Wie eine Schaffhauser Firma 1995 mehrere Schiffe in europäischen Häfen beschlagnahmte. Eine jahrelange Odyssee.
Am Hafen von Triest, Ostern 1997: Seit zwei Jahren sitzen zwei beschlagnahmte ukrainische Frachtschiffe vor der italienischen Küste fest. Die 50 Besatzungsmitglieder leben wie Gefangene, sie haben kein Geld, nur selten können sie an Land. So an diesem Tag Ende März: Die gestrandeten Matrosen gehen mit gebeugtem Rücken und Plastiksack in der Hand vor einem Hangar am Hafen umher. Sie sammeln Kartoffeln ein, die aussortiert wurden und liegen blieben.
Es sei ein «vergangenes und verzweifeltes Bild», welches die Erinnerungen an Hunger und Krieg zurückbringe, schreibt die italienische Lokalzeitung Il Piccolo, welche das Geschehen festhält.
Wir lagen vor Triest und … so könnte ein ukrainisches Seemannslied beginnen: Was die Schiffscrew damals Ende der 90er-Jahre erlebte, klingt nach Seemannsgarn oder nach einer «kafkaesken Situation», wie die italienische Presse schrieb. Auslöser der verfahrenen Lage: Ein Handelsunternehmen aus Schaffhausen.
Muttergesellschaft der NewCoal Trading AG
Im Jahr 1997 entstand in Schaffhausen die NewCoal Trading AG. Der Zweck der Firma: «Handel mit Kohle». Bis heute geschäftet das Schaffhauser Unternehmen unter neuen, nicht bekannten Besitzern mit russischen Rohstoffen. Es hilft so von seinem Büro vom Herrenacker aus, internationale Sanktionen zu umgehen und pflegt Verbindungen bis in die Kreml-Spitze. Das machte die Schaffhauser AZ vergangene Woche in einer Recherche publik.
Die NewCoal Trading AG ging aus der mittlerweile liquidierten Schaffhauser Firma Plan Marine AG hervor, deren Kohle-Geschäft sie übernahm. Und um die Plan Marine AG geht es in der Geschichte um die festgesessenen ukrainischen Frachtschiffe. Es ist eine Episode, auf die man heute vor allem noch stösst, wenn man sich durch die archivierten Ausgaben der Triester Lokalzeitung wühlt. Das Schicksal der Matrosen ist nur eine historische Randnotiz in den Schaffhauser Geschäftsbeziehungen. Eine, die zeigt, welch mächtige internationale Schachfiguren auf dem Schaffhauser Unternehmensplatz herumgeschoben wurden.
Die Plan Marine AG wurde 1979 in Schaffhausen gegründet. Bevor sie ab 1991 zusätzlich mit Kohle handelte, war sie im Bereich Hafen- und Schiffsausrüstung in den ehemaligen Gebieten der Sowjetunion tätig. Insbesondere finanzierte und handelte sie Schiffscontainer. Gemäss Informationen der AZ soll sie als eine der ersten westlichen Firmen überhaupt Leasingverträge mit der Sowjetunion abgeschlossen haben. Als die Sowjetunion 1991 zerfiel, waren die Container der Plan Marine überall verstreut: Viele davon in der Ukraine, die neu ein eigenständiges Land war. Ihre staatseigene, vormals sowjetische «Black Sea Shipping Company» (Blasco) war in den 80er-Jahren eine der grössten Reedereien der Welt gewesen. Nach dem Niedergang der Sowjetunion ging es aber auch mit der Blasco bergab: Sie häufte aufgrund der Unternehmensführung und allerlei Vorbelastungen immense Schulden an. So auch bei der Schaffhauser Plan Marine AG, die mit der Blasco geschäftete. Die ukrainische Reederei schuldete dem Schaffhauser Unternehmen sowie unter anderen der Lloyd Werft in Bremerhaven und der britischen Contract Trading Financing mit Sitz auf den Cayman-Islands hohe mehrstellige Millionenbeträge für Reparaturarbeiten und nicht eingehaltene Charterverträge.
