Im Zweifel für den Trash

13. August 2022, Sharon Saameli

Auf ihrer neuen CD besingen Vree Ritzmann und Nora Vonder Mühll die Liebe, den Tod und die Umverteilung. Dabei sind sie zarter geworden. Tönt Casiofieber das eigene Ende an?

AZ Casiofieber, ihr habt ein neues Album herausgegeben, es heisst «Dauerwurst». Ihr macht seit 16 Jahren zusammen Musik. Ist eure Beziehung auch eine Dauerwurst?

Vree(lacht) Wir haben einfach einen Titel für die CD gesucht, der Fragezeichen auslöst und gluschtig macht. Und das Wort Dauerwurst fanden wir gut, auf dem Album haben wir auch ein Lied, das so heisst. Ich dachte zuerst, das seien so deutsche Würste in einem Konservenglas, aber das stimmte gar nicht. Eine Dauerwurst ist einfach eine Wurst, die man ewig behalten kann.

In dem Lied ist die Dauerwurst das Totenmahl an einer Beerdigung, genauer an der Beerdigung der Liebe.

Nora Genau, zum Leichenmahl gibts da Dauerwurst zu essen. Und die Liebe ist tot. Die Wurst ist ewig und unendlich, aber das Leben nicht. Diese Bedeutung habe ich der Dauerwurst so beigemessen.

Vree Ich habe ein ganz anderes Bild vor Augen: zäh. Da ist ein Messer und eine zähe Wurst dazu. Um auf deine erste Frage zurückzukommen: Unsere Beziehung ist keine zähe Wurst, nein. Aber wir wursten zusammen rum.

Nora Ja, unsere Beziehung ist von Dauer. Wir haben vor 16 Jahren entschieden, dass wir zusammen etwas machen wollen, und sind seither mehr oder weniger intensiv dran. Damals habe ich noch in Zürich gewohnt und bin zum Proben hierher gekommen, ins Musikzimmer von Vree. Jetzt wohne ich auch hier, wir sind Nachbarinnen. Darum sind wir schon recht verhängt miteinander.

Bist du darum nach Schaffhausen gezogen?

Nora Wegen Casiofieber? Nicht nur. Ich würde ohne Vree wohl nicht hier wohnen, sie zeigte mir einfach die Gelegenheit auf. Aber ich arbeite ja noch im Sgaramusch, es waren verschiedene Gründe. Ich habe in Zürich gewohnt und habe mich schon gefragt, was für eine Rolle ich dort spiele. Ausgang war mir nicht mehr so wichtig, jung war ich auch nicht mehr. Jetzt kann ich hier sein und im Garten grübeln.

In dem Lied, von dem wir vorhin gesprochen haben, ist die Liebe tot. Warum?

Vree Da sind wir eben verschiedener Meinung (lacht).

Nora Das Lied hat Vree geschrieben.

Inwiefern denn?

Vree Ich finde, Liebe ist so ein gschwüriges Wort. Eines, das extrem aufgeladen ist – und wenn man sich genau überlegt, was es bedeuten könnte, kommt man nicht auf viel. Es überfordert. Und darum finde ich es befreiend, dass ich ein Lied schreiben konnte, in dem die Liebe gestorben ist.

Nora Hat denn – darf ich auch Fragen stellen? Es ist ja ein Gespräch – hat sich denn etwas verändert an deinem Gefühl, nachdem du das Lied geschrieben hattest?

Vree Nicht wirklich. Aber dadurch, dass es jetzt ein Lied darüber gibt, ist das Gefühl öffentlich. Ich erzähle jetzt quasi irgendwelchen Leuten davon. Das ist ein Spass.

«Ich finde es befreiend, dass ich ein Lied schreiben konnte, in dem die Liebe gestorben ist.»

Vree Ritzmann

Du siehst das nicht so, Nora?

Nora Ich arbeite mich anders an der Liebe ab. Momentan ist sie nicht ein riesiges Thema für mich, ich bin in einem Stadium, in dem sie etwas Angenehmes auslöst, wenn sie durch den Körper strömt: Dankbarkeit, etwa. Jetzt wird es ganz esoterisch (lacht). Aber weisst du, einiges muss ich jetzt auch nicht mehr entscheiden. Zum Beispiel, ob ich eine Familie gründen will. Darum ist die Liebe für mich nichts, was ich beerdigen wollte. Ich glaube aber, das ist bei Vree ganz ähnlich, sie stellt es als Provokation so hin.

