Der Steuerwettbewerb soll gebremst werden. Was bedeutet das für Profiteure wie den Kanton Schaffhausen?
Heute, Donnerstag, 23. Juni, ist es soweit – im Verlauf des Tages wird der Bundesrat kommunizieren, wie er die Mindeststeuer der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Grundsatz umsetzen will. Dies, nachdem in den vergangenen Monaten von Gewerkschaften über Wirtschaftslobby bis hin zu den Kantonen alle zum Vorschlag Stellung nehmen konnten.
Doch bereits bevor die Details bekannt sind, ist klar: Die Schweiz, und mit ihr der Kanton Schaffhausen, setzt die Reform nur widerwillig um. Warum? Wir haben dem geschenkten Gaul ins Maul geschaut – und waren überrascht: Das ist ja ein Goldesel!
Worum es geht
Steuern sind nicht sexy, und spätestens bei Begriffen wie Carve-out oder Hinzurechnungssteuer schaltet das Grosshirn aus Selbstschutz auf Durchzug. Aber für einmal ist die Idee hinter einer Steuerreform bestechend simpel: Mit der OECD-Mindeststeuer sollen hochprofitable Unternehmen ab 2023 einen Mindeststeuersatz auf ihren Gewinn zahlen – unabhängig davon, in welchem Land sie die Gewinne erwirtschaften und wohin sie diese verschieben. Dem exzessiven internationalen Steuerwettbewerb soll so das Fundament entzogen werden.
So weit, so einfach.
Die Reform steht auf zwei Säulen: Die erste betrifft Unternehmen mit einem Jahresumsatz von über 20 Milliarden Franken – Konzerne wie Nestlé oder den Baustoffhersteller Holcim. Weil die OECD aber bei der Ausarbeitung der ersten Säule noch nicht fortgeschritten ist, dreht sich die Diskussion um Säule zwei: Sie verlangt für Unternehmen mit einem Umsatz von mindestens 750 Millionen Franken eine Mindeststeuer von 15 Prozent auf ihre Gewinne. Das bedeutet auch: Kleine und mittlere Unternehmen sind von der Änderung nicht betroffen.
Für die Schweiz ist es eine relativ kleine Reform, der kantonale Durchschnitt der Unternehmenssteuern beträgt gemäss Alliance Sud 14,9 Prozent. Nach Schätzungen des Eidgenössischen Finanzdepartements vom März würde eine Erhöhung auf 15 Prozent der Schweiz
1 bis 2,5 Milliarden Franken einbringen. Weil auch bei einer internationalen Steuerreform der Schweizer Föderalismus gewahrt werden soll, sollen die Mehreinnahmen grösstenteils an die Kantone fliessen. Profitieren tun davon vor allem Tiefsteuerkantone wie Schaffhausen: Hier liegt die Steuerbelastung bei 13,9 Prozent, also unter der neuen Mindeststeuer. Heisst: Die Unternehmen werden hier bald höher besteuert – und mehr Geld fliesst am Schluss in die Kassen von Schaffhausen.
Salopp ausgedrückt: Die internationale Gemeinschaft übergibt Ländern wie der Schweiz und indirekt Tiefsteuerkantonen wie Schaffhausen ein fettes Steuergeschenk, damit diese im Gegenzug aufhören, die globalen Unternehmenssteuern zu minimieren.
Ökonomen unter sich
Der Mann, der in Schaffhausen für die Steuererhebung verantwortlich ist, heisst Andreas Wurster. Der Leiter der kantonalen Steuerverwaltung empfängt die AZ am Montagmorgen im neunten Stock des Waldhauses, dem ehemaligen Schwesternhaus des Kantonsspitals. Für ihn und seine Angestellten bedeutet die bestechend simple Idee der Mindeststeuer komplizierte Detailarbeit. Denn: Die Methoden, wie Steuersätze und Gewinne berechnet werden, müssen vereinheitlicht werden. Weltweit. Dafür hat die OECD ein über 200 Seiten dickes Regelbuch ausgearbeitet, das die Steuerverwaltung zurzeit analysiert.
Freut er sich auf die Mehreinnahmen aus der Mindeststeuer? Die Antwort, wenig euphorisch: «Die Frage ist, ob und wenn ja, in welcher Höhe diese überhaupt kommen.» Für Wurster ist klar: Die Schweiz verliert durch die Mindeststeuer an Wettbewerbsfähigkeit. Das Argument der tiefen Unternehmenssteuern fällt grösstenteils weg – und für die Unternehmen wird die Schweiz teurer. «Ich bin Ökonom und schaue mir das von einer Gesamtperspektive an: Mit der Mindeststeuer steigt der Gesamtpreis für ein Unternehmen in der Schweiz, der mit Lohnkosten, Sozialabgaben und Mieten schon hoch ist. Für die Eigentümer der Unternehmen, die in dieser Grösse oft auch zahlenorientiert sind, stellt sich die Frage, ob der Preis noch gerechtfertigt ist.»
