Der Kanton hat nach 19 Jahren endlich einen Durchgangsplatz
für Fahrende gefunden. Doch einer steht im Weg: Unternehmer Pius Zehnder.
Pius Zehnder tigert durch seinen neuen Gasthof Ziegelhütte, zeigt das Restaurant, die Säle, die Stuben, die ausgebaute Scheune, den Stock mit den Zimmern, den Weinkeller. «Das ist doch positiv, oder!», ruft er immer wieder aus. «Warum sucht ihr Journalisten immer das Negative!»
Man muss ihm Recht geben: Es ist tatsächlich ein gelungenes Projekt, das der 56-jährige Baulöwe und Rinderzüchter da, im Durachtal zwischen Schaffhausen und Merishausen, in den vergangenen zwei Jahren für fast sieben Millionen Franken aus dem Boden gestampft hat. Die Materialien sind wertig, Föhre und Eiche vom Randen, auf dem Dach kleben Solarzellen, draussen auf der Biodiversitätsfläche meldet sich der Frühling.
Seit über 100 Jahren wird in der Ziegelhütte gewirtet. Zuletzt in einer gemütlichen, aber heruntergekommenen Beiz. Dann, 2018, kaufte Zehnder das Land. Es ging ihm um Weidefläche für seine Angus-Rinder, über Umwege entwickelte er aber auch ein Bauprojekt. Anfang 2022 feierte die neue Ziegelhütte Eröffnung. Seither wirtet Urs Hallauer hier, der bis Ende 2021 im Restaurant Gemeindehaus in Merishausen weitum bekannte Cordon Bleus zubereitete. 20 Arbeitsplätze sind in Zehnders Ziegelhütte entstanden. Und schnell hat sich rumgesprochen, dass man hier als Gast auf seine Kosten kommt. Wer in der Ziegelhütte essen oder logieren möchte, sollte sich frühzeitig um einen Platz bemühen.
Ja, die Ziegelhütte ist ein Kleinod. Doch sie ist eben auch Zehnders Reich. Und deshalb hat hier nur einer etwas zu sagen: Pius Zehnder.
Mit einem ähnlichen Satz begann bereits vor drei Jahren eine AZ-Reportage über den «lieben Gott von Bargen». In seiner Heimat hatte er eine paradiesische Bachlandschaft geschaffen, ganz nach seinen Vorstellungen. Mit ein paar Linien hatte er einen Plan auf ein altes Güllefass gekritzelt, den Bewilligungsprozess übersprang er kurzerhand, sehr zum Unmut der Ämter und Umweltverbände.
Er sei eben «behördengeschädigt», polterte der ehemalige SVP-Kantonsrat gegenüber der AZ. Also schaffte er eben selber Tatsachen und fuhr die Bagger auf: «Jetzt kann jeder Beamte, der involviert ist, mit seinem E-Bike hierher radeln und sich das anschauen», sagte er.
Schliesslich ging es dann doch nicht ganz ohne Bewilligung. Und eine Busse musste Zehnder auch bezahlen. Und jetzt, bei der Ziegelhütte, kommen ihm diese kleinkarierten Behörden schon wieder in die Quere.
Doch so einfach drückt man einen Pius Zehnder nicht weg.
Der schwarze Peter
2003 verpflichtete der Bund die Kantone, einen Durchgangsplatz bereitzustellen, wo die 2000 bis 3000 Schweizer Fahrenden während ihrer Reisezeit für eine kurze Zeit ihre Wohnwagen abstellen können. In Schaffhausen, aber auch in anderen Kantonen, begann ein jahrelanger Knorz. Das Problem: Der Kanton ist zwar in der Pflicht, doch die Gemeinden, denen das allermeiste Land gehört, haben gar keine Freude an der Vorstellung, dass die Fahrenden ausgerechnet bei ihnen logieren sollen. Sie schieben den schwarzen Peter munter weiter. Der Kanton appelliert jeweils an die Solidarität, doch das scheint die Gemeinden wenig zu kümmern.
So geht das in Schaffhausen seit mittlerweile 19 Jahren. Bis 2017 gab es zumindest einen provisorischen Durchgangsplatz im Neuhauser Langriet, dann war auch damit Schluss.
Als das Stadtparlament 2019 wieder einmal einen politischen Vorstoss behandelte, der den Stadtrat beauftragen sollte, aktiv zu werden, befand die SVP: Wir haben keinen Platz. Die FDP befand: Wir haben so schon zu wenig Bauland. Die Mitte befand: Wir lehnen das Vorpreschen der Stadt ab. Nino Zubler von der SP befand: «Wenn es darum geht, zu handeln, haben alle die Hosen voll.» Schliesslich wurde der Vorstoss abgelehnt.