Vree Es hängt davon ab, wie man das Wort definiert. Ich finde, das Wort Liebe löst gesellschaftlich sehr viel Druck aus. Und natürlich auch in der Popmusik.

Am Schluss stirbt die Liebe, aber anfangen tut das Album ganz anders: mit Sehnsucht. «Ich hab von allem genug, ich hab von allem zu viel, aber etwas, das fehlt, das bist du.» Warum dieser Bogen?

Nora Die Reihenfolge der Lieder war ein musikalischer Entscheid, den wir zusammen getroffen haben.

Vree Dabei spielt das heute fast keine Rolle mehr. Wer hört denn jetzt noch ein Album? Wenn, dann werden einzelne Songs angeklickt. Und trotzdem ist es ein künstlerischer Akt, das ganze Album zu gestalten: das Cover, die Reihenfolge, das Konzept. Diesen Prozess finde ich schön.

Eure Musik hat für mich, den ekstatischen Beats zum Trotz, oft etwas Morbides. Der Tod steht in «Oh Mond» vor eurer Tür, das Album endet mit einer tickenden Uhr. Was beschäftigt euch an der Vergänglichkeit?

Vree Man merkt das Älterwerden. Wir haben die Dinge schon immer direkt angesprochen, aber die Themen haben sich verändert, auch unter dem Einfluss der Pandemie. Wir sassen hier in unseren Häusern und haben Lieder gemacht in einer Zeit, in der alles zwangsläufig privat war. Es war auch eine Zeit, in der man merkte, wer einem am nächsten ist.

Nora Man hat auch mehr über den Tod gesprochen. Aber wenn man älter wird, beginnt man sowieso, sich mehr für das Ende zu interessieren. Mich beschäftigt, dass vermehrt Leute sterben, die ich kenne. Und die Welt! Du stellst einfach das Radio ein und dann (sie gestikuliert Faustschläge ins Gesicht), es ist einfach so viel im Ungleichgewicht.

«Die Vergänglichkeit ist in der Schweiz angekommen.»

Nora Vonder Mühll

Dir schlägt die Endlichkeit der Welt entgegen?

Nora Das dünkt mich im Moment recht stark so. Es war immer viel im Ungleichgewicht. Aber die Pandemie hat deutlich gemacht, dass wir uns in falscher Sicherheit wiegen. Dann der Ukrainekrieg. Und momentan das Klima: Es ist so krass zu merken, wie wenig Wasser der Rhein hat. Ja, ich glaube, die Vergänglichkeit ist in der Schweiz angekommen.

Ich hab mich beim Hören etwas gegen den Gedanken gesträubt, dass ihr zwischen den Zeilen auch die Vergänglichkeit von Casiofieber antönen könntet. Wie macht man so lang miteinander Musik?

Vree(zeigt auf einen Zettel, der an der Küchenwand hängt, und liest laut vor) Es rockt. «Casiofieber rockt», es ist einfach.

Nora Wir haben ja verschiedene Phasen gehabt und unterschiedlich intensive Zeiten.

Vree Ja, wir sind keine Band, die einmal wöchentlich probt. Wir sind recht projektartig. Nora hat theatermässig viel los, ich spiele in anderen Bands, bis vor Kurzem bei Quince sowie in der Hora Band in Zürich. Manchmal üben wir intensiver, und dann wieder zwei, drei Monate gar nicht. In diesen Pausen steht  dann schon die Frage im Raum: Sind wir zu alt für diesen Seich? Haben wir noch Ideen?

Daran dachte ich nicht einmal. Ein Freund hat mir vor Kurzem erzählt, dass die Band Rammstein nur darum seit 1994 in der gleichen Besetzung Musik machen kann, weil sie einen Therapeuten beigezogen hat.

Nora Wie viele sind die denn?

Zu fünft? Zu sechst, glaube ich.

Vree Gut, wenn du berühmt wirst und Kohle dazu kommt, wird es zwischenmenschlich schnell komplizierter. Dafür ist eine Mediation sicher gut, so hat es schon manche Band verspratzt. Mich würde es aber reuen, Casiofieber jetzt zu beerdigen.

Nora Das Entspannte an uns ist, dass wir die Texte jeweils allein schreiben und sie irgendwann teilen. Und dann machen wir etwas Kreatives daraus. Das ist schön, und das können wir toll zusammen.

Das klingt etwas gar harmonisch.

