Bernhard Ott war jahrzehntelang die Schaffhauser AZ. Er hat ein Zeitungswunder vollbracht – mit existenziellem Eifer. Nun tritt er ab.
Auf dem Schreibtisch von Bernhard Ott lag jahrelang, für alle gut sichtbar, ein dicker Wälzer mit dem Titel «Christentum und Sozialismus». Es war wohl das Werk eines alten Genossen, ein Buchumschlag, so reizvoll wie ein Arbeitstag in der Kolchose.
Der Schreibtisch im Büro der Schaffhauser AZ an der Webergasse 39 war jahrzehntelang Otts Schaltzentrale. Am 1. November 1978 war er als 27-jähriger Teilzeit-Redaktor mit Kinnbart und Koteletten eingestellt worden. Später wurde er Chefredaktor, Verleger, Verwaltungsrat und Hauptaktionär, er navigierte die Zeitung unter Einsatz seiner Existenz durch Untiefen, von denen es eigentlich kein Auftauchen gab. Doch die AZ tauchte immer wieder auf. Heute, im 103. Jahr ihres Bestehens, geht es ihr so gut wie vielleicht noch nie.
Vor einigen Tagen hat Bernhard Ott seinen Schreibtisch nach 43 Jahren geräumt. Auch der Wälzer liegt jetzt nicht mehr da. Natürlich hat er mit dem Buch kokettiert, und doch fasst es die Säulen seines Lebens ziemlich präzise zusammen. Ott pflegt zu sagen: «Zwei Dingen bleibe ich mein Leben lang treu: der katholischen Kirche und der Sozialdemokratie».
Wahrscheinlich freut er sich diebisch darüber, dass man nicht so recht weiss, was man anfangen soll mit diesem Begriffspaar, das so gar nicht zusammenpassen will. Gerade auch, wenn man bedenkt, dass Ott mit beiden Institutionen ein Leben lang gerungen hat.
Doch das hat schon seine innere Logik.
Die enge Kirche als Befreiung
Bernhard Ott kam 1951 in Schaffhausen zur Welt. Die Mutter war Schneiderin, eine konservative, aber offene und selbstbewusste Frau, die nach der Geburt weiterarbeitete und damit die Blicke der Nachbarn auf sich zog. Der Vater, ein Elekotromechaniker, löste seine Sorgen derweil im Alkohol auf. Mit dem Sohn konnte er wenig anfangen, und umgekehrt war es genauso. Er starb, als Bernhard 16 Jahre alt und gerade als erster seiner Familie in die Kantonsschule eingetreten war.
Gleichzeitig entdeckte das Einzelkind seine Homosexualität. Es waren die 60er-Jahre, Männer wurden wegen gleichgeschlechtlicher Liebe zu Gefängnisstrafen verurteilt, die Schaffhauser Polizei führte ein Schwulenregister, machte Razzien in den öffentlichen Toiletten, und in der Psychiatrischen Klinik Breitenau war man der Ansicht, dass schwule Männer mittels Kastration geheilt werden könnten. Man kann sich heute schwer vorstellen, wie schwierig es unter derartigen Bedingungen gewesen sein muss, erwachsen zu werden. «Mein Tagebuch war meine Psychotherapie», sagt Ott. Doch er plagte sich auch mit Selbstmordgedanken.
Seine subversive Ader, sein Selbstverständnis als Aussenseiter, die Skepsis gegenüber dem Establishment, die ihn auch als Journalist und Verleger prägen sollten – sie haben ihren Ursprung in der Jugend.

Halt fand der Teenager ausgerechnet in der Kirche. Bernhard Ott wurde schon in früher Kindheit katholisch imprägniert. Er war als Ministrant begeistert vom Weihrauch, den Heiligenbildern, der oppulenten Kirchenmusik. (Noch heute hat er eine Schwäche für das Sinnliche des Katholizismus. Fast so sehr wie für Schokoladenkuchen.) Als Schüler konnte Ott das Konfiteor runterrasseln, das Schuldbekenntnis, was ja auch regelmässig erforderlich war, wenn er während der Predigt mal wieder gegen das sechste Gebot verstossen und an den hübschen Knaben aus der Parallelklasse gedacht hatte.
