Wie links sind die Grünen? Wie weit dürfen Mitglieder nach rechts tendieren? Drei Grüne, die nicht immer auf Linie sind, erlauben eine Analyse.
Grün ist eine Farbe mit vielen unterschiedlichen Tönen. Auch in der Politik. Bei den Schaffhauser Grünen gibt es einen linken Parteiflügel und eine noch progressiver aufgestellte Jungpartei. Gleichzeitig stehen wichtige Stimmen der Partei der Mitte nahe oder beziehen Positionen, die nicht zum Parteiprogramm passen.
Wie breit ist die grüne Wiese? Was darf innerhalb der Partei vertreten werden? Und wer bestimmt darüber? Wir loten das Spektrum aus. Den Ausgangspunkt dafür bilden drei Grüne, deren Abweichung vom Parteikurs für Diskussionen sorgte: Georg Merz, Daniela Furter und Regula Sauter.
Georg Merz: Mann der Mitte
Georg Merz bestätigt ohne Umschweife, dass er eher zur Mitte tendiert, «gewisse Überschneidungen» mit der GLP hat und oft von der Parteilinie abweicht.
Fast schon legendär ist sein streitbares Verhalten bei einer Budgetsitzung des städtischen Parlaments im Herbst 2015. Merz war damals das Zünglein an der Waage, wegen seiner Stimme wurden 53 000 Franken Kulturgeld aus dem Budget gestrichen.
Ein Jahr später – die Grünen hiessen noch ÖBS und hatten bei den Parlamentswahlen zum ersten mal mit der GLP konkurrenzieren müssen – schrieb die AZ über eine Partei «auf Sinnsuche». Die GLP war als Siegerin aus den Wahlen hervorgegangen, während die ÖBS nicht auf der grünen Welle surfen konnte und keine Sitze zulegte. Sollte sich die ÖBS in Abgrenzung zur GLP klar links positionieren? Merz sprach sich dagegen aus: «Für mich sind wir zu stark nach links gedriftet.»
Zu den Grünen, beziehungsweise zur ÖBS, hatte ihn einst seine Ablehnung von Atomkraftwerken geführt. Sein erster Vorstoss im Parlament allerdings forderte 200 zusätzliche Parkplätze in der Innenstadt. Merz sagt, wo es nicht um das Klima, die Energiewende oder die Biodiversität gehe, gehöre er «eher zur rechten Hälfte» der Grünen. Oft weicht er von der Parteilinie ab.
Am Telefon lesen wir ihm einen Punkt aus dem Parteiprogramm der Grünen vor: «für griffige Klimaschutzmassnahmen». Das könne er voll unterschreiben, so Georg Merz. Aber die Äufnung des städtischen Klimafonds, mit dem genau solche Massnahmen finanziert werden sollen, lehnte er ab – er wollte keinen «neuen Topf» und eine gerichtliche Auseinandersetzung (Seite 2) vermeiden.
Der nächste Punkt im Parteiprogramm lautet «Echte Gleichstellung aller Geschlechter» – auch dahinter kann Merz stehen. Das Beispiel, das er dazu nennt, ist aber speziell: «Die Angleichung des Rentenalters der Frauen an das der Männer wäre ein erster Schritt.» Die Grünen Schaffhausen lehnen dies gemäss einem Fragebogen im Vorfeld der letzten Wahlen mehrheitlich ab. Das Beispiel Georg Merz zeigt: In der Fraktion und auch innerhalb der Partei ist vieles toleriert. Nicht nur Haltungen, die nicht links sind, sondern auch solche, die nicht grün sind. Merz stimmte gegen den Klimafonds und auch gegen den von der Klimastreikbewegung vorgeschlagenen, eher symbolischen «Klimanotstand».
Vielfalt ist willkommen
Im Stadtparlament ist Iren Eichenberger so etwas wie das Gegengewicht zu Georg Merz: Die ÖBS-Mitgründerin mit jahrzehntelanger Politikerfahrung steht klar links. Wenn sie von der Fraktionshaltung abweicht, dann um mit der SP zu stimmen: «Bei manchen Themen kann ich mich mit der Fraktionsmehrheit nicht identifizieren», sagt sie.