Vree Wir funken einander in den Texten einfach nicht drein. Wir beraten darüber, was das Lied zeigen soll und wie die Texte darin verteilt sein könnten. Aber wer den Text geschrieben hat, hat auch die Schlussverantwortung darüber. Zu zweit ist das auch eher möglich als in Fünfer- oder Sechserformationen, in denen alle verschiedene Rollen haben. Das ist bei uns sehr ausgeglichen: Beide haben etwas Instrumentales, beide ein Mikrofon.

Als ich euch im Mai dieses Jahr im TapTab das erste Mal live gehört habe, ist mir das Bügelbrett aufgefallen, auf denen eure Casios standen. Dann habe ich nachgelesen und gelernt: Das Bügelbrett ist euer Markenzeichen.

Nora Das war Vrees Idee.

Vree Es hat einfach die ideale Höhe, damit wir dahinter stehen können. Und die zwei Instrumente haben perfekt Platz darauf. Es ist leicht, und man kann es locker tragen, wir haben dafür so einen Bändel drangebastelt. Und wir sind damit übrigens nicht die Ersten. Les Reines Prochaines hatte das auch schon.

Nora Bezüglich der Aussage des Bügelbretts dachten wir uns schon, dass es Reaktionen geben würde.

Vree Das nervt dann manchmal auch, wenn ich durch die Stadt laufe und einer findet: «Ich habe auch noch ein paar Hemden zum Bügeln zuhause!»

Wie würdet ihr eure Musik beschreiben?

Vree Ja, das ist halt schwierig, gäll. In irgendeiner Form ist es Electro. Aber wir haben nur diese hundert primitiven Sounds auf dem Casio und beschränken uns damit selber. Darum kam ja auch das Wort Trash auf (Trash bedeutet auf Englisch «Müll», Anm. d. Red.). Es gibt auch immer noch Leute, denen die 80er in den Sinn kommen. Ich finde aber, dass die neue Platte anders klingt als die früheren, weil wir die Beats nicht mehr direkt aus dem Casio absaugen, sondern auch selber produzieren. Zum Beispiel kann ein Schlag auf einen Koffer wie ein Basspaukenschlag wirken, wenn du ihn mit einem guten Mikrofon aufnimmst.

Nora Bei der CD «Love» hat Olifr Guz (einstiger Sänger der Aeronauten, Anm. d. Red.) noch mitgearbeitet. Damals hatten wir viele Konzerte und schnelle Lieder, die brätschen und eine mega coole Stimmung bei den Leuten schaffen. Das Abrocken an Konzerten war mit «Dauerwurst» nicht mehr im Fokus, weil wir ja nicht auftreten konnten. Darum ist die neue CD luftiger, nicht mehr Hit für Hit und Schlag auf Schlag, sondern verspielter. Und die Beats sind von Vree selber am Computer entwickelt. In einem Lied tickt auch noch eine Küchenuhr. Die ist bei ihr, ich habe keine. (lacht)

Im Vergleich hatte ich auch den Eindruck, «Dauerwurst» sei zarter.

Nora Uns ist es ein Anliegen, dass es beides sein kann. Anebrätsche, das Zarte aber auch, die Brüche.

Eure Musik hat schon ein paar Labels erhalten. Ein Album von euch hiess «Golden Trash». Was kann Trash?

Nora Ich finde Trash etwas Interessantes, ich mags. Ich bin nicht die grosse Tüftlerin. Wenn ich etwas anstellen kann und schnell drauskomme, inspiriert mich das mehr. Und bei dem Instrument, das wir brauchen, merkt man ja, dass es irgendwelcher Mist ist. Das gefällt mir daran.

«Ich finde die Frage spannend, wie ich Trash zum Glänzen bringen kann.»

Nora Vonder Mühll

Vree Mir auch. Das Casio tönt schrottig. All die neuen, besseren Keyboards gefallen mir viel weniger, das ist tötelig für mein Gefühl.

Nora Ich finde die Frage spannend, wie ich Trash zum Glänzen bringen kann. Und es ist schön, sich mit Trash zu befassen und daraus etwas zu machen, was mir gefällt.

Die AZ schrieb 2007, dass sich euer Sound «lediglich auf einem etwas besseren Game-Boy-Niveau» befinde.

Vree Da gab es eine grosse Entwicklung! Damals haben wir die Beats noch von einem CD-Walkman abgespielt. Der stand dann auch auf dem Bügelbrett, und sobald wir abgerockt haben, hat er angefangen zu wackeln, und der Beat war weg. Schliesslich hat Olifr die Casio-Beats in einem Musikprogramm neu gestaltet, und das habe ich mir dann beibringen lassen. Wir wurden also immer etwas professioneller.

