Auf Handelsreise

21. Dezember 2021, Marlon Rusch
Jules Trümpler (rechts) verhandelt mit einem Berber.
Jules Trümpler (rechts) verhandelt mit einem Berber.

Der Schaffhauser Jules Trümpler verkauft Schweizer Schrott auf den Souks von Marokko. Dafür gibt es sieben Gründe. Unterwegs mit einem listigen Liturgen.

Ein früher Morgen in der marokkanischen Hafenstadt Essaouira.

Es dämmert, als Jules Trümpler seinen alten Mercedes-Bus in einem schäbigen Aussenquartier abstellt, aussteigt und eine Zigarette dreht. Ein Zahnloser mit zerfetztem Ohr kommt dazu, redet auf ihn ein; bald stehen zehn Männer neben dem Mercedes und diskutieren: Wo kann der Ausländer den Wagen abstellen? Und was, in Allahs Namen, hat er hier zu suchen?

Heute ist Markttag, für die Menschen in Essaouira eine Mischung aus Wocheneinkauf, Flohmarkt und Treffpunkt. Für Jules Trümpler ist der Souk eine Spielwiese. Hier macht der Schweizer Geschäfte. Doch darum geht es nur am Rande. Der Markt ist seine Methode, in das Land einzutauchen, mit Marokko zu ringen, sich das Fremde anzueignen.

Der Souk ist Trümplers Bühne.

Wer hier auftreten will, muss Regeln befolgen. Nach langer Diskussion im Dialekt der Souss-Berber und vielen geschüttelten Händen ist man sich einig: Der Mercedes darf stehenbleiben, neben einer fürchterlich stinkenden Kloake, direkt am Eingang des shoutiya ferail, des Second-Hand-Bereichs. Ein guter Platz, Standmiete: stolze 50 Dirham, 5 Franken. Trümpler zerrt eine Blache aus dem Bus und breitet sie aus. Dann beginnt er, seine Ware auszuräumen. Langsam geht die Sonne auf.

Der umgedrehte Spiess

Diese Geschichte begann – welch schönes Klischee – mit einem Teppich. 2011 reiste der 20-Jährige als Tourist nach Marokko und fand sich bald in einem Teppich-Geschäft in Marrakesch wieder, aus dem es nur einen Ausweg zu geben schien – durch die Brieftasche. Er bezahlte einige hiesige Wochenlöhne für billige Chinaware und ergriff die Flucht. Zurück in der Schweiz war der Teppich fast schon ausgebleicht. Der Zorn aber, der war noch nicht verflogen. Und Trümpler beschloss, den Spiess umzudrehen.

Grund 1: verletzter Stolz.

Seit dem Teppichkauf reiste er neun Mal nach Marokko, um selber Waren zu verkaufen. Anfangs im kleinen Stil, an Private. Doch es wurde stetig mehr. Im Herbst diesen Jahres fuhr der 30-Jährige mit seiner Frau, ein paar Freunden und drei Transportern los, 2,8 Tonnen Material hatte er in Schaffhausen allein in seine beiden Mercedes geladen; von einzelnen Socken, rostigen Schraubenschlüsseln und Maurerkellen über Bremssättel, Stereoanlagen und Snowboards bis hin zu Autotüren, ausrangierten Bodenfräsen und zentnerschweren Schweisstrafos.

Nun, in Essaouira, lädt er in aller Seelenruhe aus. Männer, die jetzt schon über seine Blache stapfen und nach Preisen fragen, schickt er weg, zuerst freundlich, dann barsch, wenn es sein muss mit den Händen. Eiserne Regel: Während des Aufbaus wird nicht verkauft. Frühmorgens tummeln sich vor allem andere Händler auf den Souks, die billig einkaufen und teurer weiterverkaufen wollen. Mit ihnen macht Trümpler ungern Geschäfte. Nach dem Ausladen holt er Tee und setzt sich auf einen Klappstuhl – Bühne frei.

