Wir haben mit Blut gekocht. Und die Grenzen unseres inneren Vampirs ausgelotet. Chronik eines besinnungslosen Abends.
von Sharon Saameli und Mattias Greuter
«Blut! Blut!
Blut das muss spritzen meterweit!
Blut! Blut!
Blut in alle Ewigkeit!»
Wir haben den gierigen Dämonenkrieger Grinzold aus Walter Moers’ Zamonienwelt zu wörtlich genommen. Die Küche gleicht einem Pollock. Blutlachen breiten sich auf der Theke aus und gerinnen im Waschbecken, Bluttropfen rinnen die Kacheln entlang; Blut klebt an unseren Händen und in den Mundwinkeln.
Unser Treffen aber beginnt ganz anders. Nämlich: mit Hemmungen.
Verkörpert sind diese Hemmungen in zwei dubiosen, weissen Plastikflaschen – und nein, das ist keine Milch. Zwei Liter Blut gluckern verheissungsvoll darin. Sie sind Hauptprotagonisten eines zweifelhaften Abends, der uns zwischen Sensationslust und Schauder hin- und herwirft wie schwingende Beile. Wir wollen ein Mahl mit drei Gängen kochen, denen vor allem ihre Hauptzutat gemein ist – Schweineblut.
Wir wissen noch nicht, wo wir landen werden. Ob wir nach Verköstigung des sättigenden Proteinsafts unser beider Leben verlängert haben – oder die Ambulanz rufen müssen.
Tröpfchenweises Warmwerden
Als wir uns vor dem Blutfest in Sachen rohköstlichem Verzehr umhörten, riet uns jeder tunlichst davon ab. Rohes Blut: nein. Genau darauf haben wir es aber eigentlich abgesehen. Denn auf unserer Recherche stiessen wir auf einen amerikanischen Barista, der, in Anlehnung an den Hit aus den 70ern, den Cocktail Werewolves of London kreiert haben soll: Piña Colada mit einem Schuss Blut. Wir schaudern – nicht nur wegen der Ananas – und entscheiden uns stattdessen für einen ausgeklügelten Gin Tonic mit tierischer Beigabe. Begleitet ist der bittere Apéritif von Oliven-Grissini und dem Bedürfnis, einander Mut zuzureden. You hear him howling around your kitchen door.

Ohne genau zu wissen, wie lange die Prozedur dauern müsste, pasteurisieren wir ein paar Zentiliter Blut und träufeln sie über die Eiswürfel. Dann: heads up, ah-hoo. Und die Überraschung: Ein paar Tropfen machen den Apéritif zwar metallischer – und unverschämt ästhetisch, wenn man sich sagt, es könnte auch Granatapfelsaft sein –, geschmacklich ändert sich aber wenig. Da geht mehr. Wir tröpfeln weiter. Werweissend, welch goldene Nase sich der Barista mit dem Marketing-Gag verdient haben muss, verschwinden wir mit guten Blutes, pardon: Mutes wieder in der Küche.
Blutrausch
Blut als Lebensmittel fristet hierzulande seit Längerem ein kulinarisches Schattendasein. Klar: der Ekel. Der metallische Geschmack weckt Erinnerungen an Nasenbluten und Schlimmeres. Darum kennt man die (tierische) Körperflüssigkeit vor allem zu Wurst verarbeitet oder aus dem herbstlichen Rehpfeffer. Manche Feinschmecker und Köchinnen schwören aber darauf. Der norwegische Spitzenkoch Magnus Nilsson serviert Rogen von der Forelle in einem Zylinder aus getrocknetem Schweineblut. In anderen Breitengraden ist der Blutkonsum noch deutlich verbreiteter: ob aus pragmatischen Gründen, um keinen Teil eines geschlachteten Tiers zu verschwenden, oder auch als Teil ritueller Zeremonien.
Mangels Expertise für raffiniertere Kost (und für Zeremonien) führt uns der nächste Gang ins währschafte Südostasien. Dinuguan wird vornehmlich auf den Philippinen serviert und uns als herzhafter Eintopf mit Schweinebauch und -blut als Hauptzutat angepriesen. Gemäss Rezept schnibbeln wir auch ein Herz dazu – von anderen Innereien sehen wir ab –, braten die saftigen Stücke an und löschen mit Reisessig und Fischsauce ab. Süüferli giessen wir eine etwas erschreckende Menge Blut dazu, freuen uns aber über das Experiment. Es entsteht eine Art Pfeffer. Mit ähnlich appetitlicher Farbe, allerdings mit Ingwer, Chili und Zucker abgeschmeckt.