Seine Mutter heiratete wieder, noch vor Ablauf des Trauerjahres, einen Gastarbeiter aus Italien, der einen lustvollen, lebensnahen Katholizismus ins reformierte Schaffhausen brachte und dem halbwüchsigen Bücherwurm Bernhard sagte, er solle doch mal rausgehen, in den Ausgang, sich amüsieren.
Ausgerechnet die enge Kirche war es, die den etwas verschupften Buben anschubste, sich zu emanzipieren.
Keine Lust auf sozialistische Dampfplauderis
Die grosse Befreiung kam dann mit 1968. Bernhard Ott begann an der Universität Zürich Geschichte und Anglistik zu studieren und war Dauergast in der Wohngemeinschaft KG8 in der Krummgasse, einer Keimzelle der Revolte.
Doch während sich die meisten Kommunarden in theoretischen Diskursen verstrickten, war Ott nie ein Ideologe. Obwohl er klug war und belesener als die meisten anderen, kam sein Widerstand mehr aus dem Bauch: «Was mir immer wichtig war, war soziale Gerechtigkeit. Aber da hat mir meine Mutter wohl mehr mitgegeben als all die sozialistischen Dampfplauderis. Lenin und Trotzki hielt ich von Anfang an für zwei himmeltraurige Gestalten. Stalin sowieso», sagt er in der historischen 68er-Reportage Schaffhausen muss sterben, damit wir leben können von Journalist Kevin Brühlmann. «Als Historiker habe ich mich intensiv mit der Russischen und der Französischen Revolution befasst. Ich war immer der Meinung, dass ein Regime, das keine Presse- und Meinungsfreiheit sowie keine freien Wahlen gewährt, nichts taugt.» Dieses furchtbare theoretische Geschwafel in der WG sei ihm auf den Wecker gegangen. «Ich war an Konkretem interessiert und wollte nicht stundenlang über den Historischen Materialismus reden.»
Eine Stimme hatte Bernhard Ott bereits in den Schülerzeitungen an der Kanti entwickelt. Er war ein pointierter Schreiber, der schnell einen eigenen Stil entwickelte und zielsicher hineinhackte in die Sollbruchstellen des Generationenkonflikts. Er wollte eine sozial gerechtere Welt gestalten. Und der Journalismus schien ihm dafür ein geeignetes Werkzeug zu sein. Seine Texte waren meinungsstark und angriffig, doch oft drehte er sie ins Satirische.
Er selber ist der Herkules
Nach der Kanti war er eine zentrale Figur bei der Zeitschrift Info, die aus der 68er-Bewegung heraus entstanden war und gerade auch die verkrustete etablierte Linke scharf kritisierte. Ott war 1973, mit 22 Jahren, der SP beigetreten, gebarte sich innerhalb der Partei aber schon bald als Enfant terrible. Als die Schaffhauser AZ 1975, damals noch als Parteizeitung unter dem Diktat des greisen SP-Übervaters Walther Bringolf, auf einen Schlag den damaligen progressiven Chefredaktor und zwei junge Redaktionsmitglieder entlassen hatte, die dem Verwaltungsrat nicht genehm waren, titelte das Info «Die Grossväter schlugen zu!» Bernhard Otts Kommentar skizzierte einen «Morast von geradezu peinlichen Ausmassen» und endete mit dem Satz: «Jener Herkules, welcher dereinst den AZ-Augiasstall ausmisten will, muss eine grosse Gabel zur Verfügung haben!»
Noch wusste er nicht, dass er selbst eines Tages dieser Herkules sein würde.
Einige Zeit früher, im Jahre 1090, war in der Nähe von Dijon ein anderer Bernhard zur Welt gekommen, dessen oppositionelle Vehemenz den Alten Herren der AZ vielleicht eine Warnung hätte sein können. Bernhard von Clairvaux hatte mit 16 Jahren seine Mutter verloren und war mit 22 in ein Kloster eingetreten. Bald gründete er einen Ableger, wo er bis zu seinem Tod 38 Jahre später Abt bleiben sollte. Er wurde zum Reformer, lehnte sich in feurigen Predigten gegen Bischöfe und Päpste auf, kämpfte gegen Luxus und Irrlehren. 1133 bot ihm Papst Innozenz II. gar den Bischofsstuhl von Genua an, doch Bernhard lehnte ab, fuhr zurück in sein Kloster und peitschte es weiter zur Blüte. 1174 wurde er posthum heilig gesprochen.