Bald ist die Blache gesäumt von beobachtenden Männern, die unbewegt dastehen wie die Pappeln einer Allee (shoutiya ist Männersache). Auf der Blache selber scheint Chaos zu herrschen, das Bild erinnert an den Schrottcontainer eines Recyclinghofs. Doch die Auslage hat System: Es braucht stets zwei, drei Perlen in der vitrine, die die Kunden anziehen und dabehalten. In diesen ersten Stunden übernehmen diese Aufgabe ein massiver Schraubstock und eine verstaubte Kreissäge, auf die die Männer lauern. Quasi nebenbei wechselt aber auch immer mal wieder eine rostige Kette den Besitzer, eine halbvolle Sprühdose oder die Bremsleitung eines ausgeschlachteten Autos.

Offenbar liegt auf der Blache doch nicht nur Schrott.

Schmelzöfen aus Feuerlöschern

Marokko ist ein Land der Generalisten. Jeder ist hier Elektriker, jeder ist Dachdecker, jeder ist Mechaniker. «Ich staune immer wieder über die Kreativität der Leute», sagt Jules Trümpler. Er habe gesehen,wie ein Mechaniker in einem Tag aus einem Kühlschrankkompressor einen Viertaktmotor gebaut habe, «ohne Drehbank, ohne CNC-Fräse!». Aus Staubsaugerteilen werden Turbolader, Feuerlöscher werden zu Schmelzöfen, Wagenheber zu Hydraulikpressen. Die veraltete Ware aus der Schweiz kann in den richtigen Händen neue Welten öffnen.

Grund 2: Faszination für Technik.

Trümpler ist selber Generalist. Nach der Matur in Schaffhausen wurde er Bio-Bauer, begann, an Landmaschinen und Autos zu schrauben, lebte immer wieder monatelang in Neuseeland, wo er im Forst und in der Fischerei arbeitete. Auf der Fahrt quer durch Marokko kann er pausenlos über die Lössböden, die lokale Olivenproduktion, den verheerenden Phosphatabbau und die Methoden der ansässigen Fischer dozieren. Oder über das marokkanische Parlamentssystem, über Schmuggelrouten oder den Kampf der Freiheitsbewegung Frente Polisario in der Westsahara. Nach einem Besuch bei Töpfern in den Bergen von Tiznit weiss er Bescheid über die Zusammensetzung ihres Tons und die Bauweise ihrer Brennöfen. Und mit den Jahren wurde aus einzelnen Zusammenhängen ein Netz.

Das Pareto-Prinzip

Trümplers Netz ist löchrig. Manche Schleifen seiner Erzählung kommen von der Spur ab, Schattierungen werden auch mal einer Pointe geopfert. Aber das spielt hier keine grosse Rolle. Was nicht passt, wird passend gemacht. Ausserdem gilt im ländlichen Marokko das Pareto-Prinzip: Besser man beherrscht viele Dinge zu 80 Prozent als wenige zu 100.

Jules Trümplers Netz ist löchrig, dafür spannt es sich über das ganze Land. Sein Notizbuch ist voller Namen und Telefonnummern, und wenn er zurückfährt in die Schweiz, ist die Liste der Dinge, die er beim nächsten Mal mitbringen soll, lang: von Zuchtbullen über Supermagnete, Sushimesser, Dromedarsättel und E-Bikes bis zur Wasserpumpe mit Förderhöhe über dreihundert Meter – oder einen grossen Fernseher für den ständig bekifften pensionierten Polizeikommandanten eines verschlafenen Surfernests an der Küste, Trümplers Hauptquartier.

Als die Blache in Essaouira ausgebreitet ist, kommen zwei alte Freunde hinzu: Zacharia, ein Künstlertyp aus der Nachbarschaft, den hier alle kennen. Er sitzt stundenlang auf einem Stuhl beim Mercedes, schaut dem Treiben zu, trinkt Tee, führt Verkaufsgespräche. Später wird Trümpler sagen, es sei bei seinem Marktstand nur so gesittet geblieben wegen Zacharias Präsenz.

