Der Mischler

10. Oktober 2022, Marlon Rusch
Dominic Meister auf der leeren Wiese im Pantli, wo seine riesige Siedlung ausgesteckt ist. Foto: Robin Kohler

Dominic Meister hat sein Architekturbüro zum Branchenprimus getrimmt. Dost denkt grösser als die Konkurrenz – und wird dafür bewundert und belächelt. Jetzt will das Büro im Pantli ein ganzes Quartier bauen. Hat die Hybris übernommen?

Im Entree des Architekturbüros Dost an der Finsterwaldstrasse steht ein Teil der Schaffhauser Altstadt. Das hölzerne Modell gehört der Stadt, doch seit Jahren steht es bei Dost. Wenn Marcel Angele, der Leiter der Stadtplanung, etwas nachschauen muss, fährt er hierher.

Vor 25 Jahren von zwei jungen Hochbauzeichnern gegründet, ist das Architekturbüro heute mit 37 Mitarbeitenden das grösste der Region. Doch im Grunde ist Dost dieser Kategorie längst entwachsen. Die Chefs und Kreativköpfe denken lieber über «Kreislaufwirtschaft» und «Sozialraummorphologie» nach und beschäftigen sich mit «Prozessdesigns» und «verborgenen Wahrheiten». Man schlägt hier gern die grossen Bögen. Und offenbar funktioniert das Konzept.

Nach 12-jähriger Planung hat Dost kürzlich enthüllt, dass das Büro auf dem sieben Fussballfelder grossen Areal der GF im Pantli ein ganzes Quartier bauen will, 223 Wohnungen auf 26 600 Quadratmetern Wohnfläche. Das 120-Millionen-Franken-Projekt wird vom Generalunternehmer Ore umgesetzt, einem Ableger von Dost. Das Büro tritt also selber als Investor auf. Das Produkt ist marktreif, derzeit werden Partner gesucht, den Quartierplan konnte Dost von einem früheren, nicht realisierten Projekt übernehmen, die Baubewilligung wird im kommenden Sommer erwartet.

Es ist ein städtebaulicher Coup, doch spricht man andere Schaffhauser Architekten auf Dost an, werden reihenweise Hände verworfen. Dost mache Fassadenarchitektur, oberflächlich, plakativ, plump. Der Gründer und CEO Dominic Meister sei ­ein selbstgefälliger Effekthascher, Schaumschläger und Möchte­gern-­Visionär. Einige reden sich richtiggehend in Rage.

Und man fragt sich: Ist das bloss der Futterneid? Oder wie passt das sonst zusammen?

Dost ist ein Akronym, der Name steht für Dominic und Stefano, zwei Jugendfreunde aus Wilchingen, die zusammen in die Lehre gingen. Sie hatten dieselbe Energie, denselben Gründergeist, konnten gut zeichnen und sogen Baukultur richtiggehend auf. Die beiden haben «den Grind oben rausgehalten», erinnert sich ihr ehemaliger Berufsschullehrer, der Architekt Christian Wäckerlin. Stefano Tissi und Dominic Meister verbrachten ihre Zeit in einer Garage und schweissten aus gesammelten Schrottteilen Designobjekte zusammen, doch zuhause hatte auch jeder einen Zeichentisch, und nach der Lehre wollten sie bauen. Also stiegen sie ins Auto der Mutter, fuhren zu den Leuten aufs Land und sagten: Ihr habt da Land, können wir darauf ein Haus bauen? Ab und an war die Antwort: Ja.

Im Grunde funktioniert die Methode Dost heute, ein Vierteljahrhundert später, noch genauso. «Reden, bis der Mund blutet», wie Dominic Meister es ausdrückt. «Die Häuser, die wir damals in Uhwiesen gebaut haben, hätten auch andere Architekten planen können. Aber die sind eben nicht vorbeigegangen und haben gefragt.»

