Grosse Rochade

27. September 2022, Marlon Rusch
Foto: Robin Kohler
Foto: Robin Kohler

Eine neue SP-Initiative soll den Umgang der Stadt mit ihren Liegenschaften in der Altstadt auf den Kopf ­stellen. Doch ist das Anliegen auch ausgereift?

Am kommenden Samstag wird die städtische SP eine Volksinitiative lancieren. Das Begehren trägt den Namen «Altstadtinitiative» und könnte den Umgang der Stadt mit ihren eigenen Immobilien in der historischen Innenstadt grundlegend verändern.

Die Linken fordern, dass die Stadt ihre Liegenschaften in der Altstadtzone «grundsätzlich nicht veräussert». Damit schlagen sie in eine Kerbe, die sie schon seit Jahren bearbeiten. Es ist eine alte Forderung der Schaffhauser Linken, dass Häuser der Spekulation entzogen werden und dass die Stadt eine möglichst aktive Rolle auf dem Immobilienmarkt spielen soll. Dass sie nun die Altstadtinitiative lancieren, hat jedoch einen konkreten Hintergrund.

Derzeit wird das Stadthausgeviert saniert. Danach wird dort, im Herzen der Stadt, ein grosser Teil der städtischen Verwaltung zusammengezogen, die sich heute über verschiedene städtische Altstadtgebäude verteilt. Ausserdem wird die Bibliothek aus der Agnesenschütte ausziehen und in den ebenfalls bald sanierten Westflügel der Kammgarn ziehen.
Damit werden verschiedene Liegenschaften freigespielt (siehe Box), die sich im Besitz der Stadt befinden. Eine grosse Rochade kann beginnen. Doch wer darf rochieren? Und wohin?

Im Februar hat das Stadtparlament zum ersten Mal über die Zukunft einer dieser frei werdenden Liegenschaften in der Altstadt beraten. Es ging um das «Oberhaus» in der Oberstadt, das frei werden wird. Die Ratsdebatte um das Oberhaus eignet sich gut, um ideologische Linien aufzuzeichnen.
Die Rechten möchten das Oberhaus abstossen, da es sich um eine «entbehrliche Liegenschaft» handle, die keine strategische Bedeutung für die Stadt habe. Ganz allgemein sei es nicht Aufgabe der Stadt, Immobilien zu entwickeln, sagen die Rechten. Das könnten Private viel besser.

Die Linken möchten, dass die Stadt das Haus selber entwickelt. Sie träumen etwa von einem Wohnheim für Studierende.

Die Mitte, die bei den derzeitigen Kräfteverhältnissen im Stadtparlament oft das Zünglein an der Waage ist, sympathisiert zwar mit einer Entwicklung der Liegenschaft durch die Stadt, spricht sich schliesslich aber für eine Baurechtsabgabe aus, wenn möglich an einen gemeinnützigen Träger.
Mit dieser Position kann auch der Stadtrat um die GLP-Baureferentin Katrin Bernath und den SVP-Immobilienverantwortlichen Daniel Preisig leben. Auch sie möchten die Liegenschaft im Baurecht abgeben.

So kam es schliesslich auch. Der Grosse Stadtrat entschied, dass ein gemeinnütziger Träger nach Möglichkeit bevorzugt werden soll.
Es roch nach einem Kompromiss im Parlamentssaal. Und dass man sich darauf einigte, entspricht auch den politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre.

Doch offenbar ist dieser Kompromiss den Linken jetzt nicht mehr gut genug.

Die AL hat die Stadt dominiert

Es ist noch nicht allzu lange her, dass die Stadt eine Liste mit über hundert Parzellen und Liegenschaften führte, die sie verkaufen wollte. Dann begannen die Linken, allen voran die Alternative Liste, den Verkauf an Private zu bekämpfen. Und sie war damit ausgesprochen erfolgreich. 2013 verhinderte sie mit einem Referendum den Verkauf der städtischen Landparzelle Hohberg an einen privaten Investor. 2016 verlor die AL zwar die Volksinitiative «Landverkäufe vors Volk» knapp, nur eineinhalb Monate später konnte sie jedoch den Verkauf des Werkhof-Grundstücks am Lindli verhindern. 2018 gewann die AL gar ihre Volksinitiative zum Erwerb des Klostergevierts vom Kanton.

Die Alternative Liste bewies, dass Verkäufe von städtischen Liegenschaften in Schaffhausen nicht mehr gewünscht sind, also sah sich der Stadtrat gezwungen, über die Bücher zu gehen. 2017 präsentierte er im Rahmen eines Gegenvorschlags zu einer weiteren AL-Initiative einen Vorschlag, wie man das Instrument des Baurechts aufwerten könnte.

