Ein kolumbianischer Ölkonzern fand in Schaffhausen ein attraktives Steuerdomizil. Welche Rolle spielen der Kanton und die Wirtschaftsförderung?
Man kennt sich. Das ist die Kurzfassung der Antwort auf die Frage, welche Beziehungen zwischen der Briefkastenfirma Ecopetrol Capital AG und dem Kanton Schaffhausen sowie der Wirtschaftsförderung bestehen. Dass sich die konzerneigene Bank eines kolumbianischen Ölkonzerns in Schaffhausen wohl fühlt, hat auch damit zu tun, dass der Kanton seine guten Steuerzahler pflegt und betreut.
Vergangene Woche zeigte die AZ auf: Der kolumbianische Ölkonzern Ecopetrol unterhält in Schaffhausen seit 2011 eine Tochtergesellschaft. Diese dient dazu, als Bank innerhalb des Konzerns Geld von einem Unternehmensteil zum anderen zu transferieren – und grosse Gewinne ins steuergünstige Schaffhausen. (Die Geschichte können Sie hier ausführlich nachlesen.”
Insbesondere finanzierte die Ecopetrol Capital AG, deren Domizil ein unauffälliger Briefkasten an der Grabenstrasse 15 ist, den Ausbau der grössten Raffinerie Kolumbiens. Bei diesem Projekt kam es aber zu Kostenüberschreitungen von über vier Milliarden Dollar, von denen laut der kolumbianischen Justiz rund eine Milliarde in den Taschen und Ausgabenorgien korrupter Bauunternehmer verschwand.
Bis heute schuldet die Raffinerie dem Briefkasten in Schaffhausen 1,7 Milliarden Dollar. Dieser schreibt aus den Zinsen auf diesem und weiteren Darlehen grosse Gewinne – über 64 Millionen Franken waren es im Jahr 2021. Und Schaffhausen als Steuerdomizil verdient durch die Steuern, die auf diesen Gewinn sowie auf das über eine halbe Milliarde grosse Kapital des Briefkastens anfallen, kräftig mit an den Schulden, welche die kolumbianische Volkswirtschaft noch jahrzehntelang abzahlen muss.
Die AZ hat mehrmals über Briefkästen und dubiose Steuerkonstrukte internationaler Konzerne berichtet: Walmart, grösster Konzern der Welt (Ausgabe vom 27. Juli 2017) unterhält eine Schaffhauser Briefkastenfirma, diejenige des Baugiganten SBI hat nachweislich den Präsidenten Guatemalas bestochen (AZ vom 21. Februar 2019), die Traktorhändlerin Eurasia Group bringt Diktatorengeld aus Kasachstan an die Bachstrasse (AZ vom 27. Januar 2022). Und nun führt die Spur der Pesos aus dem grössten Korruptionsskandal in der Geschichte Kolumbiens nach Schaffhausen.
Was bedeutet es für die Standortstrategie und den Ruf des Kantons, dass er solche Unternehmen anzieht?
Finanzdirektorin Cornelia Stamm Hurter sagt gegenüber der AZ, dazu äussere sie sich nicht. Sie habe von den von geschilderten Vorgängen bezüglich Ecopetrol keine Kenntnis, und das Steuergeheimnis ermögliche ihr generell keine Aussage zu einzelnen Firmen.
Die Ansiedlung
Schaffhausen punktet im Steuerwettbewerb mit kurzen Wegen, wie die Wirtschaftsförderung im Rahmen des Standortmarketings betont: «Die lokalen Behörden sind flexibel, wirtschaftsnah und erreichbar.» Welche Rolle spielte das für die Ecopetrol Capital AG?
Wirtschaftsförderer Christoph Schärrer hat in den Unterlagen nachgeschaut und nichts zu Ecopetrol gefunden. In ihre Ansiedlung, welche vor seiner Zeit stattfand, sei die Wirtschaftsförderung also «nicht direkt involviert gewesen».
Folglich muss die Ansiedlung etwa so abgelaufen sein: Die Ecopetrol Capital AG, gegründet 2010 in Zürich, war damals Kundin beim Steuerberatungsbüro PricewaterhouseCoopers (PwC). Schärrer erklärt, es gehöre zur Strategie und zur Aufgabe der Wirtschaftsförderung, bei den grossen Beratungsfirmen bekannt zu sein, damit diese «die Botschafter der Schaffhauser Standortvorteile» werden. Das heisst: Schaffhausen hat die Ecopetrol Capital AG nicht direkt angesiedelt – aber dass ein PwC-Steuerberater den Standort Schaffhausen vorgeschlagen hat, ist dennoch eine indirekte Folge der Arbeit der Schaffhauser Standortförderung.
