Lustigen Geistes

30. November 2021, Doerte Letzmann
Die Wirtschaft zum Frieden 1950. Foto: C. Koch (Fotoarchiv Wessendorf)/Stadtarchiv Schaffhausen.
Die Wirtschaft zum Frieden 1950. Foto: C. Koch (Fotoarchiv Wessendorf)/Stadtarchiv Schaffhausen.

Die Wirtschaft zum Frieden wird ausgezeichnet. Archivdokumente zeigen: Die Beiz ist eine Muse. Für schlechte Gedichte und gutes Essen.

Im Frieden fliessen Weine reichlich

Man ist noch nicht am Rheine weichlich.

Dieser Schüttelreim findet sich in einer Broschüre zum Abschied von Louise Weber-Bluntschli, die von 1907 bis 1921 die Wirtschaft zum Frieden am Herrenacker betrieb. Zu diesem Anlass fand am 4. und 5. Juni 1921 ein «Friedenskongress» statt mit den ehemaligen «Pensionären», den treuen (männlichen) Stammgästen von Frau Bluntschli.

Es muss ein tolles Fest gewesen sein. Das Tageblatt schrieb nachher: «5 Duzend sammelten sich von fern und nah am Samstag zum Becherlupfen, und am Sonntag gab’s denn ein solennes Fest mit langen Reden.» Es war «ein Hoch auf die Weberei und ihre Nachkommenschaft» für diese «weltbekannte» Wirtschaft.

Der Schüttelreim ist einer der harmloseren, welche sich auf inzwischen vergilbten Seiten voll mit Gedichten und Anekdoten im Stadtarchiv nachlesen lassen. Nicht alle sind jugendfrei. Sie erzählen die Geschichte einer Beiz, in der Freundschaften geschlossen, leidenschaftliche politische Diskussionen geführt wurden, wo man tanzte, jasste, liebte, manchmal die Wirtin in den Wahnsinn trieb und vor allem (sehr viel) Wein trank. Wo man «schwanken Bein’s, doch lustigen Geistes tirilierend» heimzog.

Die Pensionäre schenkten ihrer «Pensionsmutter» zum Abschied auch ein Album mit ihren Porträts. Unter jedem Foto stehen Daten. Vielleicht markieren sie die Zeit, in der sie regelmässig im Frieden einkehrten. Das älteste Datum darin: 1877.

Das Album ist inzwischen in den Frieden zurückgekehrt. Die jetzige Besitzerin Heidi Bischoff, die das Restaurant zusammen mit ihrem Mann Fabrice betreibt, zeigt es, als wir eine Tour durch das Haus unternehmen. Sie habe das Fotoalbum der Pensionäre von den Nachfahren der ehemaligen Besitzerin erhalten, erklärt sie.

Wir treffen die Bischoffs zu einem besonderen Anlass, denn am Montag wurde die Wirtschaft zum Frieden zum historischen Restaurant des Jahres 2022 gekürt. Die Auszeichnung wird durch die ICOMOS, einer internationalen Organisation für Denkmalpflege, verliehen.

Das Wystübli der Wirtschaft zum Frieden heute.

Heute wird im Restaurant gut bürgerliche Küche auf hohem Niveau serviert. Dafür bekamen die Bischoffs 2019 bereits den Goldenen Fisch und ihr Restaurant wird im Guide Michelin aufgeführt.

Vor 1921 waren die Küche (und die Reime) dagegen eher rustikal:

Gar viele schön im Frieden sassen,

Die Suppe nach dem Sieden frassen.

und

Man sah dort manches Bauernsöhnchen

Erlabend sich an sauren Böhnchen.

Viele Gäste erzählten ihr Geschichten über den Frieden, weil sie die Wirtschaft von früher kennen, berichtet Heidi Bischoff. Zum Beispiel, dass der Ofen im Speisesaal im ersten Stock einmal explodiert sei. Weil ein Lehrling zu viel Feuerholz reinstopfte. Heute steht dort ein historischer Ofen mit blau-weissen Kacheln, der aus Thayngen dorthin transportiert wurde. Gut möglich also, dass der vorherige tatsächlich zerbarst.

Der Frieden ist voll von solchen Geschichten. Auf unserer Haustour knarzt der Boden, so, als wollte er sie selbst erzählen. Noch heute heisst die Stube im Erdgeschoss Wystübli, dort, wo sich früher die Pensionäre zu weinseligen Abenden trafen. Ein bisschen ist es wie in einem Museum zwischen den vertäfelten Wänden, dem antiken Mobiliar, dem barocken Treppengeländer und den 200 Jahre alten Fenstern.