Ein anderer Ökonom, Daniel Lampart vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB), stuft die Gefahr, dass Unternehmen wegen der Mindeststeuer wegziehen, als gering ein. «Wo wollen die hin, wenn überall die Steuern angehoben werden?», fragt er beim Gespräch via Zoom. Steuern würden als Standortfaktor sowieso überschätzt, ist Lampart überzeugt. «Es gibt viele gute Gründe, seinen Standort in der Schweiz zu haben. Und im Endeffekt wollen wir Wertschöpfungsketten, nicht einfach Steuererträge.»
Grund für Optimismus
Ob sich der Gaul im Endeffekt also als Goldesel oder nicht doch eher als lahmendes Pony entpuppt, hängt also davon ab, ob Konzerne Schaffhausen verlassen werden, wenn die Steuern weltweit ansteigen – oder nicht. Dass sich die Steuerverwaltung bei der Einschätzung zurückhaltend bis pessimistisch gibt, überrascht nicht – das ist ihr Job. Es gibt aber einige Hinweise dafür, dass die Mindeststeuer für die Schweiz und vor allem für die Tiefsteuerkantone wie Schaffhausen mehr Steuereinnahmen bedeutet.
Erstens: Wie bereits erwähnt, geht selbst das Eidgenössische Finanzdepartement, das nicht gerade für Schönfärberei bekannt ist, davon aus, dass die Mindeststeuer der Schweiz zumindest kurzfristig einen Geldsegen beschert.
Zweitens: Bereits bei der Umsetzung der letzten internationalen Steuerreform, der STAF, wurde von einem Exodus von Schaffhauser Firmen gewarnt. Seither gab es kaum einen relevanten Wegzug, die Einnahmen sprudeln und Kanton und Gemeinden schwimmen im Geld.
Und drittens gab Finanzminister Ueli Maurer diese Woche in einem NZZ-Interview unumwunden zu, dass die Mindeststeuer im Sinne der «kleinen, innovativen und investitionsstarken Volkswirtschaften» wie der Schweiz ausgestaltet wurde. Es scheint also fast, als hätte sich die Schweiz den Gaul, den sie so widerwillig annimmt, selber geschenkt.
Der Kanton Schaffhausen überlegt derweil bereits Lösungsansätze, wie er seine Attraktivität für hochprofitable Unternehmen behalten kann, wenn er dereinst ohne tiefe Unternehmenssteuern dasteht. Ihm steht dabei ein Baukasten mit Massnahmen zur Verfügung, die er mit den allfälligen Mehreinnahmen der Mindeststeuer finanzieren kann: Er kann die Forschung subventionieren, Unternehmen administrativ entlasten, die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt fördern sowie die Einkommenssteuern senken. Letzteres könnte den Unternehmen helfen, attraktiver für ausgebildete Fachkräfte zu werden.
Verteilkampf, mit Handbremse
In welche Richtung die Massnahmen des Kantons Schaffhausen gehen werden, sei eine politische Frage, sagt Wurster. Er verweist auf das Legislaturprogramm der Regierung, welches einen Strauss an Massnahmen aufzählt, um den «Lebens- und Wirtschaftsort» Schaffhausen zu stärken: Mitfinanzierung der Angebote der familienergänzenden Kinderbetreuung, Erhaltung und Stärkung des Bildungs- und Ausbildungsangebotes, aber auch tiefere Steuern für natürliche Personen.
Genau Letzteres wäre aber unproduktiv, meint Daniel Lampart. «Jene, die von Steuersenkungen profitieren, geben das Geld nicht aus.» Der SGB hätte es lieber gesehen, wenn die Gelder erst gar nicht an die Kantone, sondern direkt an den Bund geflossen wären. «Dort hätten wir alle was davon, und die Gelder könnten sinnvoll eingesetzt werden, etwa für Prämienverbilligungen und Zustupf für die AHV.»
Hört man sich in der Schaffhauser Politik um, scheint der Verteilkampf noch nicht richtig Fahrt aufgenommen zu haben. Daniel Preisig (SVP), Finanzreferent der Stadt Schaffhausen, die im Kanton am meisten von der Steuerreform betroffen sein wird, gibt sich noch zurückhaltend. Noch sei gar nicht klar, ob etwa die USA die Mindeststeuer mittragen. «Ich bin zwar Optimist, aber das Risiko der Abwanderung ist nun mal da.» Auch, weil einige der Unternehmen, die den Kassen der Stadt seit einigen Jahren Überschüsse in Millionenhöhe bescheren, hier kaum Mitarbeiter beschäftigen. «Da nützen auch mehr Kinderkrippen nichts.»
Auch Kantonsrat Matthias Freivogel von der SP ist noch zurückhaltend. «Wir begrüssen die Reform natürlich, wollen aber die Botschaft des Bundesrates zur Umsetzung abwarten.» Was aber bereits jetzt klar sei: Die Mindeststeuer von 15 Prozent dürfe nicht durch neue Steuerprivilegien ausgehebelt werden, und eine Steuersenkung für die Manager dieser Firmen und andere Spitzenverdiener sei für die SP inakzeptabel. «Es wäre der Gipfel, wenn anstatt der Unternehmen jetzt einfach ihre hoch bezahlten Manager von tieferen Steuern profitieren würden.»