Am Abend sitzt man im Innenhof der Herberge von Youness, dem anderen alten Freund, raucht Unmengen Zigaretten und verliert sich in Abenteuergeschichten. Trümpler erzählt gern, wie er den Marokkanern gewinnbringend ihr eigenes Kulturgut verkauft hat – Tajinen. Wie er in Restaurants manchmal Kommission einstreicht, wenn er ausländische Kunden bringt, wie es die einheimischen faux guides tun. Wie er allein durch die Wüste nach Mauretanien fuhr, dort mit US-Diplomaten ass, mit Sklaventhaltern illegale Geschäfte machte und schliesslich vom Zollkommandanten durch den internationalen Flughafen der Hauptstadt Nouakchott geschmuggelt wurde, ohne dass auch nur sein Handgepäck kontrolliert worden wäre.

Ein wenig Hybris und ganz viel Gelassenheit scheinen unabdingbar zu sein auf Trümplers Touren.

Fantasielose Zöllner

Als er in Essaouira nach sieben Stunden Markt in seinem Bus steht und das Bündel Noten zählt, das zusammengekommen ist, fast 10 000 Dirham, stehen plötzlich zwei Männer in seinem Rücken und sagen auf Deutsch «Guten Tag». Zwei Polizisten, die herzlich lachen. Dabei dürfte Trümpler seine Ware als Tourist eigentlich weder verkaufen, noch dürfte sie überhaupt im Land sein. Die Einfuhr von Wasserpumpen etwa ist gänzlich illegal, doch auch andere Waren hätten am Hafen von Tanger verzollt werden müssen, nachdem sie mit der Fähre 50 Stunden von Italien nach Marokko kamen. Doch den gefürchteten Verzollungsplatz versucht Trümpler tunlichst zu umfahren.

Grund 3: Nervenkitzel.

«Am Zoll bewege ich mich auf dünnem Eis», sagt er. «Ich liebe das. Um mich herum Uniformierte, die mehr Macht haben als ich, und ich muss irgendwie durchkommen.» Reguläre Verzollung bedeutet Kosten von einigen tausend Euro, dazu Bakschisch für die Zöllner und zwei Tage Wartezeit am Hafen. Trümpler hat noch nie gezahlt. Die Methode: Palavern. Zuerst fährt er zur normalen Touristenkontrolle, immer ein Lächeln auf den Lippen. «Was ist das für Ware?» – «Das sind Geschenke für Freunde und arme Menschen.» – «Sie haben aber viele Freunde in Marokko…» – «Ja, viele Freunde. Wollen Sie einen Kaffee?» Irgendwann wird er in der Regel durchgewinkt. «Die Zöllner können mich nur zurückschicken zur Warenkontrolle. Davon haben sie nichts. Ausserdem können sie sich nicht vorstellen, dass ein Ausländer das Material tatsächlich in Marokko verkaufen könnte.»

Ein Freitagabend in Sebt El Guerdane, einem kleinen Bauernstädtchen im Landesinneren. Die Bedeutung der Souks für die marokkanische Gesellschaft offenbart sich oft schon an den Ortsnamen: Sebt steht für den siebten Tag der Woche, Samstag – den lokalen Markttag. Standgebühr: günstige 20 Dirham.