Das Haus gibt es schon seit dem Mittelalter, erstmals urkundlich erwähnt wird es 1445. Als Wirtschaft wird es seit 1862 betrieben. «Wie ein Kücklein unter die Flügel der Gluckere, duckt sich der Frieden unter die Nachbardächer. Es ist das niederste Haus auf dem Herrenacker, doch sicherlich eines der gemütlichsten.» So beschreibt der Stadtarchivar Hans Werner das Haus zum Frieden in der Broschüre 1921.

Zankapfel

Nicht immer wurde das Haus seinem Namen gerecht. Lange war es den Stadtbewohnern als Haus zum «Streit» bekannt. Denn schon bei der ersten Erwähnung des damals noch namenlosen Hauses, das zwischen den Häusern Peyerburg und Hoffnungsburg lag, ging es um einen Zoff zwischen Nachbarn.

Das Problem? Hausbesitzer Hans Kündig konnte sich mit seinem Nachbarn Heinrich Merkly nicht über den Unterhalt der gemeinsamen Giebelmauer zwischen zum Frieden und der Peyerburg entscheiden. 1445 einigten sie sich schliesslich darauf, die Mauer bis zur Höhe des niedrigeren Hauses gemeinsam zu unterhalten. 

Das wiederum war die Grundlage für den nächsten Streit. Als nämlich die spätere Besitzerin Margaretha Peyer im Hof 1661 das Haus zum Gaissenbock, wie der Frieden inzwischen hiess, aufstockte, klagten die Nachbarn. Mit Erfolg, sie musste den Aufbau wieder abreissen. Frau Peyer im Hof liess das aber nicht auf sich sitzen und errichtete aus Rache im Kräutergarten ein neues Hinterhaus, genannt «Trutzhaus». Und das nahm den Nachbarn alle Sonne. 

Stadtarchivar Hans Werner bemerkte dazu: «Schon während des Prozesses von 1661 hatte es «ehrverletzliche Scheltungen» zwischen den Parteien abgesetzt, sodass ihnen vom Rat befohlen wieder Frieden zu halten bei hoher Straf und Ungnad.» Sogar ein Spottgedicht über die streitenden Nachbarn soll unter den Stadtbewohnern in Umlauf gewesen sein.

Wie ein Fluch setzten sich die Streitigkeiten jedoch fort. 1781 stritt sich der Besitzer Junker Kriegsrat Conrad Ziegler mit dem Nachbarn wegen des Baus eines Küchenkamins an der Giebelmauer zur Peyerburg. Sein Vorgänger und Schwiegervater Salzherr Franz Ott hatte mit dem Nachbarn auf der anderen Seite im Clinch gelegen.

Erst als 1788 der Metzger Johannes Moser das Haus für 2800 Gulden kauft, kehrte Ruhe ein. Er taufte das Haus kurzerhand in Frieden um und verkaufte dort Fleisch und schenkte Wein aus. Gäste waren Bauern und Fuhrleute an Markttagen, die im Stübli «Chuttle» oder «Gschnätzlets» assen, während Knechte ihre Pferde versorgten.

Nach Johannes Moser übernahm 1817 Johann Rudolf Schelling das Haus und betrieb ein Spezereigeschäft, also so etwas wie einen Gewürzladen. 1862 beginnt dann die Geschichte der Wirtschaft zum Frieden, als Jakob Weber das Haus kaufte und im vorderen Teil eine Beiz einrichtete. Mit Erfolg: Die Familie Weber führte die Wirtschaft bis 1921, ab 1907 folgte Louise Weber-Bluntschli, die «Mutter» in zweiter Generation.

Der Stadtarchivar hatte für Jakob Weber nur gute Worte übrig: «Sechzig Jahre lang ist nun der Frieden in seiner Familie geblieben. Er und seine stramme tüchtige Frau Luise, ihre Kinder und Enkel haben das Haus stets mit frohem herzlichem Geist erfüllt, so dass allen wohl war, die hier ankerten, und so habe sie einen wahren Frieden daraus gemacht.»

Ein bisschen Zank und Streit gab es aber offenbar dennoch, wie folgendes Gedicht der Pensionäre zeigt:

Der Frieden & die Pensionäre

Der Frieden der hiess einst zum «Streit»

Ihr Pensionäre merkts euch heut.

Aus Streit ward Frieden, so solls sein

Hoch lebe der Frieden und sein Wein.

Beim Pensionär ist’s umgekehrt

Hat friedlich er sich hier genährt

Dann fällt er um, geht hin und freit

Und bald beginnt der Ehestreit.

