Die städtischen Werke SH Power sind die Milchkuh der Stadt. Die Bürgerlichen möchten sie zerlegen. Was ist dran an der Kritik?
Es ist ein grosser Auftritt, den FDP-Grossstadtrat Severin Brüngger in der Budgetdebatte des städtischen Parlaments Mitte November hinlegt. Eigentlich geht es um eine Personalaufstockung bei den städtischen Werken SH Power. Doch Brüngger, Nachwuchshoffnung des Schaffhauser Freisinns, nutzt die Gelegenheit für einen Rundumschlag. Die Dienstleistungen von SH Power entsprächen nicht dem Leistungsauftrag, so Brüngger. Wärmepumpen zu installieren, gehöre nicht zur Grundversorgung und konkurrenziere das lokale Gewerbe.
Der altgediente Stadtpräsident Peter Neukomm, zuständig für SH Power, hat den Angriff kommen sehen. Den ganzen Sonntag bereitete er sich darauf vor und wirft sich nun schützend vor seine Werke. Bittet darum, am Budget nicht etwas durchzuexerzieren, das nicht in die Budgetdebatte gehöre.
Severin Brüngger entgegnet, er seinerseits habe sich länger als nur einen Sonntag mit SH Power auseinandergesetzt. Später geht er sogar so weit, das Thema als Argument gegen eine Lohnerhöhung aller Stadtangestellten anzubringen. «Von der Lohnerhöhung würden auch rund 160 Angestellte der SH Power profitieren, viele davon leisten keinen Service public», sagt er gegenüber den Schaffhauser Nachrichten.
Es ist nicht das erste Mal in den vergangenen Monaten, dass Severin Brüngger die städtischen Werke torpediert. Zusammen mit seiner Partei der FDP und der SVP hat er einen Grossangriff lanciert. Was ist an der Kritik dran?
Der bürgerliche Traum
Die städtischen Werke versorgen die Bevölkerung mit Strom, Gas, Wärme und Wasser und betreiben die Siedlungsentwässerung. Daneben bieten sie Dienstleistungen an, die über die Grundversorgung hinausgehen: Die Mitarbeitenden von SH Power installieren in Privathaushalten Heizungen, Lampen oder Solarpanels, das ganze Gebäude kann man von ihnen energetisch ausstatten lassen. Sie bezeichnen sich als Unternehmen, sind aber eigentlich eine Verwaltungsabteilung der Stadt. Nur besonders gross und speziell organisiert: Die Werke wirtschaften auf eigene Rechnung, müssen sich vor dem grossen Stadtrat lediglich mit einem undetaillierten Globalbudget ausweisen und spülen der Stadt jährlich mehrere Millionen in die Kasse. SH Power ist eine Milchkuh.
Insbesondere der FDP und der SVP widerstrebt die staatlich geführte Mischform zwischen Verwaltung und Firma. Ihr mehrfach erklärter Traum wäre es, die Werke in eine AG zu verselbstständigen. Dies hat bei der linksgrünen Mehrheit im Stadtparlament aber keine Chance, da diese die Grundversorgung nie aus der Hand geben würde. Ebensowenig beim Volk, das sich 2002 klar gegen eine Verselbstständigung der Werke in eine AG aussprach. Deshalb träumen die Bürgerlichen realistischer: von einer selbstständigen öffentlich-rechtlichen Anstalt.
«SH Power hat keinen Leistungsauftrag, Geschäftsfelder ausserhalb der Grundversorgung zu erschliessen.»
FDP-Grossstadtrat Severin Brüngger
Schon jahrelang sägen FDP und SVP im Parlament an den städtischen Werken. Dabei zielen sie oft auch gegen den SP-Stadtpräsidenten und Werkreferenten persönlich.
Doch nun tritt Severin Brüngger frisch und neu aufmunitioniert ins Spiel.
Steckenpferd SH Power
Severin Brüngger, Grossstadt- und neu auch Kantonsrat, ist der Posterboy des lokalen Neoliberalismus. Für seine Auftritte erntet er viel Zustimmung von den Bürgerlichen: «Kantonsrat SH: Der neue FDP-Kantonsrat Severin Brüngger fällt in vielen Abstimmungen sehr positiv auf als wirtschaftsliberaler Kämpfer gegen ungebremsten Staatswachstum», twittert etwa SVP-Kantonsrat Pentti Aellig.
Brüngger, Linienpilot, war als Handballer in der Kadetten-Schmiede bei Giorgio Behr – Handballmäzen, Bock-Verleger und reichstem Schaffhauser Unternehmer – und hat soeben eine weitere Ausbildung absolviert. Und zwar bei einem Mann, der für die Schaffhauser Freisinnigen eine Lichtgestalt ist und der schon Stadtrat Daniel Preisig bei der Verselbstständigung der VBSH inspirierte: HSG-Professor und Privatisierungs-Papst Kuno Schedler. Severin Brüngger hat eine Weiterbildung mit Abschlussarbeit bei Schedler gemacht. Gewähltes Thema seiner Arbeit: SH Power.
