Die neue Leitung der Pädagogischen Hochschule peitscht eine Reform voran. Dozierende befürchten ein Desaster.
Am 13. März 2022 goss ein langjähriger Dozent der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen seinen Unmut in einen Brief. Die Adressaten: Rektorin Gerda Buhl und Prorektor Renato C. Müller. Der Brief ist ausführlich, er ist umsichtig formuliert, aber auch klar im Inhalt: Die Verunsicherung an der Schule sei «sehr gross», schreibt der Dozent im Namen von mehreren Dozentinnen und Dozenten. Es habe sich Frustration breit gemacht, so sehr, dass sich einige von ihnen nach neuen Arbeitsstellen umsehen. Man habe den Eindruck, die Dozierenden und das Rektorat würden aneinander vorbei arbeiten, «wie in zwei Systemen, die nicht mehr viel miteinander zu tun haben». So könne die Weiterentwicklung der PHSH nicht gelingen.
Der Brief war der vorläufige Höhepunkt eines Richtungsstreits, der sich an der PH Schaffhausen hochschaukelt, seit im Sommer 2021 eine neue Führung das Ruder übernommen hat.
Derartige Konflikte sind nicht ungewöhnlich: Eine Institution, die über lange Jahre mit viel Herzblut aufgebaut wurde und deren Strukturen sich stark an den Menschen orientieren, die sie entwickelt haben, geht über in neue Hände. Sowas birgt ganz automatisch Konfliktpotenzial.
Doch an der PH Schaffhausen scheint der Graben bemerkenswert tief zu gehen. Die beiden Mitarbeiterinnen des Sekretariats sind weg, und auch drei zentrale, teils international anerkannte Dozierende mit beeindruckenden Publikationslisten und grossen Pensen haben überraschend ihre Kündigung eingereicht: der Co-Leiter «Berufspraktische Ausbildung», die Leiterin «Medien und Informatik» und die Leiterin «Forschung und Entwicklung».
Bereits im Sommer 2021 sind insgesamt neun zum Teil sehr prägende Dozierende abgegangen, darunter die bisherige Leitung, Rektor Thomas Meinen und Prorektorin Lizzi Wirz. Und die Abwanderung kommt zu einem strategisch ungünstigen Zeitpunkt. Zum einen herrscht grosser Lehrermangel (siehe Artikel ab Seite 5), zum andern soll die PH umziehen: In der Kammgarn West werden derzeit die neuen Räumlichkeiten geplant, ein richtungsweisendes Projekt.
Die AZ hat in den vergangenen Wochen diverse Gespräche im Umfeld der Pädagogischen Hochschule geführt, mit aktuellen und ehemaligen Dozentinnen und Dozenten, mit Studierenden, mit Menschen aus der Schulleitung, dem Hochschulrat und der Kantonsregierung. Die Anspannung war in diesen Gesprächen förmlich zu spüren. Einige Dozierende wollen sich nicht äussern, sie fürchten, dass die Lage weiter eskalieren könnte. Diejenigen, die erzählen, sind reflektiert, hadern, sind bedacht, ihre Kritik sachlich zu äussern. Sie haben viele Jahre ihres Berufslebens der PH gewidmet, nun scheinen sie zu verzweifeln.
Nach dem Brief der unzufriedenen Dozentinnen und Dozenten an die Hochschulleitung fanden zwei Konferenzen statt, die helfen sollten, die Situation zu entschärfen. An der ersten Konferenz schrien sich Dozierende und Schulleitung an, an der zweiten war dann ein Mediator zugegen, schliesslich aber stellte sich Beat Stöckli, der Präsident des Hochschulrats, vor die Dozierenden und stärkte der Schulleitung den Rücken. Ein Machtwort, das den Graben zwischen den Lagern nicht eben zuschüttete.
Um den Graben zu verstehen, muss man sich anschauen, was vorher war.