Dost ist ein KMU-Klischee. Dabei ist das Umfeld, die Architektur, ein Ort, wo für gewöhnlich andere Werte gelten: Zurückhaltung, Demut. Dominic Meister aber fährt noch immer aufs Land, heute tut er es im weissen Tesla und statt Einfamilienhäuser zu bauen, geht er lieber zu den Gemeindemunis und entwickelt für sie Siedlungsentwicklungsstrategien. Kein Wunder, überrollt Dost in Schaffhausen gerade die ganze Branche.

Schon sein Auftritt, wie ein Architekt aus einem Comic: Meist trägt Meister ein schwarzes T-Shirt, die weite Jeans hängt tief, die Lederschuhe sind abgewetzt, unter der Glatze eine Corbusier-Brille. So stellt er sich auch gern auf die Bühne vor hundert Anzugträger und erzählt von grossen Visionen.

Stefano Tissi, die andere Hälfte von Dost, ist vor 13 Jahren aus der Gesellschaft ausgestiegen und macht seither Bauherrenberatung. Heute sagt er, er sei eben mehr Realist als Utopist. Die aktuelle Dost-Troika besteht aus dem Finanzchef Andi Loew, einem Bauökonomen, der daneben die Schaffhauser Waldorfschule präsidiert; dem Kundenverantwortlichen Julian Tschanen, einem begeisterungsfähigen ehemaligen Dost-Lehrling und Innenarchitekten; und aus CEO Meister, dem Spiritus Rector.

Eine Fabrik für Architektur
Das Büro in einem ehemaligen Bordell an der Finsterwaldstrasse ist organisiert wie kein zweites in Schaffhausen. In einer Entwurfsabteilung werden Visionen kreiert, dann werden sie weitergegeben in die Ausführung. Bei Dost arbeiten viele Praktikantinnen aus dem Ausland, die wenig kosten, gut betreut werden, aber auch liefern müssen. Sie bringen die Visionen zu Papier und bauen Modelle. So schafft Dost die Kapazität an Plänen, Argumenten und Analysen, die nötig sind für das Geschäftsmodell. Dost schlage einen tot mit Material, sagen Leute aus dem Baugeschäft. Powerpoint-Präsentationen werden von einem «Choreografen» zusammengestellt. Das Büro ist eine Architekturmaschine. Und die Pläne entstehen oft gar nicht auf Auftrag.

Dominic Meister wartet nicht, bis Anfragen reinkommen, er wandelt durch den Kanton, sieht Opportunitäten, kreiert Ideen, lässt seine Mitarbeitenden zeichnen und geht dann mit fertigen Plänen hausieren. Mitarbeitende des städtischen Hochbauamts erzählen, Meister rufe dauernd an, wolle dies und das, man komme nicht um ihn herum.

Bei der schieren Menge an Projektideen spielt es keine grosse Rolle, dass Dost bei vielen Projektideen den Zuschlag nicht bekommt oder die Ideen versanden. Dost ist als einziges Architekturbüro Mitglied von Pro City, Meister sitzt im Gemeinderat von Flurlingen, er ist der Krämer unter den Schaffhauser Architekten. Und offenbar schafft er es, dabei nicht so penetrant zu werden, dass man ihm die Türen vor der Nase zuknallt.

Auch Kritiker, die das Konzept und die Architektur von Dost verabscheuen, sagen: Dominic ist ein sympathischer Typ. Und was für die Wirkung nach aussen gilt, gilt auch für die Wirkung nach innen. Meister geht auch mal am Samstagmorgen mit seinen spanischen Praktikanten Basketballspielen. In der Büroküche liegt bei einem Besuch am Montagabend ein Anmeldezettel fürs Yoga am frühen Dienstagmorgen. Die Liste ist fast voll. Dost steht für ein Gemeinschaftsgefühl.