Kurz nach dem Eindunkeln ein kleiner Rundgang auf dem morgigen Marktplatz, rumstehen, lächeln, Smalltalk. So lernt Trümpler den Händler Ahmed kennen, dessen Auslage bereits vorbereitet ist, funkelnd-neues Werkzeug, aber Billigware aus Asien. Man freundet sich an, und Ahmed schlägt einen Deal vor: Auf seiner Blache liegt zwischen dem China-Ramsch ein alter Schraubstock aus einer deutschen Fabrik. Den soll der Schweizer für ihn verkaufen, für 1000 Dirham, dafür winken 100 Dirham Provision. Trümpler steht auf den Märkten für Qualitätsware, gerne ruft er «Dorigin!», «Garantie!»,«de Swisra!» über den Platz. Dass sein Material gebraucht ist, spielt keine Rolle, die Leute erkennen Qualität sofort.

Als Europäer offenbart sich einem auf marokkanischen Märkten eine scheinbar hochgradig irrationale Preisstruktur. Nachdem der Schriftsteller Elias Canetti 1954 den Souk von Marrakesch erkundet hatte, schrieb er: «Man möchte meinen, dass es mehr verschiedene Arten von Preisen gibt als verschiedene Menschen auf der Welt.»

Doch natürlich liegt auch darin ein System.

Ein Rechenbeispiel: Ein 800-Watt-Bohrhammer von Bosch kostet in Europa neu 200 Euro. In einem marokkanischen Werkzeuggeschäft kostet er neu 180 Euro. Doch während er in Europa gebraucht noch 60 Euro kostet, ist er in Marokko second hand fast so teuer wie ein Neuer. Selbst ein kaputter Bohrhammer, der in der Schweiz praktisch gratis zu haben ist, ist hier wertvoll. Einerseits ist er schwer zu bekommen, andererseits ist in Marokko die Arbeitsstunde eines Handwerkers praktisch gratis. Hier wird alles repariert, kein Wunder, sind marokkanische Handwerker so kreativ. «Und wir in der Schweiz werfen alte Maschinen einfach weg», sagt Trümpler.

Grund 4: Kapitalismuskritik.

Der Marktstand als Organismus

Am nächsten Morgen ist Jules Trümpler immer in Bewegung. Bereits gab es erste Gebote für eine Kabelrolle. Doch eigentlich soll sie noch gar nicht weg, sie ist der Magnet. Immer wieder geht der patron über die Blache, sortiert um, hantiert, führt eine Maschine vor. Die Männer stehen da, beobachten, lauern.

Als er vor Jahren anfing auf den Souks, ein naiver Gauri mit blauen Augen, nahmen sie ihn aus wie eine Weihnachtsgans. Ein Marktstand ist ein Organismus, bei dem man von aussen nicht erkennt, welche Organe in ihm schlummern und wie sie zusammenspielen. Ganz anders die Leute im Dorf. Sie kennen sich, stehen in Beziehung zueinander, sprechen sich ab. Es können Dynamiken entstehen, die sich schnell gegen den Verkäufer richten.

Oft steht Jules Trümpler im Zentrum seiner Blache, wird von allen Seiten belagert, führt diverse Verhandlungen auf Französisch, Arabisch und Berber parallel, jongliert mit mehreren Währungen (neben Dirham rechnen die Marokkaner auch mit den alten Währungen Rial und Franc – mitunter bieten sie Haschisch, hier im bäuerlichen Sept el Guerdane werden auch mal Legehennen geboten). Wird der Händler unsicher und zeigt Schwäche, wird der Druck grösser, physisch, die Leute kommen näher heran, verlangen cadeaux, nehmen Dinge in die Hand, laufen damit weg, wenn sie nicht daran gehindert werden.

Mit der Zeit hat Trümpler gelernt, den Organismus zu röntgen, zu lesen, wer seine Ware wie dringend will, wie die Nachfrage und das Angebot sind, wer wie viel zahlen kann und will.

