Warum das Schaffhauser Geburtshaus schliessen musste und was das für Schwangere in der Region bedeutet.
Am Beckengässchen 11 haben in den vergangenen zehn Jahren gut 300 Kinder das Licht der Welt erblickt. Seit 2011 beherbergt der beige Bau aus den 30er-Jahren das Schaffhauser Geburtshaus. 300 Geburten, das sind gut 4 Prozent aller Babys, die in diesem Zeitraum im Kanton auf die Welt gekommen sind. Zum Vergleich: Schweizweit liegt der Anteil von in Geburtshäusern geborenen Kindern konstant bei etwa 2,5 Prozent, 2020 waren es 2,3 Prozent. Schaffhausen ist ein Geburtshauskanton. Oder war. Denn in Zukunft werden es null Prozent sein. Im November wurde am Beckengässchen das letzte Kind geboren.
Wieso musste diese doch eigentlich so überdurchschnittlich beliebte Institution schliessen? Und was bedeutet das für werdende Mütter in Schaffhausen?
Die Nachfrage sei nie das Problem gewesen, sagt Bettina Sutter an einem matschig-verschneiten Morgen Anfang Dezember. Die Co-Leiterin und -Gründerin des Schaffhauser Geburtshauses steht im überdachten Hauseingang am Beckengässchen 11 und begrüsst Besucherinnen. Heute ist Hausflohmarkt, zum Verkauf steht fast die gesamte Einrichtung. Unter anderem Kinderkleider, Bücher (zum Beispiel ein gelber Band mit dem Titel «Schwierige Geburten — Leicht Gemacht»), Frotté-Bademäntel, ein Holzstorch und ein Laptop, der gratis ist, weil sich niemand ans Passwort erinnert. Der aufblasbare Pool für Wassergeburten ist schon weg.
Hausgeburt statt Geburtshaus
«Das Problem war der Personalmangel», sagt Sutter. Die letzten anderthalb Jahre habe man nach jungen Hebammen gesucht, die das Team verstärken und das Geburtshaus eines Tages übernehmen würden. Doch es fand sich niemand. «Junge Hebammen wollen heutzutage die Verantwortung einer Geburt ausserhalb des Spitals nicht mehr übernehmen», sagt sie. Und: «Sie wollen keinen Pikettdienst und auf Abruf arbeiten, sondern geregelte Arbeitszeiten.» Also alles, was ein kleines, ambulantes Geburtshaus nicht bieten kann. Und weil es sowieso schon lange an Personal mangelte, beschlossen die fünf Frauen, die hier am Beckengässchen arbeiteten, ihr Projekt aufzugeben.
Bettina Sutter, die 57-jährige Co-Leiterin, plant nun, in Basel Internationale Zusammenarbeit und globale Gesundheit (ehemals Allgemeiner Tropenkurs) zu studieren. Und dann will sie in den Auslandseinsatz, Geburtshilfe leisten, am liebsten nach Zentralafrika.
Was bleibt übrig vom Schaffhauser Geburtshaus? Nun, etwas mehr als an diesem Dezembermorgen auf dem Flohmarkt feilgeboten wurde. Um das zu sehen, folgen wir der Spur des aufblasbaren Pools für die Wassergeburten.
Und landen am anderen Ende der Stadt, an der Stauffacherstrasse im Grubenquartier. Hier im Gesundheitszentrum hat es unter anderem ein Nagelpflegestudio, eine Praxis für Physiotherapie und eine Spitexzentrale. Und seit Neustem gibt es hier auch eine Hebammenpraxis, offiziell geöffnet ab Anfang 2022. Gegründet wurde sie von Felicia Greh, die das Geburtshaus zusammen mit Bettina Sutter leitete, sowie von ihrer Hebammen-Kollegin Rebekka Reutemann und der Pflegefachfrau Daniela Wolanin. Die drei wollen das, was das Geburtshaus angeboten hat, weiterführen: Geburtsvorbereitungskurse, Tragworkshops, Wochenbettbetreuung, Stillberatung. Nur gebären kann man nicht an der Stauffacherstrasse. Dafür sind die Räume und das Team zu klein. «Die ganze Hotellerie, die wir im Geburtshaus anboten, machen wir jetzt nicht mehr», sagt Felicia Greh, als wir sie in der fast fertig eingerichteten Praxis besuchen. Statt einem ganzen Haus mit Küche, Waschküche, Büros und einem Gebärzimmer, wie am Beckengässchen, gibt es hier nur zwei Räume: ein grösserer für die Kurse und ein kleinerer für die Sprechstunden.

