Das Monitoring zur Klimastrategie des Kantons ist missverständlich, der Methodenteil unvollständig. Ein Versuch, sie trotzdem zu verstehen.
Mathematik ist wichtig im Kampf gegen den Klimawandel. Klimamodelle basieren auf komplexen Gleichungen, die immer besser werden und uns immer genauer sagen, was uns erwartet. Mittlerweile sagen sie uns: Wahrscheinlich droht ein Armageddon.
Der Kampf gegen die immer grösser werdende Wahrscheinlichkeit einer Klimakatastrophe findet ebenfalls in Zahlen statt. Er entscheidet sich an der Frage: Wie schnell schaffen wir es, die Treibhausgasemissionen herunterzufahren? Das Ziel: Netto Null bis 2050 und 1,5 Grad oder weniger Erwärmung. Dazu haben sich mit dem Paris-Agreement 193 Länder, unter anderem die Schweiz, verpflichtet. Daran orientiert sich auch der Kanton Schaffhausen mit seiner 2020 verabschiedeten Klimastrategie. In dieser ist festgehalten, dass sie regelmässig überprüft werden muss. Dazu erhebt der Kanton wiederum Zahlen. Die wichtigste ist jene für die CO2-Emissionen, diese schreibt sich die Strategie als Messlatte vor.
Das Blöde ist nur: Statistik ist ungefähr so trocken, wie es ein durchschnittlicher Sommer in den 2040ern sein wird. Um sie appetitlicher zu machen, verpackt der Kanton die Zahlen für das Monitoring der Klimastrategie in hübschen Grafiken. Nach dem Studium der Grafiken des aktuellen Monitorings weiss man – oder meint zu wissen, dass die CO2-Emissionen aus Heizöl und Erdgas für 2021 im Direktvergleich mit 2015 ein Prozent tiefer lagen. Jene aus Treibstoffen gute 14 Prozent tiefer. Wie im Monitoring geschrieben steht, ist das allerdings ein Effekt der Corona-Pandemie.
Die AZ wollte Schaffhausens Klimabilanz besser verstehen und hat beim Kanton um die Daten gebeten, auf denen die Grafiken basieren. Dabei hat sich herausgestellt, dass die schöne Verpackung ihr Versprechen nicht hält.
«Lückenhaft»
Die hübschen Grafiken zum Stand des Klimaschutzes im Kanton werden vom Kommunikationsbüro Eclipse eingekauft. Die nackten Zahlen dahinter erhebt der Kanton aber selber, und zwar mit der «Energie- und CO2-Statistik». Erfasst werden laut dieser Statistik zum Beispiel der Gesamtenergieverbrauch und die «energiegebundenen» CO2-Emissionen für die fünf Sektoren Gebäude, Industrie/Gewerbe, Verkehr, Landwirtschaft und Abfall. Die AZ wollte diese Zahlen nach Sektoren aufgedröselt einsehen und wurde informiert: Sie sind «nicht verfügbar».
Das scheint widersprüchlich, aber um Verwirrung zur Datenlage vorzubeugen, gibt es ja eigentlich einen Methodenteil. Dieser ist im Fall der CO2-Statistik des Kantons kurz. Wie genau welche Daten erhoben werden, wird nur angetönt. Die zuständige Person ist mittlerweile pensioniert, arbeitet noch auf Mandatsbasis und war ausserdem in den Ferien, als die Fragen dazu bei der zweiköpfigen Klimakoordination eintrafen. Thomas Volken, stellvertretender Leiter der kantonalen Energiefachstelle und Teil dieser Klimakoordination, hat die Fragen zur Statistik und welche Zahlen jetzt eigentlich drinstecken, jeweils an den ehemaligen Mitarbeiter weiter- und die Antworten wieder zurück an die AZ gegeben. Aus diversen Runden dieses Systems ist so etwas wie ein «best guess» dazu entstanden, wie die Zahlen ungefähr erhoben werden.
(Bis zum nächsten Zwischentitel folgt eine Zusammenfassung zur Herkunft der Zahlen in der kantonalen «Energie- und CO2-Statistik», wer sich das nicht antun will, möge überspringen).
