Sesseltanz

18. August 2023, Sharon Saameli
Bild: Catherine / Pixabay, Bearbeitung: Peter Pfister, Sharon Saameli
Bild: Catherine / Pixabay, Bearbeitung: Peter Pfister, Sharon Saameli

Im Herbst wählt Schaffhausen zwei National- und zwei Ständeräte- Die vier Bisherigen treten erneut an – kommt es trotzdem zu Überraschungen? Die Übersicht.

Das Prinzip ist denkbar einfach: Im Kreis werden eine gewisse Anzahl Stühle aufgestellt. Wenn die Musik anläuft, gehen alle Spielerinnen zügigen Schrittes im Kreis um diese Stühle herum. Wird die Musik unterbrochen, pflanzt jede ihren Hintern möglichst schnell auf einen der Stühle. Gelingen kann das allen ausser einer, denn es gibt einen Stuhl zu wenig.

Das Spiel ist mancherorts als Sesseltanz bekannt, andernorts als Stuhlpolonaise oder als «Reise nach Jerusalem». Im Herbst wird es die ganze Schweiz einnehmen: Am 22. Oktober wählt die Stimmbevölkerung das eidgenössische Parlament – und Schaffhausen damit je zwei Menschen für den National- und für den Ständerat. Das Spiel wird indes vielmehr zum Kampf werden, denn für den Nationalrat kandidieren Stand heute 36 Personen sowie deren fünf für den Ständerat. Noch bis am Montag können Wahllisten eingereicht werden.

Unter den insgesamt 41 Spielerinnen und Spielern der «Reise nach Bern» befinden sich auch jene vier, die Schaffhausen in den vergangenen Legislaturen vertreten haben: Hannes Germann (SVP) und Thomas Minder (parteilos in der SVP-Fraktion) im Ständerat sowie Thomas Hurter (SVP) und Martina Munz (SP) im Nationalrat. Die grossen Fragen werden sein: Können die vier Bisherigen ihren Sitz halten? An wessen Stuhl könnte gesägt werden – und aus welcher Richtung?

Der Auftakt

Fest steht: Begonnen hat der Wahlkampf schon längst.
Einen ersten Vorgeschmack erhielten die Schaffhauserinnen und Schaffhauser Anfang April, als der parteilose Neuhauser Thomas Minder Schokolade in alle Briefkästen versandte und auf einem Flyer seine erneute Kandidatur fürs Stöckli kundtat (vier Monate später folgte ein weiterer Flyer mit eigener 1.-August-Rede).

Auch der Wahlkampf der SP begann in den Mägen: Mit Bier und Würsten buhlt sie seit Juni um die Gunst der Wählerschaft und verteidigt damit Martina Munz als Bisherige. Neu sind Linda De Ventura auf dem zweiten Listenplatz und Simon Stocker als Ständeratskandidat – er bringt bestellte Würste dann auch persönlich nach Hause.

Die SVP, die in erster Linie ihre Sitze verteidigen will, startete ihre Vorkampagne auf dem Papier: Im Juli tauchten überall im Kanton hellbraune Plakate mit vorerst anonymem Absender auf, die etwa «mehr 1. August» und «Strassenfeger statt Strassenkleber» versprachen. Mitte Monat bekannte sich die SVP Schaffhausen schliesslich zur Aktion. Für den Nationalrat portiert sie nebst Hurter auch Andreas Gnädinger – zusätzlich tritt die Partei mit vier Unterlisten an.

Die Strategie mit den Listen reizt der Freisinn am stärksten aus: Die FDP und die Jungfreisinnigen gehen mit zehn Personen auf fünf Listen in den Wahlkampf. Die FDP lehnt sich damit an die CVP Aargau an, die vor vier Jahren mit derselben Strategie einen zusätzlichen Sitz im Nationalrat ergatterte. Der Wahlkampf der Partei ist aktuell noch verhalten: Ständeratskandidatin Nina Schärrer tingelt seit Mitte Juni durch die Cafés und Beizen im ganzen Kanton und lädt dort zu Gesprächen mit der Bevölkerung ein – und stellt sich mit ihrem Rockchor zu dessen Jubiläum auf die Bühne.