1146 hatte der heilige Bernhard im Schaffhauser Münster den Kreuzzug gepredigt, dennoch waren die grauen AZ-Funktionäre wohl nicht mit seinem unbeirrbaren Werdegang vertraut. Jedenfalls fing Ott 1977, nur zwei Jahre nachdem er die AZ als Augiusstall verschrien hatte, bei eben dieser Zeitung als Kantonsratsberichterstatter an. Man hatte sonst niemanden gefunden für den Posten und dachte sich wohl, diesem vorlauten 68er würde man die Flügel dann schon stutzen können.
Welch fatale Fehleinschätzung!
Ein Skandal, eine Revolution und eine Sanierung
Die AZ war zu diesem Zeitpunkt eine Funktionärspostille. Es gab keine echten Konferenzen, die Herren Redaktoren versammelten sich am Morgen kurz, teilten die Veranstaltungen unter sich auf, die es zu rapportieren galt, und verschwanden dann in ihre Büros, vorfreudig auf das erste Tschumpeli Weissen.
Dass ein junger Rabauke wie dieser Ott kam, dessen stabile linke Überzeugung in seinen Kommentaren zwar nicht zu überlesen war, der sich aber auch erdreistete, den früheren AZ-Chefredaktor und amtierenden SP-Regierungsrat Paul Harnisch offen zum Rücktritt aufzufordern, weil der die Einführung eines kriminalpolizeilichen Informationssystems befürwortet hatte, war ein Skandal und brachte Ott eine schriftliche Rüge des Verwaltungsrates ein.
Für Bernhard Ott war die Arbeit auf der AZ ein Spagat. Und offenbar war er bereit, ihn auszuhalten.
Die Zeitung wurde damals von der Unionsdruckerei verlegt und fast zu Tode gespart. Es herrschte publizistische Lethargie. Bernhard Ott und Hans-Jürg Fehr, die zusammen die Redaktionsstelle angetreten hatten, wollten die Zeitung reformieren, sie wollten wahrgenommen werden als Gegengewicht zu den Schaffhauser Nachrichten. Doch dafür mussten sie zuerst an die Schalthebel der Macht kommen. Um relevanten Journalismus machen zu können, mussten sie Unternehmer werden.
Zuerst liess sich Bernhard Ott als Personalvertreter in den Verwaltungsrat der Unionsdruckerei wählen. Dann, 1986, starteten Fehr und Ott eine Palastrevolution. Sie präsentierten dem Verwaltungsrat ein umfassendes Sanierungskonzept für die Druckerei, die Zeitung und die maroden Liegenschaften an der Webergasse 39 und am Platz 7 und 8. Einzige Forderung: Ott wird Delegierter des Verwaltungsrats in der Geschäftsleitung – der neue starke Mann.
Ott setzte sich durch, 1985 wurde er Verlagsleiter.
Doch wenn er gewusst hätte, in was für einen jahrzehntelangen Überlebenskampf er sich damit manövrieren und wie sehr er sich dafür in einen Zahlenjongleur würde verwandeln müssen – vielleicht hätte er es sich noch einmal überlegt.
Mut und Übermut
Zuerst aber spürten Ott und Fehr den Frühling: Das Aktienkapital wurde erhöht, die Hypotheken wurden angehoben, Ott und Fehr schossen hunderttausende Franken ein und wurden Grossaktionäre. Die maroden Häuser, in denen man Reportagen über Wohnungselend hätte drehen können, wurden renoviert; der Maschinenpark der Druckerei, die einem technischen Museum glich, wurde saniert, zusätzlich eröffneten sie eine Schnelldruckerei; die Zeitung katapultierte man vom Bleisatz direkt ins Apple-Zeitalter; ein Buchverlag, der spätere Verlag am Platz, entstand. «Wir haben enorm Stutz in die Hand genommen und Rambazamba gemacht», sagt Ott. «Der Rubel wurde einem in den 80er-Jahren ja nachgeworfen.» Das «Blättli-Feeling» sollte verschwinden, man konnte plötzlich Reportagen und Glossen in der AZ lesen.

