Zwei Jungunternehmer verkaufen einen «gesunden» Energy-Drink. Doch ihre Firma hat auch noch eine andere Mission.
Zisch, Klack, erster Schluck. Die Süsse einer stark verdünnten Apfelschorle sprudelt im Mund, gefolgt von einer sauren Bitterkeit, die an Grapefruit erinnert. Scheinbar augenblicklich setzt der Koffeinkick ein. «Wir wollten ein Getränk machen, das gut schmeckt, aber auch gesund ist», sagt Benjamin «Benj» Jann, der seine Dose schon fast leer hat. Auch er wirkt hellwach und leicht euphorisiert an diesem warmen Augustmorgen in einer der umgenutzten Fabrikhallen auf dem Flurlinger Arova-Areal.
Noch ein Schluck. Das soll gesund sein?
Benj, ein Mittdreissiger mit leicht angelsächsischem Akzent, lebt in Zürich und ist hauptberuflich Elektroingenieur bei der ABB. 2017 hat er zusammen mit einem Freund ein Start-up gegründet, die Glory Bomb AG. Das bisher einzige Produkt: Glory Bomb, ein kohlensäurehaltiges Erfrischungsgetränk, das unter anderem die tropische Frucht Mangostan, Aloe Vera, Guarana, Grüntee und Fischkollagen enthält. Drei Chargen à 50 000 Dosen hat die Firma bisher bei einem Getränkehersteller in Deutschland produzieren lassen, auf Paletten stapeln sich in der zum Firmenhauptsitz, Büro und Versandzentrale gewordenen Flurlinger Lagerhalle aktuell noch etwa 30 000. Benj und sein Co-Unternehmer Walter «Wally» Blattner wollen schon bald eine neue Charge in Auftrag geben. Die Geschäfte laufen besser als je zuvor. Am diesjährigen Stars in Town und am Lindli Fäscht waren sie als Getränkepartner dabei, gleichzeitig an der Streetparade präsent, sie sponsern Rugby und Boxen, mehrere Badis und Restaurants in der Region verkaufen das Getränk. Und kürzlich war geschäftlicher Besuch aus Dubai in der Arova. «Wir wollen aus Schaffhausen herauswachsen», sagt Benj.
Und sie wollen den Erfolg nutzen, um Gutes zu tun. «Do something good», so ihr Slogan, der auf jeder Dose steht.
Aber wie soll das überhaupt gehen mit Energy-Drinks? Woher kommt dieses Sendungsbewusstsein? Und wie gesund sind die Dinger wirklich?
Offenbarung
Um den seltsam missionarischen Touch zu verstehen, der dieser Firma innewohnt, müssen wir gut fünf Jahre zurückgehen. Zu einem Handschlag zwischen zwei alten Freunden, der in New York stattgefunden haben soll. Es ist die Gründungslegende, die die beiden später in Interviews erzählen werden. Eine Hand gehörte zum heutigen Miteigentümer Benj.
Die andere Hand war die des Schaffhauser Kleidungsunternehmers und Buchautors David Togni. Mit seinem «social Fashion-Label» namens Love your Neighbour war er damals schon zu einem Star in fundamentalistisch-freikirchllichen Kreisen avanciert (ein Porträt finden Sie hier). Nun wollte er ins Getränke-Business einsteigen.
Den Grund dafür erzählte er später dem evangelikalen Radiosender Life Channel: Er habe nach einem schweren Unfall starke Medikamente gegen Rückenschmerzen nehmen müssen, trotzdem seien seine Blutwerte immer gut gewesen. Zusammen mit seinen Ärzten habe er dann herausgefunden, dass es an der Frucht Mangostan liegen muss, die er regelmässig esse. «Mangostan hat sehr viele Antioxidantien drin, also Abwehrkräfte. Und ich habe immer gedacht, es wäre so cool, wenn es ein Getränk gäbe, wo das drin ist.» Er glaube, «die Menschen sehnen sich nach gesunden Inhalten, mit denen sie sich füllen können», sagte er in einem anderen Interview.
Etwa zwei Jahre nach dem Handschlag in New York kam das Getränk auf den Markt, damals noch in einem anderen Design. Und mit einem aufwändig produzierten Werbespot. «Settle your mind, let go and create a better future. The time is now», sagt eine Frauenstimme zu Aufnahmen von Sportlern und anderen Menschen, die wie elektrisiert durch New Yorks Strassen rennen.
In einem zweiten Spot, den David Togni damals über seine Online-Kanäle verbreitete, erklärt eine der Entwicklerinnen des Energy-Drinks (sie arbeitet für die Getränkefirma in Deutschland), was Glory Bomb alles könne. Ihre Aussagen bewegen sich in einem lebensmittelrechtlichen Graubereich: «Wir haben durch das Mangostan-Konzentrat unglaublich hohe ORAC-Werte, das sind Antioxidantien, die fangen freie Radikale ab, das ist gut für unsere Abwehrkräfte. Es sind Kollagene drin, das ist super für unsere Schönheit, für die Haut, für die Haare, für die Nägel, aber auch für Leute, die einfach Probleme mit den Knochen haben, mit den Knorpeln, vielleicht auch schon die ersten Knorpelschäden durch Sportverletzungen oder durch Abnutzung.»