Das Baurecht ist im Grunde das Recht, ein Stück Land gegen Bezahlung eines Zinses für eine bestimmte Zeit zu nutzen. Der Stadtrat schlug vor, dass das Instrument Baurecht standardisiert wird und er selber die Kompetenz erhält, Grundstücke im Wert von bis zu einer Million Franken im Baurecht zu vergeben. Damit sollte ein Verkauf nicht mehr einfacher vonstatten gehen als eine Baurechtsvergabe. In seiner Vorlage schrieb der Stadtrat: «Mit den neuen, standardisierten Baurechtsbedingungen baut die Stadt ihre Vorreiterrolle als Kompetenzzentrum für das Baurecht aus.» Der Vorschlag des Stadtrats erhielt an der Urne satte 70 Prozent Ja-Stimmen.

In der Folge wurde der Stadtrat zum Baurechts-Fan. Nun aber sind die Linken mit dieser Praxis, die der Stadtrat als «Konsenslösung» betrachtet, nicht mehr einverstanden.

Und man mag sich fragen: Was ist denn nun auf einmal anders? Warum sind die Linken, die das Baurecht vor einigen Jahren noch propagiert haben, jetzt plötzlich dagegen?

Sind die Linken schlechte Gewinner?

In ihrer Altstadtinitiative, die sie kommenden Samstag lancieren wird, setzt die SP (in der die AL in der Zwischenzeit aufgegangen ist) eine Baurechtsabgabe einem Verkauf gleich. In ihrer Broschüre schreibt die SP über die im Februar im Parlament beschlossene Abgabe des «Oberhauses» im Baurecht: «Leider haben der Stadtrat und das Stadtparlament bereits bei einem ersten Haus, nämlich dem Oberhaus, beschlossen, dass dieses verkauft werden soll.»

Die Linken wirken damit zwar wie schlechte Gewinner, die nun die Tatsachen verdrehen, doch sie haben durchaus einen Punkt. Auch wenn die Angelegenheit einigermassen komplex ist.

Hier beginnt das Spiel: das Oberhaus in der Oberstadt. Foto: Robin Kohler
Hier beginnt das Spiel: das Oberhaus in der Oberstadt. Foto: Robin Kohler

Da in der Altstadt praktisch alle Parzellen mit mehr oder weniger stattlichen Häusern bebaut sind, kommt dem Baurecht hier eine andere Bedeutung zu als dem Baurecht auf der grünen Wiese, wo ein Baurechtsnehmer in der Regel einen Neubau hinstellt. In der Altstadt werden faktisch Häuser übernommen – und diese Häuser werden bei einer Baurechtsabgabe gekauft. Die Eigentümerin, in diesem Fall die Stadt selber, hat zwar das Recht, das Gebäude nach einer bestimmten Zeitdauer, oft sind es 99 Jahre, zurückzukaufen, doch während dieser Zeit besitzt sie das Gebäude nicht und kann nicht darüber verfügen. Ausserdem muss sie bei einem Rückkauf die Wertsteigerung abgelten, die der Baurechtsnehmer mit Umbauten erzielt hat.

Wenn die Initiative also fordert, dass städtische Gebäude in der Altstadtzone «grundsätzlich nicht veräussert» werden, meint sie einerseits einen regulären Verkauf, andererseits aber auch eine Abgabe im Baurecht. (In begründeten Fällen könne jedoch eine Ausnahme gemacht werden, dieser müsse aber vom Parlament beschlossen werden, dies würde jedoch dem fakultativen Referendum unterstehen. Die SP könnte so also Volksabstimmungen erzwingen.)

Linda De Ventura von der SP sagt gegenüber der AZ, der Stadtrat habe gemerkt, dass Verkäufe unmöglich geworden seien, und wäge nun ab, was politisch noch opportun sei, um die Altstadthäuser nicht selber entwickeln zu müssen. So sei er auf das Baurecht umgeschwenkt, «ein Etikettenschwindel». Ausserdem sei es – gerade angesichts der aktuellen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt – äusserst kurzsichtig, mit Abgaben von Immobilien auf langfristige Mieteinnahmen zu verzichten.

Stadtrat will Spielraum erhalten

Der Stadtrat nimmt grundsätzlich erst im Rahmen seiner offiziellen Botschaft Stellung zu Initiativen. Sieht man sich Parlamentsdebatten an und studiert schriftliche Äusserungen zu verwandten Themen, lässt sich seine Haltung jedoch herausdestillieren.