Kein Stein bleibt auf dem anderen
2003 wurde die Pädagogische Hochschule in einem schwierigen politischen Umfeld geboren. Mit dabei war Lizzi Wirz, die geistige Mutter der Schule. Seither war sie immer da, das Büro gleich neben dem Eingang, die Tür immer offen. Wirz wusste alles, kümmerte sich um alles. Dass die Schule 2020 ein Hochschulgesetz erhielt, dass die PH kürzlich offiziell als Hochschule akkreditiert wurde – ohne Lizzi Wirz wäre das nicht möglich gewesen.
2010 dann übernahm Thomas Meinen als Rektor die Schule, ein Visionär mit einem Gespür für Menschen, um den sich Dozierende scharten, die sich einbringen und einen philosophischen Diskurs über Bildung führen wollten – mit möglichst wenig Hierarchie. Die Pädagogische Hochschule entwickelte sich zu einem der intellektuellen Zentren der Region, die Schülerinnenzahlen stiegen.
Die Dozierenden, die diese Entwicklung zusammen ermöglichen, sind es auch, die hinter dem Brief stehen, der am 13. März an die Nachfolge von Meinen und Wirz geschickt wurde. «Wir waren berauscht von der vorherigen Führung», sagt einer von ihnen. «Es war die ideale Form von Partizipation», sagt eine andere.
Die neue Führung erleben sie anders.
Rektorin Gerda Buhl und Prorektor Renato C. Müller sind 2021 mit grossen Zielen angetreten. Sie wollen die Pädagogische Hochschule reformieren. Und dass es Reformbedarf gibt, bestätigen auch diejenigen, die die jetzige Reform kritisieren.
Die PH Schaffhausen wurde damals, 2003, als eine Art Partnerschule der Pädagogischen Hochschule Zürich gegründet. Dabei wurde vieles von der grossen Schwester übernommen: Strukturen, Prüfungsanforderungen, Modulkonzept. Bei diesem Adaptionsprozess musste jedoch vieles geschrumpft und verknappt werden, bis heute wird nachgebessert und optimiert. Das Programm ist unübersichtlich, es ist zugeschnitten auf die Menschen, die es entwickelt haben, es gibt viele kleine Modulgefässe, die dafür sorgen, dass die Studierenden zerstückelte Präsenzzeiten haben. Schon die alte Leitung um Wirz und Meinen war sich bewusst, dass die organisch gewachsenen Strukturen nicht mehr zeitgemäss sind und überarbeitet werden müssen.
Als Buhl und Müller antraten, haben sie die Gelegenheit beim Schopf gepackt: Aus den 125 Bachelormodulen sollen 36 werden, die Lerninhalte werden zu grösseren Modulen vereint, die Stundenpläne werden flexibler, Zwischen- und Diplomprüfungen sollen gestrichen werden. Die Dozierenden sollen zeitgemässe Lehr- und Lernformen anbieten, sagt Rektorin Gerda Buhl gegenüber der AZ. Das sei ein Prozess, wie ihn andere Pädagogische Hochschulen bereits durchlaufen hätten.
Bloss: Bei einem derartigen Prozess bleibt kaum ein Stein auf dem anderen. Und für die Einführung der Reform hat sich die Schulleitung nur ein Jahr Zeit gegeben, bis zu Beginn des Herbstsemesters 2022.
Es ist eine Gratwanderung: Wie stark kann man verschlanken und die Studentinnen, die Dozenten und die Hochschulleitung entlasten, ohne die Qualität zu reduzieren? Welchen Teil der mitunter hochkomplexen Strukturen kann man abschneiden, wie viel muss man erhalten?
Vor allem ist eine derartige Reform ein Vorgang, der bedingt, dass die Dozierenden am selben Strick ziehen wie das Rektorat. Doch das ist offenbar nicht gelungen.
Devisen statt Denkanstösse
Prorektor Renato C. Müller ist ein Mann mit einem Doktortitel in «Business Administration» in der Tasche und KMU-Phrasen auf der Zunge. Die Kritik der alteingesessenen Dozierenden geht nicht etwa an die Adresse von Rektorin Buhl, sie richtet sich an Prorektor Müller, er sei der eigentliche Chef im Haus. Und Müller, wie sie ihn bis anhin wahrgenommen haben, interessiere sich vor allem für «Rationalisierung» und weniger für Menschenbilder und Pädagogik. Was er anstrebe, sei eine «ökonomische Verwaltungsreform», sagt einer der Dozierenden. Und zwar in rasantem Tempo.