Aus den Clips und Interviews lässt sich Tognis Strategie erahnen: Die silbrigen Dosen sollen gleichzeitig als Energiespender und als Heilsbringer vermarktet werden. Und ähnlich wie bei seinen Kleidern sollte seine Person und seine Bekehrungsgeschichte als Verkaufsargument dienen. David Togni führte die Geschäfte, sein Freund Benj war als «silent partner», als Investor mit dabei.
Die Strategie ging so mässig gut auf.
Deus ex machina
Als er im September 2020 in die Firma einstieg, sei Glory Bomb immer noch «eher unbekannt» gewesen, sagt Walter «Wally» Blattner. «Das Getränk war zwar in David Tognis Umfeld verbeitet, aber es war nie darüber hinausgekommen. Die Firma ist stehengeblieben.»
Auch Wally ist ein Jugendfreund von Benj. Die beiden sind zusammen in Durban, Südafrika, aufgewachsen. In den frühen 90er-Jahren zog Benj, damals im Primarschulalter, mit seiner Familie zurück in die Region Schaffhausen. Wally, elf Jahre älter, schloss in Südafrika die High School ab, kam dann ebenfalls in die Schweiz, wohnte eine Zeit lang bei Benjs Familie. Später liess er sich zum Flugzeugmechaniker ausbilden, machte an der Hochschule St. Gallen einen Abschluss als Manager. Heute verkauft er als Vertreter eines internationalen Konzerns im Aussendienst Flugzeugteile und Reparaturen an Jet-Besitzer. «Wally ist wie ein Bruder und Mentor für mich», sagt Benj.
Kurz nachdem sich Wally eingekauft hatte, stieg David Togni aus der Firma aus. «Wir waren an einem Punkt, wo wir viel investieren mussten. David zog sich zurück, weil ihm sonst die Zeit für seine Familie und seine anderen Firmen gefehlt hätte», so erzählt es Wally. Glory Bomb stand ohne sein evangelikales Aushängeschild da und die beiden Südafrika-Schaffhauser, beide ebenfalls gläubige Christen, krempelten die Marketing-Strategie um. Sie passten das Design an, weg vom klassischen Energy-Drink-Look zu einer minimalistischen, fast schon Arzneimittel-ähnlichen Aufmache. Sie konzentrierten sich mehr auf Verkäufe an Firmen (B2B) statt direkt an die Endkunden (B2C) wie ursprünglich angestrebt. Sie putzten Klinken, knüpften regionale Partnerschaften ausserhalb der Freikirchen-Bubble. Und sie führten einen neuen Slogan ein: Aus «the time is now» wurde «do something good». Sowohl der Name «Glory Bomb» als auch dieser Slogan sind mittlerweile in der Schweiz, in der EU, den USA und in Dubai markenrechtlich geschützt. Das sind die Märkte, die die beiden längerfristig beliefern wollen.
Das «do something good» verstehen sie einerseits so, wie David Togni das Getränk anpries: Tu dir selbst und deiner Gesundheit etwas Gutes. Aber auch im Sinne von: Tu anderen Gutes. 10 Rappen pro Dose sollen künftig in ein humanitäres Brunnenbauprojekt fliessen. Wo und wie, das wollen die beiden Unternehmer noch nicht verraten.
Doch Wohltätigkeit und Heilsversprechen beiseite: Was taugt dieses Getränk denn nun eigentlich?
Das jüngste Gericht
Für eine nicht-randomisierte Doppelblindstudie ohne Kontrollgruppe wurden 36 Dosen Glory Bomb (zur Verfügung gestellt) im Redaktionskühlschrank der AZ platziert. Das Getränk wusste offenbar geschmacklich zu überzeugen, denn nach einer Woche war der Vorrat aufgebraucht, wobei der Konsum in unterschiedlichem Masse auf die insgesamt sechs Studienteilnehmenden verteilt war.
Sämtliche Studienteilnehmenden berichteten von einer intensiven geistig anregenden Wirkung, welche stärker und schneller als bei Kaffee oder anderen Energy-Drinks eintrete (Glory Bomb enthält mit 30 mg pro 100 ml gleich viel Koffein wie Red Bull).
Gesundheitliche Veränderungen wurden keine vermerkt, wobei weder Blutwerte noch andere körperliche Indikatoren untersucht wurden.
Bei hoher Dosis (mehr als eine Dose pro Tag) traten bei einem Probanden ein Kribbeln in den Extremitäten und leichtes allgemeines Unwohlsein auf. Ein anderer Proband berichtete von Einschlafproblemen.
Ob Glory Bomb wirklich förderlich für die Gesundheit ist, lässt sich anhand der Ergebnisse der Studie nicht abschliessend beantworten. In gemässigten Dosen dürfte es immerhin nicht ungesunder sein als andere Süssgetränke.
Mit unseren Testergebnissen konfrontiert, sagt Wally: «Jeder reagiert etwas anders auf Glory Bomb. Ich trinke drei bis vier Dosen pro Tag.»