Brüngger kommt dabei zum Schluss, dass die Verselbstständigung in eine private Aktiengesellschaft der beste Weg wäre. Als «best practice» sieht er die Umwandlung in eine öffentlich-rechtliche Anstalt – und untermauert damit die Linie des Schaffhauser Freisinns.
Brüngger kritisiert, dass sich SH Power zu sehr ausgedehnt habe: In seiner Kolumne im Schaffhauser Bock nennt er den Staatsbetrieb eine «sexy Krake», die in den Teichen von Elektrikern, Heizungsmonteuren und anderen Gewerbetreibenden fische. Man müsse die Krake eindämmen und in ihr ursprüngliches Revier zurückdrängen.
Und, so erklärt Brüngger gegenüber der AZ, zusätzlich problematisch dabei: Das Parlament wisse nicht genau, wie SH Power geschäfte. Die unterschiedlichen Geschäftstätigkeiten und Einnahmen seien im Globalbudget, das das Parlament zu bewilligen hat, zu wenig ausgewiesen, sagt Brüngger, der in der Geschäftsprüfungskommission des Grossen Stadtrats sitzt. Die Mitarbeitenden von SH Power würden einen hervorragenden Job machen. Doch die Strukturen seien nur als «Schönwettermodell» tauglich. Wer die Verantwortung bei einem allfälligen Scheitern trage, sei unklar.
Brünggers Kritikpunkte en bref: SH Power habe sich für eine Verwaltungsabteilung zu sehr ausgebreitet, konkurrenziere das lokale Gewerbe mit Tiefstpreisen und geschäfte zu intransparent.
Unkritische Linke
Hat Brüngger recht? Oder ist SH Power nur das Steckenpferd, das sich der liberale Newcomer ausgesucht hat und das er nach der puren Privatisierungs-Lehre von Professor Schedler beackert? Alles ideologisches Geplänkel? So kommt es bei der Linken jedenfalls an.
Dass die Geschäftspraxis von SH Power rechtens ist und sich auf politische Entscheide im Parlament und an der Urne stützt, das kann Stadtpräsident Peter Neukomm im Parlament und gegenüber der AZ plausibel darlegen. Ebenso, dass sie keinen spekulativen Handel mit Strom betreibt wie von den Bürgerlichen eingebracht. Und ein Stück weit verspricht Neukomm auch mehr Transparenz beim Globalbudget.
Doch in all den Ratsdebatten und der öffentlichen Diskussion der vergangenen Jahre fällt auf, wie alarmiert der Stadtpräsident und die SP auf die Angriffe auf SH Power reagieren. Die linke Haltung scheint: An SH Power darf nicht gerüttelt werden – denn die Rechte beabsichtigt den Umsturz respektive die Verselbstständigung von SH Power. Und diese ist für die SP indiskutabel.
«Ich möchte nicht, dass SH Power einfach selbst entscheidet, wie sie geschäftet.»
SP-Grossstadtrat Matthias Frick
Weil die Bürgerlichen SH Power so viel Geringschätzung entgegenbringen, stellt sich die Linke oft reflexartig vor die Werke und preist ihren Wert. «Was ich heute nicht gehört habe: SH Power ist die Milchkuh der Nation», ruft etwa Urs Tanner an der Budgetdebatte in Erinnerung. Und, so scheint es: diese Kuh ist der Linken heilig.
Doch nun kommt Bewegung in die Sache.
Überraschender Rückhalt
Severin Brüngger erhält teilweise Zuspruch von überraschender Seite: SP-Grossstadtrat Matthias Frick, der mit ihm in der GPK sitzt, durchbricht die abwehrende Haltung der Linken.
Er ist der Meinung, man müsse über SH Power reden: «Das Grundproblem ist, dass sich SH Power nicht wie eine Verwaltungsabteilung gebärdet, sondern auch wie eine selbstständige Firma, die das lokale Gewerbe konkurrenziert. Da hat Severin Brüngger recht», so Frick gegnenüber der AZ. «Ich sage nicht, dass dieses Geschäftsmodell falsch ist – ich stelle nur fest, dass es so ist und dass wir keine Diskussion darüber geführt haben. Und ehrlich gesagt möchte ich nicht, dass SH Power einfach selbst entscheidet, wie sie geschäftet. Ich möchte, dass die Politik bestimmt, denn so sollte es bei einer Verwaltungsabteilung sein. Und dass die Tätigkeiten von SH Power im Budget transparent und nicht wie in einem Gemischtwarenladen ausgewiesen werden. Wir müssen auch überprüfen können, ob die Privathaushalte nicht zu viel für die Grundversorgung zahlen.»
