In Osterfingen soll ein Hotel direkt vor die historische Bergtrotte gebaut werden. Kommandant der Übung: Alt-Gemeindepräsi Hansrudolf Meier.
Lieblich schmiegt sich Osterfingen in das stille Klettgauer Seitental. Reben überziehen die Hänge und umgeben das Weinbaudörfchen sanft. In diese Rebhänge soll nun ein Hotel gebaut werden. Und zwar direkt vor die altehrwürdige Bergtrotte; das historische Wahrzeichen von Osterfingen.
Soll das ein Scherz sein? – So wird in mehreren Kommentaren zu den ersten Visualisierungen des geplanten Hotels auf Social Media gefragt.
Tatsächlich sehen die Bilder aus, als hätte sich jemand einen Fotomontage-Streich erlaubt: Industrielle graue Häuserzeilen wurden mitten in die Reben gepflanzt. Was hat es damit auf sich?
Ein historisches Bijou
Die Bergtrotte liegt den Osterfingerinnen und Osterfingern am Herzen. Und sie steht als Kultur-Objekt von regionaler Bedeutung unter Schutz. Das Gebäude wurde im Jahr 1584 erbaut, hier wurden früher die Trauben gepresst. Nachdem die Trotte für das Weinkeltern längst ausgedient hatte, wurde sie von der lokalen Rebbaugenossenschaft übernommen und für Feste und Hochzeiten herausgeputzt. 2012 wurde eine Stiftung ins Leben gerufen, in deren Besitz die Trotte überging, sie wurde erweitert und renoviert. Seither ist sie als Restaurant und Eventlocation ein beliebtes Ausflugsziel.
Als historisches Bijou thront die Bergtrotte in den Rebhängen, der Blick schweift über das malerische Landschaftsbild zu ihr empor. Bald vielleicht nur unterbrochen: durch einen Hotel-Riegel mit 45 Zimmern.
Widerständiges Flugblatt
29. November, Gemeindesaal, Wilchingen: Erster Infoanlass zu den Hotelplänen. Was heute präsentiert wird, ist eine Machbarkeitsstudie, die lediglich herausfinden will, ob ein Hotel an diesem Standort umsetzbar wäre.
Zahlreiche Leute aus Osterfingen und Wilchingen sind erschienen – die beiden Dörfer fusionierten 2005 miteinander. Spannung liegt in der Luft.
Die Wilchinger Gemeindepräsidentin Virginia Stoll begrüsst die Leute. «Zuerst muss ich Sie etwas fragen», leitet sie einträchtig ein. «Wer von Ihnen hat gerne guten Wein? Wer von Ihnen trinkt ihn gerne in einer schönen Region?»
Und sie müsse noch etwas berichtigen, sagt Stoll, sie habe ein etwas ungutes Gefühl: Offenbar sei in Osterfingen ein Flugblatt bezüglich Hotel verteilt worden mit den Daten der kommenden Gemeindeversammlungen. So bald werde das aber noch nicht Thema.
Virginia Stoll weibelt heute Abend für die Hotelidee. Seit 2007 wolle man im Klettgau ein Hotel bauen, und «joommere», weil es nie dazu kam.
Doch nun habe man hier Leute mit etwas Pfupf im Füdle, die sich dem annehmen, sagt sie.
Damit gemeint ist vor allem einer: Hansruedi Meier, der Präsident der Stiftung Bergtrotte Osterfingen. Die Idee zu diesem Hotel ist seine Schöpfung.
Und Meier macht klar: Die Stiftung will das Hotel genau hier und sonst nirgends.
Ein Dorfkönig
Hansrudolf Meier war 16 Jahre lang Gemeindepräsident (FDP) von Wilchingen und zuvor 16 Jahre Baureferent der Gemeinde. Er kommt selbst aus dem Baugeschäft, ist ein Macher, der im Dorf vieles durchbrachte. Meier ist für seinen sturen Kopf bekannt und für seinen patriarchalen Führungsstil. Von einem Dorfkönig ist bei Einheimischen die Rede.
Meier präsidiert die Stiftung Bergtrotte Osterfingen, die er zusammen mit den Rebbauern ins Leben gerufen hatte. Die Bergtrotte ist sein Baby. Und nun will er ein Hotel dazuhaben. Der Betrieb der Trotte soll angekurbelt werden.

