Am Gendersternchen entzündet sich eine Debatte – auch in der Kanti Schaffhausen. Mit ein Grund: Politisierte Jugendliche fordern Anerkennung.
Es erstaunt immer wieder aufs Neue, für welche Furore ein kleines Symbol sorgen kann. Doch die Affekte sind vorprogrammiert, als der Kantiverein Schaffhausen am Donnerstagabend zum Podium Anna Rosenwasser versus Markus Somm lädt. Denn es geht an diesem Abend ums Gendersternchen – Versprechen sprachlicher Inklusion für die einen, Symptom elitärer Sprachverhunzung für die anderen.
Zunächst begann der Abend entspannt: Die Aktivistin und Autorin Anna Rosenwasser (auch Kolumnistin bei der AZ) stieg mit einer Erklärung ein, warum die Zeit für das Gendersternchen gekommen sei. Die deutsche Sprache kenne zwar viele Optionen. Doch weder die Feminisierung («LehrerInnen») noch die Neutralisierung («Lehrpersonen») würde der Tatsache gerecht, dass es eine Vielfalt an Geschlechtern gebe. Das Genderzeichen dagegen, wahlweise das Sternchen, der Doppelpunkt oder Unterstrich, sei ein Bestreben der queeren Community – und vielleicht nicht die Lösung für alles, wohl aber ein Abbild der gesellschaftlichen Diversität.
Markus Somm stimmte seinem Gegenüber zwar insofern zu, dass sich die Realität verändere, und er sei offen gegenüber der LGBTQ-Bewegung (siehe Infobox rechts). Doch über Sprache liesse sich dies eben nicht bewerkstelligen. Sprache sei vielmehr etwas enorm Anarchisches, etwas, dessen Veränderung sich nicht so kontrollieren lasse, wie gewisse «Sprachpfleger» dies gerne hätten. Sprache müsse (und hier sprach er auch als Journalist) vor allem einfach und effizient sein, das zeige sich auch historisch. Das Sternchen werde sich daher nie durchsetzen – Zeit, davon abzulassen.
Doch wie das bei kontradiktorischen Podien ist: Der Abend gewann an Hitze, je später es wurde. Somm redete sich in Fahrt («Höred emal uf mit dem Seich!»), und aus den hinteren Publikumsreihen, wo vor allem Jugendliche sitzen, mehrten sich hässige Voten, Kommentare und Buh-Rufe. Und diese Lautstärke ist das eigentlich Spannende am Donnerstagabend – es ist offensichtlich, dass bei den Jugendlichen da eine Sensibilisierung stattgefunden hat, wie sie vor einigen Jahren noch nicht spürbar war.
Ein Lernprozess
Wenn man sich nach dem Anlass rumfragt, wo dieser Prozess in Richtung Genderstern an der Schule seinen Anfang nahm, landet man bei Theo Schilling. Der 17-Jährige ist queer – genauer möchte er das nicht bezeichnet haben. Eines Tages schritt er ins Büro der Schulleitung, weil er sich «outen» möchte. «Davor war der ganze Themenkomplex überhaupt nicht auf dem Tisch», sagt er. Theo hatte Glück: Prorektorin Stéphanie Tschanz-Wäckerli, die seit August 2020 an der Kanti arbeitet, liess sich auf ihn ein. Sie begann, mit entsprechenden Anlaufstellen Kontakt auf- und dem Schüler Aufklärungsarbeit abzunehmen. Seither finden an der Kanti periodische Weiterbildungen zum Thema Gender statt.
Auch der Rektor Pasquale Comi macht aus seinem Lernprozess kein Geheimnis. «Hätten Sie mich all das vor drei Jahren gefragt, hätte ich gesagt: Nein, das nicht auch noch. Lassen wir das.» Doch die ersten nonbinären und transgender Jugendlichen der Schule haben eine neue Entwicklung eingeläutet. Soweit er wisse, betreffe das Thema aktuell circa acht Jugendliche, sagt Comi. «Wir nehmen das ernst. Sie sind unserer Schule schliesslich anvertraut.» Und damit sind wir wieder beim Gendersternchen: Per Herbst 2020 führte die Kantonsschulleitung selbiges ein, für interne wie externe Kommunikation. «Es ist ein kleines Zeichen an unsere Jugendlichen, dass wir sie und ihre Probleme wahrnehmen», argumentiert der Schulleiter.
