Kein Stadttier ist so omnipräsent und gleichzeitig so unsichtbar wie der Rotfuchs. Eine Annäherung.
Neue Serie: «Wir Stadttiere», Folge 2: Der Rotfuchs
In einer losen Serie widmet sich die AZ den tierischen Bewohnerinnen der Munotstadt.
Folge 1: Die Stadttaube
Glück muss haben, wem er sich zeigt. Denn meist ist er nicht mehr als ein roter Schatten; einer, der diskret und blitzgeschwind zwischen den Hecken verschwindet, kaum hat man ihn im Zwielicht entdeckt.
Und doch: Der Rotfuchs ist überall, omnipräsent in Fabeln und Kinderliteratur genauso wie in den Schaffhauser Stadtquartieren. Vom Wald her kehrt er in Buchthalen ein; in der Breite schleicht er den Bach entlang; auf dem Waldfriedhof jagt er Mäuse; im Grubenquartier legt er sich aufs Gras und unter Schuppen und Schrebergärten. Und hat er sich einmal eingenistet – der Fuchs baut sein Nest eigentlich nie selber, sondern bespielt, was schon da ist –, gelangt er wider Willen ans Licht der Öffentlichkeit.
Ja, der Fuchs macht seit jeher Schlagzeilen. Man erinnere nur an etwa jenes einjährige Tier, das sich 2018 in den Munotgraben verirrte und von den dort ansässigen Damhirschen angegriffen und, so muss man annehmen, getötet wurde. Oder auch jener Frechdachs, der 2013 stolze 42 Schuhe mopste und in seinem Bau versteckte – und dann noch dafür kritisiert wurde, dass er kein klares Modebewusstsein bewies, sondern Sandalen unter Turnschuhen und Gummistiefeln vergrub. Wo immer Mensch und Fuchs zusammenkommen, gibt es eine Geschichte: 2005 hat sich ein besonders vorwitziger Genosse in Gennersbrunn bis aufs Sofa eines älteren Herrn getraut, jeden Abend, um das ihm bereitgestellte Hühnerknöchelchen abzuholen und sich wieder aus dem Staub zu machen.
So neugierig und wohlgesinnt wie heute begegnete der Schaffhauser Mensch dem Herrn Reineke freilich nicht immer. Denn folgt man seinen Spuren in der Region, landet man unmittelbar: bei seiner Bekämpfung.
Der Sorgenträger
Im März 1967 verzeichnete Schaffhausen den – schweizweit – allerersten Tollwutfall. Kein anderes Tier war für die Krankheit so empfänglich wie der Fuchs. Vom Eidgenössischen Veterinäramt in Bern kam daher ein unzweideutiges Signal: Die Tierbestände in den Grenzgebieten müssen dezimiert werden. Und zwar – analog zur damaligen BRD – mit einer rückblickend zweifelhaften Methode: per Baubegasung. (Es entbehrt nicht jeder Ironie, dass die Regierung sich damals noch damit zitieren liess, es bestehe «nicht die Absicht, die Füchse auszurotten».)
In der Serie missglückter menschlicher Interventionen in die Natur sollte diese Methode einen Platz in den oberen Reihen einnehmen. Zwar wurden die Fuchsbestände tatsächlich reduziert. Doch die Population des Vulpes vulpes erholte sich verhältnismässig schnell. Einfach, weil der Fuchs seine Population selber regelt. Ganz im Gegensatz zum Dachs, der seinen Bau – meist unfreiwillig – mit dem Rotfuchs teilte (im Jagdvokabular nennt man dieses Phänomen auch «Burgfrieden»). Er galt gegen Ende der Begasungsaktion als quasi ausgestorben.
Die Aktion verlief mitnichten erfolgreich. Ende der 70er war die Tollwut zur landesweiten Seuche geworden, mit einer Verbreitung, wie sie damals in ganz Europa nur von Österreich übertroffen wurde. Von der Begasung war man zu dieser Zeit aus Tierschutzgründen abgekommen, stattdessen legte man mit Impfstoff versetzte Köder. Mit grösserem Erfolg: Mitte der 80er galt Schaffhausen wieder als tollwutfrei. Der Fuchs breitete sich aus – und tastete sich in die Stadt vor.
