Mad Brains machen schnelle, hässige Musik ohne Anspruch auf Alternativen. Und sie haben Bock, damit durchzustarten.
Über dem tiefsten Punkt des Weltmeeres, dem Marianengraben, lebt ein Flohkrebs. Ein fahles Tierchen von etwa fünf Zentimetern Länge, optisch irgendwo zwischen einer Garnele und einer Assel, vor allem aber: eine schaurige Neuentdeckung. Denn als Forscher ihn im Jahr 2014 das erste Mal aus 7000 Metern Meerestiefe einsammeln, finden sie Plastik in seinem Bauch. Der kleine «Plasticus» – so heisst der Flohkrebs seitdem – wird zum Sinnbild für die kontaminierten Weltmeere. Und damit für den Menschen, der sie zerstört.
Die Welt steht in Flammen. Und der kleine Herr Plasticus, «en guete Mah», ja, der wird uns alle überleben, er wird bleiben, «bis as End vo allem und jedem». Oder: wenigstens, wenn man dem Klageschrei einer neuen lokalen Punkband glauben will. Deren Sänger brüllt uns, von kratzenden Gitarrenriffs und Schlagzeughämmern untermalt, unerbittlich ins Ohr:
Brennendi Bambis
Brennendi Babys
Verbrennti Gsichter
Verbrennti Erde
Alles versinkt
I de Flamme
Im Flammemeer
Im Flammemeer
Überall
Wütend, alternativlos, zuweilen beides überzeichnend: Willkommen in der Musik von Mad Brains.
Mad Brains (zu Deutsch «hässige, verrückt gewordene Hirne») ist der Name jener junger Hardcore-Punktruppe, die sich im Dunstkreis zwischen Skatepark und Neustadt zusammentat und sich nun aus einem versifften Bandraum auf die Kleinstadtbühnen hievt. Und die damit auf Nachfrage stösst: Innert kürzester Zeit gab das Trio drei Konzerte, zuerst am Vorerstmaifest im Mosergarten, dann am «Hillbomb», dem kürzlichen Einfall der urbanen Skater-Szene in Opfertshofen (AZ vom 2. Juni 2022), und nun am Rasafari vom vergangenen Wochenende.
Und: Die Mad Brains haben – nach mehr als einem Jahr Tüfteln im Bandraum – Bock auf mehr.
Gegen alles und alle
Hinter dem schonungslosen Namen stecken Sebi, Samu und Bruno. Drei tattooübersäte Schaffhauser zwischen 19 und 27 Jahren (die Tattoos stechen sie sich auch mal gegenseitig), und ja, sie sind «verdammt hässig». Das sagt Sebi, der Mann hinter den Texten. «Schau doch mal, was die Menschen mit der Welt anrichten, wie sie mit den Lebewesen auf dem Planeten umgehen. Was wir alles zerstören! Es ist doch normal, dass einen das hässig macht.»
Kein Wunder, spielt der Marianen-Flohkrebs eine Hauptrolle in seinem Text. Und kein Wunder, sitzt auf dem Logo der Gruppe ein Baby mit grimmigem Blick auf einem Reh mit Fangzähnen und leeren Augen, das in Flammen steht. Sebi: «Die Leute denken vielleicht: ‹Jaja, das ist Punk, die machen das einfach so.› Aber auf der Welt sterben eben wirklich Kinder. Und Tiere.»
Die Klimakrise ist freilich nicht das Einzige, worüber sich die Gruppe Gedanken macht. Als sie am Samstag auf der Bühne im Mosergarten ein Liebeslied ankündigt, schreit Sebi ergriffen «Schmerz ins Herz» ins Mikrofon – Schmerz eben nicht nur in Bezug auf die Liebe zu einem Individuum, sondern eben zum grossen Ganzen. «Wir stellen alles und jeden infrage», sagt Samu, der jüngere Bruder von Sänger Sebi. Mad Brains schiessen nicht gegen Einzelne, sondern – ja, gegen wen eigentlich? Ganz einfach: «Alles und alle.»
Kompromisslos
Die Wut gegen das System braucht Luft, und welcher Kurs wäre besser dazu geeignet, gegen alles und jeden anzumusizieren, als Punk: diese Abgrenzung von utopischen Weltverbesserern; das kompromisslose Darstellen, was ist, ohne selber Alternativen aufzuzeigen; der Bruch mit der Konvention als Akt der Selbstermächtigung. Mad Brains machen rebellischen, rauhen, zeitweise brachialen, zwischenzeitlich melodischen Hardcore Punk. Wobei sie das gar nicht so genau gelabelet haben wollen: «Unser Musikstil ist total brainfuck», sagt Samu, und Bruno doppelt nach: «Unsere Texte sind ein Schlag ins Gesicht», und beide lachen laut.
Mit der Ernsthaftigkeit haben es die drei trotz aggressiver Manier auf der Bühne und in der Kunst nicht so. Als Radio Rasa sie jüngst fragte, worüber sie sich denn so Gedanken machen, heisst es: «Aktuell drehen alle völlig durch auf der Welt. Die wirtschaftliche Lage ist krass, die Preise schiessen in die Höhe, Brot und Sprit kosten mehr, und da machen wir uns schon extrem Sorgen, ob das die Bierpreise beeinflussen wird, vor allem längerfristig!» Als die AZ die drei nach dem Konzert im Mosergarten um ein Porträtbild bittet, dann wird dies nicht nur mit voller Überzeugung in der örtlichen Toilette geschossen, sondern auch mit dem entblössten Hintern eines Kollegen im Zentrum. Und
Bruche chan mer eus nöd
Bruche chan mer eus nöd
Bruche chan mer eus nöd
Bruche chan mer eus nöd
ruft Sebi im Lied «Träne» überzeugt. Kurz und gut: Mad Brains tun, was sie wollen, sie transformieren die Wut ins Lustprinzip, das Anti-Alles in einen rauschhaften Nihilismus.
Hunger nach Frischluft
Diesem Lustprinzip folgend darf man von den Mad Brains mit zwei Dingen rechnen. Erstens: mehr Auftritte. «Wir sind den Bandraum müde und hungrig danach, live zu spielen», sagt Bruno, und live klinge die Musik sowieso am authentischsten. Und zweitens: eine EP.
Dafür steigt das Trio seit einer Weile sicher zweimal wöchentlich in den Keller hinab, jammt, schreibt neue Lyrics, feilt an bereits gemachten Aufnahmen. Zehn Tracks seien bereits sicher, allesamt Ekstasen in etwa zweiminütiger Länge, eigentlich aber seien es eher um die 50 Lieder, wenn die ganzen Freestyle-Sessions konsequent aufgezeichnet würden. Worum es darin gehen wird? «Fuck the world!»
So ernst sie auf der Bühne aussehen und so sehr Bruno, Samu und Sebi (v.l.) ihre Wut rauslassen – um die Lust an der Sache gehts ebenso.