Nicht die Polizei, sondern die Firma Delta Security soll am Rheinufer für Ruhe und Ordnung sorgen – ein Novum für Schaffhausen. Was dürfen private Sicherheitsleute?
«Durchsetzung der Polizeiverordnung im Gebiet Salzstadel-Lindli» forderten Anwohnerinnen und weitere Unterzeichner mit ihrer Petition. Gemeint ist vor allem die in dieser Verordnung festgeschriebene Ruhezeit ab 22 Uhr abends – und zuständig für die Durchsetzung ist die Kantonspolizei.
Oder genauer: Die Polizei wäre zuständig. Denn in der Antwort der Stadt auf die Petition ist zu lesen: «Wegen der personellen Situation ist eine dauernde, präventive ‹Patroullierung› indes nicht möglich.» Die Polizei hat schlicht zu wenig Personal, um in Partynächten ständig am Lindli vor Ort zu sein.
Der Personalmangel der Kantonspolizei wird schon lange beklagt (AZ vom 31. März 2022), und vermutlich wird die Politik mehr Uniformierte bewilligen – aber nicht vor Beginn des Partysommers. Auch für aufsuchende Sozialarbeit in der Nacht haben Stadt und Kanton kein Personal. Das Zürcher Modell, dort patroullieren Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter der SIP (offiziell «Sicherheit, Intervention, Prävention», inoffiziell als «Spazieren im Park» oder «Sittenpolizei» belächelt), kommt für Schaffhausen also nicht in Frage.
Die Stadt hat deshalb beschlossen, eine private Sicherheitsfirma zu engagieren. Es ist die konkreteste und schärfste Massnahme aus einer Reihe von Lösungsansätzen, mit denen auf die erwähnte Petition reagiert wird. Bereits im Mai werdem die Einsätze starten, und sie werden von den Petitionärinnen ausdrücklich begrüsst.
Aber der Beizug einer privaten Firma lässt aufhorchen: Die Durchsetzung von Ruhe und Ordnung ist Sache der Polizei, nur sie darf beispielsweise Wegweisungen und Bussen aussprechen oder jemanden verhaften – es gilt das staatliche Gewaltmonopol.
Wird es aufgeweicht, wenn am Lindli private Sicherheitskräfte patroullieren? Entsteht gerade eine private Sittenpolizei?
«Typ Türsteher»
Private statt Polizei: In der Schweiz keine neue Erscheinung. Man spricht von der «Polizeilücke», wenn der Staat sich das nötige Personal nicht leistet und auf die Dienste von Privaten zurückgreift. Die Branche blüht, politische Vorstösse für eine einheitliche Regulierung sind gescheitert, und längst gibt es laut einer ETH-Studie mehr private Sicherheitskräfte in der Schweiz als staatliche Polizeiangestellte.
Manche kleinen Gemeinden lagern beispielsweise einen Grossteil der kommunalpolizeilichen Aufgaben an Private aus. Der Kanton Zürich machte Negativschlagzeilen, weil nicht Polizistinnen, sondern private Sicherheitsleute bei Befragungen der Staatsanwaltschaft als Aufpasser eingesetzt wurden. Der Republik erzählte vor drei Jahren ein Beschuldigter, bei seiner Einvernahme habe ein Mann für die Sicherheit gesorgt, der aussah «wie die Karikatur eines Straftäters: kräftig, tätowiert, Stiernacken – eher der Typ Türsteher». Der Verein Humanrights.ch kritisiert insbesondere den Einsatz von privaten Sicherheitsfirmen für Gefangenentransporte, gerade bei Ausschaffungen.
Für die Stadt Schaffhausen ist das Engagement einer privaten Sicherheitsfirma ein Novum. Der Kanton hingegen hat damit schon Erfahrung: Bei Personalknappheit setzt beispielsweise das Gefängnis auf Mitarbeiter der Firma Securitas, wie Gefängnisleiter Lorenz Ammann bestätigt. Sie «unterstützen das Gefängnispersonal bei der Aufsicht im Spazierhof oder bei der Betreuung besonders personalintensiver Insassen», so Ammann. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass diese privaten Sicherheitskräfte immer eng vom staatlichen Gefängnispersonal begleitet seien und keine Entscheidungskompetenzen haben.
Warum dem Gefängnischef diese Abgrenzung wichtig ist, ist klar: Wo Menschen eingesperrt werden, ist ganz eindeutig das staatliche Gewaltmonopol im Spiel. Ein Securitas-Angestellter allein dürfte beispielsweise niemanden gewaltsam von einem Ausbruchsversuch abhalten.
Das Thema ist also heikel – das ist auch den Verantwortlichen bei der Stadt Schaffhausen bewusst, die das Lärm- und Abfallproblem am Rheinufer von einer privaten Firma lösen lassen wollen.
