«Die erosive Kraft des Stillstands»

24. Januar 2023, Sharon Saameli
Foto: Robin Kohler
Foto: Robin Kohler

Auf der Klosterinsel in Rheinau ­müsste längst ein Museum eröffnet haben. Aber es gibt Streit, und der Kanton lässt mit einer Lösung auf sich warten. Teil des Konflikts: SVP-Doyen Christoph Blocher.

Der Garten von Daniel Grob endet an der einstigen Klostermauer hoch über dem Rhein. Nur wenige Kilometer südlich des Rheinfalls windet sich der mächtige Fluss hier gleich zwei Mal ums Dorf; der Blick wandert über Weinberge, ein Kraftwerk und ein Wäldchen – und bleibt schliesslich haften. Denn hier, in Rheinau, steht eine der prächtigsten Barockanlagen des Landes: das alte Benediktinerkloster auf der Klosterinsel. Seit 35 Jahren geniesst Grob diese Aussicht jeden Tag, obschon er früher als Chefarzt am Zürcher Waidspital nicht allzu viel von ihr hatte. Jetzt aber hat der Pensionär auf der Insel grosse Pläne; er will «dieser tollen und politisch hochinteressanten Gemeinde etwas zurückgeben», erzählt er.

Der Zürcher Regierungsrat bezeichnet die Insel zusammen mit dem Rheinfall als «Ausflugsziel von (inter)nationaler Bedeutung». Für Rheinau ist sie noch mehr als das. In- und ausserhalb des Dorfes zieht man die Geschichte der Insel gerne als Erklärung dafür herbei, dass Rheinau seit Jahrzehnten die linkste und grünste Gemeinde des SVP-dominierten Weinlandes ist; dafür, dass man hier einfach «etwas anders» ist.

Nachdem die Abtei Rheinau im Jahr 1862 definitiv aufgehoben wurde, eröffnete der Kanton im Gebäude 1867 die «Irren- und Versorgungsanstalt». Zu Beginn waren darin um die 450 Patientinnen und Patienten untergebracht; zeitweise waren es drei Mal so viel. Fortan hörte man im Dorf die Schreie aus dem «Tobsuchtstrakt für Weiber» und jenem für Männer; dass in Rheinau so viele Staatsangestellte, und dann noch Leute aus sozialen und gewerkschaftlich organisierten Berufen lebten, wirkte sich auf das Selbstverständnis von Rheinau aus.

Als die Klinik im Jahr 2000 die Insel verliess (sie wurde später in die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich integriert), wusste der Regierungsrat lange nicht, was er mit seinem leeren Kloster anfangen sollte. Eine Renovation war dringend nötig; aber die war eben auch teuer und lohnte nur, wenn danach auch Mieter einziehen würden. Und die waren lange nicht in Sicht. Ein Versuch, die Gebäulichkeiten im Internet zu verkaufen, scheiterte am lokalen Widerstand der Arbeitsgemeinschaft «Pro Insel Rheinau». Dass auf der Insel Kultur stattfinden solle, war ein früher Wunsch; die Idee einer reinen Musikinsel, eines «Magglingen der Musik», scheiterte indes auch.

Und dann: Auftritt Christoph Blocher.

Horizont Sommer 2013

Der SVP-Doyen schlug dem Kanton vor, eine «Stiftung Musikinsel Rheinau» zu gründen und Proberäume und Schlafsäle für Musikerinnen und Musiker im Kloster einzurichten, sobald dieses saniert sei. Das geschah sodann 2014. In diese Stiftung brachte Blocher 20 Millionen Franken ein; das sei ein Risiko gewesen, sagte er. Es war eines, das sich lohnen sollte, doch dazu gleich mehr.

Der Kanton hatte also eine Perspektive und trat kurz darauf, 2009, mit einem Nutzungskonzept für die Klosterinsel Rheinau auf. Dessen wichtigste Eckpfeiler: eine nationale Musikschule (ergo Blochers Stiftung), eine Hauswirtschaftsschule, ein Restaurant mit Festsaal und ein Museum. Der Regierungsrat legte Wert darauf, dass die Insel für die Bevölkerung zugänglich sein würde. Damaliges Ziel war es, die Neunutzung im Juni 2013 zu realisieren.

Das ist nun zehn Jahre her. Heute teilen sich die Musikinsel, die Hauswirtschaftsschule und das Restaurant Klostergarten den Platz mit der anthroposophischen Stiftung Fintan, mit der Staatskellerei und dem Wohn- und Beschäftigungsheim Tilia Rheinau.

Nur das Museum, welches im Abt-Trakt – dem Herzstück des alten Klosters – entstehen und dereinst auch als Empfang und touristisches Informationszentrum fungieren soll, das fehlt nach wie vor.

Als Daniel Grob seine Frühpensionierung zu planen begann, fasste er den Entschluss, dieses Museum an die Hand zu nehmen. Er gründete 2014 den «Verein Insel Museum Rheinau», der inzwischen knapp 200 Mitglieder hat, schloss ein Nachdiplomstudium in Museumsarbeit ab, vernetzte sich mit kantonalen Behörden, unterstützte das Planungsbüro bei der Konzept-Entwicklung und wurde mit diesem Konzept fünf Jahre später wieder bei der Regierung vorstellig. Das künftige Museum werde sich auf drei Pfeiler stützen, heisst es darin, und einen Bogen schlagen von den Kelten zum Kloster und schliesslich zur Klinik.