Die «allermeisten» Lehrpersonen wie auch Eltern seien verständnisvoll mit der neuen Kommunikationsweise umgegangen, so Comi, und auch aus der Politik habe es keine kritischen Voten gegeben – wohl auch, weil das Erziehungsdepartement von Anfang an informiert war. Doch dann schaltete sich die Staatskanzlei ein: Sie erliess im Juni letztes Jahr eine Weisung, die der kantonalen Verwaltung den Einsatz von Genderzeichen (also auch den Doppelpunkt oder den Unterstrich) untersagt. Sie bezog sich dabei auf die Bundeskanzlei, die ihrerseits einen Monat vorher eine Weisung zum Thema publiziert hatte.
Seither verwendet die Kanti den Stern zwar weiterhin – aber nur noch intern. Als Widersetzung zur Staatskanzlei will Rektor Comi dies nicht verstanden wissen. «Wir versuchen, die Weisung umzusetzen, sehen aber auch, dass Schulinterna wie beispielsweise E-Mails nicht ins Spektrum der Verwaltungsdokumente fallen. Wir interpretieren sie also zugunsten der Jugendlichen an unserer Schule. Und das stösst beim Erziehungsdepartement auf Verständnis.»
Das ist nicht überall so: Im Kanton Aargau beispielsweise verbot der Regierungsrat Anfang Januar – auch auf Druck von EDU-nahen Kreisen – den Kantonsschulen, Gender-Sonderzeichen zu verwenden. Daraufhin sammelte die Juso innert zweier Tage über 4250 Unterschriften für eine Petition. Stand Heute verwendet die Alte Kanti Aarau das Gendersternchen auf ihrer Website. Die Kantonsschule Schaffhausen verzichtet darauf: Sie schreibt im Netz wieder von «Schülerinnen und Schülern».
Befreiung aller Geschlechter
«Dabei weiss man doch, dass es mehr Geschlechter gibt als nur Mann und Frau» schaltet sich Lena ein, ebenfalls Schülerin an der Kanti, 16 Jahre alt. «Diese Vielfalt sprachlich abzubilden, wäre wichtig. Denn Sprache zeigt Menschen, ob sie dazugehören oder ausgeschlossen werden.» Und doch: Auch wenn die Einführung des Sternchens ein Schritt in die richtige Richtung sei: Für sie wie auch für Theo ginge die Frage nach der Gendersensibilität noch deutlich weiter.
Beide sprechen sich zum Beispiel für mehr Weiterbildungen fürs Lehrpersonal aus. «Die wenigsten Lehrpersonen checken, was das Sternchen überhaupt soll, auch wenn sie es verwenden» sagt Theo. «Es geht nicht darum, einfach eine kürzere Form für ‹Schülerinnen und Schüler› zu finden. Viele sind einfach noch im Feminismus der 80er-Jahre verhaftet – sie verstehen nicht, dass es heute nicht nur um die Befreiung der Frau, sondern um die Befreiung aller Geschlechter geht.»
Lena wiederum wünscht sich auch mehr Diversität im Unterricht, «zum Beispiel in den Deutschstunden, wo wir meistens nur alte, weisse cis Männer lesen», sagt sie, oder auch in der Biologie, wo allzu oft die heterosexuelle Kleinfamilie (Vater, Mutter, Kind) als Beispiel herhalten muss. Und wenn sie gerade schon dabei sei: «Es wäre auch wichtig, dass wir an der Schule genderneutrale Toiletten haben. Zum Beispiel eines mit Pissoir und eines ohne.» Das habe sie mit Theo auch schon in der Schulleitung vorgeschlagen – bisher wurde aber nichts umgesetzt.
All dies führt vom Gendersternchen an sich zwar etwas weg – es zeigt jedoch, wie breit gefächert das Thema ist. Ein Signal seitens Schulleitung gab es am Donnerstagabend dann aber doch. Ob er denn sicher sei, dass das Gendersternchen nicht doch das Richtige ist?, wurde Markus Somm gefragt. «Wann ist denn eine Minderheit in unserer Gesellschaft wichtig genug, um Anerkennung zu erhalten?» Die Fragen kamen von Prorektorin Tschanz-Wäckerli.
Mini-Glossar
Gender bedeutet aus dem Englischen übersetzt «Geschlecht», gemeint ist aber die Geschlechtsidentität einer Person. Gender unterscheidet sich damit von der sexuellen Orientierung.
LGBTQ Sammelbezeichnung für Menschen, die lesbisch, schwul (gay), bisexuell, trans respektive transgender und/oder queer sind. Das Adjektiv «trans» wurde Anfang 2022 in den Duden aufgenommen.
Queer Sammelbegriff für Menschen, deren geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung nicht der zweigeschlechtlichen, heterosexuellen Geschlechternorm entsprechen.
Cis Begriff für Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem ihnen gesellschaftlich zugeschriebenen Geschlecht übereinstimmt. Der Gegenpol zu cis ist trans.