Die Methode der Akquise funktioniert in Schaffhausen aus mehreren Gründen. Einerseits gibt es hier nur einen, der so funktioniert: Dominic Meister. Andererseits gibt es in Schaffhausen keine echte Architekturkultur. Es gibt wenig Diskurs über gutes Bauen, es gibt wenige echte, anonyme Wettbewerbe, die es ermöglichen würden, dass öffentlich Vergleiche über Qualität angestellt werden. In Schaffhausen ist Marketing wichtig, und das kommt Meister zugute. Dost ist kein Wettbewerbsbüro, immer wieder schifft das Büro in Wettbewerben grausam ab, plant an der Essenz vorbei, wird in Juryberichten verrissen. Und die Schaffhauser Architektinnen sagen dann jeweils: Jaja, der Dost … Im Grunde ist es ein Kompromiss: Wer Architektur mit der Methode einer Fabrik produziert und den Kanton mit Ideen flutet, kann beim einzelnen Projekt nun einmal weniger in die Tiefe gehen.

Dost versucht, das Defizit mit Lautstärke wettzumachen. Die Architektur ist schrill, expressiv, plakativ. Kritiker schnöden über plumpe Grundrisse und Schnitte, darüber, dass Dost überall dasselbe Haus baue und dann als Markenzeichen alles weiss anmale. Dost arbeite Konzepte aus. Doch statt dann an den Konzepten zu feilen, bis das letzte Küchenplättchen seinen Platz hat, gehe das Büro husch husch zum Bau über.

Dominic Meister hat nie Architektur studiert, der Fachdiskurs interessiert ihn wenig, lieber macht er sich auf ausgedehnten Spaziergängen selber ein Bild von der Welt. Das kann man natürlich als Hochmut abtun, doch Meister hat durchaus Vorbilder, denen er nacheifert. Der dänische Konzept-Architekt Bjarke Ingels etwa, praktisch gleich alt wie der 47-jährige Dominic Meister, ein Enfant terrible wie aus dem Buche. Ingels preisgekrönte Entwürfe sind plakativ, spielerisch, er sei ähnlich unkonventionell und visionär wie der Tesla-Chef Elon Musk, sagen Bewunderer. Ingels wohnt in einem extravagant umgebauten Fährboot im Hafen von Kopenhagen. In seiner Arbeit geht es um maximale Wirkung. Man schaue sich etwa den O-Tower in Hangzhou an, ein Wolkenkratzer, der aus einer schillernden Möbiusschleife besteht. Oder Copenhill, eine Skipiste auf einer Müllverbrennungsanlage im flachen Kopenhagen. Doch derartige geniale Konzeptarbeit funktioniert nur, wenn alles zu 100 Prozent stimmt.

Foto: Robin Kohler

Meister hat in Flurlingen einen extravaganten Betonbunker mit allerlei Schnickschnack in einen Hang hineingebaut, dort wohnt er mit seiner Frau und den zwei Kindern. Einmal, bei einem zufälligen Treffen an einem frühen Samstagmorgen in der Altstadt, sagt er, derzeit beschäftige ihn der Krieg. Vor allem die Frage, wer die Ukraine dereinst wieder aufbaue.

Bei ihm ist es nun zwar kein ganzes Land geworden, doch zumindest eine Art Dorf.

Würste grillieren mit Carl Fingerhuth
Die Idee, im Pantli zwischen Schaffhausen und Stetten eine riesige Siedlung zu bauen, beschäftigt Dost seit 15 Jahren. Im Pantli wurde bereits vor über 100 Jahren eine Siedlung gebaut, es war eine Reaktion von Georg Fischer auf den industriellen Aufschwung, die erste Sozialwohnraumanlage der Schweiz. In einer dramatischen Aktion wurde die Siedlung 60 Jahre später, an Pfingsten 1975, bei Nacht und Nebel von der GF geschleift (Eine Aufarbeitung der Episode lesen Sie in der AZ vom 20. Mai 2021). Seither steht die von Wald umrandete Wiese leer.