Macht Casiofieber heute immer noch Trash?

Nora Ich würde das Wort Trash heute nicht mehr so brauchen, wenn ich unsere Musik beschreiben müsste.

Vree Von den Möglichkeiten her schon.

Ich stelle mir dennoch vor, dass da viel Feinarbeit dahintersteckt. Auch in den Texten. Aber wenn man sie dann hört, wirken sie simpel.

Nora Meine Texte sind meist einfacher als deine, Vree. Du hast oft Teile, die viel auslösen.

Im Lied «Bestecke» ist mir ein solcher Teil aufgefallen. «Wo beginnt die Nahrungskette, oben oder unten?» – «Wo beginnt die Umverteilung, oben oder unten?» So dezidiert politisch singt ihr nicht oft.

Vree Ja, wir haben etwa ein solches Lied pro CD.

(Beide lachen laut)

Vree Ich mache politische Texte aus dem, was mich plaaget. Nicht weil ich den Leuten meine Meinung sagen will. Aber man hofft ja trotz allem immer, dass die Welt vielleicht mal noch besser würde. Nora, du hast doch auf dem neuen Album auch ein politisches Lied, «Schüsse im Wald».

Nora Ja, aber man hat vielleicht nicht so gemerkt, dass es das ist. Politik interessiert mich, aber ich schreibe gern Texte über Beziehungen und Menschen. Sicher, das ist alles Politik, aber so klare Aussagen, schwarz auf weiss? Das ist nicht meine Stimme.

«Es gibt da diese Frage, man trasht vor sich hin und ist über 50 und geht auf die 60 zu – ist das dann nicht lächerlich? Mit einem Bügelbrett? Ich glaube nicht.»

Vree Ritzmann

Gehört hat man euch in den vergangenen Jahren auf kleinen Bühnen: im Cardinal oder im TapTab. Euer nächstes Konzert ist auf einer Beerdigung, dem «Prost Mortem» der AL. Fühlt ihr euch in diesen Dimensionen wohl?

Nora Ja, ich mags in kleineren Räumen.

Vree Es kommt auf den Zusammenhang an. Und darauf, welche Leute da sind. Wir freuen uns aber mega, dass wir dort spielen können.

Aller Vergänglichkeit zum Trotz: Wo gehen die Fiebers hin?

Nora Längerfristig kann ich das nicht sagen, weil mich diese Frage einfach nicht umtreibt. Aber ich möchte mit dem neuen Programm spielen. Es liegt jetzt an uns, dass wir Anfragen raushauen. Aber das ist ein Prozess, man nimmts vorzu, wie es weitergeht.

Vree Solange es Spass macht und wir Ideen haben, finde ich das gut. Wir hatten mal die Vorstellung, mit der ersten CD durchzustarten und den Frauenbonus abzuholen (lacht). Gleichzeitig ist da diese Frage: Man trasht vor sich hin und ist über 50 und geht auf die 60 zu, ist das dann nicht lächerlich? Mit einem Bügelbrett? Ich glaube nicht. Bei allem, was wir machen, haben wir ein Gespür dafür, ob es stimmt. Egal, wie alt ich bin oder was da sonst ist. Casiofieber ist auch die einzige Band, in der ich selber texte und sagen kann, was ich will.

Nora Ich bin ja eigentlich nicht Musikerin, ich bin autodidaktisch, wie man so schön sagt. Aber den Vorgang finde ich interessant: Man schreibt etwas auf, das einen beschäftigt. Das ist nicht nur Spass, sondern eine Auseinandersetzung mit der Frage, was man überhaupt zu sagen hat. Und das geht mit dir halt super.

Das heisst, nach dem blauen, gelben, roten und nun grünen Album kommt noch mehr?

Vree Alben sind einfach nicht mehr so in Mode. Nora meinte schon, wir könnten ja Kasetten machen.

Nora Vree war dagegen. Sie ist dagegen, wenn ich Ideen habe (lacht). Aber welche Farbe würde denn noch fehlen?

Vielleicht Schwarz und Weiss?

Vree Doch, das schwarze Album und das weisse Album, das müssen wir schon noch machen.

Das neue Album von Casiofieber gibt es unter anderem hier zu hören. Das Duo tritt am Samstag, 20. August, am «Prost Mortem» auf. Das letzte AL-Fest beginnt um 17 Uhr im Mosergarten in Schaffhausen. Weitere Acts – darunter Liebe ist Theorie und die Punk-Band Mad Brains, aber auch diverse DJs – bespielen ab 18.30 Uhr die Bühne.