Die Facebook-Piraten

28. November 2022, Simon Muster

Auf Facebook geben sich anonyme User als Kanton Schaffhausen aus – und tanzen der Staatskanzlei auf der Nase rum. Diese prüft inzwischen eine Strafanzeige.

Gezielte Desinformation oder reines Trolling: Wer will, kann sich auf Social Media unter dem Namen einer Prominenten, eines Konzerns oder einer Regierung zu Wort melden. Elon Musks grandios gescheiterter Versuch mit gekaufter Verifikation auf Twitter hat uns an die Anfangszeit von Social Media erinnert, als diese dem Wilden Westen glich. Mit realen Konsequenzen: So gab sich eine anonyme Person als Pharmakonzern Eli Lilly aus und versprach der Welt grossmundig gratis Insulin. Der Konzern verlor innert kürzester Zeit zig Milliarden Franken an Marktwert.

In Schaffhausen gibt sich derweil jemand mit einem Facebook-Profil als «Kanton Schaffhausen» aus. Dort werden keine gratis Medikamente versprochen, sondern Landschaftsbilder und Behördeninfos geteilt. Eigentlich unverdächtig. Wenn sich die Betreiber nicht alle Mühe geben würden, wie eine offizielle Seite des Kantons daherzukommen. Auf Facebook kann man sich zwar keine blauen Haken kaufen, aber die Facebook-Seite ist als «Öffentliche Verwaltung und Regierungsbehörde» kategorisiert und verwendet das Kantonswappen als Profilbild.

Dass die Seite eine Fälschung ist, machten unlängst Radio Munot und Tele Top bekannt. «Die Posts sind harmlos, aber die Seiten könnten zur Irreführung der Bevölkerung verwendet werden», sagte SVP-Kantonsrat Peter Scheck Anfang Oktober gegenüber Tele Top. Als Antwort empfahlen die Betreiberinnen dem Kanton im selben Beitrag frech, er könne ihnen die Seite ja abkaufen.

Seither hat sich wenig geändert, die Betreiberinnen segeln weiterhin unter der Flagge des Kantons. Dieser sagt, er sei machtlos und habe keine Ahnung, wer hinter der Facebook-Seite steckt. Auch für die AZ möchten die Betreiber nicht aus der Anonymität treten.

Bleibt also nur eine digitale Verfolgungsjagd auf dem Informationsfluss.

In den Kommentaren politisch

Erstmals thematisiert hatte die falsche Behördenseite SP-Grossstadtrat Matthias Frick. Mehrfach stiess er bereits mit dem Betreiber in Kommentarspalten zusammen. Als der Admin von «Kanton Schaffhausen» die Verantwortlichen des städtischen Werkhof-Projekts in einem Kommentar als «absolute Versager» bezeichnet, kommentiert Frick: «Wer sind Sie, dass Sie im Namen des Kantons und / oder Stadt Schaffhausen solche Kommentare absenden. Das ist strafbar.»

Er wisse nicht, wer hinter dem Account stecke, sagt Frick auf Anfrage. Aber: «Ich vermute eine eher harmlose ältere Person dahinter, die nichts Böses im Sinn hat.» Nicht gerade ein heisser Tipp.

Was auffällt: In den Kommentarspalten interagiert der Admin auffällig oft mit anderen Facebook-Seiten, deren Namen allesamt auch offiziell klingen: «Stadt Schaffhausen», «Schaffhausen City», «Rheinfall Schaffhausen», «Munot Schaffhausen». Ein Vergleich der Posts zeigt: Regelmässig tauchen die gleichen Posts auf mehreren dieser Seiten zur selben Zeit auf. So posten vier von ihnen am 6. April 2020 um 22:00 Uhr ein Corona-Erklärvideo des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Am 22. Oktober teilen im Abstand von wenigen Minuten alle Seiten ein Bild von «Rheinfall Schaffhausen». Offensichtlich stehen bei allen Seiten die gleichen Personen am Ruder.

Am aktivsten ist dabei die Seite «Schaffhausen City», die bereits 2010 aufgeschaltet wurde und mit über 3700 Likes eine verhältnismässig grosse Reichweite hat. In den Seiteninformationen von «Schaffhausen City» wird auf die Seite «schaffhausen.net» verlinkt – dasselbe tun auch «Rheinfall Schaffhausen» und «Stadt Schaffhausen». Der Betreiber von Schaffhausen.net: Der Anwalt und Unternehmer Beat Hochheuser.

