Wie ein Schaffhauser ein Millionengeschäft mit NFTs macht. Ein wunderlicher Ausflug auf die virtuelle Spielwiese des Neoliberalismus.
Ein hipper Co-Working-Space in Zürich: Zusammengewürfelte Tische und Stühle und bequeme Sofas stehen herum, junge Menschen in Jeans und Pulli trinken Kaffee und arbeiten an ihren Bildschirmen. Auch ein Schaffhauser Mitte 30 hat sich hier mit seinem Computer eingerichtet und geht seinen Geschäften nach.
Wenn man Marco* über die Schulter schaut, muss man unweigerlich grinsen: Auf seinem Computerbildschirm sind Comicbildchen aufgelistet; es sieht aus, als würde der Schaffhauser Tech-Nerd online mit Pokémon-Karten handeln. Und das ist gar nicht so falsch gegriffen. Was hier abgeht, ist tatsächlich zum Lachen – auch Marco findet es absurd. Nur, dass er damit innert kürzester Zeit mehrere Millionen Dollar gemacht hat. Deshalb möchte der Schaffhauser nicht unter seinem echten Namen in die Zeitung kommen.
Marco macht sich die Welt zum Casino. Er handelt mit NFTs. Das Internet-Phänomen – etwa durch Bilder von freigestellten Comicaffen oder verpixelten Porträt-Zeichnungen bekannt – ging in den letzten Monaten durch die Decke: Promis, die nicht wissen, wohin mit ihrem Cash, investieren Hunderttausende von Dollars in einfache Sammelbildchen, Marken wie Adidas oder Nike sind auf den Hype aufgesprungen und geben NFTs heraus, auch der Kunstmarkt dreht mit.
NFT steht für Non-fungible Token; was so viel bedeutet wie nicht austauschbarer digitaler Vermögenswert. Dabei handelt es sich im Grunde um eine digitale Eigentums- oder Echtheitsurkunde, die nachweist, dass ein digitaler Inhalt einer Person X gehört – bei dem Inhalt kann es sich um ein Äffchenbild, ein Videoclip oder auch einen virtuellen Gegenstand aus einem Videogame handeln. Die Käuferin ist dann nachweislich Besitzerin dieses digitalen Originals. Genau so wie für das Original eines klassischen Gemäldes werden horrende Summen (allerdings in Kryptowährung) ausgegeben. Nur ist das digitale Bildchen im Gegensatz zu einer «Mona Lisa» weiterhin frei für jeden im Netz verfügbar und lässt sich mit Rechtsklick einfach duplizieren. Der Nutzen von NFTs liegt nicht im Inhalt, sondern rein darin, es zu besitzen.
Marco befasste sich schon länger mit Webtechnologie und beobachtet den Krypto-Trend seit vergangenem Frühling. «Es war eine Innovation, bei der nicht klar war, wie sie sich entwickeln würde. Das interessiert mich.» Er habe erstmal alles konsumiert, was er zu NFTs finden konnte; Podcasts, Youtube, Twitter. «Erst dachte ich, das Ganze sei lächerlich. Doch nach einigen Tagen Research war ich überzeugt, dass es Potenzial hat.» Dann im Spätsommer 2021 sei das Volumen des NFT-Markts explodiert. Marco kündete seinen Regeljob als Datenanalyst, um voll auf den Zug aufzuspringen, und kaufte sich NFTs von seinen Ersparnissen. Nach eigener Aussage hat er dadurch mehrere Millionen Dollar in der Kryptowährung Ether erhandelt.
Exlusiver Club
Aber warum funktioniert das? Warum pumpen Menschen Hunderttausende von Dollars in einfache, reproduzierbare digitale Bildchen?
Superstar Justin Bieber etwa hat sich kürzlich das Bild eines gelangweilten Affen gekauft, der Teil der NFT-Kollektion Bored Ape Yachtclub ist. Er soll sogar eine Million zu viel dafür gezahlt haben – weil er das Bild so cool fand und es unbedingt haben wollte.
Marco erklärt: «Gewisse NFTs sind wie ein Brand, eine Marke: Sie sind ein Statussymbol und definieren deine digital persona, deine Identität – du kannst das gekaufte Bild beispielsweise als dein Profilbild auf Twitter nutzen. Ein NFT kann wie ein exklusives Zugangsticket zu einem Countryclub oder einem Golfclub sein, wenn man so will: Mit gewissen NFTs, die zu Kollektionen gehören, hast du exklusiven Zugang zu entsprechenden Chats. Es geht auch um Community: Wer NFTs aus der gleichen Kollektion besitzt, fühlt sich auch automatisch zueinander zugehörig.»