Der alte Fischer mit den Gummisandalen ist zwar ärmlich gekleidet, doch auch die feinen Leute grüssen ihn respektvoll. Er bekommt einen guten Preis für den ersten Kauf, was sich sofort herumspricht und weitere Kunden anlockt. Den aufdringlichen Halbstarken, der immer mehr fordert und die Grenzen des Verkäufers testen will, beschimpft Trümpler auch mal für alle hörbar als schlechten Muslim. Ein andermal braucht es einen kleinen Witz, um das Eis zu brechen. Kommt ein erster Kunde und fragt, was ein Winkelschleifer kostet, antwortet Trümpler auf Arabisch: «Der Herr kennt wohl die Grundlagen des Handels nicht. Er fragt nach dem Preis und weiss noch gar nicht, ob die Ware überhaupt funktioniert.» Dann steckt er die Flex ein und lässt sie aufheulen.

Beobachtet man den 30-jährigen Schweizer, wie er nach vielen Nächten im Bus ungewaschen und mit verlöchterten Kleidern auf den Souks «Ropa, Ropa, Ropa!» ruft, in die Hände klatscht, landestypische Gesten imitiert und gestandene Marokkaner anpfurrt, verheddert man sich schon mal in identitätspolitischen Überlegungen. Die Marokkaner aber scheinen nichts wissen zu wollen von Begriffen wie «cultural appropriation», sie schmunzeln und haben Respekt vor diesem fernen Marktfahrer, der ihre Liturgie versteht, der nicht nur Waren bringt, sondern auch Geschichten.

Der Fischer und der Kühlschrank

Elias Canetti schrieb über den Handel auf den marokkanischen Souks: «Es ist erwünscht, dass das Hin und Her der Unterhaltungen eine kleine, gehaltreiche Ewigkeit dauert. […] Man kann würdevoll oder beredet sein, am besten ist man beides. Durch Würde zeigt man auf beiden Seiten, dass einem nicht zu sehr an Kauf oder Verkauf gelegen ist. Durch Beredsamkeit erweicht man die Entschlossenheit des Gegners. […] Man muss alles probieren, bevor man nachgibt. Aber selbst wenn der Augenblick gekommen ist nachzugeben, muss es unerwartet und plötzlich geschehen, damit der Gegner in Unordnung gerät und einem Gelegenheit bietet, in ihn hineinzusehen. Manche entwaffnen einen durch Hochmut, andere durch Charme. Jeder Zauber ist erlaubt, ein Nachlassen der Aufmerksamkeit ist unvorstellbar.»

Grund 5: Kompetition.

In ruralen Sept el Guerdane hat Jules Trümpler vor allem Maschinen und Werkzeug ausgeladen. Bald stehen einige Männer mit geschlossenen Schuhen um einen alten Einachser-Traktor. Immer wieder geht der Handelsreisende hin, hantiert am Ungetüm herum, zieht den Anlasser mit einem Lederriemen auf, startet die Maschine mit Starthilfespray. Am Ende des Tages werden weit über 100 Menschen am Traktor rumgefummelt haben, immer wieder wird über den Preis diskutiert. Die Sonne brennt, zum Essen bleibt kaum Zeit, und irgendwann lässt die Konzentration nach. Trümpler wickelt den Riemen verkehrt herum auf, und als der Motor angeht, schlägt er dem Schweizer eine Metallniete auf den Unterarm, die um ein Haar den Knöchel zertrümmert hätte. Souk bedeutet: Immer gelassen bleiben, aber immer auch hoch konzentriert. Nach sechs Stunden ist der Traktor verkauft, für 1400 Dirham, 140 Franken.

Man fragt ihn, ob es das wirklich wert sei, und Trümpler erzählt die Geschichte von Omar. Omar ist ein Freund aus einem Küstendorf, ein beinharter Fischer, der jeden Tag auf seinem Traktorreifen, einem «chambre à air», aufs Meer geht und sich um seine beköderten Longlines und Netze kümmert. Er kann nicht lesen, hat keine Krankenversicherung, aber mit den Einnahmen aus der Fischerei hat er sich ein Haus bauen können, auf dem Dach glitzert eine Solaranlage. Gerade haben Omar und seine Frau ein Baby bekommen.