Zumindest als lebendiges Tier. Denn das Felltragen kam just in dieser Zeit immer mehr aus der Mode. Bis in die 70er hatten das Pelzhaus Werner und der Kürschner Carl Stemmler über die Stadtgrenzen hinaus einen guten Ruf: Auf den Strassen lief manch eine mit einem originalen Fuchsmuff um die Hände herum. Entsprechend waren Fuchsbalge – das Fell heisst erst in verarbeitetem Zustand Pelz – eine wichtige Einnahmequelle von Jägern. Das Fuchsfell galt aufgrund der Gewieftheit, die dem Fuchs nachgesagt wird, als Trophäe schlechthin, in der Jagd wie in der Mode.
Reynard entzieht sich
Es ist nicht die Haltbarkeit oder die besondere Wärme, die das Fuchsfell so besonders machte. Sondern seine Omnipräsenz und seine edle Farbe, dieses zumeist feuerrostige Orange. Die Journalistin Katrin Schumacher zeichnet in ihrem Fuchsportrait von 2020 nach, wie sehr der Fuchsbalg weibliche Begehrlichkeiten weckte – genauso wie männliches Begehren. Einmal am Körper getragen, wurde der Vulpes vulpes nämlich zu nicht weniger als einer Allegorie für weibliche Erotik und Verführung.
Da ist er wieder, der Widerspruch, den der Fuchs in sich vereint: In fast allen Geschichten und in den meisten Sprachen ist er ein Mann (wer weiss schon, dass an Herrn Reinekes Seite eine Füchsin, Frau Ermelyn, steht?). Doch zum Körperschmuck verarbeitet wird er weiblich, unterstreicht den femininen Sexappeal. Die Skizze «Fuchsmensch» der Schaffhauser Poetin Dora Baumann zeigt denn auch einen nackten, schlanken Frauenkörper, um den sich nichts weniger als ein Fuchsfell legt. Mehr braucht es nicht für die Betörung.
Doch der Fuchs entzog sich auch hier, er ist nicht mehr en vogue. Das pelzige Stemmler-Vermächtnis liegt in Dioramen und Vitrinen im gleichnamigen Museum. «Spazieren Sie heute mit einer Fuchsjacke durch die Stadt. Viele Kollegen werden Sie nicht finden.» Werner Stauffacher, städtischer Wildhüter und JagdSchaffhausen-Präsident, sagt dies auch mit einem gewissen Bedauern. Denn das Fuchsfell sei «ein ehrliches und nachhaltiges Fell». Heute aber wird mehr als die Hälfte der in Schaffhausen erlegten Füchse vernichtet – die Felle haben schlicht keinen Markt mehr. Gejagt wird der rote Canide aber sowieso, im Jagdjahr 2020/2021 waren es gut 200 Tiere. Der Grund: Populationskontrolle. Denn seit einigen Jahren geht die Fuchsräude um, und wie bei den meisten Krankheiten gilt: Je mehr Tier, desto mehr Krankheit. Die Bestände tief zu halten, ist aus Jägerinnensicht also nötig. «Nur an der Verwertung hapert es», so Stauffacher. «Leider.»
Vielleicht erlebt der Schaffhauser Fuchs über die Kunst eine Auferstehung. Denn seit einigen Jahren ziert er den Körper von Kornelia Bruggmann: Die Sopranistin trägt ihn auf der Bühne um den Arm. Warum? «Für mich ist der Fuchs ein Zeichen der Wandlungsmöglichkeiten, die wir Menschen haben», erklärt sie. «Diese Eigenschaft ist in zahlreichen alten Sagen überliefert. Wenn ich Geschichten erzähle, schlüpfe ich daher in den Fuchs: Er hilft mir, die eigene Verwandlung zu verstehen.»
Was ist er denn nun, der Fuchs? Eine Metapher für einen scharfen Geist? Eine Allegorie der Verführung? Ist er ein Rebell, der sich noch unter widrigsten Umständen behauptet? Oder ist er doch nur eine Krankheitsschleuder? Nur eins lässt sich klar sagen über Herrn Reineke: Ein Stadtbewohner wie jeder andere, das ist er sicher nicht.
Literaturtipp: Katrin Schumacher: Füchse. Ein Portrait. 2020, Teil der Serie Naturkunden von Matthes & Seitz, Berlin.