Die Kritiker sagen, Müller habe die Pädagogische Hochschule hierarchisiert. Und er würde nicht wertschätzen, was vor ihm geleistet worden sei. Es sei von «Altlasten» die Rede gewesen, sagen mehrere Gesprächspartnerinnen gegenüber der AZ; die alte Schulleitung um Lizzi Wirz und Thomas Meinen sei an einer der beiden Konferenzen als «nicht professionell» taxiert und öffentlich schlecht gemacht worden. Leute würden gemobbt und ihre Anliegen von der neuen Schulleitung nicht ernst genommen.
Statt Denkanstössen kämen von der Leitung vor allem Devisen.
Nun gilt es natürlich abzuwägen. Grosse Reformen bieten unendlich viel Potenzial für Fettnäpfchen, eine «Optimierung» wirkt schnell wie eine Kritik am Bisherigen. Man kann sich fragen, welcher Teil der Bedenken der Dozierenden tatsächlich auf eine Angst um die Qualität der Schule zurückzuführen ist und welcher Teil auf eine nostalgische Gewohnheitskultur. Und natürlich gibt es nicht nur Kritiker, sondern auch Dozierende, die gut finden, was die neue Leitung tut und dass sie es schnell tut.
Unter dem Strich steht und fällt ein solches Projekt vor allem auch mit einer guten Kommunikation. Und da hat die Schulleitung Defizite.
Prorektor Renato C. Müller reagiert gar nicht auf Gesprächsanfragen der AZ, dafür weist die Schulleitung die Dozierenden umgehend an, nicht mit Medien zu sprechen. Rektorin Gerda Buhl empfängt ein paar Tage später freundlich und angespannt in ihrem Büro. Sie war vorher bereits drei Jahre lang eine der Prorektorinnen der PH Schaffhausen und gilt als erstklassige Dozentin für Mathematikdidaktik. Heute jedoch sagen viele: Sie kann nicht führen.
In der nächsten Stunde versucht Buhl, die Probleme wegzureden. Fehlende Wertschätzung? «Wertschätzung wird individuell wahrgenommen.» Die gewichtigen Kündigungen? «Die Fluktuation bewegt sich in einem normalen Rahmen.» Überhierarchische Führung? «Unsere Türen sind immer offen.»
Fragt man Frau Buhl, wieso Dozierende in Briefen schwere Vorwürfe formulieren und die Schulleitung einen Mediationsprozess startet, wenn doch angeblich alles in Ordnung sei, antwortet sie: «Das frage ich mich auch.» Doch wäre es nicht eigentlich eine der zentralen Aufgaben einer Schulleitung, genau auf diese Frage eine Antwort zu finden?
Der Hochschulrat, das oberste Organ der PH, das die Schule beaufsichtigt, will sich zu den Problemen an der Hochschule gar nicht erst äussern. Präsident Beat Stöckli, von Berufes wegen Chef der Ersparniskasse, sagt auf Anfrage der AZ, im Hochschulgesetz seien die Kompetenzen klar geregelt: Der Hochschulrat mische sich nicht in operative Geschäfte ein. Auf die Frage, warum er denn an dieser Schlichtungskonferenz ein Machtwort gesprochen habe, weiss der hörbar genervte Stöckli keine Antwort.
Im Gegensatz zu Rektorin Gerda Buhl weiss Regierungsrat und Bildungsdirektor Patrick Strasser offenbar um die Probleme an der Schule Bescheid. Er sagt, die operative Führung müsse jetzt Massnahmen treffen, «damit das Schiff wieder in ruhige Gewässer kommt». Die Schulleitung sei sich bewusst, dass sie diesbezüglich etwas investieren müsse.