Die Zeitung verstand sich als Kampfformation der SP und engagierte sich für ökologische Themen. Ott kannte Schaffhausen wie seinen Hosensack, pflegte Beziehungen in die Politik, ins Bürgertum, zu den Schaffhauser Nachrichten, die er bekämpfte, an denen er sich aber auch wetzte – mit dem nötigen Respekt und journalistischer Disziplin, aber auch mit kurzer Lunte. «Das linke Kauderwelsch haben die AZ-Leute gründlich ausgeräumt. Man schreibt wieder deutsch», schrieb ein Leser.
Doch dann überkam sie der Übermut.
Die AZ hatte bereits damals einen Sympathisantenkreis, der auch mal Geld in die Hand nahm. Wenn man gute Ideen hatte, wurden Möglichkeiten geschaffen. 1993 spendete eine Grossgönnerin eine Million Franken für das Projekt «Take-off». Die Redaktion wurde aufgestockt, die Samstagsausgabe wieder eingeführt – ein Angriff auf die Dominanz der Schaffhauser Nachrichten.
Heute sagt Ott, man hätte dafür wohl eher 20 Millionen Franken gebraucht. Auf den Take-off folgte jedenfalls bald das Grounding. Die Abozahlen stagnierten, 1996 war die Unionsdruckerei pleite.
Es begannen die mageren Jahre des Bernhard Ott. Sie machten aus dem Verleger einen Bettler.
Nach der Pleite der Unionsdruckerei wurde das Unternehmen aufgesplittet. Die Druckerei selber wurde verkauft, man gründete die az Verlags AG, die heute noch die AZ herausgibt, und daneben die UD Immobilien AG, die die Liegenschaften verwalten sollte und der man den ganzen Schuldenberg auflud.
Ott übernahm die Immobilien, nahm abenteuerliche Hypotheken auf, obwohl die Liegenschaften komplett unterfinanziert waren, hantierte mit Aufwertungsreserven und anderen Finanztricks. Zusätzlich nahm er einen Privatkredit über eine Million Franken auf, um die Schulden zu tilgen. Gerade war auch noch der Buchhalter ertrunken, und Ott war Autodidakt. Abendelang versuchte er, die nötigen Belege zusammenzukriegen und Ordnung ins Chaos zu bringen. Der Stress bescherte ihm eine Gürtelrose, dafür rettete er damals rund 30 Arbeitsplätze.
Bittsteller und Jongleur
Doch dann sprangen auch noch die beiden grössten Inserenten ab, Denner und Coop. Die weltweite Medienkrise setzten ein, überall schrumpften die Einnahmen zusammen, und Ott wurde zum Bittsteller, bettelte immer wieder auf den Knien den Unterstützerkreis an, um die AZ ein ums andere Mal vor dem Kollaps zu bewahren.
In Sachen Demut machte ihm der heilige Bernhard von Clairvaux längst nichts mehr vor.
Daneben arbeitete Ott als Historiker, schrieb Aufsätze und Bücher, machte, entgegen den 68er-Trends, keine Mentalitätsgeschichte oder Geschichte von unten, sondern vor allem politische Ereignisgeschichte. Mehrere Jahre erarbeitete er in einem kleinen Team das Grundlagenwerk Schaffhauser Kantonsgeschichte, bei der AZ zog er sich strategisch zurück.
Doch es blieb ein müder Fluchtversuch. 1999 liess sich Hans-Jürg Fehr, damals Chefredaktor und Verleger, in den Nationalrat wählen. Das Schiff war im Sinken begriffen – und Bernhard Ott sprang wieder auf.
Die kommenden Jahren sollten noch magerer werden.

«Das hat mich wahnsinnig angeschissen», sagt er heute. «Alles lief schief in dem Saftladen!» Ott machte überall Schulden, verkaufte sein Elternhaus, holte bei der Bank Kredite, um ältere Kredite zu bedienen, wie ein Entwicklungsland. Er verkaufte das Lager des Buchverlags für ein paar Zehntausend Franken an den Gönnerverein, wie ein panischer Jongleur, dem man immer weitere Bälle zuwirft.
Während er von Luft und Weihrauch lebte, musste er sich mit den gewerkschaftlichen Forderungen der Drucker und Setzer auseinandersetzen, seine Freunde spotteten, der Sozialdemokrat Ott könne ja dem Gewerbeverband beitreten. Neben der Zeitung arbeitete er die Historie von Firmen auf, was ihm erlaubte, auf sein Gehalt bei der AZ zu verzichten.