Vor zwei Jahren verkaufte Jules Trümpler Omar einen batterie- und gasbetriebenen Kühlschrank, den er in der Schweiz aus einem alten Camper ausgebaut hatte. Der Preis: 2000 Dirham.

«Omar hat gerechnet», sagt Trümpler. «Wenn er seine Doraden und Barsche in den Restaurants von Essaouira verkaufen will, muss er täglich entweder eineinhalb Stunden velofahren, den Bus nehmen, der viel zu selten fährt, oder für 40 Dirham ein geteiltes Taxi nehmen. Im Kühlschrank kann er die Fische nun lagern und muss nur noch alle paar Tage nach Essaouira. So spart er fast 200 Dirham pro Woche.»

Geschenke und verlorene Gesichter

Man fragt, warum er Omar den Kühlschrank nicht einfach geschenkt hat, und Trümpler antwortet: «Dafür gibt es mehrere Gründe: In Marokko definiert der Handel den Wert eines Gegenstandes. Omar ist ein Ehrenmann, er hätte das Gesicht verloren, wenn ich ihm den Kühlschrank einfach so gegeben hätte. Ausserdem hätte das den Neid seiner Nachbarn geweckt. Und wieso hätte ich den Kühlschrank ausgerechnet Omar schenken sollen? Warum nicht jemand anderem? Schliesslich wäre Omar vielleicht gar nicht mein Freund geworden, wenn ich nicht mit ihm gehandelt hätte. Ich bekomme den Respekt der Leute, wenn sie merken, dass ich ihr Land verstehen will. Und dazu gehört die Handelskultur.»

Grund 6: Entwicklungszusammenarbeit.

Natürlich ist auch das etwas pauschal formuliert. Trümpler macht auf dieser Reise jeden Tag Geschenke. Der kleine Bub auf dem Markt bekommt ein Kaleidoskop; der guardien beim Autostellplatz erhält am nächsten Morgen eine neue Leuchtweste (dafür kann Jules beim nächsten Besuch umsonst parken); wer arm ist, bekommt auf dem Markt auch mal einen billigeren Preis.

Am Ende dreht sich diese Reise aber doch stark um Geld. Jules Trümpler setzt in den eineinhalb Monaten knapp 7000 Franken um. 2000 Franken kostet die Fähre für zwei Wagen, 2000 Franken braucht er für Diesel und Lebenskosten für eineinhalb Monate. 1000 Franken rechnet er als Aufwand, um das Material in der Schweiz zusammenzuramüsieren. Bleiben 2000 Franken für jährliche Steuern und Versicherungen für die Autos.

Grund 7 nennt er gleich selber: «Ausserdem habe ich gratis Ferien und jede Menge Spass.»

Belfaa ist eine verschlafene Kleinstadt im Landesinneren, die am Markttag anschwillt wie ein Fluss nach Starkregen. Noch vor dem Morgengrauen wechseln ganze Schafherden den Besitzer. Trümpler schlendert durch den Markt, vielleicht will er später noch ein paar Maschinen direkt verkaufen, ohne Auslage. Bald aber kommt er zurück und sagt, man müsse jetzt gehen, sofort. Er habe den Typen wiedergesehen, der am Vortag den Einachser-Traktor gekauft habe. Er sei hier auf dem Markt und suche wohl nach dem Schweizer, weil das Ding nicht anspringe.

Was für ein Zufall – der Typ mit dem Traktor, genau hier, in Belfaa, einige Fahrstunden von Sebt el Guerdane entfernt.

Oder ist das am Ende gar nicht wahr?

Man fragt sich: Ist der Typ wirklich hier – oder ist das einfach eine gute Geschichte?

Aber: Spielt das überhaupt eine Rolle?

Die Bilder stammen vom Fotografen Armin Sommer, der Jules Trümpler 2019 auf einer Handelsreise durch Marokko begleitet hat.