Auf den ersten Blick ein Volltreffer: Hochheuser ist ein lokaler Internetpionier, die Domain schaffhausen.net kaufte er bereits 2004. Mitte der 2010er-Jahre betrieb er unzählige weitere Blogs und Webseiten: Schaffhausen Film, Schaffhausen Game, Beat.ch. Als noch fast niemand den zukünftigen Wert guter Domains erahnte, sicherte er für seine Geschäfte beispielsweise tinte.ch. Dass er zu der Zeit, als Facebook gerade richtig durchstartet, auch als erster Seiten über Schaffhausen anlegt, scheint naheliegend.

Ist Hochheuser also der Mann hinter der Facebook-Armada? Hochheuser winkt auf Anfrage ab: Er habe nichts mit den Seiten zu tun. Warum diese auf seine Homepage verweisen, wisse er nicht. Die Verantwortlichen schreiben, Fans der Seiten hätten den Verweis auf «schaffhausen.net» vorgeschlagen und Facebook habe das automatisch übernommen.

Politisch motiviert?

Tatsächlich unterscheidet sich Hochheusers privater Facebook-Auftritt deutlich von jenem der Facebook-Piraten. Diese treten vor allem in der Kommentarspalte der Schaffhauser Nachrichten pointiert politisch auf: Sie loben als «Kanton Schaffhausen» die SN für ein Porträt von Staatsschreiber Stefan Bilger, fordern als «Stadt Schaffhausen» ein Budgetreferendum in der Stadt, fahren mit der Seite «Rheinfall Schaffhausen» Politiker Frick an den digitalen Karren. Unter einen Artikel dieser Zeitung über die Nominationsveranstaltung der Städtischen SP kommentierte «Kanton Schaffhausen» im Bezug auf Linda de Ventura: «Linda <3».

Das alles wirft die Frage auf: Steht jemand mit politischen Interessen hinter den Accounts? Und wenn ja: Mit welchen? Während Matthias Frick nicht davon ausgeht, dass die Betreiberinnen bewusst politische Propaganda betreiben, findet die Staatskanzlei deutlichere Worte: Von dem Account «Kanton Schaffhausen» gehe eine eindeutige Täuschungsabsicht aus.

Konfrontiert mit dem Vorwurf, bezeichnen sich die Betreiberinnen gegenüber der AZ als «regionale Meinungsmacher», die mit ihren Seiten die öffentliche Kommunikation demokratisieren wollen. Die Seiten seien vor gut zehn Jahren angelegt worden, um die Region zu bewerben. Sie seien aber partei- und konfessionslos, was sich allerdings nicht überprüfen lässt. Auf ihre politische Grundhaltung angesprochen, breiten sie ein eklektisches Programm aus: Sie stünden für Gleichstellung und Klimaschutz, tiefere Steuern (aber nicht wie Zug), mehr ökonomisches Denken in der Verwaltung und den Schutz von Eigentum ein.

Kanton prüft Strafanzeige

Die Staatskanzlei schreibt, sie habe bereits den Kontakt mit dem Facebook-Mutterkonzern «Meta» gesucht – allerdings erfolglos. Der us-amerikanische Milliardenkonzern antworte auf die Forderungen des Kantons nur mit automatisch generierten E-Mails. Inzwischen prüft die Staatskanzlei eine Strafanzeige gegen unbekannt. Zudem hat die Staatskanzlei in zwei Fällen bei den Schaffhauser Nachrichten interveniert und sie gebeten, Kommentare der Facebook-Seite «Kanton Schaffhausen» unter ihren Artikeln zu löschen. Ohne nachhaltigen Erfolg: Am Dienstag kommentierten sowohl «Kanton Schaffhausen» und «Stadt Schaffhausen» munter weiter in der SN-Kommentarspalte.

Die Betreiberinnen verstehen den Gegenwind der Behörden nicht: Sie erhielten fast täglich Fragen aus aller Welt, die sich um die Region drehen und würden diese, oft mit Hilfe von Google, gerne beantworten. «Wir würden es aber begrüssen, wenn der Kanton hier aktiver wird.»

Dafür würden sie auch ihr Wissen mit den Behörden teilen. Nur nicht ihre Identität.