Dann aber kam plötzlich Bewegung in die Suche. Im September 2020 titelte die AZ: «Endlich ein Platz für die Fahrenden». Man habe nun einen geeigneten Platz gefunden, auf Kantonsgebiet, Grundstück GB 5726. Regierungsrat Martin Kessler machte klar: Andere Optionen dürfte es kaum geben.
Also wurde ein Betrag von 350 000 Franken ins kantonale Budget für das Jahr 2021 geschrieben, um das Grundstück zu planieren und mit Kanalisation, Wasser und Strom zu erschliessen und sanitäre Anlagen einzurichten.
Das Problem schien gelöst. Doch dann trat ein wütender Nachbar auf den Plan: Pius Zehnder. GB 5726 liegt nur 100 Meter von seiner neuen Ziegelhütte entfernt. Und der Bauunternehmer will keine Fahrenden in seinem Paradies. Diese seien geschäftsschädigend.
Ohne Firlefanz
Zehnder will nicht über den Durchgangsplatz sprechen: «Warum sucht ihr Journalisten immer das Negative!» Und was er davon hält, dass die «Wohlstandsschweiz» jeder kleinen Minderheit gerecht werden wolle, möchte er auch lieber nicht in der Zeitung lesen. Nur so viel: «Wenn man diesen Platz unbedingt will, kann man ihn ja auf den Emmersberg bauen!»
Vor einem Jahr, im Mai 2021, hatten die Schaffhauser Nachrichten vermeldet, dass Zehnder das Problem auf seine Art zu lösen gedenke – ohne Firlefanz. «Wir reden mit Pius Zehnder sehr konkret über einen alternativen Standort, der sich auf einem seiner Grundstücke befindet», sagte Regierungsrat Martin Kessler damals.


Nun aber zeigt sich: Ein Jahr später hat sich die Hoffnung zerschlagen. Andrea Meier, die neue Leiterin des Planungs- und Naturschutzamtes, sagt auf Anfrage der AZ diplomatisch, Zehnders Ideen auf den verschiedenen Grundstücken, die er in Diskussion gebracht habe, seien «nicht ganz so einfach umzusetzen».
Auf gut Deutsch: Die Landstücke, die Pius Zehnder angeboten hat, erfüllen offenbar nicht die vielfältigen gesetzlichen Anforderungen an einen Durchgangsplatz. «Wie es so ist, ist alles ein wenig komplizierter, als man denken könnte», sagt auch Martin Kessler. Zehnder hingegen spricht von «Behördenwahnsinn». Wenn er Regierungsrat wäre, wäre dieser Platz seit vielen Jahren gebaut.
Nun ist es so, dass Zehnder im Grunde keine Handhabe hat gegen einen Durchgangsplatz für Fahrende in seiner Nachbarschaft, doch ruft man Martin Kessler an, bahnt sich dessen Ohnmacht schnell einen Weg durch die Leitung. Zehnder sei ein Nachbar, der viel Geld in ein Projekt investiert habe, an dem alle Freude hätten, sagt der Regierungsrat. Diesen Durchgangsplatz gegen Zehnders Willen zu bauen, sei nicht im Sinne eines «gutnachbarschaftlichen Zusammenlebens».
Der Fall scheint klar: Der Kanton will es sich nicht verscherzen mit dem mächtigen Immobilienunternehmer.
Und vielleicht kann Kessler Zehnders Zorn sogar ein Stück weit nachvollziehen.
Kesslers Déjà-vu
Pius Zehnder erfuhr erst von den Plänen für den Durchgangsplatz, nachdem er selber zum Spatenstich für seinen Ziegelhütte-Neubau geladen hatte. «Wenn ich vorher davon gewusst hätte, hätte ich bestimmt nicht gebaut», sagt er. «Ich brauche dieses Restaurant nicht! Mit einem anderen Projekt hätte ich das Zehnfache verdienen können!» Kessler hingegen sagt, er habe erst mit der Einladung zum Spatenstich von Zehnders aktuellen Plänen erfahren.
Und jetzt, wie geht es weiter?
«Wir prüfen verschiedene andere Grundstücke, sagt Martin Kessler und es wirkt wie ein Déjà-vu – zurück auf Feld eins. «Wenn alles nichts wird, haben wir immer noch die Ziegelhütte», fügt Kessler an. Dann würden weitere Gespräche stattfinden, mit Nachdruck. «Ich habe Pius Zehnder gesagt, dass sich das Thema nicht von selber erledigen wird.»
Die Frage dürfte sein, wie es sich überhaupt je erledigen wird. Dass die Suche nach einem Durchgangsplatz nächstes Jahr ihren 20. Geburtstag feiert, scheint jedenfalls gewiss.