Private dürfen nicht sanktionieren
Die Stadt hat für ihr Lindli-Problem nach Kreuzlingen geblickt, erklärt Romeo Bettini, Sicherheits-Bereichsleiter der Stadt Schaffhausen. In Kreuzlingen patroulliert seit drei Jahren die Firma City Watch Security im öffentlichen Raum, der Auftrag wurde gerade um drei weitere Jahre verlängert. Die Angestellten stellen sogar Parkbussen aus.
Das wird in Schaffhausen nicht der Fall sein: Das Aussprechen von Verboten und Bussen wird dezidiert nicht zu den Aufgaben der privaten Sicherheitskräfte gehören. Vielmehr geht es darum, den Dialog zu suchen «und das Bewusstsein für die Verhaltensregeln im öffentlichen Raum zu schärfen», schreibt die Stadt.
Romeo Bettini bringt es auf eine einfache Formel: «Im Prinzip haben die privaten Sicherheitsleute die gleichen Rechte wie jeder Bürger.» Wenn beispielsweise jemand zu laut Musik hört, dürften sie nur auf die Ruhezeit hinweisen – eine Musikbox beschlagnahmen aber nicht. «Für allfällige Sanktionen müssen sie die Polizei rufen, wenn mehrfaches Ansprechen nicht hilft», so Bettini. Nur das kurzzeitige Festhalten einer Person bis zum Eintreffen der Polizei sei erlaubt.
Für die Patrouillen im Gebiet Salzstadel und Lindli werde auf Personal gesetzt, das eine entsprechende Zusatzausbildung für Dialog und Deeskalation absolviert habe, erläutert Bettini. Eine zusätzliche wichtige Funktion: Anwohnerinnen und Anwohner werden die Telefonnummer des Sicherheitsdienstes und damit eine zusätzliche Anlaufstelle für ihre Beschwerden und Beobachtungen erhalten. Dies soll auch die Datengrundlage verbessern. Alle Einsätze des privaten Sicherheitsdienstes werden mit einem Rapport an die Stadt dokumentiert.
Der Stadtrat hat private Patrouillen jeweils für die Nächte Freitag/Samstag und Samstag/Sonntag von 21 bis 4 Uhr bestellt. Das kostet maximal – wenn das Wetter an jedem Wochenende von Mai bis September die Leute an den Rhein treibt – 38 400 Franken. In dieser Höhe hat der Stadtrat einen Kredit gesprochen, wie Sicherheitsreferentin Christine Thommen auf Anfrage schreibt.
In Verruf bei Eltern und Fussballfans
Romeo Bettini sieht aufgrund der klaren Einschränkung des Handlungsfeldes keinen Konflikt mit dem staatlichen Gewaltmonopol. Er gibt auch bekannt, welche Firma am Lindli und am Salzstadel für Ruhe und Ordnung sorgen wird: die Delta Security. Man kenne deren Arbeit bereits und habe gute Erfahrungen gemacht: Das Lindli-Fäscht hat sie engagiert, ausserdem stellt sie das Sicherheitspersonal bei Heimspielen im FCS-Stadion. «Eine Firma mit gutem Ruf», so Romeo Bettini.
Guter Ruf? Das mag in Schaffhausen zutreffen, andernorts stand die Delta in der Vergangenheit durchaus in der Kritik. Der «Stiernacken» im Dienst der Zürcher Staatsanwaltschaft etwa war ein Delta-Mann.
Nachdem in Weinfelden Delta-Sicherheitsleute engagiert wurden, um in der Schule die Einhaltung von Corona-Massnahmen sicherzustellen, gab es alarmierende Berichte: Die Männer haben ihre Aufgabe etwas überinterpretiert und laut Eltern Schülerinnen angebrüllt und mit Bussen gedroht.
Bei Fussballfans und Fanbeauftragten letztlich galten Delta-Leute zeitweise als Schlägertrupps, deren resolutes Auftreten Ausschreitungen auslösen, anstatt sie zu verhindern.
Allerdings gehören die «Deltas», die in Fussballstadien eingesetzt wurden, wohl nicht zur gleichen Truppe innerhalb der Firma wie diejenigen, die bald am Rheinufer patroullieren.
Jedenfalls zeigen die guten Erfahrungen in Gemeinden ebenso wie schlechte Erfahrungen an Schulen und im Asylbereich: Die Idee, private Sicherheitsleute für Ruhe und Ordnung sorgen zu lassen ist genau so gut wie die Menschen, die dafür eingesetzt werden. Ob die Delta-Leute am Rhein akzeptiert werden, ob sie sich an ihre eingeschränkten Kompetenzen halten, und letztlich: Ob sie etwas bringen – das wird der Sommer zeigen.