«Es geht um Wertschätzung»

22. März 2022, Simon Muster
Viele der OR-Stundenlöhnerinnen der Stadt arbeiten in der Reinigung. Bild: Adobe Stock / digitale-fotografien / Fotomontage: Peter Pfister
Viele der OR-Stundenlöhnerinnen der Stadt arbeiten in der Reinigung. Bild: Adobe Stock / digitale-fotografien / Fotomontage: Peter Pfister

Die Stadt Schaffhausen möchte eine attraktive Arbeitgeberin sein.
Doch nicht alle Angestellten haben die gleich attraktiven Arbeitsbedingungen.

Zeig mir deinen Arbeitsvertrag und ich sag dir, wie du lebst. Das klingt vielleicht wie der Werbespruch einer billigen Wahrsagerin, ist aber eine erstaunlich präzise Methode: Der Arbeitsvertrag bestimmt mit, welche Wohnungen man sich leisten kann, wie viele Wochen Ferien einem zustehen, ob man später in Altersarmut lebt oder einen dritten Frühling erlebt.

Die Stadt Schaffhausen hat aktuell mit rund 1300 Arbeitnehmerinnen einen Arbeitsvertrag – doch nicht alle leben damit gleich gut.

Gleiche Spiesse

Das soll sich jetzt ändern. In zwei Postulaten fordert Angela Penkov (SP, früher AL) den Stadtrat auf, zu prüfen, wie die Arbeitsbedingungen für zwei Gruppen von städtischen Angestellten verbessert werden können: für Personen, die nach Obligationenrecht (OR) angestellt sind, und für solche, die auf Stundenlohnbasis arbeiten.

Die Gruppen überschneiden sich stark – und sie sind gross: Beinahe jede fünfte Person arbeitet in Schaffhausen im Stundenlohn und mit einem OR-Vertrag. Die meisten davon tun das in einem tiefen Pensum: Gemäss einer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Penkov aus dem Jahr 2020 ist das durchschnittliche Pensum der OR-Angestellten rund 25 Prozent, die meisten arbeiten in der Reinigung oder in der Museumsaufsicht.

«Die Angestellten mit OR-Verträgen sind rechtlich deutlich schlechter gestellt als jene, die im Personalrecht angestellt sind», findet Penkov. Die ungleichen Spiesse zwischen den Verträgen werden etwa bei der Länge der Kündigungsfrist, vor allem aber bei der Lohnentwicklung offenbar: Wer nicht über das Personalrecht angestellt ist, erhält nur die generelle Lohnerhöhung, die an die Teuerung angelehnt ist – jedoch keine individuelle Lohnerhöhung.

Der Grund dafür: Die individuelle Lohnerhöhung ist von den jährlichen Mitarbeitendenqualifikationen abhängig – und diese für alle Angestellte in Klein- und Kleinstpensen durchzuführen, wäre ein Riesenaufwand, ist Stadtpräsident und Personalreferent Peter Neukomm überzeugt. «Allein dafür müssten wir neues Personal einstellen.»

Noch schlechter gestellt sind die Stundenlöhnerinnen: Ihr Lohn hängt von der Freizügigkeit der Politik ab. Der Grosse Stadtrat hat den Stundenlohn mit dem Budget 2022 von 23 auf 24 Franken angehoben. Das sei zwar nett, aber längst nicht genug, meint Penkov.

Zudem sei der Lohn nur ein Problem unter vielen. Wer im Stundenlohn arbeite, habe kaum Planungssicherheit: Der Beschäftigungsgrad und somit der Lohn, der Ende Monat ausbezahlt wird, könne monatlich angepasst werden.

«Betroffen sind davon vor allem Frauen, die in Teilzeitpensen für die Stadt arbeiten – also jene, die sonst schon die Arschkarte gezogen haben», sagt Penkov.

Deshalb fordert sie den Stadtrat auf, zu prüfen, welche Angestellten im Stundenlohn in eine Festanstellung überführt werden können. Und sie fordert, dass Menschen, die seit mindestens zwei Jahren angestellt sind und mindestens 20 Prozent arbeiten, eine Anstellung nach Personalrecht bekommen.

Flexibilität oder Knebelverträge?

Auch bei den Gewerkschaften hat man keine Freude an der Zweiklassengesellschaft beim Stadtpersonal. Für Patrick Portmann von der Gewerkschaft VPOD sind die OR-Verträge der Stadt gar «Knebelverträge». Gegen diesen Vorwurf wehrt sich Peter Neukomm. Er betont, dass der Stadtrat die Anstellungsbedingungen für OR-Angestellte in den letzten Jahren verbessert habe. So sei in den letzten Jahren etwa der Anspruch auf Vaterschaftsurlaub und Ferientage erhöht worden. «Es gibt durchaus Stundenlöhner, die das so wollen. Die Flexibilität ist nicht nur ein Vorteil für den Arbeitgeber.»

Doch wie viele Mitarbeitende tatsächlich gerne zu diesen Bedingungen für die Stadt arbeiten, ist schwierig zu überprüfen. Eine Umfrage beim Personal habe man in letzter Zeit nicht durchgeführt, gibt Neukomm zu. Und eine Gesprächspartnerin zu finden, stellt sich als schwierig heraus: Im Niedriglohnsektor ist die Lust, öffentlich über den eigenen Chef zu sprechen, klein.

Auch bei Renate nicht, sie möchte ihren Namen nicht in dieser Zeitung lesen – aus Angst vor Konsequenzen. Seit über einem Jahrzehnt arbeitet sie als Reinigungskraft für die Stadt. Im Gegensatz zu den allermeisten OR-Stundenlöhnerinnen tut sie das aber in einem hohen 70-Prozent-Pensum. Seit sie bei der Stadt arbeite, habe sie zwar drei Lohnerhöhungen erhalten, aber: «Wenn bei uns im Team jemand neu angestellt wird, erhält sie genau den gleichen Lohn wie ich.» Berufserfahrung wird im Stundenlohn nicht eingerechnet, einzig ab dem 50. Altersjahr und ab dem 60. Altersjahr steigt dieser leicht an, weil der Ferienanspruch erhöht wird.

«Es ist eine Illusion, dass Stundenlöhnerinnen mit ihren tiefen Pensen sich mit ihrer Arbeit nur ein Sackgeld dazu verdienen», meint Renate. Im Gegenteil: Eine Kollegin in ihrem Team habe mehrere Jobs, damit sie ihr Leben finanzieren könne; eine andere ergänze so das Einkommen ihres Partners. «Reinigung ist ein harter Job, der während der Corona-Pandemie noch deutlich aufwendiger geworden ist. Eine Überführung ins Personalrecht hat also auch sehr stark damit zu tun, ob unsere Arbeit wertgeschätzt wird.»

Diese Frage beantwortet der Grosse­ Stadtrat voraussichtlich am nächsten Dienstag, wenn die Vorstösse traktandiert sind.