Die grosse Meinungsbreite innerhalb der Partei störe sie nicht. In der gemeinsamen Fraktion mit GLP, EVP und CVP gebe es eine gute Diskussionskultur, und wenn jemand anders abstimme als die Mehrheit, entstehe keine schlechte Stimmung. Strategische Entscheide, geschlossen auf der einen oder der anderen Seite zu stehen, gebe es sehr selten.
Das ist bemerkenswert: Die Mittefraktion, in der die Grünen drei von neun Sitzen halten, ist Mehrheitsmacherin und hat damit grosses Gewicht. Sie könnte mit links und rechts verhandeln und faktisch die Stadt regieren – das geht aber nicht, wenn sie nur selten geschlossen auftritt. Eine Grüne Partei, die ihre Positionen gemeinsam festlegt und zusammen stimmt, wäre schlagkräftiger.
Auf das Wort «Fraktionsdisziplin» angesprochen, sagt Fraktionspräsident Lukas Ottiger (GLP): «Das kennen wir nicht.» Im Vorfeld werde jeweils informiert, wer wie abzustimmen gedenke, und diese individuellen Entscheidungen würden respektiert. Ottiger, der selbst öfter mit der SP stimmt als etwa Georg Merz, sieht in dieser Meinungsvielfalt einen Vorteil: «Ich finde es spannend, andere Meinungen zu hören und verschiedene Blickwinkel in der Fraktion zu haben.»
Daniela Furter: Schwierige Position
Eine weitere grüne Parlamentarierin mit abweichenden Haltungen ist Daniela Furter. Im Stadtparlament ist ihr Abstimmungsverhalten zwar dezidiert grün und oft linker als dasjenige von Georg Merz. Sie sagt: «Das Ökologische kommt an erster Stelle.» Auch, wenn diese Haltung mit sozialen Anliegen in Konflikt komme. «Das wirkt dann vielleicht nicht sehr sozial», räumt sie ein.
Ein Beispiel zeigte sich kürzlich im Parlament: Eine Volksmotion wollte gratis Badi-Eintritte für Kinder. Daniela Furter war dagegen und setzte sich entgegen der Linken dafür ein, der Gratiseintritt solle auf Schaffhauser Kinder eingeschränkt werden. Auf Anfrage erklärt sie: Kinder von ausserhalb würden realistischerweise mit dem Auto in die Badi gefahren. Und sie sehe nicht ein, warum man in der Stadt dafür zahlen soll, dass die Leute von überall in die KSS kämen. Mit dieser Haltung erinnert Furter an die Ecopop-Linie: Menschen schaden der Umwelt. Und die Umwelt hat Priorität.
Schlagzeilen machte vor drei Wochen ein auf Twitter ausgetragener Streit zwischen Furter und dem Co-Präsidenten der Jungen Grünen Gaétan Surber. Dieser hatte «Eine Auswahl an Tweets, die unsere grüne Grossstadträtin Daniela Furter geliked hat» zusammengestellt: Darin wurde der russische Angriff auf die Ukraine relativiert und die Corona-Impfung als «Gen-Experiment» bezeichnet – Daniela Furter «gefällt» das. Surber sagt auf Anfrage, er habe einen Diskurs in der Partei auslösen wollen, auch darüber, wo man sich klar abgrenzen müsse.
Es sei zu einer Aussprache mit Gaétan Surber gekommen, sagt Daniela Furter zur Twitter-Affäre, doch das Vertrauen sei «nicht mehr gleich gross». Sie weist auf eine Stellungnahme der Grünen Partei hin, welche klarstellt, dass für Nichtgeimpfte «keinerlei soziale Nachteile» entstehen dürfen. «Das kann ich voll und ganz unterschreiben», sagt Furter und zeigt erneut eine impfskeptische Haltung: «Es braucht mehr Transparenz und vor allem unabhängige Studien. Die Macht der Pharmaindustrie ist unheimlich.»