So hangelte sich die AZ durch die Jahre, musste Leute entlassen und entschied sich, die Jungen fortzuschicken, weil sie es leichter hatten, wieder einen Job zu finden. Dafür fehlte der AZ fortan der Nachwuchs. Politisch wurde die Zeitung immer weniger wahrgenommen, sie wurde zwar von einer Tages- zu einer Wochenzeitung, doch sie traute sich nicht, den Schritt auch publizistisch konsequent umzusetzen. Die Abozahlen sanken und Ott, der bissige Politjournalist, war verdammt dazu, seine Zeit für die Akquise von Finanzmitteln zu verwenden. Dennoch resümierte Verwaltungsratspräsident Hans-Jürg Fehr 2002: «Die Zitrone ist ausgepresst.»
Otts Aussichten waren düster. Alle anderen Arbeiterzeitungen der Schweiz waren bereits eingegangen und es sah aus, als ob auch er sein ganzes Geld und Herzblut in eine Zeitung steckte, die allmählich erodierte. Er würde eines Tages als Letzter durch die Tür gehen, den Schlüssel drehen, und vor dem Nichts stehen.
Als irgendwann selbst im Verwaltungsrat regelmässig die Kritik aufbrandete, die Zeitung produziere zu wenig aufsehenerregende Geschichten, lupfte es Bernhard Ott den Deckel. 2010 kündigte er seinen Job als Geschäftsleiter – blieb dann aber trotzdem.
Kein Sesselkleber
Dann aber, nach vielen Jahren der Finsternis, begann der Himmel langsam wieder aufzuklaren. Die UD Immobilien AG wurde dank gewissenhafter Rückzahlungen schuldenfrei, gleichzeitig gewannen die Liegenschaften an Wert, die Bodenpreise stiegen ebenso wie die Immobilienpreise. Ott konnte die Häuser in den Dienst der Zeitung stellen und die Mietzinsen reduzieren. Das System mit den verschiedenen Kassen war mittlerweile fein ziseliert, die az Verlags AG schrieb zwar jährlich Verlust, aber dank dem Gönnerverein kam sie einigermassen über die Runden.
Dann fand Hans-Jürg Fehr im Jahr 2014 zwei Spenderinnen, die Geld gaben, damit die Redaktion aufgestockt werden konnte. Es setzte eine Verjüngung ein, und Ott sah, dass es funktionierte. 2016 gab er die Redaktionsleitung ab.
Er muss sich ein wenig an seine eigene Jugend erinnert haben. Die AZ wurde umgekrempelt, setzte auf investigative Lokalrecherche und emanzipierte sich nun vor Otts Augen auch immer mehr von der SP. Die Abozahlen stiegen, und man konnte beobachten, wie sich proportional auch Otts Stimmung aufhellte.
Er war immer noch vor Ort, und wenn er einen saftigen Politkommentar redigierte und man aus dem Nebenzimmer hörte, wie er dabei murmelnd über diese «Sauhünd» herzog, musste man schmunzeln: Seine Lunte war mit dem Alter nicht länger geworden.
Aber Ott schaffte, was wenige Männer in seiner Position schaffen – er liess los.
Er wollte der neuen Generation das bieten, was er sich selber erkämpfen musste: grosse Selbstbestimmung und grosse redaktionelle Freiheit.
Wenn fortan der SP-Vorstand anrief und sich über eine Recherche beschwerte, sagte er, mittlerweile fast 50 Jahre SP-Mitglied, nicht ohne Genugtuung: «Das müsst ihr mit der Redaktionsleitung besprechen», und kümmerte sich weiter darum, Geld zusammenzukratzen für die journalistischen Experimente seiner Rasselbande.
Jetzt, mit 71 Jahren, hat Ott auch die Verlagsleitung abgegeben. Er wird seinem Nachfolger Mattias Greuter, 34 Jahre alt, noch eine zeitlang als Stellvertreter zur Seite stehen. Die Finanzen sind stabil.
Der heilige Bernhard von Clairvaux lebte in Askese, fastete unerbittlich und erlag deshalb nach getaner Arbeit einem unheilbaren Magenleiden.
Dieses Schicksal dürfte Bernhard Ott erspart bleiben. Die Million Franken zahlt er zwar heute noch ab.
Appetit aber hat er für drei.