Hansrudolf Meier weiss, wie man Projekte aufzieht, Investorinnen und Investoren findet, Subventionen beantragt. Er ist nicht nur Präsident der Trotten-Stiftung, sondern auch Präsident des Vereins Regionaler Naturpark Schaffhausen, welcher die wirtschaftliche Wertschöpfung in der Region stärken will – subventioniert durch die Mitgliedergemeinden, den Kanton (mit 300 000 Franken jährlich) sowie den Bund (mit 650 000 jährlich). Die Geschäftsstelle des Regionalen Naturparks Schaffhausen befindet sich in Wilchingen – unter Gemeindepräsi Meier war sie sogar noch als Gast im Wilchinger Gemeindehaus beherbergt.
Nun wurde der Regionale Naturpark von der Bergtrotten-Stiftung für die Machbarkeitsanalyse für das Weinhotel in Osterfingen eingespannt, abgestützt durch den Kanton und durch Steuergelder.
Es handelt sich also um eine Zusammenarbeit von Hansrudolf Meier mit sich selbst. Er trägt auch die Projektleitung sowie die Leitung der Begleitgruppe.
Der Alt-Gemeindepräsi scheint das Hotelprojekt als Heimspiel zu betrachten. Die Bevölkerung soll, so sein erklärtes Ziel, wenn es denn soweit ist, möglichst einstimmig Ja sagen: zur Umzonung des Reblandes unterhalb der Bergtrotte in eine Hotelzone. Nur dann kann ein Hotel gebaut werden.
Für die Bergtrotte
Was Meier und der Stiftung vorschwebt: Ein Hotel mit 98 Betten in Zweier- und Familienzimmern, 10 Monate im Jahr geöffnet. Die Gebäude seien ideal in die Rebberge eingebettet, der Baumgarten hinter dem Dorf biete Sichtschutz. Das Hotel solle den Wein ins Zentrum stellen und bringe Wertschöpfung für die ganze Region.
Die Pläne machen allerdings klar, dass das Projekt vor allem für die Bergtrotte gedacht ist. Die Analyse habe gezeigt, dass im Klettgau besonders eine Nachfrage für grössere Reisegruppen ab 20 bis 30 Personen bestehe. Das Projekt wäre vertraglich an die Bergtrotte gebunden, die Küche, Speisesaal und Frühstücksraum bieten würde.
Fazit der Machbarkeitsstudie: Ein Hotel an diesem Standort sei machbar. Die zuständigen kantonalen Stellen seien früh einbezogen worden, auch die Raumplanung stehe dem Projekt positiv gegenüber.
Wer das Hotel finanzieren, bauen und betreiben würde, ist noch offen – die Bergtrotten-Stiftung würde aber auf jeden Fall involviert bleiben: sei es als Trägerin, die Hotel und Bergtrotte verpachtet, oder etwa als Landbesitzerin, welche dieses im Baurecht an eine fremde Trägerschaft abgibt. Das Vorverkaufsrecht für die drei nötigen Parzellen Land unterhalb der Trotte hat sich die Stiftung nämlich schon 2018 bei den Privatbesitzerinnen und -besitzern gesichert – 2028 verfällt der Vertrag.
Was das Hotelprojekt für die Gemeinde bedeuten würde, ist in allen Belangen noch unklar. Sie ist finanziell zumindest insofern involviert, als dass sie bei der Gründung der Stiftung Geld eingeschossen hat und das Stiftungsvermögen im Falle einer Aufhebung ihr zufällt.
Intransparente Standortevaluation
Alt-Gemeindepräsi Hansrudolf Meier sagt am Hotel-Infoabend abschliessend zum Publikum im Wilchinger Gemeindesaal: «Ich bin davon überzeugt, dass die Wilchinger und Osterfinger vernünftig sind und dem zustimmen. Der Gemeinderat und der Stiftungsrat stehen hinter der Machbarkeit wie die Soldaten», so Meier, und, mit Blick auf Gemeindepräsidentin Virginia Stoll: «Und die Soldatin».
Bei der Bevölkerung scheint es allerdings anders zu sein. Das Publikum hat da ein paar Fragen.
Doch bevor die Fragerunde richtig anläuft, ergreift ein anderer bekannter Mann aus dem Schaffhauser Tourismus-Kuchen das Wort: Blauburgunderland- und Schaffhauserland-Tourismus-Chef Beat Hedinger. «Ich trage heute drei Hüte. Der erste ist der Hut als Wilchinger, der zweite Hut ist ein Blauburgunder-Hut und der dritte ist der Tourismus-Hut. Unter jedem Hut steckt ein Mann, der ja sagt, zu dem, was wir hier gesehen haben.» Und: «Bitte unterstützen Sie dieses Projekt.»