Aber ein Dreiviertel ihrer Arbeit finde sowieso bei den Frauen zuhause statt, sagt Greh. Zu dieser Arbeit zählt auch weiterhin die Geburtshilfe. Statt Gebären im Geburtshaus bietet das Hebammenteam von der Stauffacherstrasse nämlich Hausgeburten an. In Schaffhausen sind sie seit der Schliessung des Geburtshauses die Einzigen, die das machen. Die Hebamme kommt auf Abruf, bringt das nötige Material mit, auf Wunsch zum Beispiel das Becken für Wassergeburten, das vom Geburtshaus übernommen wurde, und betreut die werdende Mutter bei der Geburt. «Vielen Frauen ist das Gebären im Spital zu unpersönlich, die Hebammen dort arbeiten im Schichtbetrieb, es gibt nicht so eine intime Beziehung, wie wir sie bieten können», sagt Felicia Greh. Sie erzählt von Momenten wie einem gemeinsamen Spaghetti-Essen mit der frischgebackenen Mutter und ihrem Partner, morgens um vier nach einer erfolgreichen Geburt. Ein Kind zuhause zur Welt zu bringen, das fühle sich für viele Frauen selbstbestimmt an — ein «tiefes Urvertrauen in sich selbst», das heute kaum mehr gepflegt werde. Sie betont aber auch, dass Hausgeburten nur für unkomplizierte Schwangerschaften in Frage kämen. Ob ein Kind zuhause zur Welt gebracht werden kann oder ob die Frau doch besser ins Spital gehen sollte, werde vorab immer mit einer Gynäkologin abgeklärt.
Fürs kommende Jahr seien bereits mehrere Hausgeburten gebucht, sagt Greh.
Ein Leistungsabbau?
Kein Geburtshaus mehr, nur noch Haus- oder Spitalgeburten — ist das ein Leistungsabbau für werdende Mütter in Schaffhausen?
Irmela Pfalzgraf, freischaffende Hebamme, findet klar: Ja. «Die Auswahl ist kleiner geworden», sagt sie. Für den kleinen Anteil an Frauen in Schaffhausen, die gerne ausserklinisch gebären wollen, gebe es jetzt eigentlich nur noch die Option Hausgeburt. Denn in das nächstgelegene Geburtshaus in Zürich, Bäretswil oder St.Gallen zu fahren, das sei nicht wirklich praktikabel. «Ein Geburtshaus muss in der Nähe sein.»
Auch Claus Platten, Gynäkologe mit eigener Praxis und Belegarzt am Kantonsspital, sagt, das Geburtshaus sei «eine gute Ergänzung» gewesen zum Angebot in Schaffhausen. Er sei zwar nie im Geburtshaus drin gewesen, habe aber mehrmals mit den Hebammen zusammengearbeitet und Frauen während der Schwangerschaft betreut, die im Geburtshaus gebären wollten. Vor allem das Kursangebot sei sehr gut gewesen.
Dass sich die ausserklinischen Geburten in Schaffhausen nun voraussichtlich vom Geburtshaus in Richtung Hausgeburten verlagern werden, nimmt er zur Kenntnis. Von seinen Patientinnen werde dieser Wunsch nur selten geäussert. Die Sicherheit von Hausgeburten sei vor allem von der «Risikoselektion» abhängig. «Es ist klar, dass eine kleine Frau mit einem sehr grossen Kind in Beckenendlage die Geburt aus meiner Sicht vorzugsweise im Spital planen sollte», sagt er. Diese Risikoselektion habe das Team des Geburtshauses nach seiner Erfahrung immer sehr gut gemacht. Wichtig sei, dass sich Schwangere, Hebamme und Arzt vorab gut absprechen und auch einen «Plan B» festlegen, für den Fall, dass es Komplikationen gibt.
Für zukünftige Schwangere in Schaffhausen, die gerne in einem Geburtshaus in der Nähe gebären würden, wird es übrigens ab Sommer 2023 eine Alternative geben. Dann eröffnet nämlich ein neues Geburtshaus in Winterthur. Es wird um einiges grösser werden als das in Schaffhausen und neben der ambulanten Betreuung auch ein stationäres Wochenbett anbieten. Um einen Personalmangel wie in Schaffhausen macht man sich dort keine Sorgen: «Weil wir auch stationär arbeiten, wird es bei uns nicht nur Pikettdienst geben. Und in Winterthur sind wir ja mit der ZHAW direkt am Ausbildungsstandort», sagt Lisa Bammatter, die als Hebamme im neuen Geburtshaus arbeiten wird.
In Schaffhausen gibt es eine Nachfrage nach ausserklinischen Geburten. Ob diese 4 Prozent der Babys, die bisher im Geburtshaus entbunden wurden, nun zuhause, im Kreisssaal oder ausserhalb der Kantonsgrenzen zur Welt kommen, muss sich noch zeigen.