Um die anderen Parteien blieb es, einmal abgesehen von Ankündigungen von Kandidaturen, bis anhin ruhig. Das dürfte auch so bleiben; das Budget für einen ausführlichen Wahlkampf fehlt ihnen wohl genauso wie eine realistische Chance auf einen Stuhl in Bundesbern. Interessanter ist es daher, die Allianzen dieser Parteien anzuschauen.

Erweiterte Spielregeln

In Schaffhausen haben sich in inzwischen drei Lager gebildet, die sich mit Listenverbindungen gegenseitig unterstützen. Die SP spannt mit den Grünen zusammen und hat eine Unterlistenverbindung mit der Juso und den Jungen Grünen. Die SVP verbindet sich mit der EDU sowie – anders als 2019 – mit der FDP; eine Zusammenarbeit mit Mass-Voll, die in anderen Kantonen zustandekam, kommt hier nicht infrage. Nicht zuletzt werden sich die Mitteparteien GLP, Die Mitte und EVP voraussichtlich zu einem Lager zusammenschliessen.

Diese Allianzen spiegeln sich auch im nationalen Kontext. Am volatilsten ist dabei die GLP: Sie geht in der östlichen Hälfte der Schweiz öfter mit der SP und den Grünen Listenverbindungen ein, im Westen eher mit der Mitte und der EVP. Die Schaffhauser GLP entsagte der FDP nach deren Nein zum Klimaschutzgesetz im Sommer jedoch ihre Unterstützung. Mit der SP will sie ebenfalls keine Allianz bilden. Chancen für einen Sitz in Bundesbern hat sie damit kaum – fraglich ist, ob sie sich damit nicht vielmehr für die kantonalen Wahlen 2024 in Stellung bringen will.

Die Kandidaturen im Überblick
SP: Martina Munz (bisher), Linda De Ventura. Ständerat: Simon Stocker
Juso: Leonie Altorfer, Lukas Tarczali
Grüne: Daniel Raschle
Junge Grüne: Theo Schilling, Lisa Brühlmann (auch Ständerat)
GLP: Thomas Böhni, Jannik Schraff
JGLP: Pia Härvelid, Tim Bucher
Die Mitte: Luka Vojinovic, Lukas von Lienen
EVP: Regula Salathé, Kathrin Schmidig
SVP: Thomas Hurter (bisher), Andreas Gnädinger; Martin Tanner, Deborah Isliker; Roman Schlatter, Yvan Meuwly; Björn Stahel, John McGough. Ständerat: Hannes Germann (bisher)
JSVP: Lara Winzeler, Benjamin Salzmann
FDP: Severin Brüngger, Anna Tanner, Claudia Ellenberger, Yves Collet, Stephan Schlatter, Urs Lichtensteiger, Urs Wohlgemuth, Nina Schärrer (auch Ständerat)
Jungfreisinnige: Kandidaturen noch offen
EDU: Reinhard Gasser
Parteilos: Thomas Minder (bisher, Ständerat)
Mass-Voll: David Heggli, Fredy Holderegger

Welche Chancen haben diese Listengruppen? Zieht man die Wahlanteile von 2019 bei, ergibt sich das folgende Bild: Der bürgerliche Block würde auf total 53,86 Prozent kommen. Die SVP zeigt damit, dass ihr die Allianz mit der FDP erhebliche Vorteile bringt – denn Listenverbindungen helfen primär der stärkeren Partei. 2019 holte die SVP-Gruppe 42,82 Prozent und die FDP 11,03 Prozent Wahlanteil. Bei der SP-Listengruppe ändert sich wenig; 2019 kam sie auf 36,17 Prozent, seither hat die SP zwar die AL integriert, aber mit ihr hatte sie schon damals eine Listenverbindung. Der Mitteblock, bei dem sich dieses Jahr nichts ändert, kam 2019 auf 9,97 Prozent.

