Vereinter Widerstand

27. Juli 2022, Luca Miozzari
Die umkämpfte Parzelle 1609. Fotos: Peter Pfister.

Die Stadtparkinitiative vereint einflussreiche Breitianer hinter sich und könnte gefährlich werden für Katrin Bernath. Die Baureferentin wäre nicht die Erste, die an der «Gartenstadt» scheitert.

Es ist kein schlechter Schachzug, den die städtische Baureferentin Katrin Bernath vor einem Monat gemacht hat. Der Wetteinsatz: die städtische Parzelle Nr. 1609.

Auf der anderen Seite des Spielbretts sitzt eine Gruppe von jungen Menschen, die Ende letzten Jahres die Stadtparkinitiative eingereicht haben. Die Forderung der Initiantinnen und ihrer Unterstützer: Das Gebiet auf der Breite, wo sich heute das alte FCS-Stadion, drei Übungsplätze und eine Wiese befinden, soll frei bleiben und zu einem Park werden.

Ungünstigerweise für Bernath und den Stadtrat ist das genau die Parzelle, auf der die Stadt eine grosse Wohnsiedlung plant. Doch statt die Initiative einfach nur abzulehnen, macht der Stadtrat dem Parlament nun einen Gegenvorschlag beliebt: Weil das Freihalten dieser einen Fläche «raumplanerischen Zielen» widerspreche, schlägt die Regierung vor, stattdessen «die Bedeutung von Frei- und Grünräumen für das gesamte Stadtgebiet» in die Verfassung zu schreiben. Bernath weiss, dass die Initiative zwar im Grossen Stadtrat keine Mehrheit finden wird. Aber an der Urne könnte es durchaus gefährlich werden. Deshalb macht sie quasi mit den Initianten gemeinsame Sache, ohne dass sie auf das Bauvorhaben verzichten muss. Nach dem im vergangenen Jahr gescheiterten Duraduct kann sie sich auf der Breite politisch keine weitere Niederlage leisten.

Nicht alle von Bernaths Zügen waren so geschickt. Die Baureferentin hat auf der vorderen Breite, wo es bereits seit 15 Jahren Absichten für eine Bebauung der städtischen Parzellen gibt, durchaus Fehler gemacht, dazu später mehr. Doch es liegt nicht nur an ihr, dass es bei diesem Projekt nicht vorwärtsgeht. Die «Gartenstadt» Breite, wie sie oft genannt wird, ist unbeugsam, hat viele gut situierte, vernetzte und schlagkräftige Bewohnerinnen. An deren Widerstand sind schon lange vor Bernaths Amtsantritt einige gescheitert.

Martin Huber, Maximilian Wiggenhauser und Desirée Steffenoni auf dem Fussballplatz, den die Stadt überbauen will.

Die Gartenstadt wurde nie gebaut

Pläne für grossflächige Überbauungen auf der Breite gab es bereits vor mehr als hundert Jahren. Um die Jahrhundertwende wuchs die Stadt rasant, es herrschte Wohnungsnot. Die Breite, wo es ausser Feldern damals nur die Psychiatrie und das Zeughaus gab, erschien der Stadtregierung offenbar als perfekter Expansionsraum. 1910 gab es einen Wettbewerb zur Bebauung des Plateaus, den die Architekten-Brüder Pfister aus Zürich gewannen. Sie hatten eine Gartenstadt geplant, wie sie damals in Europa en vogue waren: niedergeschossige Bebauung, viel Grünraum, ein dichtes Netz an Fusswegen mit kleinen Plätzchen für Begegnungen – der Gegenentwurf zu den engen und schmutzigen industriellen Städten.

Doch die Breite wurde, obwohl sie heute oft so genannt wird, nie wirklich zur Gartenstadt. Denn der «Pfisterplan» wurde nicht umgesetzt. Nur in einigen «Arbeiterriegeln» auf der hinteren Breite an der Sandacker- und der Sonnenstrasse aus den 1920er-Jahren sind Ansätze davon zu erkennen. Entfernten Gartenstadt-Charakter hat ausserdem die GF-Arbeitersiedlung «Schwarzadlergüetli» in der Nähe der Lochstrasse. Ansonsten blieb die Breite ländlich und dünn bebaut.

In der Nachkriegszeit erreichte die planlose Einfamilienhaus-Zersiedelung die Breite. Autos waren erschwinglich geworden, statt kleinen Fusswegen baute man Querstrassen, eine Schule kam, das Hallenbad, Fussballplätze, Schrebergärten. Auf der hinteren Breite wuchs ein neues Quartier heran.