So, wie eben auch Kleidermarken funktionieren. «Menschen wollen sammeln», sagt Marco. Gleichzeitig gehe es um den Thrill, ums Spekulieren, räumt er ein. «Das Ganze hat schon einen Suchtfaktor. Es ist im Grunde Gambling; strategisches Glücksspiel. Wie beim Gamen möchte man die richtige Strategie finden, um zu gewinnen.»
Marco hat seine Millionen noch nicht aus dem Markt abgezügelt, sondern alles weiterhin in NFTs angelegt. Bloss etwa 100 000 Franken – das, was er für sich zum Leben braucht – habe er bis jetzt in Schweizer Franken umgetauscht. Was er mit all dem erhandelten Geld überhaupt machen wollen würde, kann er nicht sagen.
Bei so viel sinnlosem Gelderwerb, fällt man da nicht dem Nihilismus anheim?
Eine schüchterne Sinnkrise habe er schon gehabt, sagt Marco. Was ihm Spass mache, sei das Business selbst. Darum habe er nun auch ein Unternehmen gegründet, das NFT-Datenanalysen auf einer Plattform anbietet – obwohl es strategisch sinnvoller wäre, sich auf den eigenen Handel zu konzentrieren oder sein Vermögen aus dem Markt abzuziehen.
Marco sagt, Potenzial in NFTs für positive gesellschaftliche Veränderungen zu sehen, gerade für Kunstschaffende (siehe Kasten).
Und die Schattenseiten des NFT-Handels? Er kenne natürlich alle Kontra-Argumente, sagt Marco und hat seine Überzeugungen gegen dieselben. Grundsätzlich aber schaue er den NFT-Handel vor allem aus technisch-analytischer Sicht an.
Der Exit-Plan
Nichtdestotrotz: Sein digitales Kapital sieht Marco als sein reales Vermögen an, das er dereinst aus dem Markt nehmen will.
Aber was ist, wenn der ganze Markt zusammenkracht? Um seine NFTs loszuwerden, muss Marco erst Käufer finden. «Ich glaube nicht, dass NFTs ein Modetrend sind, aber ich rechne schon mit einer massiven Korrektur, vielleicht noch dieses Jahr.» Für den Fall, dass sich der Zusammenbruch abzeichnet, hat er einen Exit-Plan.
Gewisse Top-Signals müssten gegeben sein und dann werde er versuchen, seine NFTs zu verkaufen. Und zur Überraschung der AZ-Journalistin sagt Marco: «Dass du hier bist, gehört dazu.» Der Besuch der AZ ist für ihn ein Top-Signal. Denn aus historischer Erfahrung neige sich ein Kreislauf dem Ende, wenn die breite Medienlandschaft auf einen Hype aufmerksam wede. Und vermutlich erst recht, wenn das Internet-Phänomen auch noch analog in eine lokale Print-Zeitung verfrachtet wird.
*Name geändert
NFTs in der Kritik
Wie andere Krypto-Trends auch steht das NFT-Business in der Kritik. Gerade aus ökologischer Sicht – NFTs verbrauchen Unmengen an Energie. Die digitale Währung Ether, die dem NFT-Handel zugrunde liegt, plant allerdings noch dieses Jahr eine Verfahrensumstellung, die sie wesentlich energiesparender machen soll, wie auch Marco anfügt. Falls das Realität würde, stünde sie viel besser da als Bitcoin. Ein weiterer Punkt ist das kriminelle Potenzial von Kryptowährung: Digitales Geld ist ein Vehikel für Geldwäsche und wird in fast allen Cyberverbrechen genutzt (siehe AZ vom 13. Januar). Marco sagt, für ihn würden dennoch die positiven Aspekte überwiegen: NFTs könnten so auch zur Einnahmequelle für Kunstschaffende werden, die noch wenig bekannt sind oder die an ihren einfach reproduzierbaren digitalen Werken – ob Bilder, Musik oder Kunst – bisher nichts verdienten. Alles, was mit Copyright zu tun habe, werde einfacher zu handhaben. Marco spricht davon, Möglichkeiten zu demokratisieren, weil über NFTs jeder in den Kunstmarkt einsteigen könne.
Ob das System tatsächlich demokratischer wird, ist allerdings fraglich, denn die umweltschonende Verfahrensumstellung, von der Marco spricht, würde auch mit sich bringen, dass die Reichsten innerhalb des Systems mehr Macht bekommen. Der Einsatz beruht dann nicht mehr auf Computing Power, sondern auf Geld. Ein Einstieg für Novizinnen wäre schwieriger.