Relativ umfassend fliessen die Sektoren Verkehr und Gebäude in die Statistik ein: Für den Verkehr wird der nationale Treibstoffverbrauch auf den Personenwagenbestand im Kanton Schaffhausen runtergerechnet. So kommt man 2021 auf 1,6 Tonnen CO2 pro Kopf. Für den Sektor Gebäude werden die Daten zum Typ Heizungen mit den Daten, die man von den Energiewerken zum Gas- und Stromverbrauch erhält, und weiteren Daten aus dem Energieförderprogramm kombiniert. Ergänzt wird das mit einem Modell zu jenen Energieträgern, zu denen der Kanton keine präzisen Daten hat, zum Beispiel Heizöl und Holz (die Erfassung für die Sektoren Verkehr und Gebäude ist in den Methoden der Statistik auch vergleichsweise gut erklärt). Ein recht grosser Teil der für 2021 ausgewiesenen 2,26 Tonnen CO2 pro Kopf für Brennstoffe stammt wohl aus den so zusammengerechneten Daten.
«Nur Einzeljahre zu vergleichen, bringt nichts.»
Regine Roethlisberger, Bafu
Bleiben die restlichen aufgeführten Sektoren: Landwirtschaft, Abfall und Industrie. Daten zum Sektor Landwirtschaft werden vom Kanton nicht separat erhoben. Die Logik des Kantons, wieso man Landwirtschaft trotzdem als «erfasst» werten könne, lautet so: Wenn man den nationalen Benzin- und Dieselverbrauch auf den Kanton Schaffhausen runterbricht, sind darin auch landwirtschaftliche Fahrzeuge einigermassen mitberücksichtigt. Selbiges gilt für die Wohngebäude von Bauern, diese sind bei den Gebäuden miterfasst. Ausserdem fliesse eine vernachlässigbare Menge an «Prozessenergie» über die Erhebungen in der Industrie mit in die Statistik ein. Die Emissionen von Wiederkäuern werden von der Statistik momentan sowieso nicht erfasst, weil es eine CO2- und keine Treibhausgasstatistik ist. Letzteres ist laut der Klimakoordination angedacht. Im nationalen Treibhausgasinventar macht die Landwirtschaft 2021 knapp über 14 Prozent der Gesamtemissionen aus, das meiste davon entfällt auf das Treibhausgas Methan.
Für den Sektor Abfall macht der Kanton die einfachste Milchbüechlirechnung aller Zeiten. Abfall wird von der Statistik mit sage und schreibe null Emissionen erfasst. Abgesehen von den Fahrzeugen, die im Zusammenhang mit Abfall auf den Strassen rumkurven, und dem Bedarf für die Kläranlage. Denn: Schaffhausen hat keine Kehrichtverbrennung, der Abfall wird «exportiert». Die Statistik funktioniert nach dem Territorialprinzip, Emissionen, die Schaffhauser zwar verursachen aber nicht im eigenen Kanton, werden nicht gezählt.
Bleibt der Sektor Industrie: Hier hat der Kanton einen Datensatz. 70 «Grossverbraucher» sind gesetzlich dazu verpflichtet, ihren Verbrauch anzumelden. Im Gegenzug bekommen sie Privilegien, national zum Beispiel bei der CO2-Abgabe, kantonal macht ihnen das Baugesetz Zugeständnisse.
Die Daten zu den Grossverbrauchern, das sagt die Statistik selbst, sind trotzdem «lückenhaft». Der Einfluss der Grossverbraucher auf die Daten: gemäss Statistik gross. Bis Februar dieses Jahres fehlten von den 70 noch 22 Grossverbraucher (siehe AZ vom 2. Februar 2023). Diese Zahl ändert immer mal wieder. Dazu kommen wiederum weitere Daten, die der Kanton über sein eigenes Energieförderprogramm erhebt und von Unternehmen, die freiwillig den Verbrauch anmelden. Aus den vorhandenen Daten wird zumindest für den Brennstoffbedarf durch Prozessenergie noch eine Hochrechnung gemacht – wie das genau geschieht, bleibt unklar.