Um die Jahrtausendwende begannen sich erste «Breitianer» an der Entwicklung ihres Umfelds zu stören. Eine lose Gruppe namens «Standpunkt Breite» beklagte sich über den zunehmenden Verkehr und den Lärm, der vom Stadion und von den Veranstaltungen auf den freien Wiesen auf der vorderen Breite stammte. Die Stadt heuerte 2005 zwei professionelle Moderatoren an, die mit den Bewohnenden eine «Zukunftswerkstatt» durchführten. Die Wünsche der Breitianer: Einbahnstrassen, mehr Fuss- und Velowege, Tempo 30, Erhalt der Grünflächen, eine Oberstufenschule, Tagesstrukturen, die Herbstmesse soll ins Herb-lingertal, und im Falle von Überbauungen wünschte man sich eine hohe architektonische Qualität.

Den neu erwachten Planungswillen in der gescheiterten Planstadt versuchte die Stadt zusammen mit der Wirtschaftsförderung des Kantons zu nutzen. Im Rahmen des Projekts «Potenzialaktivierung Stadt Schaffhausen» (PASS) planten Architekten 2007 grosse Blockrandbebauungen mit bis zu fünf Geschossen auf dem Stadionareal. Auch hier fiel das klingende Wort: Gartenstadt.

Doch zu diesem Zeitpunkt wurde auf dem Areal noch Super League gespielt.

Ausserdem spielten auch die Breitianer nicht mit. René Schmidt, Grossstadtrat und damals noch Co-Präsident des Quartiervereins Breite, lancierte einen Vorstoss, der den Stadtrat beauftragte, die Trainingsplätze neben dem Stadion für den Breitensport zu erhalten. Das Stadtparlament stimmte mit grosser Mehrheit zu. Das Bauprojekt vordere Breite verschwand in einer Schublade.

Das «Tor zur Breite»: Blick vom Schützenhaus in Richtung Stadion und Zeughaus.

Die Breitianer spielen nicht mit

2017, als der FCS ins Herblingertal zog, nahm die Baureferentin, seit 2016 im Amt, einen neuen Anlauf. Mit einer sogenannten Testplanung loteten drei von der Stadt beauftragte Architekten-Teams die Möglichkeiten aus. Und da die vordere Breite, wie schon zehn Jahre zuvor festgestellt, mit der flachen, zentrumsnahen Lage und den grossen Freiflächen in öffentlicher Hand ein enormes städtebauliches Potenzial birgt, wurde auch gross gedacht. Die Hauptpunkte der 2019 vorgestellten Synthese aus den drei Untersuchungen: Das Stadion soll zwar stehen bleiben, südlich davon wurden aber bis zu dreigeschossige Wohnhäuser vorgeschlagen so wie auch auf der an den Bühlplatz angrenzenden dreieckigen Wiese. Der Kiesplatz in der Mitte der beiden Areale, wo jeweils Zirkus, Chilbi und Herbstmesse stattfinden, soll nach Norden vergrössert werden, wozu ein Abriss des Zeughaus-Kopfbaus nötig sei. Ausserdem sollte der Verkehr in Richtung Nordstrasse künftig hinter statt vor der Steigkirche hindurchfliessen (AZ vom 13. Juni 2019).

Der Syntheseplan erlitt eine Bruchlandung. Der Quartierverein und seine über 800 Mitglieder verfassten vernichtende Vernehmlassungsantworten. Das «Tor zur Breite» solle offen bleiben, hiess es etwa, die Ebene lieber von hinten nach vorne bebaut werden, so wie es auch in der Vergangenheit der Fall war. Historische Sichtweisen trafen auf Zukunftsvisionen.

Die Pläne des Stadtrats – man hatte sich bei der Synthese stark auf einen der drei Vorschläge konzentriert – waren transformativ und auf hoher Flughöhe formuliert, aber doch sehr konkret. Die Gartenstadt aus dem Syntheseplan war nicht die, die die Breitianer als ihr Quartier kannten.

Und mit den bereits sehr konkret wirkenden Abrissplänen beim Zeughaus handelte sich die Baureferentin einen weiteren mächtigen Gegner ein: Martin Huber und sein militärgeschichtliches Museum. Mit Elan startete der gut vernetzte über 80-jährige ehemalige Artillerie-Oberst und GF-Chef eine Kampagne gegen die Baupläne auf der Breite (AZ vom 14. November 2019 und 4. Februar 2021). Und als sich die Stadt zuerst lange weigerte, die Vernehmlassungsantworten zu publizieren, musste sie sich auch noch den Vorwurf gefallen lassen, sie wolle die Kritik unter den Teppich kehren.

Statt mit grossen Visionen beschäftigten sich Katrin Bernath und die Stadtplanung auf der Breite bald nur noch mit Scharmützeln und vergleichsweise kleinen Nutzungskonflikten.