In seiner Botschaft zur AL-Wohnrauminitiative, die einen Anteil von 10 Prozent gemeinnütziger Wohnungen in der Stadt fordert und bis dahin einen Verkauf von Grundstücken und Gebäuden in Wohnzonen verbieten will, schrieb der Stadtrat im März 2021, er beurteile Einschränkungen beim Verkauf von Grundstücken «als grosses Hindernis für eine wirkungsvolle Bodenpolitik». Der Stadtrat wolle flexibel bleiben und seinen Spielraum in der Immobilienpolitik nicht verlieren. Im August 2021 schrieb der Stadtrat in der Antwort auf eine Kleine Anfrage, dass der Stadt derzeit drei Möglichkeiten offenstünden, städtische Liegenschaften zu entwickeln: Entwicklung durch die Stadt, Abgabe im Baurecht und Verkauf. Eine «Bevorzugung einer dieser Varianten aus ideologischen Gründen» sei nicht zielführend. Der Stadtrat entscheide «situationsgerecht» über die geeignete Art der Entwicklung.

Ausserdem schrieb der Stadtrat vor einem Jahr im Rahmen einer Kleinen Anfrage, eine Abgabe im Baurech sei mitnichten ein Verkauf. Bei der Abgabe einer Liegenschaft im Baurecht würden der Stadt über verschiedene Auflagen durchaus «Möglichkeiten der Einflussnahme» bleiben. Wie stark die Stadt dann im konkreten Fall tatsächlich eingreifen kann, ohne die Baurechtsnehmerin zu vergraulen, steht auf einem anderen Stern.

Stadtrat Daniel Preisig verweist gegenüber der AZ darauf, dass derzeit eine «erfreulich grosse Dynamik» herrsche bei der Entwicklung stadteigener Liegenschaften. Früher, in finanzschwachen Jahren, habe die Stadt jedoch verschiedene Häuser vernachlässigt. Das Guardianshaus am Walther-Bringolf-Platz etwa musste zuletzt mit Spanngurten zusammengehalten werden und war nicht mehr vermietbar. «Das ist doch peinlich für die Stadt», sagt Preisig. Nun, wo es der Stadt finanziell blendend gehe und der Stadtrat eine mutige Investitionsstrategie verfolge, würden jährlich 50 Millionen Franken in die Infrastruktur investiert. Doch es gebe keine Garantie, dass das für immer so bleiben werde. Für diese Fälle sei es wichtig, dass die Stadt ihren Handlungsspielraum bewahre und nicht mit Verkaufsverboten unnötig einschränke.

Aus dem Umfeld von Stadträtin Katrin Bernath, die sich auf Anfrage nicht zur städtischen Immobilienstrategie äussern möchte, hört man, sie sei für Baurechtsabgaben, weil ihr Baureferat schlicht keine Kapazitäten habe, noch mehr Bauprojekte zu realisieren.

Dieses Argument lässt Initiantin Linda De Ventura nicht gelten: «Man kann doch nicht aufgrund von Personalmangel Häuser verkaufen. Das ist doch keine Immobilienpolitik.»

Dass es dem Stadtrat lieber wäre, Flexibilität zu behalten, lässt sich nachvollziehen. Und auch, dass er der Ansicht ist, dass die Diskussion um das Baurecht ideologisch aufgeladen sei. Jedoch ist eben auch die Frage, wie gross das Baureferat ist und wie viel Kapazität es hat, im Endeffekt eine politische Frage: Wie gross soll die Rolle sein, die die Stadt auf dem Immobilienmarkt spielen will?

Angesichts des Siegeszugs der AL im Kampf gegen den Verkauf von Grundstücken und Liegenschaften dürften die Linken auch mit der Altstadtinitiative keine allzu schlechten Chancen haben.

Die Pläne der Stadt
Zur Zukunft von einigen städtischen Altstadtliegenschaften, die bald umgenutzt werden, gibt es bereits Pläne:
Oberhaus: Soll im Baurecht abgegeben werden, möglichst an einen gemeinnützigen Träger.
Haus zum Käfig: Soll von der Stadt saniert werden und wieder einen Teil der Verwaltung beherbergen.
Haus Freudenfeld: Soll von der Stadt saniert werden.
Haus zum Ritter: Soll ohne Sanierung von der Stadt vermietet werden.
Agnesenschütte: Soll im Baurecht abgegeben werden.
Grosses Haus: Soll durch die Stadt entwickelt werden.