Doch eines Tages sanierte Dost eine Eingangshalle von GF. Dabei kam Dominic Meister mit dem Immobilienverwalter des Konzerns in Kontakt. Man unterhielt sich, und eine Idee begann zu gären. Zuerst sollte das neue Pantli ein Projekt im Auftrag der GF sein, irgendwann, nach diversen Kapriolen, hat Dost die ­Zügel ganz übernommen. Es war ein mehrjähriger Kraftakt.

Eines anderen Tages lernte Meister beim Würste grillieren in Selisberg sein zweites grosses Vorbild endlich persönlich kennen: den grossen Städteplaner und ehemaligen Kantonsbaumeister Carl Fingerhuth, der Basel sein heutiges Gesicht verpasst und noch unbekannten Büros wie Herzog und de Meuron den Weg geebnet hat. Wo andere vor Ehrfurcht erstarren würden, lud Meister den weit über 80 Jahre alten Fingerhuth zu einem Workshop nach Schaffhausen ein. Fingerhuth kam. «Seine Skizze war prägend für das Projekt», sagt Meister heute.

Ein ganzes Quartier für 500 Menschen auf der grünen Wiese zu planen, ist hochkomplex. Es braucht Plätze, es braucht ein Verkehrskonzept, eine neue städtische Buslinie. Immer wieder musste Meister bei der Stadtbildkomission antanzen.

Irgendwann beschlossen die Dost-Planer, den ganzen Grundriss um 90 Grad zu drehen. Es ist eine Art architektonische Todsünde. «Da stehen ETH-Professoren natürlich die Haare zu Berge», räumt Meister ein und lächelt. Stadtentwicklung ist die Champions League der Architektur, es gibt nur ganz wenige legendäre Stadtplaner, die beides können: Stadtplanung und Architektur. Auf der Website von Dost steht: «Stadtentwicklung, Architektur, Innenarchitektur».

Seit 2013 hat Dost einen Standort in Luzern, wo nur Stadtentwicklung gemacht wird. Einen weiteren Standort gib es seit drei Jahren in Berlin, hinzu kommen Co-Working-Deals in ­Zürich, Bern und Basel. Über die Jahre hat sich Dost von einem Architekturbüro zu einem Netzwerk verwandelt. Und wie man an einem Montagabend mit Dominic Meister und Julian Tschanen im obersten Stock der Hauptzentrale an der Finsterwaldstrasse sitzt, hat man zwei Inhaber eines Architekturbüros vor sich, die gar nicht über Architektur sprechen wollen, sondern über Prozesse. Über Gastrokonzepte für ganze Areale, die sie zusammen mit Partnern erarbeitet haben, über Industriedesign und Grafik, wie sie für gestalterische Unternehmensberatungen Kulturmanager hinzuziehen. «Wir haben einfach Ideen, gehen ihnen nach und merken dann: Hier brauchen wir eine neue Hülle, ein neues Gefäss», sagt Meister.

Auf einem Bildschirm zeigen sie eine Präsentation. Die vergangenen zwei Jahre hätten sie sich jeden Donnerstagnachmittag hingesetzt und mit dem schillernden Brandingconsultant Thomas Otte zusammen daran herumstudiert, wofür Dost eigentlich steht. Auf der Präsentation sieht man Blüten, Blätter, Wurzeln, Erde und allmählich stellt man sich die Sitzungen vor wie ein Esoterik-Seminar. Der Claim, der entstanden ist, lautet: «Dost – verborgene Wahrheit wird wirksamer Wert». Dazu gibt es sieben Eigenschaften: Erzählend, sprühend, integer, freigeistig, gemeinschaftlich, neugierig, unentwegt. «Das Schöne an einer Leistungsethik ist, dass man mit diesen Werten theoretisch auch Duftkerzen herstellen könnte», sagt Julian Tschanen.

Wo wird das bloss enden, fragt man sich. Doch vielleicht hat Dost auch einfach begriffen, dass herkömmliche Kunden wenig von Architektur verstehen und man bei ihnen nicht mit der reinen Lehre punkten muss – sondern mit Gefühlen.