist ein wenig wie wenn jemand aufs Land zieht und dann merkt, dass es manchmal nach Gülle riecht», bemerkt eine Holzofenbrot-Liebhaberin spitz. Ein anderer, der an der Kamorstrasse aufgewachsen ist, bezeichnet den Initiator der Beschwerde als «überempfindlich» und «notorischen Nörgler». Im Quartier, wo man sich kennt und Neuigkeiten schnell die Runde machen, ist das Urteil gefällt: Es sind einige wenige, für die der Rauch ein Problem ist. Für viele andere ist Bührers Holzofenbrot ein Stück Lebensqualität, man kommt jetzt extra vorbei, um der Bäckerin Solidarität kundzutun.

Sie haben Grund zur Hoffnung. Die Beschwerde, die bei der Feuerpolizei eingegangen ist, wird erneute Messungen zu Folge haben. «Dies wird aber seine Zeit dauern», hat die Bäckerin auf den Zettel im Schaufenster geschrieben, «und deshalb werde ich vorderhand auch Dienstags und Mittwochs nicht backen». «Vorderhand» ist dabei das Schlüsselwort. Darauf ruhen die Hoffnungen derjenigen Nachbarn, für die Bührers Holzofenbrot aus der Quartieridylle nicht wegzudenken ist.