Eine neue Gruppe kämpft für mehr Kulturgelder – und eine fairere Verteilung. Und vielleicht wird man sich dereinst verwundert fragen: So einfach ging das?
Die Zahl lässt wenig Spielraum für Interpretationen: 13 Prozent der städtischen Kulturgelder, weniger als ein Siebtel des gesamten Fördertopfs, fliessen derzeit in die Populärkultur. Der Rest geht im weitesten Sinne an die Hochkultur.
«Das ist ganz offensichtlich nicht fair», sagt Mayowa Alaye. Die GLP-Kantonsrätin gehört dem neu formierten Kulturbündnis an, das neun Thesen entwickelt hat, wie Schaffhausen seine Förderpraxis umkrempeln und fairer gestalten könnte. Und eine Volksinitiative, die dafür sorgen soll, dass es für das Ansinnen auch die nötigen finanziellen Mittel gibt.
Am Anfang dieser neuen Kulturoffensive steht ein Artikel in der Schaffhauser AZ. Im März 2018 zeigten wir auf, wie die Stadt ihre Fördermittel verteilt und dass etwa das Museum zu Allerheiligen 46-mal so viel Geld bekommt wie die Kammgarn. «Diese Geschichte war mega wichtig, sie hat uns die Augen geöffnet», sagt Hausi Naef vom Kulturbündnis.
Die Lobbyorganisation wurde bereits 2016 gegründet, nachdem das Stadtparlament Kultursubventionen aus dem Budget gestrichen hatte. In der Folge positionierte sich das Bündnis als Stimme der freien Kulturszene, heute zählt es über 400 eingetragene Mitglieder. In den Folgejahren nahm man die Organisation jedoch kaum mehr wahr.
Nachdem 2021 in der AZ eine Streitschrift erschienen war, die die strukturellen Gründe der Zweiklassengesellschaft in der Kulturszene aufzeigte und appellierte, die Förderpraxis zu überdenken, formierte sich das Bündnis neu, um den Ball aufzunehmen. Und am ersten Workshop-Tag zeigte sich: Da hat eine schlagkräftige Truppe aus erfahrenen Kulturschaffenden, Politikern und Juristinnen zusammengefunden, die gut zusammenarbeiten und wissen, wie der politische Prozess funktioniert.
Da sind neben dem Jazzfestival-Gründer und Kammgarn-Urgestein Hausi Naef und der Jus-Studentin und GLP-Kantonsrätin Mayowa Alaye der grünliberale Kantonsrat und Kulturlobbyist Lukas Ottiger, der SP-Sekretär und Campaigner Simon Sepan, René Albrecht, seit einer Ewigkeit tragende Säule des TapTab, der Kammgarn-Booker Raphael Schemel und Andi Kunz, ehemaliger AL-Grossstadtrat und Chef des kantonalen Sozialamtes.
Beispiel Basel?
Ein Blick nach Basel zeigt jedoch: Das Anliegen, Populärkultur besser zu fördern, ist nicht frei von Hindernissen. Am Rheinknie hat sich um den Bassisten Fabian Gisler die IG Musik Basel formiert, die etwas ähnliches will, jedoch nicht für den gesamten Kulturbereich, sondern nur für die Musik: Mehr Geld für Pop, Rock und Jazz.
Eine entsprechende Initiative, in welche die Interessengemeinschaft viel Herzblut und unzählige Arbeitsstunden gesteckt hat, will, dass «ein Drittel des jährlichen Musikbudgets» in das «freie, nicht-institutionelle Musikschaffen» fliesst.
Das Problem: Es droht eine Neiddebatte mit den klassischen Orchestern, die derzeit 90 Prozent der Basler Fördergelder im Musikbereich erhalten. Bald soll die Initiative gesammelt werden. Doch derzeit scheint sich niemand exponieren zu wollen. «Das Vorhaben ist gross, die Stille ebenso», schrieb kürzlich die Zeitung bz Basel.
Das Schaffhauser Kulturbündnis scheint zielgerichteter vorzugehen.
Um eine Neiddebatte zu verhindern, soll bei der institutionellen Kultur nicht gespart werden. Der gesamte Topf soll grösser werden, mindestens 6 Prozent des ordentlichen Budgets der Stadt Schaffhausen sollen künftig in die Kultur fliessen.
Die Volksinitiative sieht vor, dass davon ein Drittel der «nicht institutionellen Populärkultur» zufliesst. Damit meinen die Kulturlobbyistinnen Kulturschaffende, die nicht der Stadt angehören: grössere Veranstaltungslokale ebenso wie stadtbekannte Vereine oder kulturelle Neulinge.
Wie sich das Bündnis die neue Förderpraxis genau vorstellt, zeigen neun Thesen, die die Aktivisten erarbeitet haben: Sie fordern etwa zeitgemässe Arbeitsbedingungen und faire Löhne für Kulturschaffende der freien Szene, eine neue Stelle im Kulturreferat oder ein Kulturhaus (siehe Box).
Die Zeit ist reif
«Unsere Thesen sind auf eine pragmatische Art visionär», sagt Mayowa Alaye, das Bündnis wolle nur Forderungen aufstellen, die auch erfüllbar seien, und Lukas Ottiger ergänzt, man sehe den Thesen an, dass es nicht nur um Geld gehe, sondern auch um Strukturen in der Verwaltung, um Öffentlichkeitsarbeit und Vermittlung.
Die Zeit, da sind sich die Initianten sicher, sei reif. Die Corona-Pandemie habe den gesellschaftlichen Wert der Kultur noch einmal unterstrichen und die prallvollen Staatskassen würden eine Aufstockung des Kulturbudgets alleweil erlauben.
In einem nächsten Schritt werden die Schaffhauser Kulturschaffenden zur Vernehmlassung geladen, sie sollen sich eine Meinung bilden können über die Thesen, die das Bündnis im stillen Kämmerlein entwickelt hat. Danach könne man justieren, bevor die Initiative dann definitiv lanciert und die entsprechenden Unterschriften gesammelt werden sollen.
Die Initiantinnen wirken optimistisch: «Unsere Argumente kann ja niemand von der Hand weisen», sagt Mayowa Alaye. Und Andi Kunz, Vater des Kulturbündnisses, meint: «Wir wollen nicht einfach den Diskurs anstossen. Wir wollen die Initiative gewinnen.»
Neun Thesen
• Schaffhausen soll eine «echte Schweizer Kulturstadt» werden.
• Die Kulturgelder sollen im Sinne eines modernen Kulturprogramms fair verteilt werden.
• Kulturschaffende der freien Szene sollen faire Löhne erhalten.
• Eine neu geschaffene Stelle soll die Interessen der Populärkultur vertreten.
• Die Stadt soll temporäre Raumnutzungen für kulturelle Zwecke ermöglichen.
• Die Stadt soll kulturelle Angebote bewerben.
• Fördermittel für die Kulturszene sollen direkt und unkompliziert zur Verfügung stehen.
• Mit Starthilfen für Newcomer sollen kulturelle Ideen effektiv unterstützt werden.
• Es soll ein Kulturhaus als Begegnungszentrum für alle Kulturinteressierten geschaffen werden.
Das Kulturbündnis lädt am Donnerstag, 19. Mai, um 19 Uhr zum Startschuss ins TapTab und freut sich auf viele Kulturschaffende und eine spannende Diskussion.