Das Publikum scheint dazu aber wenig gewillt. Gegen ein Weinhotel per se scheint niemand etwas zu haben. Doch gegen dieses hier schon. «Ich fange mal so an», sagt ein Osterfinger: «Es tut einem eigentlich weh, wenn man das sieht, es ist schade, dass die Idee eines Weinhotels so realisiert werden soll. Das ist eine Schuhnummer zu gross.»
Diese Meinung teilen viele. Die Hauptkritik des Publikums: Es seien keine unabhängigen Leute in die Studie involviert und die Evaluation intransparent. Die Architektur gefalle nicht und vor allem: Der Standort passe nicht.
Gemeindepräsidentin Virginia Stoll beschwichtigt: «Fahrt eure Gemüter herunter, es ist nur eine Visualisierung. Mir persönlich gefällt die. Man müsste mal probieren, wie es etwa ohne Dächlein aussieht. Es grundsätzlich schlecht zu reden, finde ich schade.»
Alt-Gemeindepräsident Meier scheint die Kritik aber sehr persönlich zu treffen. Er droht: «Für die Stiftung macht ein Hotel nur Sinn an diesem einzigen Ort. Sonst lässt der Stiftungsrat davon die Finger. Dann wird aber auch kein Hotel entstehen.»
Sonst müssten die Leute einen neuen Meier finden, der wie er, hunderte von Stunden investiert, notabene ohne Bezahlung, so Meier dominant: «Wir haben einen Weg eingeschlagen, und ich wäre froh, wenn wir auf diesem Weg vorwärts gehen. Am Schluss entsteht genau das, was faktisch möglich ist.»
Doch die Bevölkerung will sich keinen Sand in die Augen streuen lassen. Ein lokaler Winzer erhebt sich im Publikum: «Alles, was wir gehört haben, ist Augenwischerei. Wir haben einzig Einfluss auf das Projekt, in dem wir Ja oder Nein zur Umzonung sagen. Danach bleiben uns nur noch die Baueinsprachen.»
In der Tat kann die Bevölkerung nur beim Zonenplanverfahren und bei der Quartierentwicklung mitreden.
Brisant dabei: Eigentlich besteht heute bereits eine Hotelzone ganz in der Nähe beim Familienbetrieb Bad Osterfingen.
Pläne für ein Hotel sind dort eigentlich durchaus angedacht, wie Michael Meyer vom Bad Osterfingen bestätigt. Der Wilchinger Gemeinderat habe sich zur eingereichten Projektstudie nicht geäussert, sagt Michael Meyers Anwalt Gion Hendry. Der Gemeinderat müsste seiner Meinung nach eine neutrale Rolle einnehmen – die Machbarkeitsanalyse der Stiftung Bergtrotte Osterfingen und des Regionalen Naturparks sei tendenziös.
In ihrer Evaluation vergleichen die Stiftung und der Naturpark die beiden Hotel-Standorte Bad und Trotte: Sie verteilen Punkte von eins bis drei in verschiedenen Kategorien: Wie die Punktevergabe zustande kommt, ist schleierhaft – jedenfalls fällt der Vergleich zu Gunsten der Bergtrotte aus.
Was das Traditionshaus Bad Osterfingen mit seiner Hotelzone effektiv vorhat, das kümmert Hansrudolf Meier wenig. Das sei nicht sein Business, sagt er am Telefon gegenüber der AZ.
Meiers Vision
Die Vision eines Hotels bei der Bergtrotte, das rentiert und sich optimal in die Landschaft einfügt, scheint an diesem Abend vor allem für Hansrudolf Meier und für die anderen Involvierten greifbar.
Noch ist unklar, was dieses Hotel genau soll. Ist es vor allem das Hobby eines pensionierten Machers vom Bau? Eines ehemaligen Dorfkönigs, der sich ein Denkmal setzen möchte? Der sich immer noch verantwortlich fühlt, dafür zu schauen, «dass es jetzt endlich mal vorwärts geht in diesem Chläggi», wie er am Infoabend sagt?
Nach seiner persönlichen Motivation gefragt, sagt Hansrudolf Meier später am Telefon gegenüber der AZ, sein Ziel sei immer noch das gleiche wie in seinen 32 Jahren im Gemeinderat: dass sich die Gemeinde nachhaltig weiterentwickelt. Denn im Moment laufe das nicht so, wie er es sich vorstelle.