«Fliesst alles irgendwie ein»
Zwischenfazit: Einigermassen gründlich erfasst wird der Verbrauch von Verkehr und Gebäuden. Abfall wird mit null Emissionen erfasst. Die Landwirtschaft fliesst als Nebenprodukt in die Statistik ein. Und die Daten zur Industrie haben Lücken, in einem Bereich, der gemäss Statistik einen «grossen Einfluss» hat, und sind intransparent.
«Jeder Franken Klimaschutz soll sich sofort in soundsovielen Emissions-Minderungen niederschlagen.»
Thomas Volken
Thomas Volken von der kantonalen Klimakoordination findet es «völlig klar», dass einer solchen kantonalen Statistik enge Grenzen gesetzt sind. In der kleinräumigen Schweiz ist häufig unklar, was inner- und was ausserhalb eines Kantons verbraucht wird. Dass die Formulierung der «erfassten Sektoren» irreführend sei, könne man so sehen. Aber: «Die Sektoren fliessen alle irgendwie ein. Es gibt Lücken, auf die in der Statistik hingewiesen wird.» Für manche Lücken stimmt das, für andere nicht. «Immerhin machen wir es jedes Jahr etwa gleich falsch, dadurch sind die verschiedenen Jahre miteinander vergleichbar.» Das stimmt auch nur zum Teil: Bei den Grossverbrauchern verändert sich die Datenlage mit jedem Unternehmen mehr, das seiner Pflicht nachkommt und den Verbrauch angibt.
«Grosse Herausforderung»
Dass die Kantone mit der Erfassung ihrer Treibhausgase ge- bis überfordert sind, beobachtet auch der Bund. «Daten auf kantonaler Ebene zu erheben, ist eine grosse Herausforderung», sagt Regine Roethlisberger vom Bundesamt für Umwelt, die das nationale Treibhausgasinventar verantwortet. «Die Datenlage ist in den Kantonen recht verschieden, sie handhaben ihre Emissionsstatistiken momentan entsprechend sehr unterschiedlich.» Ihr Ratschlag an die Kantone sei es, in jenen Bereichen Zahlen zu erheben, die die kantonale Politik direkt steuern könne: hauptsächlich in den Sektoren Gebäude, Verkehr und eventuell in der Landwirtschaft. Und das mit Indikatoren, die der Kanton tatsächlich messen kann: «beispielsweise Fahrzeugbestände und dazugehörige Antriebssysteme oder die Art der Heizungssysteme. Eventuell auch Nutztierbestände und die Art der Landnutzung.» Zudem gelte: «Nur Einzeljahre zu vergleichen, bringt nichts. Es ist der Verlauf über mehrere Jahre, der interessieren sollte.»
Auf dem Monitoringblatt des Kantons werden viele solche Einzelvergleiche gemacht. In vielen anderen Aspekten ist der Kanton aber nicht weit davon entfernt, etwa so vorzugehen, wie es die nationale Treibhausgas-Chefin empfiehlt. Er erklärt diese Zahlen allerdings schlecht. Beziehungsweise versucht, sie über ihrem Wert zu verkaufen. Damit endet man in einem Chaos, das die Klimakoordinationsstelle nur mit Hilfe eines pensionierten Mitarbeiters einigermassen aufdröseln kann. Die Verantwortung für die Statistik geht dieses Jahr an jemand anderen über.
Volken von der Klimakoordination sagt, aus der Politik gelange ein gewisser Druck an die Klimakoordinationsstelle. «Wir spüren die Erwartung an uns, dass man quasi für jede einzelne Massnahme genau beziffern können müsste, was denn nun die Klimawirkung ist».
Diese Erwartung spüre er von Politikerinnen aller Parteien. «Jeder Franken Klimaschutz soll sich sofort in soundsovielen Emissionsminderungen niederschlagen.» Was aber nicht möglich sei. Die Statistik sei der Versuch, der Erwartung bestmöglich gerecht zu werden.