Seit über 150 Jahren werden in einer kleinen Sägerei in Hemishofen aus Baumstämmen Bretter. Jakob Albrecht, Säger in fünfter Generation, gibt den Betrieb dieses Jahr auf.
Als er gefragt wird, ob er traurig sei, dass es mit seiner Sägerei zu Ende geht, muss Jakob Albrecht einen Moment nachdenken. Er ist kein sentimentaler Mann. Eine konkrete Antwort hat er nicht parat, stattdessen blickt er über Bretterstapel, Werkzeuge und ziemlich viel Sägemehl, bevor er sagt: «Ich höre auf mit einem weinenden und einem lachenden Auge.»
Die Sägerei Albrecht gehört zu den ältesten Unternehmen der Schweiz, ist fast so alt wie diese selbst. 150 Jahre lang wurde hier gearbeitet. Jakob Albrecht Junior führt den Betrieb seit 25 Jahren, ein Sechstel der Firmengeschichte, und in fünfter Generation.
Museumsreife Maschinen
Es gibt einen schönen Dokumentarfilm über die Sägerei Albrecht in Hemishofen, der seinerseits auch schon zehn Jahre alt ist. Der Ramser Künstler und Filmemacher Hansueli Holzer eröffnet mit den Worten: «Es gibt noch Orte, wo man das Gefühl hat, die Zeit sei etwas stehen geblieben.» Das ist eine ziemliche Untertreibung: Die Sägerei Albrecht ist richtiggehend aus der Zeit gefallen.
Der letzte Säger von Hemishofen begrüsst die AZ an einem trüben Vormittag: Ein kleiner Mann in Arbeitskleidung von schwer zu definierender Farbe und bequemen Arbeitsschuhen. Man merkt dem ledigen Inhaber einer Einmannsägerei an, dass er viel allein war in seinem Leben, es ist nicht immer einfach, dem knorrigen Schalk zu folgen, der sein Humor ist. Er mache alles selber, vom Einkauf der Baumstämme bis zum Verkauf der Bretter und Latten, und alles dazwischen, erzählt er, während er seine Vollfräse einrichtet. Zu Demonstrationszwecken – Aufträge hat er heute keine.
Mit geübten Handgriffen öffnet er die Luke zum Innenraum der Fräse und löst die Befestigung des schweren Fräsblattkopfs. Er setzt vier gefährlich scharf aussehende, kreisrunde Blätter ein, jeweils im Abstand einer Dachlatte, und baut den Fräskopf wieder ein. Wenig später mischt sich ein schrilles Kreischen in das dumpfe Brummen der schweren, alten Maschine, und in Sekunden werden aus einem Brett Dachlatten. Die Bretter wiederum hat Jakob Albrecht mit einer noch älteren Maschine, einem GF-stählernen Ungetüm von Gattersäge aus der Schaffhauser Maschinenfabrik Rauschenbach, aus Baumstämmen gesägt. Ganz ähnliche Maschinen stehen anderswo seit Jahrzehnten in Heimatmuseen.
Alles in der Sägerei ist auf Einmannbetrieb ausgerichtet. Da ist der uralte einachsige Leiterwagen, mit dem ein Baumstamm ins Innere der Sägerei gebracht wird, der Kran als modernstes Gerät im Haus, der den Baumstamm auf ein Schienengefährt hebt, mit dem er durch die Sägeblätter geführt wird.
Auf diese Weise kann die ganze Sägerei ohne Angestellte betrieben werden, was während eines Grossteils ihrer Geschichte auch der Fall war. Das bedeutet aber auch, dass die Produktion eingeschränkt ist: Während Jakob Albrecht eine Maschine bedient, stehen die anderen still.
Alles wie immer
Die Industrialisierung hat ein Sägewerk nach Hemishofen gebracht, doch irgendwann ist sie an ihm vorbeigezogen. Die Zahnräder des Fortschritts waren schneller als diejenigen der kleinen Sägerei.
Erbaut wurde sie auf den Ruinen eines ambitionierten, aber erfolglosen Projekts der frühen Industrialisierung. 1846 eröffnete ein Zürcher Bankier hier die «Schweizerische Cichorien-Caffee-Fabrik». Landwirte aus der Umgebung bauten Zikorien an und verkauften die Wurzeln an die neue Firma, wo sie zu Kaffeeersatzprodukten verarbeitet wurden. Doch eine Überschwemmung und zwei Brände zwangen die Fabrik nach weniger als 20 Jahren in die Knie. Auf ihren Grundmauern entstand 1871 die Sägerei Albrecht.
Bis 1954 wurde die Säge von einem riesigen Wasserrad angetrieben: Die Sägerei nutzte die für die Zichorienfabrik nutzbar gemachte Kraft des Hemishoferbachs.
Spätestens mit dem Kauf der Rauschenbach-Gattersäge vor über 80 Jahren war die kleine Sägerei auf – für damalige Verhältnisse – Massenproduktion ausgerichtet. Heute sind, was Jakob Albrecht verarbeiten kann, im Vergleich mit modernen Sägereien Kleinstmengen. «Hier muss einer gern schaffen, um etwas zu verdienen», sagt der Säger. Und er kann nur gesägtes, aber kein weiter verarbeitetes Holz anbieten. Der Markt will gehobelte Bretter und verleimte Balken, aber in die dafür nötigen zusätzlichen Maschinen hat die kleine Sägerei nie investiert.
Schrittweise Veränderungen gab es trotzdem. Das Wasserrad hat ausgedient, im Keller steht heute ein Elektromotor. Aber weiterhin leitet eine enorme Transmissionsanlage die Energie mit Rädern und Riehmen auf die Säge: Aus der Kreisbewegung des Motors wird das Auf und Ab der Sägeblätter. Wenn er viele Bäume zu zersägen hat, klettert Jakob Albrecht mindestens einmal am Tag durch eine Luke im Werkstattboden in den Keller, holt die schwarze Fettpumpe und versorgt die Säge mit dem nötigen Schmiermittel. Alles wie immer. Alles, wie es schon sein Vater gemacht hat und drei Albrechts vor ihm.
Noch ist Albrecht geduldet
Mit dem Verkauf der Liegenschaft habe er eine dynamische Zeit erlebt, sagt Jakob Albrecht. Vielleicht ging es ihm am Ende doch etwas zu schnell: 2024 wäre er im Pensionsalter, er hätte sich auch vorstellen können, noch ein paar Jahre zu arbeiten. «Aber es isch, wies isch», konstatiert Albrecht unsentimental. Zwei Schaffhauser Immobilienfirmen haben ihm das Grundstück abgekauft: Über 9000 Quadratmeter, drei Viertel davon Bauland. Albrecht hat mit dem Verkauf wohl mehr verdient als in einem ganzen Arbeitsleben mit Sägen und Fräsen. Er vermutet, dass Mehrfamilienhäuser gebaut werden, und Albrecht, der direkt auf der anderen Strassenseite wohnt, scheint die Vorstellung nicht zu stören.
Wann genau er zum letzten Mal einen Stamm in die Gattersäge führt, weiss Albrecht noch nicht. Vorläufig könne er in Absprache mit den neuen Besitzern noch in der Sägerei arbeiten, sagt er. Aber Jakob Albrecht nimmt nicht mehr viele Aufträge an, der letzte Säger versucht vielmehr, das viele Holz, das in unterschiedlichen Stadien der Verarbeitung mehr oder weniger ordentlich gestapelt ist, noch loszuwerden: «Ich loos uuslaufe.» Irgendwann dieses Jahr, sagt er, sei Schluss.