Nicht zuletzt diese Wortkunst lässt erahnen, wie berüchtigt die Wirtschaft zum Frieden gewesen sein muss. An anderer Stelle ist von einem «Verlobungsbazillus» die Rede. Die Polizei habe seit Einführung der Polizeistunde «entscheidende Fortschritte» in der Bekämpfung des Bazillus gemacht. Träfen sie jetzt einen Friedenspensionär nach ein Uhr auf der Strasse, dann erhalte er am nächsten Tag eine Busse wegen «Überhockung im Frieden».

Ein Skandal

Louise Bluntschli gab die Wirtschaft zwar ab an Nachfolger Albert Mucker, aber eine lustige Stube blieb es dennoch. Am 15. November 1928 ging eine anonyme Anfrage bei der Stadtpolizei ein, ob bekannt sei, dass dort allabendlich «das Wirtschaftsgesetz» umgangen werde.

«Es bedeutet nun bald ein Skandal für Schaffhausen, dass dort jeden Abend von 8 bis manchmal 12 Uhr ohne weiteres im öffentlichen Wirtschaftslokal getanzt werden kann», schreibt der Autor. Er habe etwas essen wollen, aber musste infolge des «Spekdakels» und «dem nicht gerade seriösen Tanzen von wenigstens 5 Pärchen» wieder gehen. Und das auch noch mit «Phonographenmusik». Eine «Sauerei». Der Autor verlangt von der Polizei, Ordnung zu schaffen, «wie man dies von jeder Arbeiterwirtschaft verlangt».

So lange wie die Webers blieb keiner der neuen Betreiber. 1938 erwirbt Hildegard Peyer-Amsler das Haus. Aber schon 1946 und wieder 1970 wechseln die Besitzer.

Die Schaffhauser Nachrichten schreiben am 20. Februar 1984: «In jüngerer Zeit erfreute sich das verwinkelte Gasthaus vor allem bei den Studenten und Politikern grosser Beliebtheit. Während sich die Scaphusianer oder die Fortuner in der Weinstube zum «Stamm» trafen, berieten die Vertreter verschiedenster politischer Richtungen im Biedermeierstübli, in der Tessinerstube oder im Fall die aktuellen Ratsgeschäfte.»

S’kommt einer dessen Casse strotzt,

Der voll dann auf die Strasse kotzt.

An die Beliebtheit der Beiz konnten spätere Betreiber nicht mehr anknüpfen. 1986 übernahmen Anita und Martin Scherrer die Wirtschaft zum Frieden, 1999 dann Thomas und Eleonora Deventer. Sie wollten das Haus im bisherigen Stil weiterführen und «moderne französische Küche in gutbürgerlicher Ambiance» anbieten, schreiben die Schaffhauser Nachrichten am 31. Juli 1999. Doch das haute nicht hin. Aus finanziellen Gründen gaben die Deventers 2003 die Gaststätte auf.

Zu diesem Zeitpunkt ist die Zukunft des Friedens ungewiss. Ein Übernahmeprojekt durch die Schaffhauser Gesellschaften und Zünfte wurde schnell wieder aufgegeben. Nachdem das Haus eine zeitlang leer stand, erwarben es 2006 Erika Maier und Stefan Hofstetter. 2007 pachteten dann Heidi und Fabrice Bischoff den Frieden und eröffnen eine Wirtschaft. Und 2015 kauften sie auch das Haus. 

Heidi und Fabrice Bischoff erhalten die Auszeichnung für das historische Restaurant 2022.

Auf unserer Tour durch das Gebäude, die Treppe hinunter in den Weinkeller, ein grosses, dunkles Gewölbe, sagt Heidi Bischoff, dass sie das geschichtsträchtige Haus mag. «Ich habe mich von Anfang an sehr wohl gefühlt», bemerkt sie. Sie weiss die Antiquitäten und das Alte zu schätzen.

Das ging nicht allen Besitzerinnen so. Ihre Vorgängerin, die das Haus nur ein paar Monate lang betrieb, nachdem es von der Vorbesitzerin in den Konkurs gewirtschaftet wurde, sah es anders. Sie habe ihr in einem Brief geschrieben, dass Antiquitäten auch erdrücken könnten, erzählt Bischoff.

Die Bischoffs dagegen beziehen das historische Erbe mit ein – und lassen die Gäste daran teilhaben. Erdrückt fühlt man sich deswegen nicht im Frieden. Vielmehr lässt sich die Gemütlichkeit erahnen, von der die damaligen Pensionäre schwärmten.

Der Weg uns hin zum Rheine weist.

Dorthin man heut zum Weine reist.

Vielleicht wird die Wirtschaft sogar wieder zu einer Inspirationsquelle für Amateur-Dichterinnen.