«Sollten wir uns auflösen, dann ist dieses Museum tot.» Daniel Grob ist konsterniert.
«Sollten wir uns auflösen, dann ist dieses Museum tot.» Daniel Grob ist konsterniert.
Foto: Robin Kohler

Dem Kanton gefiel, was er sah, und bekannte sich Anfang 2020 definitiv zum Projekt. Er würde es mit jährlich 360 000 Franken mittragen – unter der Bedingung, dass die Standortgemeinde Rheinau sich ebenfalls beteiligt. Dies war dann ziemlich schnell geklärt: Schon im Juni 2020 sprach sich die Mehrheit der Rheinauer Gemeindeversammlung dafür aus, pro Jahr bis zu 50 000 Franken an die Betriebskosten zu zahlen (für eine Gemeinde mit rund 1350 Einwohnerinnen ein bemerkenswerter Beitrag). Insbesondere von einer musealen Aufarbeitung der Psychiatriegeschichte versprach sich der Gemeinderat eine schweizweite Ausstrahlung. Man war überzeugt: Das Museum werde «eine Investition in die Attraktivität des Dorfs».

Der Museumsverein reichte sodann Gesuche im Herbst 2020 an den Lotteriefonds und den Denkmalpflegefonds ein und hoffte auf Rückmeldung innert Jahresfrist. Die Gesuche schafften es bis auf den Tisch des Zürcher Finanzdirektors Ernst Stocker (SVP). Dort aber sind sie bis heute. Denn am 15. Juni 2022 kam es zum Knall.

Wer bekommt den Abt-Trakt?

Christoph Blocher und seine Tochter Rahel Blocher luden zum Presseanlass. Die Nachricht: Der Stiftung Musikinsel gehe es zwar gut, bald schon zeichne sich eine schwarze Null ab. Aber sie kämpfe insbesondere an den Wochenenden mit Platzsorgen und liebäugle mit einer Erweiterung des Hotelbetriebs. Infrage käme der Abt-Trakt, der dem Museum versprochen war.

Dabei hatte der Kanton eine gemeinsame Nutzung von Museum und Stiftung Musikinsel bereits überprüft. Für ihn stand fest: Möglich ist in Sachen Nutzung nur ein Entweder-oder. Der Rheinauer Gemeinderat wiederum fand, er freue sich zwar über die baldige schwarze Null der Musikinsel, strebe aber eine vielfältige Nutzung der Klostergebäude an. Dazu gehöre auch das Museum, «in diesen Räumen und nicht anderswo», wie Gemeindepräsident Andreas Jenni (SP) sagte.

Die Familie Blocher sitzt allerdings an einem nicht unerheblichen Hebel: dem Geld. Denn die Stiftung Musikinsel zahlt dem Kanton jährlich einen Mietzins von 330 000 Franken plus 12 000 Franken Nebenkosten. An der Pressekonferenz hiess es seitens Rahel und Christoph Blocher: Sollte die Stiftung nicht mehr Platz erhalten, überlege sie sich einen Wegzug von der Klosterinsel. Bei diesem Wegzug würde nicht nur dieser Mietzins wegfallen, der Kanton müsste mit dem Museum auch ein jährliches Defizit tragen.

Als Drohung will Christoph Blocher diese Nachricht nicht verstanden haben. «Wir sagten nur, was wir tun müssen, wenn unsere Raumbedürfnisse nicht befriedigt werden können», liess er sich in der NZZ zitieren.

Daniel Grob zeigte sich konsterniert. Er legt bis heute Wert darauf, dass er sich in der Sache nicht als Konfliktpartei sieht. «Doktor Blocher macht gute Arbeit, die Musikinsel funktioniert ja, das ist toll.» Der eigentliche Konflikt spiele sich zwischen Musikinsel und Kanton ab. «Der Kanton sagte, er brauche eine Trägerschaft und ein Konzept für ein Museum im Abttrakt des Klosters. Und genau das haben wir gemacht. Darum können wir faktisch auch keine Kompromisse bei den Räumlichkeiten eingehen. Das bestehende Konzept benötigt den Raum, der einst zugesichert wurde.»

Das Prinzip Hoffnung

Im September wurde es den vier Weinländer Kantonsräten (SP, Mitte, FDP und SVP) schliesslich zu bunt. In einer Anfrage warfen sie der Zürcher Regierung eine Verschleppung der Entscheidung für ein Museum vor. In seiner Antwort kurz vor Weihnachten letztes Jahr sagte der Regierungsrat letztlich, mit einem Lösungsvorschlag sei im zweiten Semester 2023 zu rechnen.

Also heisst es: weiter warten. Daniel Grob bezeichnet dies als «die erosive Kraft des Stillstandes». Er habe inzwischen Mühe damit, seine Vereinsmitglieder – darunter viele seiner Freunde – an der Stange zu halten. «Ich kommuniziere mit dem Prinzip Hoffnung. Aber wir sind nun schon im dritten Jahr des Stillstands. Und sollten wir uns auflösen, dann ist dieses Museum tot.»