Jedenfalls kam es im Jahr 1995 so weit, dass die Schaffhauser Steuerzahlerin Plan Marine AG gerichtlich zu einem drastischen Schlag ermächtigt wurde: Zusammen mit den anderen Gläubigern beschlagnahmte und pfändete sie mehrere ukrainische Kreuzfahrtschiffe und Frachter, die in europäischen Häfen einfuhren. Darunter die zwei Frachtschiffe in Triest – die «Captain Smirnov» und die «Ingheneer Yermoskin».
Ohne Lohn und Essen
Der Schaffhauser Ruedi Demmerle arbeitete zu jener Zeit als Maschinenbauingenieur in Triest und erlebte die Blockade der beiden Schiffe mit. «Das war eine tragische Geschichte», erzählt er heute. Die Mannschaft, welche die Schiffe in Betrieb halten musste, sei vollkommen abhängig von der Triester Bevölkerung gewesen, die für sie Essen und Kleider sammelte. Die Solidarität mit den 50 Besatzungsmitgliedern in ihren kalten Kabinen scheint sehr gross gewesen zu sein, wie der Lokalzeitung zu entnehmen ist. Verschiedenste Bürgerinitiativen entstanden, welche für die Seemänner sorgten. In einem Leserbrief schrieb beispielsweise ein pensionierter Eisenbähnler, er sei bereit, täglich eine Mahlzeit für einen der Matrosen der beiden Schiffe bereitzustellen: «Ich hoffe, dass weitere 49 Rentner meinem Beispiel folgen können. Ich appelliere an Rentner, denn es waren schon immer die Armen, die die Probleme der Armen verstehen. Es ist eine Schande, dass 50 Seeleute, Gefangene einer zynischen wirtschaftlichen und bürokratischen Maschinerie, zwei Jahre lang einem elenden Schicksal überlassen wurden.»
Die Lokalzeitung dokumentiert beispielsweise auch, wie die Stadtverwaltung von Triest den Matrosen im Jahr 1997 zu Ostern 50 Tonnen Diesel schenkte: Der Treibstoff sollte für weitere zwei Monate reichen, um mit Generatoren die Küche und Kühlschränke und die Duschen auf dem Schiff am Laufen zu halten. Und, um in der Nacht das Licht einschalten zu können: So, dass es nicht zu schweren Unfällen käme, wenn die Männer sich zwischen Luken und Eisentreppen umhertasten mussten.
Ende der Odyssee
Von offizieller Seite wurden die Matrosen im Stich gelassen. 1997 traten einige Besatzungsmitglieder für zwei Wochen in den Hungerstreik. Kein einziger der Matrosen aber sei in der ganzen Zeit getürmt, schreibt die Lokalzeitung. Die Gründe für diese «Loyalität» seien schnell erklärt: Wer das Schiff ohne Erlaubnis des Reeders verlasse, wisse, dass er keine Chance hat, sein rückständiges Gehalt zu sehen – oder wieder auf einem anderen Schiff angeheuert zu werden.
Im Dezember 1997 schliesslich wurden die Schiffe in Triest versteigert und an die USA verkauft. Die beiden Ex-Sowjet-Schiffe «Captain Smirnov» und «Ingheneer Yermoskin» sollen zu «Katie» und «Krista» umgetauft worden sein. Die Odyssee der Matrosen war zu Ende, sie traten mit einer Anzahlung ihres Gehalts den Heimweg an. Die Schaffhauser Plan Marine AG befand sich über all die Jahre im Rechtsstreit mit der ukrainischen Reederei. Wie die Deals für sie ausgingen, ist unklar. 2005 wurde die Plan Marine AG liquidiert. Ihre führenden Verwaltungsräte von damals äussern sich auf Anfrage der AZ nicht zu den Vorfällen.