Daniela Furter hält fest, die Grünen seien für sie ganz klar eine linke Partei und sie sei «in Bezug auf deren offizielle Positionen zu 100 Prozent auf Parteilinie». Im Bezug auf die Forderung der Grünen nach einer intensiven Impfkampagne scheint dies allerdings nicht so klar zu sein.
Die Grünen haben damit offenbar kein Problem. «Wir sind gewachsen, und das bedeutet auch eine gewisse Breite», sagt Parteipräsident Roland Müller. Wer mal vom Parteikurs abweiche, werde nicht «diskriminiert». Dennoch: «Wir tolerieren nicht alles», es gebe eine «rote Linie». Die coronaskeptischen Twitter-Likes von Daniela Furter seien aber «weit weg» von dieser Linie, findet Müller.
Die Personalie Daniela Furter zeigt exemplarisch, wie breit das Spektrum auch bei Mitgliedern sein kann, die klar grün politisieren. Ausserdem zeigt sich, dass Meinungsverschiedenheiten oft zwischen Grünen und Jungen Grünen auftreten: Diese stehen sehr klar und konsequent links.
Gegenüber Grünen, die eine andere Schattierung repräsentieren, hat die Jungpartei wenig Geduld. Gianluca Looser, Kantonsrat und Vorstandsmitglied, hat für das breite Meinungsspektrum bei der Mutterpartei eine Erklärung: «Es macht sichtbar, dass alle aus ihrem eigenen Gärtli kommen. Für die einen ist der Schutz der Bäume das wichtigste, für andere die Fledermäuse und für manche das Velofahren.»
Looser ärgert sich, wenn beispielsweise Daniela Furter gegen Gratis-Badieintritte stimmt oder Georg Merz gegen einen Durchgangsplatz für Fahrende. Das sei «schwierig mit grünen Werten vereinbar» und werfe ein «schlechtes Licht» auf die Grüne Partei. «Ich möchte nicht in einer Partei sein, die in die Mitte abdriftet und bei der die Grundwerte verloren gehen.» Allerdings: Looser ist auch nicht in der gleichen Partei wie Furter und Merz. Die Jungen Grünen politisieren in Schaffhausen von der Mutterpartei unabhängig und nehmen keinen Einfluss auf deren Parteiprogramm. Dennoch sagt Looser, er verstehe es als Aufgabe der Jungen Grünen, die Parlamentsmitglieder der Grünen kritisch zu beobachten und Fehltritte zu benennen. Auf den Twitter-Streit zu Daniela Furters Likes angesprochen, spricht Gianluca Looser von «Positionen, die nicht vertretbar sind».
Regula Sauter: Ja, aber
Zwischenstand: Die Grünen sind mehr als tolerant gegenüber abweichenden Meinungen und verstehen dies als Stärke. Diskussionen darüber gibt es erst, wenn öffentliche Kritik – etwa vonseiten der Jungpartei – aufkommt.
Das zeigt sich auch an der dritten Grünen, die hier im Fokus steht: Regula Sauter. Ihre Positionen lösten eine parteiinterne Debatte aus, obwohl sie (noch) kein politisches Amt hat. Kürzlich wurde sie dennoch für die Ersatzwahl in den Stadtschulrat aufgestellt. Von den Jungen Grünen, das wird im Gespräch mit Gaétan Surber klar, darf sie nicht auf viel Unterstützung hoffen.
Vor knapp drei Jahren porträtierte die AZ Sauter als Nationalratskandidatin. Es zeigte sich: Regula Sauter verbindet grüne Positionen mit konservativen Wertvorstellungen, gerade in familienpolitischen Themen. Sie offenbarte sich als Abtreibungsgegnerin, zeigte sich kritisch gegenüber Tagesstrukturen und wollte sich im Bezug auf die Ehe für Alle nicht festlegen. Heute sagt sie, sie habe dieser an der Urne zugestimmt. Ihren Ausführungen folgt jedoch oft ein «aber». Auf Leihmutterschaft und Samenspende angesprochen, betont sie, ihr seien «gute flankierende Massnahmen für das Wohl des Kindes» wichtig, sie wolle sicherstellen, dass Kinder wissen können, wer die biologischen Eltern seien. Das Wohl des Kindes, auch des ungeborenen Kindes, dürfe nicht an zweiter Stelle kommen, sagt sie.