Minimale Verschiebungen dürfte es zwar geben. Denn 2019 war ein besonderes Wahljahr: Die Klimabewegung und der Frauenstreik dominierten die Debatte, das Parlament wurde weiblicher, jünger und grüner. Dieses Jahr ist die Grosswetterlage anders: Geopolitische Krisen, die Teuerung und die Energieversorgung verunsichern – davon profitieren eher Parteien wie die SVP und die FDP. Daher rechnen Politologinnen mit einer sanften Korrektur. In Schaffhausen büsste 2019 die SVP zwar einige Stimmen ein und die GLP erreichte, erstmals antretend, 4,78 Prozent Wahlanteil. An der Vertretung in Bern änderte dies nichts. Beobachter gehen daher davon aus, dass Nationalrätin Munz und Nationalrat Hurter ihre Sitze einmal mehr halten können. Heisst in anderen Worten: Die Nationalratswahl wird wohl ohne Spektakel bleiben. Interessant wird es, falls es zu einem Rücktritt während der Legislatur kommt; sowohl Linda De Ventura (SP) als auch Andreas Gnädinger (SVP) hoffen auf ein Nachrücken in Bundesbern.

Spannender dürfte dafür der Tanz um den Ständerat werden.

Dynamiken

Aktuell sitzen Hannes Germann und Thomas Minder auf den beiden Ständeratssesseln. 2019 erreichten beide auf Anhieb das absolute Mehr: Germann holte 33,2 Prozent der Stimmen, Minder 28,4 Prozent. Die Konkurrenten Patrick Portmann (SP) und Christian Amsler (FDP) hatten mit 19,1 respektive 12,1 Prozent kaum Chancen gegen die beiden bisherigen. Besonders der beliebte SVP-Politiker Germann ist seit seinem Eintritt in den Ständerat vor 20 Jahren immer solide wiedergewählt worden. Auch aus Konkurrenzparteien heisst es daher, dass Germann relativ sicher wiedergewählt wird; vielmehr schielt man auf den Sitz von Thomas Minder.

Der parteilose Minder machte sich einst mit der Abzocker-Initiative einen Namen und versucht nun, aus dem Untergang der CS politisches Kapital zu schlagen. 2019 legte er um 1000 Stimmen zu – wahrscheinlicher ist also, dass es für ihn erst in einem zweiten Wahlgang knapp werden könnte, falls er im ersten Wahlgang nicht das absolute Mehr erreicht.

Diesbezüglich setzen in der Linken und der Mitte viele ihre Hoffnung auf Simon Stocker (SP) respektive Nina Schärrer (FDP). Dies nicht zuletzt, weil sich manche nicht länger von einem 67- und einem 61-jährigen Mann im Stöckli vertreten lassen wollen.

So sagte die GLP zwar, sie werde für den Nationalrat keine Listenverbindung mit der FDP eingehen – sie werde aber Stocker und Schärrer im Wahlkampf unterstützen. Und die Jungen Grünen haben mit Lisa Brühlmann zwar eine eigene Kandidatin gestellt, kommunizierten aber, dass sie auch den Kandidaten Stocker unterstützen werden.
Simon Stocker ist vielen ein Begriff: Er begann 2007 als Mitglied des Grossen Stadtrates in Schaffhausen, ab 2013 war er für zwei Legislaturen Stadtrat. Bekannt ist er zudem in Bezug auf seine alterspolitische Arbeit, sein aktuell grösstes Mandat hat er als Co-Leiter einer nationalen Fachstelle Alterspolitik. Dies dürfte ihm im ältesten Kanton der Schweiz nicht unwesentliche Chancen einräumen.

Nina Schärrer hat demgegenüber in Schaffhausen bisher kein grösseres Amt eingenommen. Sie ist Vizepräsidentin der FDP Neuhausen und Vorstandsmitglied der kantonalen FDP. Aber: Schärrer ist Kommunikationsleiterin der Industrievereinigung Schaffhausen sowie im Vorstand des Hauseigentümerverbandes Schaffhausen, sie ist also in der Wirtschaft vernetzt. Zudem dürfte sie mit ihrem Fokus auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch einige linke Stimmen für sich gewinnen.

Wen die Schaffhauser Stimmbevölkerung letztlich auf die vier Stühle in Bundesbern setzt, wird sich im Herbst entscheiden. Wahltag ist der 22. Oktober.

Mitarbeit: Mattias Greuter