Der Unterschied: Matthias Frick will, im Gegensatz zu Severin Brüngger, mehr und nicht weniger politische Steuerung: Er möchte, dass wie früher wieder ausschliesslich Vertreterinnen und Vertreter von Stadtrat und Parlament in der SH-Power-Verwaltungskommission das Sagen haben. Heute sind externe Fachpersonen in der Mehrheit (inklusive Personalbeauftragter von SH Power).
Vorstellbar wäre für Frick auch, dass die Dienstleistungen, die neben der Grundversorgung angeboten werden, aus der Verwaltungsabteilung ausgegliedert würden – natürlich nur so lange der Hauptbereich der Grundversorgung nicht angetastet wird.
Ob SH Power für die Linke eine heilige Kuh bleibt oder ob sie bereit ist, den heutigen Auftrag der Werke kritisch anzuschauen, wird sich zeigen. Diskussionen stehen kommendes Jahr an: Die Eignerstrategie von SH Power sowie die Versorgungsaufträge werden im Parlament verhandelt. Und mit ihnen die Organisationsform respektive die Frage, ob die Kuh geschlachtet, zerlegt und verkauft werden soll oder nicht.
Gelassen bleiben
Nora Leutert über die ideologischen Grabenkämpfe um SH Power
Er wisse nicht, wieso Stadtpräsident Peter Neukomm sich immer gleich so aufrege, wenn SH Power kritisiert werde, sagt Grossstadtrat Severin Brüngger arglos am Telefon. Und in der Tat: Der Werkreferent Neukomm wirkt schnell alarmiert, wenn es um seine städtischen Werke geht.
Der Alarmismus ist nicht unbegründet: Severin Brünggers FDP und die SVP sägen seit Jahren an den städtischen Werken. Und an den Nerven des SP-Stadtpräsidenten. Jüngst beantragten die Bürgerlichen in der Budgetdebatte, angeführt von Brüngger, kein neues Personal bei SH Power einzustellen – weil sie dagegen sind, dass SH Power Wärmepumpen installiert und damit den freien Markt konkurrenziert.
Den Bürgerlichen missfällt die Mischform aus staatlichem Betrieb und Unternehmen, den die städtischen Werke darstellen: SH Power ist eine Verwaltungsabteilung der Stadt mit eigener Rechnung. Und SH Power gedeiht prächtig, der Betrieb warf bisher Millionen ab. Er ist eine Milchkuh, welche die Bürgerlichen am liebsten schlachten und zerlegen würden: in eine private Aktiengesellschaft oder zumindest in eine selbstständige öffentlich-rechtliche Anstalt.
Sie merken schon: Es geht hier um die ganz grossen Linien.
Für die Linke ist die Grundversorgung unantastbar. SH Power ist für sie die heilige Kuh. In jeder Kritik von rechts sehen die Linken die gross angelegte Sabotageoperation. Befeuert wird diese Befürchtung dadurch, dass die Kritik von rechts oft auch persönlich gegen den SP-Werkreferenten Peter Neukomm zielt.
Dabei wurde die heutige Struktur der städtischen Werke gar nicht von Neukomm aufgebaut, sondern von dessen Vorgänger: FDP-Stadtpräsident Marcel Wenger.
Nachdem sich die Bevölkerung 2002 klar gegen eine Verselbstständigung der städtischen Werke in eine Aktiengesellschaft ausgesprochen hatte, leitete Wenger ihre Reorganisation in die Wege, die zum heutigen Status quo führte. Sein Ziel war, die Verwaltungsabteilung unternehmerischer, flexibler und marktfähiger zu gestalten.
Genau das ist es, was seine Partei, die FDP, heute an den städtischen Werken kritisiert.
Es ist verständlich, wenn Peter Neukomm das persönlich nimmt und beim Thema SH Power empfindlich reagiert. Und nicht zuletzt fühlt er sich auch verantwortlich für die Mitarbeitenden. Gegenüber der AZ sagt er, es fehle ihm bei einigen Bürgerlichen das Bekenntnis gegenüber SH Power und an Wertschätzung für den Job, den die Mitarbeitenden der städtischen Werke machen.
Doch Neukomm und die Linke sollten versuchen, den Angriffen der Bürgerlichen mit Gelassenheit zu begegnen, die Spannungen auszuhalten und sich auf die Diskussionen im Parlament einzulassen.
Die politische Legitimation für den bisherigen Kurs von SH Power ist da. Nur wenn Neukomm und die Linken es schaffen, die Kritik auszuhalten, haben sie die Offenheit, selber kritisch auf die städtischen Werke zu schauen und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: dass wir Bürgerinnen und Bürger günstigen und sauberen Strom und Wärme von SH Power erhalten.