LGBTQ-Rechte sind für die Grüne Partei zu einem Kernthema geworden, sie hat sich klar progressiv positioniert. Regula Sauter aber hadert damit.
Sie hat die in der AZ aufgearbeitete Episode über den Kantonsschullehrer, der sich weigerte, einen trans Schüler mit seinem neuen Namen und männlichen Pronomen anzusprechen, verfolgt (AZ vom 2. Juni 2022, epaper.shaz.ch). Als Schulrätin könnte Sauter mit ähnlichen Situationen konfrontiert werden. Sie sagt: «Es ist schade, dass der Lehrer nicht das direkte Gespräch suchen konnte.» Sie könne sich vorstellen, in einem solchen Gespräch eine vermittelnde Position einzunehmen.
Sauter würde einen Weg suchen wollen, der für beide Seiten stimmt. Doch wenn ein Schüler das Respektieren seiner männlichen Geschlechtsidentität einfordert und vom Lehrer trotz mehrfacher Ermahnung durch die Schulleitung mit dem weiblichen Geburtsnamen angesprochen wird, gibt es keinen Mittelweg. Das sahen die Schulleitung, der Regierungsrat und letztlich das Obergericht so. Regula Sauter sieht es anders. Sie will keine Position beziehen, doch darin steckt bereits eine Position: Gegen den Schüler und den Schutz seiner Persönlichkeitsrechte.
Auf aktuelle bildungspolitische Fragen angesprochen, bezieht Sauter klar Stellung für Schulleitungen, aber weniger klar für die integrative Schulform. Diese sei «anzustreben» und bedinge ausreichend Lehrpersonen und Teamteaching. Aber: «Es gibt Kinder mit besonderen Bedürfnissen, welche im Schutz der Sonderklassen bessere Lernerfolge erzielen können.»
Regula Sauter hat, das zeigte auch der von ihr im Vorfeld der Nationalratswahlen ausgefüllte Smartvote-Fragebogen, eine Reihe von Haltungen, mit denen sie nicht auf Parteilinie ist. Bei den Schaffhauser Grünen, das signalisiert ihre Nomination für den Stadtschulrat, geht das in Ordnung.
Debatte könnte härter werden
Klare, von einer Parteileitung festgelegte und durchgesetzte Linien gibt es bei den Grünen offenbar nicht. Die Jungen Grünen hingegen zeigen sich vom breiten Feld innerhalb der Partei irritiert. Im Kantonsrat halten sie zwei Sitze und politisieren zusammen mit den Grünen in einer eigenen Fraktion, stehen aber an derem linken Rand und weichen auch mal ab. Aktuelles Beispiel: Die Teilrevision des Polizeigesetzes (Seite 3) lehnten Gianluca Looser und Maurus Pfalzgraf, die beiden Kantonsräte der Jungen Grünen, ab. Sie positionierten sich gegen ausgebaute Überwachungskompetenzen für Polizei und Staatsanwalt. Grüne-Parteipräsident Roland Müller hingegen stimmte zu. Er sei auch nicht sehr glücklich mit diesem Gesetz, sagt er auf Anfrage. Er habe strategisch abgestimmt, um nicht eine voraussichtlich aussichtslose Volksabstimmung bestreiten zu müssen.
Nicht selten verlaufen bei den Grünen Meinungsverschiedenheiten entlang von Generationengrenzen. Die Debatte über die politische Ausrichtung wird deshalb nicht verschwinden. Denn: Noch haben die Jungen Grünen keine Sitze im Stadtparlament. Doch nach der Wahl wurde in Aussicht gestellt, das ein oder zwei Junge Grüne im Verlauf der Legislatur nachrücken könnten. Wenn bald Gaétan Surber mit Daniela Furter oder Georg Merz in einer Fraktion sitzt, sind härtere Diskussionen als heute vorprogrammiert. Die Sinnsuche geht weiter.