Inzwischen hängt ein metallischer Geruch in der Küche. Ein zweiter Werwolf-Cocktail nimmt uns die letzte Prise Misstrauen, bevor wir uns über die blutübergossenen Fleischhappen hermachen. Fazit: etwas weniger zart als erwartet, die Sauce dafür sähmig und, nun gut, metallisch im Abgang.
Wir reden uns zunehmend Normalität ein. Bis sich ein skeptischer Mitbewohner dazugesellt – seinerseits gelernter Koch – und die leeren Drinkgläser begutachtet. Wie lange wir das Blut denn pasteurisiert haben, fragt er. Und lacht auf: Bei den paar Minuten hätten wir uns den Vorgang auch sparen können! Das Blut in unseren Cocktails, das war roh.
Grundsätzlich unterstützt Eisen den Transport und die Speicherung von Sauerstoff im Körper. Uns rauscht aber vor allem Adrenalin durch die Adern. Ist das jetzt diese Erweiterung der Sinne? Sind unsere Pupillen grösser? Sind wir kräftiger? Wacher? Oder einfach alarmiert?
Höchste Zeit für Wein, eine Flasche Pictor ist uns im Felsenkeller empfohlen worden. 100 Prozent Sangre De Toro. Der Mut kehrt – in gedämpfter Form – zurück. Auch, weil wir uns noch nicht genau ausmalen können, worauf wir uns mit dem Dessert einlassen.
Katerstimmung
Die Dernière: waschechte Blut-Cupcakes und Blut-Schokocrème. Für Erstere schlagen wir das Blut mit Zucker so lange, bis es laut Rezept «wie Eischnee» an den Rührbesen hängt. Während im Extra-Topf die Schokolade und Butter schmelzen, nimmt die Masse zunehmend einen kräftigen Himbeerton an. Der Schnee wird mit Mehl und Gewürzen in die Schokocrème gehoben und der nunmehr weinrote Teig gebacken. Vollrahm und glitzrige Zuckerherzen (lumpen lassen wir uns nicht) toppen die Küchlein.
Wir fragen uns, ob das noch als vegetarisches Dessert gilt. Und wollen Nein sagen – zu viel Blut klebt an unseren Händen. Aber wenn Milch als vegetarisch gilt, die auch nur eine tierische Körperflüssigkeit ist, warum dann nicht auch Blut?
Wir beissen zu, merken, wie der Lebenssaft den Schokoladengeschmack verstärkt. Und meinen, das Metall trotz Kardamom und Cayenne noch herauszuschmecken. Auch wenn die Küchlein minimal trocken, ansonsten aber herrlich leicht zu verspachteln sind, setzt sich der Abgang eisern am Gaumen fest. Hatten wir je ein Gericht, das nicht eisern schmeckte? Wann hört das auf?
Der (Blut-)Rausch klingt ab. Es folgt notgedrungen: die Ausnüchterung.
Zuletzt kämpfen wir uns zum Sanguinaccio Dolce. Die italienische Crème wird warm gegessen. Wir mischen Milch und Blut zu gleichen Teilen und erhitzen die cremige Angelegenheit unter ständigem Rühren. Blut gerinnt leicht, weshalb die Temperatur so eine Sache ist: Mehr Rohkost wollen wir uns tunlichst sparen, aber Matschmocken aus Blutplättchen und -körperchen lieber auch. Daher: langsam die Schokolade schmelzen, mit Zimt und Orangenzeste abschmecken, auskühlen lassen. Fertig.
Fertig sind auch wir: mit dem Metall, der Sauerei in der Küche. Die Flasche Heldenblut vermag uns nicht zu retten. Langsam würgen wir einige Löffel Blutcrème hinunter. Ob sie schmeckt (wir glauben sagen zu können: ja), ist an dieser Stelle nicht mehr relevant. Wir wollen dem eisernen Griff um unsere Zungen ein für allemal entkommen.
Was uns das Ganze lehrt: unklar. Mässigung, etwa? Galt die Völlerei nicht einst als Todsünde?
Fazit: Wer den ursprünglichen – bemerkenswert hartnäckigen – Ekel vor Blutgerichten überwindet, kommt nicht in Teufels Küche. Und wenn, dann schmeckt die wie eine wohlgewürzte, aufgebissene Lippe. Für den Moment schmeckts recht gut. Zu gestandenen Vampiren werden wir in diesem Leben freilich nicht mehr.
Nach dem Blutrausch bleibt ein leichter Kater, ein schwelendes Unbehagen über unser Zutun – und ein metallischer Geschmack, der uns noch tagelang heimsucht.