Und nun also auch noch die Stadtparkinitiative. Lanciert wurde sie von fünf jungen Mittzwanzigern, die grösstenteils selbst auf der Breite wohnen, unter anderem Robin Kohler und Nick Wangler, die auch für den Erhalt des Wasserturms im Mühlental kämpfen (AZ vom 9. Juni 2022). Nachdem ihr Stadtpark-Anliegen als Volksmotion im Grossen Stadtrat gescheitert war, haben sie im vergangenen Dezember eine Initiative nachgelegt. Und sie sind nicht begeistert von Bernaths Schachzug mit dem Gegenvorschlag.

Bei einem Getränk im Innenhof des Zeughausareals sagt Maximilian Wiggenhauser, Mitglied des Initiativkomitees, er habe das Gefühl, der Stadtrat wolle das Stimmvolk für dumm verkaufen. «In der Botschaft des Stadtrats steht, unser Anliegen sei in der Verfassung nicht stufengerecht. Das heisst für mich so viel wie: ‹Seid ruhig und lasst uns machen›.»

Mit am Tisch sitzen Martin Huber und Desirée Steffenoni, Co-Präsidentin des Quartiervereins. Beide unterstützen die Initiative, Martin Huber persönlich und der Quartierverein, in dem er sowohl die Sammelbögen zur Volksmotion als auch zur Initiative über die Website an die Mitglieder verteilt. Die Quartiervereinsmitglieder hätten sich mehrmals klar dafür ausgesprochen, auf der Breite möglichst viel Grünraum zu erhalten, so Steffenoni. Huber sagt, er habe das Anliegen von Anfang unterstützt, weil er es eine «lässige Idee» finde, unabhängig vom Schicksal seines Museums.

Ein Bagger vor der Steigkirche.

Es passiert erst mal gar nichts

Nun hat die Stadt also nicht wie beim Projekt PASS nur den Quartierverein oder wie bei der Testplanung Quartierverein und Martin Huber gegen sich, sondern zusätzlich noch naturverbundene und wachstumskritische junge Aktivistinnen, die Memes und Online-Kampagnen machen. In der Stadtparkinitiative konvergieren die Ziele dieser Gruppen, wenn auch aus verschiedenen Motiven. Huber geht es, auch wenn er das nicht sagt, wohl vor allem um den Erhalt seines Museums. Und viele Quartiervereinsmitglieder sorgen sich wahrscheinlich nicht zuletzt um den Wertverlust ihrer Liegenschaften. Niemand sieht es gerne, wenn vor seiner Nase gebaut wird. So gipfelt der Widerstand auf der Breite in der Unterstützung der Stadtparkinitiative als Verhinderungswerkzeug.

Denn sollte die Initiative an der Urne erfolgreich sein, geht die Vision des Stadtrats nicht mehr auf. Entweder hätte die Überbauung keinen Platz mehr oder die Herbstmesse und die anderen Veranstaltungen. In diesem Fall müsse die Stadt «grundsätzlich prüfen, was mit den heutigen Nutzungen auf dem betroffenen Grundstück geschehen soll», sagt Katrin Bernath am Telefon aus den Sommerferien.

«Die Idee, auf der Breite einen Stadtpark für die ganze Stadt zu bauen, erachte ich grundsätzlich als fragwürdig», so Bernath weiter. Wichtig seien mit kurzen Wegen erreichbare Grünräume in allen Wohnquartieren. Wer einen weiteren Weg auf sich nehme, würde sich eher in den stadtnahen Wäldern, am Rhein oder auf dem Randen erholen. Bedarf an Wohnraum in der Stadt gebe es hingegen auf jeden Fall, sagt Bernath und verweist auf die im Vergleich mit anderen Städten tiefe Leerwohnungsziffer. Ein Mangel bestehe vor allem an Wohnungen für Familien, was ein Schwerpunkt bei der Wohnraumentwicklung auf der Breite sein solle. Ausserdem werde man auf ein «Auto-armes» und «hochwertiges Wohnumfeld mit Grün- und Spielräumen» achten.

Den Widerstand auf der Breite wird sie damit wohl nicht besänftigen.

Bereits erreicht haben die Initiantinnen und ihre Unterstützer eine Art Moratorium. Denn solange das Damoklesschwert Stadtpark über der Breite schwebt, wird die Stadt dort nicht weiterplanen. Und bis die Botschaft des Stadtrats von einer Kommission und dem Plenum im Grossen Stadtrat beraten wurde, der Stadtrat einen allfälligen Gegenvorschlag formuliert hat und ein Abstimmungstermin gesetzt ist, wird sicher noch mehr als ein Jahr vergehen.