Die Pflege
Es ist bekannt, dass sich der Kanton mit seinen besten Steuerzahlern austauscht – beispielsweise wenn es darum geht, wie eine Steuerreform umgesetzt werden soll. Und die Ecopetrol Capital AG gehört dazu: Mit seinen zweistelligen Millionengewinnen ist der Briefkasten einer der 60 grössten Steuerzahler des Kantons (gemessen an Angaben der eidgenössischen Steuerverwaltung zur direkten Bundessteuer für das Jahr 2019, und seither stieg der Gewinn noch deutlich an).
Diese kleine Gruppe von Top-Steuerzahlern ist für mehr als 85 Prozent der Unternehmenssteuern im Kanton verantwortlich – Firmen wie die Ecopetrol Capital AG sind also wichtig und werden entsprechend gepflegt.
Als die AZ vergangene Woche mit Leonz Meyer sprach, dem Anwalt, der die Ecopetrol Capital AG gegründet hat und bis heute betreut, erzählte er von guten Kontakten zu den Schaffhauser Behörden: «Wir stehen in regelmässigem Kontakt mit der Steuerverwaltung und treffen uns jährlich oder alle zwei Jahre. Die Finanzdirektion, die Steuerverwaltung und die Wirtschaftsförderung informieren die interessierten Kreise regelmässig über das Steuerklima in Schaffhausen und in der Schweiz.»
Was sind das für Treffen? Finanzdirektorin Cornelia Stamm Hurter konkretisiert: Es handle sich um das sogenannte «Tax Update», das in der Regel jährlich stattfinde. Es wird von der Wirtschaftsförderung und der Steuerverwaltung organisiert, um «aktuelle relevante Informationen zu Entwicklungen im Steuerbereich» zu vermitteln, wie Andreas Wurster, Chef der kantonalen Steuerverwaltung, auf Anfrage schreibt. Im vergangenen Herbst ging es um die anstehende Umsetzung der anstehenden OECD-Mindestbesteuerung, als Gastrednerin trat Tamara Pfammatter auf, damals Botschafterin des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen und heute Leiterin der eidgenössischen Steuerverwaltung.
Beim Treffen im Jahr 2018 ging es um die damals anstehende Steuerreform STAF – und an diesem Anlass traf Regierungsrätin Cornelia Stamm Hurter auf Leonz Meyer. Es sei ihr einziger Kontakt mit ihm beziehungsweise der Ecopetrol Capital AG gewesen, sagt die Finanzdirektorin. Wirtschaftsförderer Christoph Schärrer, der schon länger dabei ist als die 2017 gewählte Cornelia Stamm Hurter, erinnert sich an mehrere Kontakte mit Leonz Meyer an diesen Treffen.
Leonz Meyer gehört also zu einem Kreis von Unternehmensvertretern und Steuerberatern, die regelmässig direkt von Wirtschaftsförderung, Steuerverwaltung und Regierung eingeladen werden. Das erstaunt nicht angesichts der Steuerkraft der Ecopetrol Capital AG (nach eigenen Angaben zahlte die Firma in den Jahren 2019 bis 2021 rund 14 Millionen Franken Steuern). Ausserdem vertrat Meyer mehrere inzwischen aufgelöste oder sich in Liquidation befindende Niederlassungen von zwei anderen in Schaffhausen angesiedelten Konzernen – einer davon hat seinen Hauptsitz sogar an der gleichen Adresse wie die Wirtschaftsförderung. Mit anderen Worten: Man kennt sich.
Der Briefkasten bleibt
Ob die Ecopetrol Capital AG von inzwischen mit der STAF abgeschafften Steuerprivilegien profitiert hat, ist nicht bekannt. Leonz Meyer hat dies im Gespräch mit der AZ zwar angedeutet, aber nicht zweifelsfrei bestätigt. Unabhängig davon ist Schaffhausen für Ecopetrol offenbar weiter attraktiv, die STAF hat daran nichts verändert. Aus den Tax Reports des Konzerns geht hervor, dass die Steuerbelastung in Schaffhausen bereits heute knapp über dem von der OECD geforderten Minimum von 15 Prozent liegt. Ecopetrol hat aus steuerlicher Sicht keinen Grund, Schaffhausen zu verlassen.
Die Stadt und der Kanton auf der anderen Seite dürfen also damit rechnen, während vieler weiterer Jahre mit Steuereinnahmen in Millionenhöhe rechnen – Einnahmen, die letztlich ein Korruptionsskandal in Kolumbien verursacht hat.