Hart im Nehmen

23. Juli 2022, AZ-Redaktion
Lockere Sprossen gehören zur guten Aussicht. Fotos: Peter Pfister.

Eine Esche lädt zum Herunterspringen
und Aussichtgeniessen ein. Bedroht sie sich damit selbst?

Von Maurus van der Haegen

Vom Wasser aus sieht man ihn schon von Weitem. Der Affenbaum, nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Andentanne, hängt völlig entspannt oberhalb der Petriwiese. Er ist ein wenig in die Jahre gekommen, aber immer noch in Form. Im Sommer zieht er kühne Abenteurerinnen an: Bötler, Jugendliche und Junggebliebene aus dem nahen Schlatt oder der ganzen Region. Manche treiben unbeeindruckt an ihm vorbei. Manche erklimmen ihn, schwingen sich an einer «Liane» von ihm herunter. Einige sind eingeschüchtert und trotzdem neugierig. Im Winter wird er in Ruhe gelassen.

Ausgewiesene Experten bestätigen, dass der Affenbaum eine Esche ist. In unseren Breiten ist die Esche keine Seltenheit. Ihr Holz ist wunderschön und gleichzeitig hart im Nehmen. Der zähe Affenbaum ist also wunderbar geeignet, um als Sprungturm am Rheinufer zu stehen. Ungefähr zwanzig nicht so festgeschraubte Sprossen führen hoch hinauf in die Absprungzone. Rostige Schrauben, die aus der Rinde schauen, lassen selbst grössere Abenteurerinnen kurz innehalten. Die Aussicht oben ist beeindruckend. Der Sprung ist noch beeindruckender.

Um das Dschungelbuchabenteuer trotzdem für alle möglich zu machen, musste der Baum von Menschenhand erschlossen werden. All die Schrauben, Schlingen und Sprossen gehen nicht spurlos am Baum vorbei. Sie verletzen ihn.

Es stellt sich also die Frage, ob der Mensch seine Abenteuerlust stillen kann, ohne den Affenbaum zu verletzen, oder ob die menschliche Abenteuerlust gleichzeitig ein Todesurteil für den holzigen Riesen ist. Er ist ein Symbol für das Ringen des Menschen mit der Natur. Und wie das so beim Ringen ist, gewinnt am Schluss nur einer. Ob das die namensgebenden Affen sind?

Stabiler Muskelkater und Müll

Es gibt zwei Möglichkeiten: Der Mensch schadet dem Baum oder der Mensch schadet dem Baum nicht.

Aus der Ferne fällt auf, dass der Affenbaum viel weiter auf das Wasser hinausragt als seine Nachbarn. Das könnte an den Stürmen des letzten Sommers liegen, an den Abenteuerlustigen oder daran, dass der Rhein langsam, aber stetig sein Wurzelwerk unterspült. Seine Stabilität scheint momentan noch nicht gefährdet zu sein. Für die Springenden spielt das sowieso keine Rolle, denn die wollen eh wieder runter.

Bei näherer Betrachtung stechen leere Getränkedosen aller Art ins Auge. Abgesehen von seinem Anblick fällt dieser Müll aber noch nicht ausreichend ins Gewicht, um den Baum zu verletzen.

Klettert man den Baum hinauf, sind die menschlichen Spuren nicht mehr zu übersehen: Neben den hereingehämmerten herausgefaulten hereingeschraubten Sprossen bilden Seile, Karabiner, Rost, abgebrochene Äste und vereinzelte Blutspuren den Schauplatz des Dschungelbuchabenteuers. Auf dem Affenbaum sieht es aus wie nach einem Feldzug. Der Mensch ist definitiv ganz oben angekommen, in der Baumkrone. Affen hausen dort oben aber nicht.

Vermutlich rührt der mündlich überlieferte Name eher daher, dass die Menschen, die sich hoch wagen, mit ihrer Haltung und ihren Schreien beim Sprung gewisse Affenarten erstaunlich gut nachmachen können.

Bei jedem sommerlichen Sprung ächzt der Affenbaum. Sein Holz ist sehr beweglich, beweglicher als das der Eiche. Wird es viel bewegt, bekommt es feine Risse wie ein Muskel, der viel trainiert wird. Im Sommer hat der Baum also eigentlich immer Muskelkater. Und was hilft gegen einen Kater? Viel Ruhe. Die Natur kommt dem Affenbaum da zwar entgegen, denn nach jedem Sommer kommt ein Winter. Und im Winter will sich niemand in den Rhein schwingen. Doch je älter man wird, desto länger braucht man, um sich vom Kater zu erholen. Noch kommt der Affenbaum zu seinen Pausen, aber die Vergnügungsspuren der Abenteurer sind nicht mehr zu übersehen.

Eine Frage der Zeit

Man könnte also meinen, der Mensch kann seine Abenteuerlust ohne grössere Verletzungen des Affenbaums stillen. Trotz aller Strapazen steht der Affenbaum noch. Wie lange er sich aber noch aufbäumen kann, steht auf einem anderen Blatt in ferner Zukunft.

Jahr für Jahr erblüht der Affenbaum von neuem in seiner ganzen Pracht und hält dem grossen Vergnügen stand. Irgendwann aber wird ein grosser Sturm oder eine grosse Abenteurerin kommen und den Baum mit sich in den Fluss reissen. Bis dahin wird aber noch sehr viel Wasser den Rhein runterfliessen.

Baumgeschichten
Bewundert, bewirtschaftet, emotionalisiert, entstellt: In unserer Sommerserie begeben wir uns auf die Suche nach besonderen Bäumen. .
Folge 1: Tanzlinde
Folge 3: Mammutbaum